07.09.2024, 17:56
Auf den Spuren des Wissens
Nachmittag des 24. Juli 1822
Shanaya Árashi & Talin Dravean
Hin und hergerissen zwischen dem Wunsch lauthals zu lachen oder sich lieber die Hand vor den Mund zuschlagen, um eben dies nicht zu tun, versteckte sich Talin noch ein wenig mehr im Schatten der Tavernenwand, während ihr Blick mit einem heiteren Funkeln Shanaya bei der Arbeit beobachtete. Als die dunkelhaarige Navigatorin ihr gesagt hatte, sie würde einem ehrlichen Beruf nachgehen, hatte die Blonde nur eine Augenbraue in die Höhe gezogen und es als Witz abgetan. Nun aber … Ihr Blick glitt einmal über die weiße Bluse, das dunkle Mieder und den Ansatz eines roten Rockes – ein Rock, wie sie noch einmal betonen musste – bevor sie schließlich wieder Shanaya als Ganzes ansah und ihre beschäftigen Bewegungen in sich aufnahm.
Als schließlich wieder einmal die Tür der Taverne aufgestoßen und die nächste Gruppe laut grölender Männer hereintrat, stieß sich Talin von der Wand ab. Ihre Belustigung und vermutlich auch leichte Schadenfreude, versteckte sie hinter einem feinen Lächeln, auch wenn Shanaya vermutlich das Glitzern in ihren Augen erkennen konnte. Darauf ließ sie es ankommen. Am Tresen lehnte sie sich entspannt gegen das Holz und klopfte leicht auf die Platte. „Hallo, meine Hübsche. Bist du frei?“ Sie warf Shanaya ein freches Zwinkern zu, während ihr Blick noch einmal auf den roten Bund um die Hüfte der dunkelhaarigen glitt. Eindeutig ein Rock. „Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich dich jemals so … anständig und mädchenhaft angezogen sehe.“
In manchen Momenten glaubte Shanaya das feine Ziehen im Nacken zu spüren, das sie überkam, wenn sie beobachtet wurde. Aber dieses Gefühl zog sich an diesem Ort den ganzen Tag durch ihr Empfinden, die junge Frau machte sich also nicht sonderlich große Gedanken. Immerhin folgten ihr oft die Blicke der Männer – egal ob betrunken oder nicht. Es machte also keinerlei Unterschied. Und für heute war sie eh beinahe mit ihrer Schicht fertig. Jetzt hieß es also nur noch die letzten Minuten irgendwie totschlagen, ohne wirklich einen von diesen Grabschern abzustechen.
Mit einem Seufzen betrachteten die blauen Augen Shanayas die Gruppe Männer, die die Taverne in diesem Moment betraten. Vielleicht kam sie ja irgendwie… eine bekannte Stimme ließ die Schwarzhaarige einen Moment blinzeln, ehe sie sich herum wandte, den abschätzenden Blick Talins einen Moment verwirrt erwiderte. Schließlich wechselte ihre Miene doch zu einem Lächeln, womit sie den Kopf etwas zur Seite neigte und ihrerseits die Blonde musterte. „Für dich doch immer.“ Vor allem, wenn ihre Freundin sie davor rettete, sich mit dieser Horde Kerle abgeben zu müssen. Ihr Gegenüber sprach ihre Kleidung an und Shanaya kam nicht um ein herzhaftes Lächeln herum. Die Hände zu beiden Seiten gestreckt, drehte sie sich einmal elegant im Kreis. „Ich kann es eben tragen.“ Zu Talin gewandt blieb sie wieder stehen, lächelte der anderen Frau munter entgegen. „Außerdem weißt du doch, dass ich ein Sammelsurium an Überraschungen bin.“ Jetzt war es an der Dunkelhaarigen ihr zu zuzwinkern.
„So viele Versprechungen, die niemals gehalten werden“, seufzte Talin mit einem schalkhaften Lächeln auf Shanyas Worte immer. Als wäre die Dunkelhaarige wirklich immer frei für sie. Und niemals auf die Art, wie Talin sie manchmal gerne aufzog. Wenn sie so darüber nachdachte, war das wirklich gemein und brachte sie fast dazu einen Schmollmund zu ziehen. Doch stattdessen lachte sie nur über Shanaya folgende Worte, ihre kleine Darbietung des Rockes und stützte sich dann mit dem Ellenbogen auf den Tresen auf, legte das Kinn in die Hand und sah das andere Mädchen mit einem herzlichen Lächeln an. „Wie sieht es bei dir aus? Wann kannst du hier verschwinden? Ich will dich an einen schönen Ort entführen.“ Sie unterdrückte den Drang noch einmal zu zwinkern und verdrehte stattdessen die Augen, als einer der Männer der Gruppe, die gerade hereingekommen war, penetrant Shanayas Aufmerksamkeit einfordern wollte. Sein lautes Grölen und Rufen ging ihr auf die Nerven. Noch schlimmer war aber immer wieder sein Seitenblick auf Shanayas Hintern. Ein Grund, warum sie nicht im Bordell von Rasiria hatte bleiben können, war wohl die Tatsache, dass sie sehr schnell einen der Männer abgestochen hätte, wenn er ihr auf die Nerven gegangen wäre. Zumindest heute, würde sie das tun. Früher, war sie da wohl etwas zimperlicher.
Die Blonde rechnete es sich hoch an, dass sie ihre Waffen ließ, wo sie waren und wandte sich nur mit einem zuckersüßen Lächeln dem lauten Mann zu. „Großer, du siehst doch, dass sie beschäftigt ist. Versuch es bei einer der anderen Damen.“ Damit wandte sie sich wieder Shanaya zu.
Shanaya musste bei Talins Worten, und dem eindeutigen Blick, auflachen, zuckte dann mit den Schultern. „Du hast nie definiert, wofür ich frei bin. Der Punkt geht also an mich.“ Die Blonde lehnte sich, noch immer diesen gewissen Blick aufgesetzt, auf den Tresen und stellte eine Frage, die die Schwarzhaarige leicht eine Augenbraue heben ließ, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. „Willst du dir jetzt erzwingen, was ich dir gebe, hm?“ Ein schöner Ort - das konnte irgendwie alles und nichts heißen. „Als ob ich mir vorschreiben lasse, wie lange ich irgendwo zu sein habe. Wenn ich gehen will, gehe ich einfach.“ Ein erneutes Schulterzucken. Sollte man sie raus schmeißen, es hätte sie nicht weniger interessieren können. „Wenn du willst, kann ich mich also umziehen und mich von dir entführen lassen.“ Ihr Blick folgte dem ihrer Freundin zu dem Mann, der um ihre Aufmerksamkeit buhlte. Diese Art der Aufmerksamkeit war schon vor dieser Arbeit ihr täglich Brot gewesen. Also nichts Besonderes. Shanaya deutete auf eine Gruppe Männer, die deutlich bewaffnet waren, alle einem Hünen lauschten, der mit kühler Stimme irgendetwas erzählte, was sie von hier aus nicht verstehen konnte. Ihre Stimme senkte sie zu einem Flüstern, das gerade noch laut genug war, dass der Mann sie hören konnte. „Das da drüben ist mein Partner, der wäre nicht froh, wenn so eine klägliche Gestalt wie du versucht, mich zu verführen.“ Der Fremde folgte ihrem Deuten, blickte zurück zu den beiden Frauen und schien abzuwägen, ob er es dennoch wagen sollte. Schließlich legte sich sein Blick auf die Blonde, die ihm scheinbar genauso gefiel, nur ohne das Risiko von zu viel Ärger. Shanaya seufzte.
Ein Grinsen umspielte ihre Mundwinkel, während sie Shanaya dabei beobachtete, wie sie ihr Spielchen mit dem Mann spielte. Als dann allerdings sein Blick auf die Blonde selbst fiel, seufzte diese nur. Sie beugte sich leicht hinunter, ließ ihre Hand ihren Rock hinabgleiten, als wolle sie diesen einladend heben, zog aber nur einen ihrer Dolche aus dem Schuh und zeigte dem Mann mit einem süßen Lächeln die aufblitzende Klinge. Schließlich wandte dieser sich ab, als wäre nichts gewesen und Talin konnte sich wieder in Ruhe Shanaya widmen. Noch etwas abgelenkte, meinte sie grinsend: „Du kannst deine jetzige Kleidung auch anlassen, dann sehen dich auch einmal andere in einem Rock.“ Doch schlussendlich drehte sie sich zu ihr um, widmete ihr wieder ihre ganze Aufmerksamkeit. „Oder vielleicht doch. Zieh dich um, dann hast du vielleicht mehr Platz in deiner Tasche, um das ein oder andere mitgehen zu lassen.“ Den letzten Teil sagte sie mit gesenkter Stimme, denn es war ja nicht nötig, dass auch andere sie hörten. Schließlich beugte sie sich noch ein wenig näher zu der Navigatorin und sie sagte mit geheimnisvoll, einladender Stimme: „Wir gehen in eine Bibliothek.“
Shanaya unterdrückte ein zu lautes Lachen, als der Mann gespannt Talins gehobenem Rock folgte, als würde er sich davon etwas versprechen. Die Waffe, die schließlich zum Vorschein kam, überzeugte ihn dann jedoch vom Gegenteil und mit enttäuschter Miene machte er sich auf den Rückweg. Armer Drops. „Und was meinst du, macht das für einen Unterschied?“ Interessiert wandte sie den Blick wieder zu ihrer Freundin herum, hob fragend eine Augenbraue. Ob sie nun ihre übliche Kleidung trug oder einen Rock – der einzige Unterschied war, dass sie Zweiteres absolut behindernd fand. Aber die Blonde entschied sich nun doch anders, was Shanaya ein deutliches Schmunzeln auf die Lippen lockte. „Und alles, was bei mir nicht mehr rein passt, schieben wir unter deinen Rock?“ Nun wurde das Geheimnis gelüftet, wohin Shanaya entführt wurde und Shanaya senkte für ihre Antwort ebenso die Stimme wie die andere Frau. „Skandalös.“ Sie kicherte, richtete sich dann wieder auf und breitete kurz einen Arm aus, auf den Tresen deutend. „Kann ich dir noch etwas Gutes tun, während ich mich umziehe?“
Talins Mundwinkel zuckten, während sie kurz überlegte, ob sie Shanaya sagen sollte, dass ein anderer Kleidungsstil jemanden immer anders aussehen ließ, als gewöhnlich. So sah sie selbst in Hosen mehr als merkwürdig aus, aber sie ging damit dennoch manchmal eher in der Menge unter, da es niemand von ihr gewohnt war. Widersprüchlich und merkwürdig, ja, aber dennoch stimmte es. Deshalb überlegte sie für einen Moment, ob sie genau das Shanaya doch sagte, überlegte es sich aber anders. Stattdessen beobachtete sie, wie das Mädchen doch neugierig wurde und sie lachte auf, bei ihrem Vorschlag, mögliches Diebesgut bei ihr zu verstecken. Talin schüttelte belustigt den Kopf, stützte sich schließlich noch einmal auf den Tresen auf und musterte die Dunkelhaarige fast ein wenig wehmütig. „Wenn du mir den Gefallen tun willst, dich vor mir umzuziehen…“ Wehmütig seufzend schüttelte sie den Kopf und blinzelte die Navigatorin mit Schalk in den Augen an. „Zieh dich einfach schnell um und dann ziehen wir los. Ich warte draußen auf dich.“ Sie deutete auf den Haupteingang der Taverne, drehte sich um, warf der Männergruppe von eben noch einen herausfordernden Blick zu – den diese über ihr Bier allerdings ignorierten – und verließ das Gebäude.
Shanaya hob nur leicht eine Augenbraue, als die Blonde sich ein wenig näher zu ihr neigte, um dann bei ihren Worten herzlich aufzulachen. „Du siehst doch bestimmt oft genug zu, alles andere würde mich wundern.“ Und wer hätte es ihr übel nehmen können? Wer sah sich nicht gern einen hübschen Körper an, egal ob bekleidet oder nicht, egal ob männlich oder weiblich. Die Blonde machte sich auf zum Ausgang und Shanaya wandte sich ab, betrat das Zimmer, in dem sie sich mit ruhigen Bewegungen umzog, ihren Gürtel und ihre Waffen befestigte, ihre Tasche um hing, um dann wieder an den Tresen zu treten und ihrer Freundin zu folgen. Durch die Tür tretend strich sie sich mit einer Hand durch die schwarzen Haare und richtete den Blick auf die wartende Frau. „Ich weiß wirklich nicht, wie man das sein ganzes Leben machen kann. Ich habe jetzt wenigstens die Aussicht auf Abenteuer. Aber… mich hier für den Rest meines Lebens begrabschen zu lassen…“ Das war wirklich absolut nichts für sie. Sie trat neben Talin, hackte sich bei ihr ein und warf ihr ein gut gelauntes Grinsen zu. „Willst du nach etwas bestimmten suchen?“
Neben der Tür stehend und den Trubel um sich herum nicht beachtend, stand sie da, die Augen geschlossen und das Gesicht der Sonne entgegen gereckt. In ein paar Tagen würde die Dunkelheit kommen und sie trauerte jetzt schon den fünf Tagen hinterher, in denen die Sonne nicht herauskam. Deshalb musste sie jetzt so viel wie möglich Licht in sich aufnehmen, dass sie die nächsten Tage überstehen konnte. Shanayas Stimme neben ihr, ließ sie schließlich die Augen wieder aufschlagen und ihren Blick zur Dunkelhaarigen wandern. Sie lächelte belustigt über die leise, kleine Beschwerde und Verwunderung, die in den Worten der Navigatorin mit schwangen. „Manchmal ist es nicht leicht aus seinem eigenen Verhalten, seiner Umgebung und den Gegebenheiten auszubrechen. Da nimmst du dann in Kauf begrabscht, belästigt und bedrängt zu werden, weil du keine andere Möglichkeit siehst.“ Kurz verdunkelte sich ihr Blick, bevor sie den Kopf schüttelte und Shanayas Hand tätschelte und sich dann mit ihr auf dem Weg zum Marktplatz machte, um dort die Bibliothek zu durchstöbern. „Wenn du es genau wissen willst, will ich wissen, wie man andere Menschen verschwinden lassen kann. Bestenfalls aber auch, wie ich ein guter Captain bin und die Probleme innerhalb der Mannschaft lösen kann. Da ich zu beidem aber sicher nichts finde, will ich sehen, ob ich was über die Sphinx herausfinden kann. Über den Schiffstyp. Davon habe ich zwar keine Ahnung, aber ich dachte mir, vielleicht hilft es trotzdem, sie besser auf Vordermann zu bringen.“ Sie lächelte noch einmal die Dunkelhaarige an und bog dann um eine Ecke. „Und das will ich machen, bevor ich mit Skadi und Soula auf großen Raubzug gehe. Ich habe nämlich so das Gefühl, dass eine richtige Reparatur unseres Schiffs sehr, sehr teuer wird.“
Talin öffnete die Augen und antwortete dann auch auf die Worte der Schwarzhaarigen und Shanaya blinzelte zuerst. Dann lachte sie, betrachtete die Blonde mit einer skeptischen aber amüsierten Miene. „Gehst du jetzt unter die Poeten?“ Sie sparte sich jeden weiteren Kommentar, ihrer Meinung nach gab es immerhin immer einen Weg. Stattdessen folgte sie dem Weg, den die andere Frau vorgab, lachte dann leise über ihre nächsten Worte. Ein beinahe schelmisches Lächeln galt ihrer Freundin. „Kann ‚Probleme lösen‘ und ‚Menschen verschwinden lassen‘ nicht… Hand in Hand gehen?“ Nur ein Vorschlag und gewiss eine Lösung für manch ein Problem. „Das klingt nach einem guten Plan, das wird sicher nicht sehr günstig… deswegen schmeiße ich mich in diesen furchtbaren Fummel und lasse mich begrabschen.“ Immerhin floss der Großteil des Geldes in die Kasse der Sphinx, wenn auch gewiss nicht alles. „Dann hoffe ich Mal, dass ihr mit einem großen Haufen Gold zurück kommt, sonst bin ich enttäuscht!“ Ihr Blick glitt nach vorn. „Ich sollte hier schon anfangen, nach Informationen zu den Karten zu suchen… Je mehr ich Bücher durch wälze, desto besser.“
Ihr Blick huschte über die Gesichter der Menschen um sie herum, musterte ihre besorgten und gleichzeitig aufgeregten Gesichter, ob der anstehenden Dunkelheit. Sie fragte sich, wie viele von ihnen die nächsten Tage in ihren Häusern bleiben mussten, weil sie es sich nicht leisten konnten, sich in der Finsternis ihr Hab und Gut klauen zu lassen. Und sie fragte sich, wie viele von ihnen genau das, in der Dunkelheit versuchen würden. So wie sie mit Skadi und Soula.
Vielleicht hatte Shanaya recht, vielleicht war sie wirklich unter die Poeten gegangen. Vielleicht war sie selbst aber auch nicht so Ignorant den Sorgen und Nöten anderen gegenüber, wie die Dunkelhaarige. Aus diesem Grund quittierte sie die Frage der Navigatorin auch nur mit einem belustigten Lächeln und lachte dann noch einmal auf, bei dem Gedanken Probleme zu lösen, in dem sie Menschen verschwinden ließ. Es hatte seinen Reiz, natürlich, aber gleichzeitig ... „Unseren letzten Carpenter haben wir schon auf eben so eine Art und Weise verloren. Ich kann es mir nicht leisten, den jetzigen auch einfach verschwinden zu lassen. Außerdem bleibt noch abzuwarten, ob Alex wirklich Soula etwas angetan hat. Wir reden nach dem Raubzug noch einmal in Ruhe.“ Auch Lucien würde dabei sein und das versetzte ihr einen Stich, den sie nicht fühlen wollte. Sie erinnerte sich an ihr letztes Gespräch, an ihren Gefühlsausbruch, die Taubheit und sie wünschte sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen. Nach dem Raubzug. Sie würde danach noch einmal in Ruhe versuchen, mit ihm zu reden ... vielleicht.
Shanaya lenkte ihre Aufmerksamkeit schließlich wieder zurück ins Hier und Jetzt und Talins Augen leuchteten belustigt auf.
„Du meinst die Karten, die du einer leblosen Frau entrissen hast? Ts, Ts, Shanaya. Schäm dich bitte.“ Sie grinste belustigt und bog um die nächste Ecke, nur um auf dem überfüllten Marktplatz stehen zu bleiben und auf das große Rathaus mit der angrenzenden Bibliothek vor ihnen zu schauen. „Aber sehr schön, dann haben wir ja beide einen Grund Bücher zu wälzen. Ich kann mir an den letzten hellen Tagen wirklich nichts schöneres vorstellen, als mit in Büchern zu vergraben. Vielleicht hätte ich Ceallagh hierher schicken sollen.“
Aspens Ableben war nach wie vor etwas, das Shanaya in keinster Weise nahe ging. Er war ihr zu Lebzeiten egal gewesen und daran würde sich jetzt gewiss nichts ändern. Also lachte die junge Frau auf die Worte der Blonden hin nur leise auf. „Er ist mit einem Knall gegangen, das hat zu seinem verkrüppelten, falschen Männerego gepasst.“ Was die Sache mit Soula und Alex anging… hm. „Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Und ich vertraue Liams Urteil. Er kennt ihn am besten.“ Sie schätzte den zweiten Lockenkopf nicht so ein und ihre Menschenkenntnis hatte sie selten im Stich gelassen. Aber sie war gespannt, was dabei heraus kommen würde, wenn sie das Gespräch suchten. Aber bis zum Fest interessierte Shanaya sich herzlich wenig dafür, das würde sie sich von niemandem kaputt machen lassen. Sie wollte die Dunkelheit davor genießen und sich dann ganz auf ihr erstes Fest dieser Art in Freiheit freuen.
Was Talin zu den Karten und der Ladenbesitzerin sagte, ließ die junge Frau einen gespielt vorwurfsvollen Blick in die Richtung ihrer Freundin werfen. „Hey, ich hätte sie schon noch überzeugt bekommen! Wärst du nicht so rabiat!“ Sie blieb neben der anderen Frau stehen, ließ den hellen Blick kurz über den Platz vor sich schweifen. Viele Menschen, die sich mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigten, ein großes Feuer vorbereiteten, welches offensichtlich hier angezündet werden würde. Erst bei Talins Worten richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder herum, lächelte dabei amüsiert. „Dann hättest du die Captainkarte spielen können. Immerhin sieht man von kaum Jemanden irgendeinen Einsatz für das Schiff oder die Crew.“ Und Ceallagh war sicher froh, wenn er die Nase in einen Haufen Bücher stecken konnte. Mit diesem Gedanken setzte Shanaya sich wieder in Bewegung, direkt auf das Gebäude mit der Bibliothek zu. „Und wer weiß, ob sich irgendwer beim Fest so daneben benimmt, dass wir wieder sehr schnell aufbrechen müssen.“ Es wäre nicht das erste Mal, aber dieses Mal würde sie dieser Person selbstständig jeden Fingernagel abreißen. „Das ist eins der wenigen Dinge, die ich an Yvenes vermisse. Ich hatte immer Zugang zu jeglicher Art von Büchern. Es sollte Schiffe geben, die mit Büchern beladen durch alle Welten fahren.“ Vermutlich hätte sie dann weniger Gold, welches sie mit sich herum schleppen musste, aber das wäre es ihr auf jeden Fall wert.
Bei der Tür der Bibliothek angekommen zog die Schwarzhaarige ihren Arm zurück, mit dem sie sich bei Talin eingehakt hatte und öffnete die Tür, um einen winzigen Schritt zurück zu treten und der Blonden mit einem Knicks und einem munteren Lächeln Einlass zu gewähren.
Während Talin noch darüber nachgrübelte, ob sie noch doch noch schnell Ceallagh für die Informationssuche und das „Bücher wälzen“ einspannte, warf sie gleichzeitig Shanaya einen Seitenblick zu und schnaubte amüsiert. Sie war also schuld, dass die Frau ohnmächtig und leblos auf dem Boden liegen geblieben war? Ja, vielleicht. Aber immerhin hatte sie dafür gesorgt, dass die Wachen nicht sofort alarmiert worden waren. Wenn Shanaya weiterhin ihren Charme hätte spielen lassen, dann wären sie sofort verhaftet worden, nicht wahr? Ja! Aber lieber sagte sie dazu nichts weiter, sondern seufzte stattdessen leise, während sie auf das Gebäude zugingen. „Ich weiß, dass ich lernen muss, Aufgaben besser zu verteilen. Es ist nicht gut, dass ich so viel allein tun will und es auch nicht immer offen kommuniziere. Vielleicht würden dann die anderen auch nicht so große Geheimnisse haben.“ Oder sie ihr zumindest offenbaren. Talin wusste, dass es eine schlechte Angewohnheit war, so furchtbar neugierig zu sein. Aber sie wollte, wenn möglich, so viele Geheimnisse von den Menschen erfahren, wie es ihr möglich war. Vielleicht war Neugierde dabei nicht ganz das richtige Wort, aber ein besseres fiel ihr nicht ein.
Sie verscheuchte den Gedanken, als sie mit einem Lächeln Shanayas Knicks erwiderte und das Halbdunkle des Gebäudes betrat. Erst dort warf sie der Navigatorin wieder einen Blick zu, der belustigt funkelte. „Ich habe von so einem Schiff gehört. Zwischen den Inseln von Cheliya fährt es wohl hin und her und bietet der einfachen Bevölkerung Bücher zum Lesen an, weil die Bibliotheken des Herzogtums eher den Gelehrten vorbehalten sind. Ich habe gehört, in diesen Bibliotheken sollen sehr wichtige Unterlagen liegen, deshalb darf nicht jeder hinein. Deshalb sind sie auch so wütend, als Bücher von dort entwendet wurden.“
Sie nahm eine Treppe nach oben, roch den leicht modrigen Geruch von altem Papier und Pergament, als sie einer Tür näher kam, vor der ein streng aussehender, alter Mann saß. Sie wurde etwas langsamer, bevor sie neben Shanaya stand und diese dann leicht nach vorn stubste. „Red du mit dem. Der sieht aus, als würde er nicht gerade auf weibliche Reize reagieren.“
Bevor die beiden Frauen durch den Eingang traten, ließ Shanaya den Blick noch einmal durch die Gassen schweifen. Niemand interessierte sich für sie, alle waren für sich selbst beschäftigt, mit den Gedanken vermutlich schon in den Massen von Alkohol, die in wenigen Tagen fließen würden. Erst nach einigen Herzschlägen richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder zu Talin herum, die die Geste erwiderte, der Schwarzhaarigen damit ein leises Lachen entlockte, ehe sie der Blonden in das Innere des Gebäudes folgte. Ihre Worte ließen die junge Frau leise schnaufen. „Immer dieses reiche Pack, das alles für sich horten will. Aber das Schiff klingt interessant. Weißt du mehr dazu?“ Interessiert blickte sie sich um, betrachtete die Einzelheiten, die sie von hier aus sehen konnte, roch den typischen Geruch und verspürte damit eine gewisse Vorfreude auf das, was sie hier finden würden. Den Blick an die Decke gerichtet lauschte sie den weiteren Worten ihrer Freundin, die sie in der Bewegung inne halten ließen. Ganz langsam wandte sie den Kopf zu der Blonden herum, die Augen leicht verengt und einen vorwurfsvollen Ausdruck in den hellen Augen, als sie leicht nach vorn gestupst wurde. „Deswegen wärst du eigentlich die bessere Wahl, meinst du nicht? Aber gut, ich opfere mich natürlich für dich, wenn du zu viel Angst hast.“ Ein schelmisches Lächeln galt der anderen Frau, dann drehte sie sich herum, steuerte auf den alten Mann zu und setzte das charmanteste Lächeln auf, das sie zu Stande bringen konnte. Die Augen des Fremden legten sich skeptisch auf sie, als Shanaya näher an ihn heran getreten war. „Hallo!“ Ihre Worte wurden weiter von dem Lächeln und dabei von einem vollkommen unschuldigem Ton untermalt. „Wir würden uns gern ein wenig Wissen aneignen, dürfen wir in ihre Bibliothek? Also.. das ist doch Ihre, oder? Sie passen hier so aufmerksam auf…!“