25.04.2016, 21:46
Es war kalt. Kaum zwanzig Grad. Für manche Menschen mochte das mild sein, für Greo muteten diese Temperaturen Winternächten an. Nicht, dass ihm das unangenehm war, aber der Gedanke beschäftigte ihn eine Weile und ließ ihn grübelnd den ausgestorbenen Strandabschnitt mustern, an dem er sich befand. Er war weit von zu Hause weg.
Fast grimmig schürfte er eine Hand voll Sand aus dem Wasser und schrubbte damit das derbe Leder seiner Stiefel. Er hatte sich nach einem Tag voller Gelegenheitsarbeiten ein wenig zurückgezogen, um seine Kleidung und sich wieder auf Vordermann zu bringen. Er wollte keinen schlechten ersten Eindruck erwecken – wobei, vielleicht legten diese Leute auf ein entsprechend klischeebesetztes Äußeres Wert. Der Dunkelhaarige schnaubte, spülte den Schuh, den er gerade bearbeitet hatte ab, und trocknete ihn sorgfältig. Das Salz war nicht gut für das Leder, das wusste er, aber vernünftiges Süßwasser war teuer und das sparte er sich lieber für seinen Proviant. Unwillkürlich drehte er sich nach seinen wenigen Habseligkeiten um, die bereits getrocknet auf Ästen im Gebüsch herumlagen.
Was mochte ihn wohl in der Stadt erwarten?
Er war dem merkwürdigen Angebot, das ihm diese Hupfdohle am Morgen gemacht hatte, nicht abgeneigt. Es war zumindest eine Möglichkeit von der Insel wegzukommen und Greo brauchte dringend Arbeit mit halbwegs vernünftigem Lohn. Er hatte schließlich noch einiges geplant.
Als er sich aufrichtete streckte er die Arme gen Himmel, atmete tief durch und genoss für einen kurzen Augenblick das schläfrige Rauschen der Wellen, bevor er sich umdrehte, seine Siebensachen zusammensuchte, sich vollständig ankleidete und sein Bündel schulterte, um in Richtung Hafen zu schlendern. Dann begann es zu regnen.
Es war ihm seit jeher unangenehm gewesen in städtisches Nachtleben hineinzugeraten. Er war und blieb ein Landmensch, der die schlichten aber netten Leute der Einöde zu schätzen wusste. Gackernde Weiber, die zwielichtige Angebote machten oder stinkende Kerle, die nicht an ihren Bäuchen vorbei auf ihre Zehen sehen konnten, gehörten nicht gerade zu seinen Favoriten. Natürlich war ihm klar, dass nicht alle Menschen so waren und irgendwie faszinierte es ihn, dass sich so viele von ihnen an einschlägigen Orten zusammenscharrten, aber er hoffte inständig, dass diese vermeintliche Crew auch Menschen anderen Schlags vereinte.
Als er jedoch die Tavernen abklapperte, in denen er die Gruppe um den blauäugigen Schwarzschopf vermutete, wurde er einigermaßen ernüchtert. Bisher hatte er sie nicht auffinden können, und die Herrschaften, die ihn zum Bleiben eingeladen hatten, sahen ihm überwiegend nicht nach guten Chefs aus. Greo blieb skeptisch, als er vor einer weiteren Wirtschaft stehen blieb. Nach einem kurzen Zögern darüber, was ihn nun wieder erwarten würde, öffnete er die Tür. Er musste sich etwas bücken, um nicht mit dem Kopf an den Zagen anzustoßen, schaute hinein, fand sich überschlagende Menschen vor und ging sofort rücklings wieder raus.
Herrje. Stöhnend schob er sich den breitkrempigen Hut in den Nacken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und spähte mit angespannter Miene zum Dachfrist hinauf. Was war das hier für ein Ort?