05.04.2024, 11:12
The heart against the mind
Abend des 05. Juli 1822
Shanaya Árashi & Talin Dravean
Mit einer skeptischen Miene betrachtete Shanaya die feinen Linien auf dem Papier, das vor ihr lag. „Wenn ich überlege, wie oft du gemein zu mir warst, müsste ich dir eigentlich eine riesige Nase zeichnen.“ Ein amüsiertes Lachen schwang in der Stimme der Schwarzhaarigen mit, ehe sie die blauen Augen mit einem vielsagenden Ausdruck zu Talin hob, ihn prüfend über den Körper der Blonden wandern ließ. „Oder ich lasse deine Brüste weg.“ Damit legte sich ihr Blick wieder auf das Papier, auf dem sie nun die Wölbung von Talins Brust ausbesserte. „Hast du ein Glück, dass ich so ein großherziger Mensch bin.“ Ein erneutes Lachen, womit die Schwarzhaarige ihren Rücken ein wenig durchstreckte, die blauen Augen dann wieder zu Talin wandern ließ. „Ich sollte viel öfter anderes als nur Karten zeichnen, das ist irgendwie in letzter Zeit auf der Strecke geblieben.“
Ihr Blick huschte über das Meer und die langsam untergehende Sonne, bevor sie die Augen schloss und den Wind über ihre Haut streicheln spürte. Nur Sekunden danach öffnete sie diese schon wieder, allein, um das Gleichgewicht zu halten. Bei Wellengang – und sei er noch so leicht – auf der Reling zu liegen und die Augen zuschließen, dass war selbst ihr dann zu unsicher. Nicht, dass es schlimm gewesen wäre, wenn sie doch fiel. Es würde keine Lage Stoff an ihr geben, die sie mit ihrer schwere im Wasser nach unten ziehen würden. Vielleicht sollte sie es einfach wagen und sich doch fallen lassen. Nackt schwimmen war auf jeden Fall etwas, worauf sie Lust hätte.
Shanayas Stimme lenkte Talin von ihren Gedanken ab und sie lächelte leicht, als sie die Augen wieder schloss und das leichte Schaukeln des Schiffes damit ausglich, dass sie sich mit beiden Händen an der Reling festhielt. „Ich war noch nie gemein zu dir. Das ist liebevolles Necken und zeigt nur wie gern ich dich habe.“ Sie öffnete ein Auge und schielte zu der Dunkelhaarigen herüber. Sie versuchte einen einschüchternden Blick, schaffte es aber nicht. Stattdessen streckte sie sich lasziv. „Und oberflächlich wie ich bin, wäre ich dir dankbar, du würdest mir eher eine lange Nase zeichnen, als mir meine Brüste zu nehme. Ich bin doch recht stolz auf sie. Die Nase nimmt meiner Schönheit nichts.“ Sie lachte leise und drehte schließlich den Kopf wieder gänzlich in Richtung der Navigatorin. „Warum hast du in letzter Zeit so wenig gezeichnet? Karten einmal außen vor gelassen.“
Als Talin antwortete, hob Shanaya leicht eine Augenbraue an, bedachte die Blonde mit einem vielsagenden Blick. „Natürlich ist es das.“ Ein Lachen schwang in ihrer Stimme mit. Wenn sie einem der weiblichen Crewmitglieder Glauben schenkte, dann noch Talin. Auch wenn die Blonde zu gern ein… gewisses Thema ansprach. Den Blick ihrer Freundin erwiderte sie dann mit einem amüsierten Schmunzeln, wog den Kopf zu beiden Seiten, als müsse sie über ihre Antwort kurz nachdenken. „Wenn du weiter so frech bist, lasse ich deine Brüste weg UND zeichne dir eine riesige Nase. Dann sprechen wir nochmal.“ Die andere Frau musste ja nicht wissen, dass sie beide Attribute schon längst in normaler Anzahl und Größe bekommen hatte. Die nächste Frage ihres Gegenübers ließ sie dann aber wirklich einen Moment nachdenken. „Gute Frage… ich denke, andere Prioritäten?“ Es hatte immer viel zu tun gegeben und sie nahm sich für so etwas gern viel Zeit. Das hatte in der letzten Zeit einfach irgendwie nirgends hin gepasst.
Neugierig sah sie die junge Navigatorin an, während gleichzeitig der Schalk in ihren Augen tanzte. Für einen Moment war sie hin und her gerissen, ob sie nicht doch weiter frech sein wollte. „Andere Prioritäten, hm?“ Sie ließ es anzüglich klingen, aber wusste doch, dass Shanaya recht hatte. Sie alle hatten in letzter Zeit andere Prioritäten gehabt, als sich mit Zeichnen, Musik oder sonstigen Dingen zu beschäftigen, denen man so nachgehen konnte. Natürlich war immer mal wieder Zeit, aber für so zeitaufwendige Tätigkeiten wie das Malen? Es kam wohl immer wieder etwas dazwischen. Sie dachte kurz nach und lächelte dann ehrlich. „Ich bin dir dann wohl dankbar, dass du lieber mich zeichnest, als eine weitere Karte, wo du einmal für so etwas Zeit hast.“ Sie räkelte sich wieder – so auf Dauer war die Reling nun auch nicht besonders bequem – und die Belustigung kehrte in ihre Augen zurück. „Ich werde jetzt frech sein, als nimm mir ruhig meine Brüste und mal mir eine große … Nase, wo auch immerhin. Wie sieht es zwischen dir und Lucien aus?“ Sie überlegte selbst, ob sie inzwischen fragte, um sich selbst zu geißeln oder um irgendwie eine Verbindung zu ihm zu haben, nachdem er sich ihr gegenüber wieder einmal völlig rar gemacht hatte.
Talins Nachfrage ließ nicht lang auf sich warten – und schon nach diesen Worten wusste Shanaya, was folgen würde. Sie seufzte lautlos, führte damit eine Linie auf ihrem Papier nach und hob daraufhin die blauen Augen zu der anderen Frau, ohne den Kopf zu bewegen. Zuerst drückte die Blonde jedoch ihre Dankbarkeit aus, was Shanaya skeptisch machte, aber sie wog mit einer zustimmenden Geste leicht den Kopf. Zeit für eine Antwort blieb ihr jedoch nicht, denn nur wenige Herzschläge später sprach Talin weiter – und bestätigte damit den Verdacht, den Shanaya gehegt hatte. Und sie musste sich nicht einmal fragen, wie ihre Freundin so plötzlich auf dieses Thema zu sprechen kam. Nun war ihr Seufzen nicht ganz so lautlos. Die blauen Augen legten sich auf die Blonde, ein ruhiger Ausdruck auf den Zügen. „Je öfter du das fragst, desto mehr frage ich mich, wieso. Ich kriege langsam wirklich den Verdacht, dass du Angst hast, dass ich ihn dir wegnehme.“ Ein amüsiertes Lächeln lag auf ihren Lippen. Mal sehen, wie Talin damit umging, wenn sie ihr den Ball zurück spielte. „Aber keine Sorge, das habe ich nicht vor.“ Eine genauere Antwort blieb erst einmal aus.
Die sadistische Seite in ihr – und sie wusste sehr genau, dass sie so eine besaß – mochte es Shanaya mit Lucien auf die Nerven zu gehen. Gleichzeitig regte das wohl auch ihre masochistische Seite in ihr an, denn sie wollte gar nicht wissen, wie die Dunkelhaarige zu ihrem Bruder stand – nicht wirklich. Vielleicht war es doch Selbstschutz. 'Bring sie dazu es zuzugeben, damit du dich auf das schlimmste vorbereiten kannst.' Doch diesmal war das nur die halbe Wahrheit.
Talin kopierte Shanayas Seufzer und sie drehte leicht den Kopf, um wieder in den Himmel zu starren, mit halben Blick auf das Wasser am Horizont. „Auch wenn du sonst damit recht haben magst, weil ich ihn wirklich ungern hergeben möchte, hat es wohl mehr damit zu tun, wie er dir vorkommt, was er dir erzählt. Oder besser wie es ihm geht. Einsilbige Antworten und der Versuch mir so gut wie immer auszuweichen, helfen nicht dabei 'Geschwisterliche Bande' wieder herzustellen.“ Als sie den Kopf diesmal zurück zu Shanaya drehte, lag in ihrem Blick nichts als Ernsthaftigkeit. Es war ein großer Vertrauensbeweise an die Schwarzhaarige, dass Talin ihre Sorge und die Entzweiung ansprach, die sie und Lucien gerade durchmachten. Und auch jetzt musste sie gegen den Kloß in ihrem Hals schlucken und ihr viel zu schnell schlagendes Herz im Zaum halten.
Ohne etwas davon auszusprechen, fragte Shanaya sich, was die andere Frau mit dieser ständigen Fragerei bezweckte. Welches Ziel verfolgte sie damit? Eigentlich hatte sie hier nur entspannt sitzen wollen, endlich Mal wieder etwas zeichnen… Von diesem Gedanken konnte sie sich vermutlich erst einmal verabschieden. Sie beobachtete, wie Talin den Blick wieder gen Himmel richtete, hatte die kurze Hoffnung, sie könne sich nun wieder auf ihre Zeichnung konzentrieren. Bis die Blonde wieder zu sprechen begann und Shanaya nun ihrerseits die Augen schließen ließ. Ob diese Worte sie Überwindung kosteten? Auch wenn sie noch nicht ganz verstand, wieso ihre Freundin Angst hatte, ihren Bruder an Shanaya zu verlieren. Darüber musste sie sich wirklich keine Gedanken machen. „Er hat mich darauf angesprochen, dass zwischen uns nicht mehr sein wird als das, was es jetzt ist. Und da ich da nie von ausgegangen bin…“ Einen Moment lauschte die Schwarzhaarige in sich selbst hinein, ehe sie weiter sprach, den Blick ihres Gegenübers erwidernd. „Den Rest muss er dir wohl selbst erzählen. Ich vermute, du hast schon versucht, ihn darauf anzusprechen?“
Gebannt wartete sie darauf, dass die Dunkelhaarige ihr Antworten gab, die sie von keiner anderen Quelle beziehen konnte. Nicht einmal von der Person selbst, von der sie es hören wollte. Vielleicht gar nicht mehr von dieser Person. Ein Stich in ihrem Herzen sagte ihr, dass sie das nicht so stehen lassen konnte, dass sie etwas tun musste, damit es wieder besser zwischen ihnen wurde. Aber egal, wie sehr sie ihren Kopf auch anstrengte, ein kleiner – sehr, sehr kindischer – Teil von ihr, wollte das Lucien auf sie zu kam, und mit ihr sprach. Und sie nicht um fünf Ecken fragen musste, wie es ihm ging. Aber offensichtlich war das im Moment einfach zu viel verlangt. Sie stieß einen Seufzer aus, der so tief, wie die tiefste, dunkelste Stelle im Meer war. „Das ist zwar nett, dass du mir das sagst, aber gerade das Problem mit dem Ansprechen ist ja vorhanden. Auf meine etwas unbeholfene Art dich auf meinen Bruder anzusprechen, möchte ich vermutlich nur wissen, ob du weißt, wie es ihm geht. Also, nicht nur, wie er zu dir steht, sondern auch wie es sonst um ihn steht...,“ sie druckste so sehr rum, dass sie sich frustriert durchs Haar fuhr und fast das Gleichgewicht auf der Reling verlor. „Verstehst du, was ich meine?“
Talin verwirrte die Schwarzhaarige auf so viele verschiedene Weisen. Wieso fragte sie sie das und nicht Lucien selbst? Wieso sprach die Blonde wieder und wieder dieses Thema an? Diese und viele andere Fragen gingen der jungen Frau durch den Kopf, auf die sie so schnell vermutlich keine Antwort bekommen würde. Shanaya hob eine Augenbraue, musterte ihr Gegenüber ein wenig genauer, längst nicht mehr auf die Zeichnung fokussiert. „Wieso… fragst du ihn das nicht einfach?“ Der fragende Ausdruck von zuvor blieb in den blauen Augen bestehen. „Ich fürchte, er würde uns beiden bei der selben Frage eine andere Antwort geben.“ Nur, um noch mehr Verwirrung zu schüren. „Also nein… so richtig verstehe ich es nicht.“ Hier musste die Schwarzhaarige ehrlich sein. Wenn sie etwas wissen wollte, sprach sie denjenigen an. „Oder verheimlichst du mir etwas dazu, was meine Verwirrung darüber lösen würde?“ Ein Puzzleteil, das ihr half, ein wenig dazu beitrug, wieso Talin sich verhielt, wie sie es eben tat.
Shanayas verwirrter Ausdruck half Talin nicht gerade dabei sich wieder zu beruhigen. Nun, eigentlich war sie ruhig, aber innerlich spürte sie, wie Frust aufstieg. Immer Höher und Höher, bis sie sich frustriert durch das Haar fuhr und ein Schnauben ausstieß. Sie konnte das besser, das wusste sie. Sie konnte Menschen mitteilen, was sie wollte, ohne dass sie es direkt aussprach. Doch in diesem Falle schien sie zu versagen. Oder die Navigatorin war einfach ein Stück Treibholz, was das anging. Talin war bei diesem Gedanken nicht einmal nach Lachen zu Mute. Sie fuhr sich nur noch einmal durch das Haar, bevor sie schließlich wieder den Blick auf das andere Mädchen richtete. „Er spricht nicht mit mir. Nicht so, wie ich es wollte oder er es sogar sollte. Wenn es gut läuft, verhält er sich wie ein entfernter Bekannter, der einmal grüßt, aber ansonsten geht er mir wenn möglich aus dem Weg. Ich bin ein bisschen verzweifelt, deshalb frage ich dich, wenn auch offensichtlich umständlich, ob du weißt, wie es ihm geht.“ Den letzten Teil presste sie etwas unwillig zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
Shanaya hörte das Schnauben der anderen Frau, war jedoch irgendwie ratlos. Sie beobachtete die Blonde, wie sie sich durch die Haare fuhr, wie sie vielleicht immer noch nach Worten suchte, um sich zu erklären. Was sie schließlich hervor brachte, ließ Shanaya leicht die Mundwinkel verziehen, grüblerisch. „Das habe ich soweit verstanden… aber ich verstehe nicht, wieso du das nicht bei ihm ansprichst? Hau auf den Tisch, wenn es dich stört?“ Wenn sie sich nicht einmal ‚traute‘ ihren Bruder zu fragen, wie es ihm ging… Und für sie erschien ihr das wie die einfachste Lösung. Die junge Frau zuckte locker mit den Schultern. „Ansonsten ist er, denke ich, in Ordnung…?“ Sie alle waren kleine Geheimnisbrödler, die nicht unbedingt offen zueinander waren. Und wer wusste das über Lucien besser als seine Schwester? Auch, wenn er nur sporadisch mit ihr zu sprechen schien. „Viel mehr kann ich dir, fürchte ich, nicht sagen.“