16.04.2018, 18:00
Leider hatte sie ihn nicht vor anderen Idioten beschützen können. Er war ihnen einfach ins Netz gegangen. Natürlich war dieser Gedankengang Unfug: dass alles so gekommen war, war seine eigene Schuld und überhaupt hätte sie ihn nicht aus der Sache raushauen können. Obwohl er sicherlich kein Problem damit gehabt hätte, ihre Hilfe anzunehmen. Greo besaß keinen patriarchalischen Standesdünkel. Aber immerhin tat es gut zu wissen, dass sie möglichen Dummköpfen an die Gurgel gehen würde, die sich hier auf dem Schiff befanden. „Hier sind Idioten, ja? Ich dachte, du hast sie angeworben.“, erwiderte er mit einem zaghaften Schmunzeln im Mundwinkel und guckte sie frech von unten her an.
Shanaya verzog auf die Worte des Mannes hin beinahe beleidigt die Mundwinkel. „Nicht alle, ich heuere doch keine Idioten an!“ Shanayas Kopf wog sich ein wenig zur Seite. Hm. „Ich heuere nur so wunderbare Leute wie dich an!“ Nun änderte sich ihre Miene wieder zu einem gut gelaunten Grinsen. „Aber leider ist das Idiotentum unter Piraten sehr weit verbreitet.“ Die Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern, ließ den Mann dabei nicht aus den Augen. „Umso glücklicher bin ich um jeden, der mehr im Hirn hat als heiße Luft.“ Die blauen Augen huschten kurz zu beiden Seiten, als ob sie erwartete, jemand belauschte sie. „Und hier haben wir auch genug von solchen Leuten...“
Er kniff kurz beide Augen im Scherz zusammen. Natürlich heuerte sie nicht nur Idioten an, andernfalls müsste er sich auch dazu zählen. Jedoch… angesichts seines Dilemmas, in das er sich selbst manövriert hatte, war er vielleicht auch schlichtweg ein Idiot. Es fiel ihm schwer das zu leugnen. Langsam rückte er sich in eine bequemere Position. So richtig aufstehen wollte er gerade nicht. Er mochte die Perspektive, die ihn dazu zwang, jetzt mal zu einem anderen Menschen hochzusehen und nicht wie sonst hinabzuschauen. „Den Eindruck habe ich auch. Wobei ein Mittelding wahrscheinlich das Beste ist, hm? Nicht zu doof, um jedes Unternehmen zu gefährden, aber nicht zu schlau, um das System zu gefährden.“ Gott, klang das hochgestochen. Wo ging dieses Gespräch denn hin?
Shanaya beobachtete die Regungen auf dem Gesicht des Mannes, auch während er sich ein wenig anders hinsetzte. Bei seinen Worten konnte sie ein Auflachen nicht unterdrücken, gab dann ein überlegendes Brummen von sich. „Wahre Worte... Wobei wir glaube ich auch niemanden hier haben, der SO klug ist, sich gegen das 'System' zu stellen...“ Mit einem Finger stubste sie locker gegen den Hut des Mannes und wog den Kopf dann wieder zur anderen Seite. „Außer ich selbst. Aber... ich bin handzahm. Solange die Captains nicht irgendetwas verbocken.“
Ein Muskel an seiner rechten Schulter zuckte im Begriff, den Arm alamiert hochschnellen zu lassen und mit der Hand auf ihr Fingerschnippen zu reagieren. Er mochte es nicht, wenn jemand den Hut anfasste. Einmal aus Prinzip, zweimal, weil ihm das zu nahe an seinem Gesicht war. Da sein Verstand im Gegensatz zu seinem Körper das junge Gemüse aber in ihrer fröhlichen Stimmung nicht als Gefahr wahrnahm, konnte er den Impuls gut unterdrücken. „Bleibt abzuwarten.“, brummte er zurück, noch nicht ganz von den Qualitäten der Oberen überzeugt. Für ein paar Sekunden grub sich eine Falte zwischen seine Augenbrauen. „Also nicht, dass ich eine Meuterei anzetteln würde. Sie wirken ja… anständig.“
Shanaya bemerkte von ihrer Position aus nicht Greos Missfallen ihrer kleinen Berührung, hatte die Hand aber auch schon längst wieder zurück gezogen. Sie hatte ja auch kein Loch hinein gepiekst, auch wenn sie ein Ekel war – den Eigentum von anderen wusste sie zu akzeptieren. Im Gegensatz zu manch anderem. Dafür entging ihr nicht sein Missmut über die Captains, auch wenn er sie ein wenig zu überspielen versuchte. „Ich schätze dich auch nicht als den ein, der aus einer Mücke eine Meuterei anzettelt... aber ich denke, sie werden schon anständig bleiben... sonst bin ich die erste, die die Stimme hebt.“ Sie hatte einen guten Draht zu Talin – und auch wenn sie noch nicht wusste, wie die Blonde auf Kritik reagierte, so würde Shanaya sich davon nicht abhalten lassen. „Aber Mal sehen, wenn sich Mister Captain zeigt, wie gut die Beiden zusammen arbeiten und eine Crew führen können...“
Das Wort Meuterei war übel und nichts, dass man schnell oder unbedacht in der Gegenwart jeder Person in den Mund nehmen durfte. Aber wie er ihrer Antwort entnehmen konnte, wusste sie ihn wohl tatsächlich einzuschätzen. „Nein, tatsächlich, bisher sind wir ja zurechtgekommen.“, meinte er und hatte Talins Bild vor Augen. Er hielt sie eigentlich für einen Grünschnabel, aber sie bemühte sich und er vermutete, dass sie Qualitäten hatte, die sich mit der Zeit noch zu größerer Souveränität verfestigen würden. Den Kerl konnte er noch nicht beurteilen. „Ja, hab‘ noch nie von zwei Kapitänen gehört. Erst recht nicht gemischt.“ Dahinter stand eine etwas kritische Haltung. Kapitäne, Offiziere, wie auch immer Hierarchien aufgebaut war, einer hatte am Ende das Sagen. Das zeigte zumindest seine bisherige Erfahrung. Und er war nicht sicher, ob er sich einfach einem Fremden unterordnen wollte, den sie erst retten mussten, den er so gar nicht kannte, und über dessen Führungsideale er noch keinen Schimmer hatte.
Shanaya lächelte mit den Worten des Mannes noch ein wenig breiter. „Wir haben unter Talins Führung immerhin unsere erste Mission als Crew erfolgreich durchgeführt. Das muss man ihr schonmal anrechnen.“ Und das meinte sie sogar ernst. Im Gegensatz zu den meisten anderen empfand sie diese Aktion als Erfolg – wenn auch nicht alles haargenau so gelaufen war, wie sie es geplant hatten. Aber das Endresultat passte – was zählte das dazwischen? „Ich auch nicht, umso gespannter bin ich. Sie haben sich lange nicht gesehen – umso mehr werde ich aufpassen, wie sie das zu zweit machen.“ Kurz huschte ihr heller Blick in die Richtung der Kajüte, ehe sie sich in die Hocke sinken ließ, die Ellenbogen auf ihre Knie und das Kinn auf die Hände stützte. Mit einem belustigten Grinsen – und einem Ton in der Stimme, der deutlich machte, dass sie ihre Worte nicht ernst meinte – musterte sie Greo. „Notfalls übernehmen wir beide das Schiff!“
„Ich habe nie behauptet, dass ich das nicht tue.“, meinte er und zuckte die Achseln. „Unter ihrer Führung ging es ja irgendwie, aber da waren wir ja eben noch nicht unter zwei Kapitänen.“ Er beobachtete sie, wie sie sich auf seine Ebene hinunterbegab und rückte leicht mit dem Kopf zurück – vielleicht hatte er insgeheim doch etwas Sorge um seinen Hut. Seine Augen huschten von einer ihrer Pupillen zur nächsten und versuchten zu erraten, was so dahinter vor sich ging. Offenbar nichts Gutes. „Ja, ja, ist klar.“, frotzelte er, nicht so ganz sicher, ob sie das nicht doch irgendwo erst meinte. „Und wo soll’s hingehen?“
Shanaya bedachte den Mann mit einem abschätzenden Blick, verzog die Lippen dabei zu einer grübelnden Miene. „Du hast vollkommen Recht, aber uns bleibt Nichts anderes übrig, als abzuwarten, oder? Abwarten und genau beobachten.“ Wie weit Greo wohl seine Meinung sagen würde? Soweit konnte sie ihn dann doch nicht einschätzen. Dass er seinen Mund aufmachen würde – ja. Nur wie weit? Als er sich zurück lehnte, schmunzelte die Schwarzhaarige nur munter. „Keine Sorge, ich beiße dich nicht, wenn du lieb zu mir bist. Das weißt du doch.“ Seine Frage ließ sie dann kurz nachdenken, ein Blick zum Himmel und zurück. „Hmm... wie wäre es mit einem Ort, an dem keine Idioten willkommen sind? Also so jemand wie Aspen ist dort nicht willkommen.“
Er runzelte leicht die Stirn. Aspen? Den hatte Greo bisher als recht sympathisch wahrgenommen. Er redete nicht unnötig viel, konnte mit anpacken und sie kamen sich nicht ins Gehege. Im Gegenteil, er kam wirklich gut mit ihm zurecht und hohl wie eine leere Holzschachtel kam er ihm auch nicht vor. Aber gut, das konnte sie natürlich ganz anders erleben. „Was für Menschen sind dir denn eher Willkommen? So vom Typ?“
Shanaya erkannte die Regung auf dem Gesicht des Mannes, machte sich aber nicht so viel daraus. Viel eher regte sie seine Frage zum nachdenken an. Was für einen Typ? Hmm... „Die, die einen nicht nach dem Alter oder Geschlecht beurteilen, das wäre schonmal ein Vorteil.“ Wieder ein Blick zur Seite, ehe sie sich erhob, dem Drang widerstand, noch einmal gegen den Hut zu stubsen. „Bei vielem anderen bin ich wirklich tolerant. Aber was hälst du davon, wenn wir nicht herum sitzen, sondern irgendetwas tun? Ich werde schon ganz hibbelig.“
Erneut zuckte er nur die Schultern. „Klar, eine Idee?“, fragt er und richtete sich langsam auf. Was sie gesagt hatte, überraschte ihn nicht. So etwas hatte sie auch vorher schon angedeutet. Sie musste als Frau und vor allem junge Frau vielen Vorurteilen und Reglungen ausgesetzt gewesen sein. Auch das überraschte ihn nicht. Er kannte die gesellschaftlichen Konventionen in seiner Kolonie und wusste allzu gut von seinen Reisen, dass das auch woanders so war.
Shanaya musterte den Mann, der gewohnt gelassen reagierte, nicht viel zu sagen hatte, außer einer simplen Frage und sich dann erhob. Von hier unten wirkte er nur noch riesiger, worauf die Schwarzhaarige also auch mit einer federnden Bewegung aufsprang. „Ich hatte gehofft, wenn ich einen Denkanstoß gebe, kommt so ein Arbeitstier wie du mit einer passenden Idee um die Ecke.“ Die junge Frau senkte den Kopf ein wenig, ließ den Blick aber zu Greo nach oben gewandt. „Du hast doch sicher eine super Idee!“ Shanaya breitete die Arme aus. Genug zu tun gab es sicher. Nur wo anfangen?
Das enttäuschte ihn jetzt ein bisschen. Sie hatte doch ständig so viel (zu viel) Energie, wieso erwartete sie jetzt von ihm Kreativität? Er war doch nicht so gut in so was. „Bedaure?“, sagte er und setzte eine unschuldige Miene auf. „Ich komme mit Arbeit um die Ecke, aber ich weiß nicht, ob dir so etwas vorgeschwebt hat.“ Wahrscheinlich eher nicht. Es hatte nicht für jedermann (oder -frau) einen fantastischen Reiz Holz zu schmirgeln. „Ausmisten. Kochen. Fässer reinigen.“
Shanaya wedelte ein wenig mit den Fingern in der Luft herum, ohne den Blick dabei von Greo zu nehmen. Seine Miene ließ die junge Frau leise seufzen, dann warf sie ihm einen vielsagenden Blick zu. „Hauptsache irgendetwas zu tun. Sonst muss ich meine Hände benutzen und dich befummeln. Das willst du vermutlich eher weniger.“ Sie grinste, patete dem Hünen dann sachte gegen den Arm, ehe sie sich in Bewegung setzte. „Ausmisten klingt gut. Ein bisschen gackernde Gesellschaft ist immer gut.“ Und ohne auf eine Antwort zu warten steuerte sie auf den kleinen Vorraum zu, der unter Deck führte. Auch wenn sie die Wärme der Sonne genoß, es gab einfach zu viel zu tun!
Erst etwas irritiert, glotzte er sie lahm an und marschierte dann auf den Vorraum zu. „Gott bewahre.“, meinte er, „geben wir deinen Händen lieber einen Besen.“ Verschmitzt blickte er noch einmal zum Himmel hinauf und schob sich den Hut in den Nacken, um das Licht besser sehen zu können. Dann bückte er sich in die Dunkelheit hinab und verengte angestrengt die Augen, bis sie sich an die anderen Verhältnisse gewöhnt hatten. „Wo willst du anfangen?“
Shanaya grinste breit über die Worte des Mannes. Genau das hatte sie erwartet. Er war einfach nicht wie der ganze große Rest. Und vielleicht war er ihr deshalb solch eine gern gesehene Gesellschaft. Nur ein kurzer Blick huschte zurück zu ihm, richtete ihre Aufmerksamkeit dann aber auf die erste Treppe nach unten. „Vielleicht zählen, ob alle Hühner noch da sind? Nicht, dass jemand der Neuen sich heimlich eins gebraten hat.“ Was sie durchaus für möglich hielt. Nach so langer Zeit in Gefangenschaft... „Und dann müssen die armen Wesen es gemütlich und sauber haben.“ Wenn sie schon nicht an Deck konnten... Einer der Gründe, wieso sie als Haustier kein Huhn haben wollen würde. Lieber etwas, was sie ohne Sorge mit an Deck nehmen konnte. „Und vielleicht finden wir ja auch das ein oder andere Ei.“ Sie plauderte munter vor sich hin, bis die zweite Treppe des Mannschaftsdecks erreicht war, von wo man das verhaltene Gackern schon hören konnte. „Und du bist hier der Tierflüsterer. Vielleicht kannst du ihnen eine gute Nacht Geschichte erzählen?“ Nun klang ihr Stimme wieder deutlich amüsiert.
Greo blieb einen Moment etwas zurück und kramte in der Ecke nach geeigneter Ausrüstung. Er förderte eine Bürste mit harten, störrischen Borsten zutage und zwei Eimer. Den einen bestückte er mit einem Lappen, der sicher schon bessere Tage gesehen hatte, den anderen befüllte er am nächsten Fass mit ein wenig Wasser. Er schlurfte Richtung Hühnergehege. „Ich würd’s ihnen nicht raten, schätze dann steigt ihnen mehr als nur eine Person aufs Dach.“ Greo merkte, wie ihm das Herz aufging, als er nahe das verhaltene Glucksen der Hennen hörte. Es hatte etwas Beruhigendes an sich. Er ging vor ihnen in die Hocke und schob die Finger zwischen die Gitterstäbe. „Na, die Damen? Heute schon fleißig gewesen? Sie da – “, er deutete hinter sich auf Shanaya, „hätte gern ein Ei. Dafür gibt’s auch ‘ne Geschichte.“ Er war im Begriff die Tür zu öffnen, rümpfte dann aber die Nase und hielt inne. Er pfriemelte an einer Gürteltasche und förderte ein viereckiges Tuch zutage, dass er in der Mitte zerriss. Das hielt er Shanaya hin. „Nimm und bind dir das über Mund und Nase. Vogeldreck ist fies.“
Shanaya beobachtete zuerst die Federtiere mit prüfender Miene, ehe der blaue Blick sich zu Greo herum wandte, der Dinge zusammen suchte und schließlich zu ihr kam. „Vermutlich, aber wer weiß schon, ob DIE das wissen. Und nach ewiger Zeit hinter Gittern und nur Brei zu Essen...“ Zumal sie keinen der neuen so weit einschätzen konnte, ob sie so weit gehen würden. Aber sie hatten ja ihren Beschützer, der sich nun vor das Gatter hockte, mit den Tieren sprach und Shanaya damit noch breiter grinsen ließ. Er war schon irgendwie putzig. Als er sich nun an den Gürtel griff, ein Tuch zerriss und es ihr mit einem Ratschlag hinhielt, wog sich der Kopf der jungen Frau kurz zur Seite. Aber sie tat wie geheißen, band sich das Tuch am Hinterkopf zusammen. „Wie gut, dass ich einen Profi an meiner Seite habe.“ Damit hockte auch die junge Frau sich hin, lauschte dem aufgeregten Gackern. „Dir sind Tiere lieber als Menschen, oder?“
Sie hatte vermutlich nicht unrecht. Auch er würde seine Tierliebe sicherlich vergessen, wenn sein Magen nach Hilfe schrie. Das konnte er den Kerlen eigentlich nicht verübeln – es ging ihm lediglich gegen den Strich, wenn sie etwas ohne zu fragen an sich nehmen sollten. Aber sie konnten ja nicht vierundzwanzig Stunden auf die Hühner aufpassen. Er blickte nachdenklich auf den Käfig und überlegte, wo sie das Geflügel unterbringen konnten, während sie ihre Unterkunft reinigten. Greo tat es Shanaya gleich und knotete sich das Tuch am Hinterkopf zusammen. Seine Stimme drang gedämpft hinter dem Stoff hervor und seine Augen lächelten sie über den Saum des ausgeblichenen Musters an. „Profi wäre wirklich übertrieben.“, korrigierte er und kraulte einer Henne mit dem Zeigefinger die Stelle über dem Schnabel. Er schwieg kurz und sagte dann nur kurz: „Dir nicht?“
Shanaya stützte das Kinn wieder auf eine Handfläche, musterte den Mann mit belustigter Miene, während er eines der Hühner kraulte. Wenigstens konnte er mit Tieren umgehen. Das bezweifelte sie bei manch einem aus der Crew. Wozu sie sich selbst wohl auch irgendwie zählen musste. Aber dafür gab es eben auch Gründe, die sie sich mit einem kurzen Zucken der Schultern eingestand. „Ich hatte nie viel Kontakt mit Tieren. Meine Kleidung war eh immer dreckig, wenn ich mich jetzt noch mit den Schweinen im Schlamm gewälzt hätte, hätte man mich vermutlich gleich erhängt.“ Ihre Stimme klang bei diesen Worten kein bisschen bedrückt, viel eher belustigt. Zu gerne hätte sie die Gesichter ihrer Eltern gesehen, die mit Verzweiflung ihrer Tochter dabei zusehen musste, wie diese sich neben den rosa Borstenviechern im Dreck suhlte. „Aber wenn ich mich entscheiden müsste... vermutlich sind sie die angenehmere Gesellschaft.“ Sie lachte leise, strich einer Henne dann über die glatten Federn.
Shanaya verzog auf die Worte des Mannes hin beinahe beleidigt die Mundwinkel. „Nicht alle, ich heuere doch keine Idioten an!“ Shanayas Kopf wog sich ein wenig zur Seite. Hm. „Ich heuere nur so wunderbare Leute wie dich an!“ Nun änderte sich ihre Miene wieder zu einem gut gelaunten Grinsen. „Aber leider ist das Idiotentum unter Piraten sehr weit verbreitet.“ Die Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern, ließ den Mann dabei nicht aus den Augen. „Umso glücklicher bin ich um jeden, der mehr im Hirn hat als heiße Luft.“ Die blauen Augen huschten kurz zu beiden Seiten, als ob sie erwartete, jemand belauschte sie. „Und hier haben wir auch genug von solchen Leuten...“
Er kniff kurz beide Augen im Scherz zusammen. Natürlich heuerte sie nicht nur Idioten an, andernfalls müsste er sich auch dazu zählen. Jedoch… angesichts seines Dilemmas, in das er sich selbst manövriert hatte, war er vielleicht auch schlichtweg ein Idiot. Es fiel ihm schwer das zu leugnen. Langsam rückte er sich in eine bequemere Position. So richtig aufstehen wollte er gerade nicht. Er mochte die Perspektive, die ihn dazu zwang, jetzt mal zu einem anderen Menschen hochzusehen und nicht wie sonst hinabzuschauen. „Den Eindruck habe ich auch. Wobei ein Mittelding wahrscheinlich das Beste ist, hm? Nicht zu doof, um jedes Unternehmen zu gefährden, aber nicht zu schlau, um das System zu gefährden.“ Gott, klang das hochgestochen. Wo ging dieses Gespräch denn hin?
Shanaya beobachtete die Regungen auf dem Gesicht des Mannes, auch während er sich ein wenig anders hinsetzte. Bei seinen Worten konnte sie ein Auflachen nicht unterdrücken, gab dann ein überlegendes Brummen von sich. „Wahre Worte... Wobei wir glaube ich auch niemanden hier haben, der SO klug ist, sich gegen das 'System' zu stellen...“ Mit einem Finger stubste sie locker gegen den Hut des Mannes und wog den Kopf dann wieder zur anderen Seite. „Außer ich selbst. Aber... ich bin handzahm. Solange die Captains nicht irgendetwas verbocken.“
Ein Muskel an seiner rechten Schulter zuckte im Begriff, den Arm alamiert hochschnellen zu lassen und mit der Hand auf ihr Fingerschnippen zu reagieren. Er mochte es nicht, wenn jemand den Hut anfasste. Einmal aus Prinzip, zweimal, weil ihm das zu nahe an seinem Gesicht war. Da sein Verstand im Gegensatz zu seinem Körper das junge Gemüse aber in ihrer fröhlichen Stimmung nicht als Gefahr wahrnahm, konnte er den Impuls gut unterdrücken. „Bleibt abzuwarten.“, brummte er zurück, noch nicht ganz von den Qualitäten der Oberen überzeugt. Für ein paar Sekunden grub sich eine Falte zwischen seine Augenbrauen. „Also nicht, dass ich eine Meuterei anzetteln würde. Sie wirken ja… anständig.“
Shanaya bemerkte von ihrer Position aus nicht Greos Missfallen ihrer kleinen Berührung, hatte die Hand aber auch schon längst wieder zurück gezogen. Sie hatte ja auch kein Loch hinein gepiekst, auch wenn sie ein Ekel war – den Eigentum von anderen wusste sie zu akzeptieren. Im Gegensatz zu manch anderem. Dafür entging ihr nicht sein Missmut über die Captains, auch wenn er sie ein wenig zu überspielen versuchte. „Ich schätze dich auch nicht als den ein, der aus einer Mücke eine Meuterei anzettelt... aber ich denke, sie werden schon anständig bleiben... sonst bin ich die erste, die die Stimme hebt.“ Sie hatte einen guten Draht zu Talin – und auch wenn sie noch nicht wusste, wie die Blonde auf Kritik reagierte, so würde Shanaya sich davon nicht abhalten lassen. „Aber Mal sehen, wenn sich Mister Captain zeigt, wie gut die Beiden zusammen arbeiten und eine Crew führen können...“
Das Wort Meuterei war übel und nichts, dass man schnell oder unbedacht in der Gegenwart jeder Person in den Mund nehmen durfte. Aber wie er ihrer Antwort entnehmen konnte, wusste sie ihn wohl tatsächlich einzuschätzen. „Nein, tatsächlich, bisher sind wir ja zurechtgekommen.“, meinte er und hatte Talins Bild vor Augen. Er hielt sie eigentlich für einen Grünschnabel, aber sie bemühte sich und er vermutete, dass sie Qualitäten hatte, die sich mit der Zeit noch zu größerer Souveränität verfestigen würden. Den Kerl konnte er noch nicht beurteilen. „Ja, hab‘ noch nie von zwei Kapitänen gehört. Erst recht nicht gemischt.“ Dahinter stand eine etwas kritische Haltung. Kapitäne, Offiziere, wie auch immer Hierarchien aufgebaut war, einer hatte am Ende das Sagen. Das zeigte zumindest seine bisherige Erfahrung. Und er war nicht sicher, ob er sich einfach einem Fremden unterordnen wollte, den sie erst retten mussten, den er so gar nicht kannte, und über dessen Führungsideale er noch keinen Schimmer hatte.
Shanaya lächelte mit den Worten des Mannes noch ein wenig breiter. „Wir haben unter Talins Führung immerhin unsere erste Mission als Crew erfolgreich durchgeführt. Das muss man ihr schonmal anrechnen.“ Und das meinte sie sogar ernst. Im Gegensatz zu den meisten anderen empfand sie diese Aktion als Erfolg – wenn auch nicht alles haargenau so gelaufen war, wie sie es geplant hatten. Aber das Endresultat passte – was zählte das dazwischen? „Ich auch nicht, umso gespannter bin ich. Sie haben sich lange nicht gesehen – umso mehr werde ich aufpassen, wie sie das zu zweit machen.“ Kurz huschte ihr heller Blick in die Richtung der Kajüte, ehe sie sich in die Hocke sinken ließ, die Ellenbogen auf ihre Knie und das Kinn auf die Hände stützte. Mit einem belustigten Grinsen – und einem Ton in der Stimme, der deutlich machte, dass sie ihre Worte nicht ernst meinte – musterte sie Greo. „Notfalls übernehmen wir beide das Schiff!“
„Ich habe nie behauptet, dass ich das nicht tue.“, meinte er und zuckte die Achseln. „Unter ihrer Führung ging es ja irgendwie, aber da waren wir ja eben noch nicht unter zwei Kapitänen.“ Er beobachtete sie, wie sie sich auf seine Ebene hinunterbegab und rückte leicht mit dem Kopf zurück – vielleicht hatte er insgeheim doch etwas Sorge um seinen Hut. Seine Augen huschten von einer ihrer Pupillen zur nächsten und versuchten zu erraten, was so dahinter vor sich ging. Offenbar nichts Gutes. „Ja, ja, ist klar.“, frotzelte er, nicht so ganz sicher, ob sie das nicht doch irgendwo erst meinte. „Und wo soll’s hingehen?“
Shanaya bedachte den Mann mit einem abschätzenden Blick, verzog die Lippen dabei zu einer grübelnden Miene. „Du hast vollkommen Recht, aber uns bleibt Nichts anderes übrig, als abzuwarten, oder? Abwarten und genau beobachten.“ Wie weit Greo wohl seine Meinung sagen würde? Soweit konnte sie ihn dann doch nicht einschätzen. Dass er seinen Mund aufmachen würde – ja. Nur wie weit? Als er sich zurück lehnte, schmunzelte die Schwarzhaarige nur munter. „Keine Sorge, ich beiße dich nicht, wenn du lieb zu mir bist. Das weißt du doch.“ Seine Frage ließ sie dann kurz nachdenken, ein Blick zum Himmel und zurück. „Hmm... wie wäre es mit einem Ort, an dem keine Idioten willkommen sind? Also so jemand wie Aspen ist dort nicht willkommen.“
Er runzelte leicht die Stirn. Aspen? Den hatte Greo bisher als recht sympathisch wahrgenommen. Er redete nicht unnötig viel, konnte mit anpacken und sie kamen sich nicht ins Gehege. Im Gegenteil, er kam wirklich gut mit ihm zurecht und hohl wie eine leere Holzschachtel kam er ihm auch nicht vor. Aber gut, das konnte sie natürlich ganz anders erleben. „Was für Menschen sind dir denn eher Willkommen? So vom Typ?“
Shanaya erkannte die Regung auf dem Gesicht des Mannes, machte sich aber nicht so viel daraus. Viel eher regte sie seine Frage zum nachdenken an. Was für einen Typ? Hmm... „Die, die einen nicht nach dem Alter oder Geschlecht beurteilen, das wäre schonmal ein Vorteil.“ Wieder ein Blick zur Seite, ehe sie sich erhob, dem Drang widerstand, noch einmal gegen den Hut zu stubsen. „Bei vielem anderen bin ich wirklich tolerant. Aber was hälst du davon, wenn wir nicht herum sitzen, sondern irgendetwas tun? Ich werde schon ganz hibbelig.“
Erneut zuckte er nur die Schultern. „Klar, eine Idee?“, fragt er und richtete sich langsam auf. Was sie gesagt hatte, überraschte ihn nicht. So etwas hatte sie auch vorher schon angedeutet. Sie musste als Frau und vor allem junge Frau vielen Vorurteilen und Reglungen ausgesetzt gewesen sein. Auch das überraschte ihn nicht. Er kannte die gesellschaftlichen Konventionen in seiner Kolonie und wusste allzu gut von seinen Reisen, dass das auch woanders so war.
Shanaya musterte den Mann, der gewohnt gelassen reagierte, nicht viel zu sagen hatte, außer einer simplen Frage und sich dann erhob. Von hier unten wirkte er nur noch riesiger, worauf die Schwarzhaarige also auch mit einer federnden Bewegung aufsprang. „Ich hatte gehofft, wenn ich einen Denkanstoß gebe, kommt so ein Arbeitstier wie du mit einer passenden Idee um die Ecke.“ Die junge Frau senkte den Kopf ein wenig, ließ den Blick aber zu Greo nach oben gewandt. „Du hast doch sicher eine super Idee!“ Shanaya breitete die Arme aus. Genug zu tun gab es sicher. Nur wo anfangen?
Das enttäuschte ihn jetzt ein bisschen. Sie hatte doch ständig so viel (zu viel) Energie, wieso erwartete sie jetzt von ihm Kreativität? Er war doch nicht so gut in so was. „Bedaure?“, sagte er und setzte eine unschuldige Miene auf. „Ich komme mit Arbeit um die Ecke, aber ich weiß nicht, ob dir so etwas vorgeschwebt hat.“ Wahrscheinlich eher nicht. Es hatte nicht für jedermann (oder -frau) einen fantastischen Reiz Holz zu schmirgeln. „Ausmisten. Kochen. Fässer reinigen.“
Shanaya wedelte ein wenig mit den Fingern in der Luft herum, ohne den Blick dabei von Greo zu nehmen. Seine Miene ließ die junge Frau leise seufzen, dann warf sie ihm einen vielsagenden Blick zu. „Hauptsache irgendetwas zu tun. Sonst muss ich meine Hände benutzen und dich befummeln. Das willst du vermutlich eher weniger.“ Sie grinste, patete dem Hünen dann sachte gegen den Arm, ehe sie sich in Bewegung setzte. „Ausmisten klingt gut. Ein bisschen gackernde Gesellschaft ist immer gut.“ Und ohne auf eine Antwort zu warten steuerte sie auf den kleinen Vorraum zu, der unter Deck führte. Auch wenn sie die Wärme der Sonne genoß, es gab einfach zu viel zu tun!
Erst etwas irritiert, glotzte er sie lahm an und marschierte dann auf den Vorraum zu. „Gott bewahre.“, meinte er, „geben wir deinen Händen lieber einen Besen.“ Verschmitzt blickte er noch einmal zum Himmel hinauf und schob sich den Hut in den Nacken, um das Licht besser sehen zu können. Dann bückte er sich in die Dunkelheit hinab und verengte angestrengt die Augen, bis sie sich an die anderen Verhältnisse gewöhnt hatten. „Wo willst du anfangen?“
Shanaya grinste breit über die Worte des Mannes. Genau das hatte sie erwartet. Er war einfach nicht wie der ganze große Rest. Und vielleicht war er ihr deshalb solch eine gern gesehene Gesellschaft. Nur ein kurzer Blick huschte zurück zu ihm, richtete ihre Aufmerksamkeit dann aber auf die erste Treppe nach unten. „Vielleicht zählen, ob alle Hühner noch da sind? Nicht, dass jemand der Neuen sich heimlich eins gebraten hat.“ Was sie durchaus für möglich hielt. Nach so langer Zeit in Gefangenschaft... „Und dann müssen die armen Wesen es gemütlich und sauber haben.“ Wenn sie schon nicht an Deck konnten... Einer der Gründe, wieso sie als Haustier kein Huhn haben wollen würde. Lieber etwas, was sie ohne Sorge mit an Deck nehmen konnte. „Und vielleicht finden wir ja auch das ein oder andere Ei.“ Sie plauderte munter vor sich hin, bis die zweite Treppe des Mannschaftsdecks erreicht war, von wo man das verhaltene Gackern schon hören konnte. „Und du bist hier der Tierflüsterer. Vielleicht kannst du ihnen eine gute Nacht Geschichte erzählen?“ Nun klang ihr Stimme wieder deutlich amüsiert.
Greo blieb einen Moment etwas zurück und kramte in der Ecke nach geeigneter Ausrüstung. Er förderte eine Bürste mit harten, störrischen Borsten zutage und zwei Eimer. Den einen bestückte er mit einem Lappen, der sicher schon bessere Tage gesehen hatte, den anderen befüllte er am nächsten Fass mit ein wenig Wasser. Er schlurfte Richtung Hühnergehege. „Ich würd’s ihnen nicht raten, schätze dann steigt ihnen mehr als nur eine Person aufs Dach.“ Greo merkte, wie ihm das Herz aufging, als er nahe das verhaltene Glucksen der Hennen hörte. Es hatte etwas Beruhigendes an sich. Er ging vor ihnen in die Hocke und schob die Finger zwischen die Gitterstäbe. „Na, die Damen? Heute schon fleißig gewesen? Sie da – “, er deutete hinter sich auf Shanaya, „hätte gern ein Ei. Dafür gibt’s auch ‘ne Geschichte.“ Er war im Begriff die Tür zu öffnen, rümpfte dann aber die Nase und hielt inne. Er pfriemelte an einer Gürteltasche und förderte ein viereckiges Tuch zutage, dass er in der Mitte zerriss. Das hielt er Shanaya hin. „Nimm und bind dir das über Mund und Nase. Vogeldreck ist fies.“
Shanaya beobachtete zuerst die Federtiere mit prüfender Miene, ehe der blaue Blick sich zu Greo herum wandte, der Dinge zusammen suchte und schließlich zu ihr kam. „Vermutlich, aber wer weiß schon, ob DIE das wissen. Und nach ewiger Zeit hinter Gittern und nur Brei zu Essen...“ Zumal sie keinen der neuen so weit einschätzen konnte, ob sie so weit gehen würden. Aber sie hatten ja ihren Beschützer, der sich nun vor das Gatter hockte, mit den Tieren sprach und Shanaya damit noch breiter grinsen ließ. Er war schon irgendwie putzig. Als er sich nun an den Gürtel griff, ein Tuch zerriss und es ihr mit einem Ratschlag hinhielt, wog sich der Kopf der jungen Frau kurz zur Seite. Aber sie tat wie geheißen, band sich das Tuch am Hinterkopf zusammen. „Wie gut, dass ich einen Profi an meiner Seite habe.“ Damit hockte auch die junge Frau sich hin, lauschte dem aufgeregten Gackern. „Dir sind Tiere lieber als Menschen, oder?“
Sie hatte vermutlich nicht unrecht. Auch er würde seine Tierliebe sicherlich vergessen, wenn sein Magen nach Hilfe schrie. Das konnte er den Kerlen eigentlich nicht verübeln – es ging ihm lediglich gegen den Strich, wenn sie etwas ohne zu fragen an sich nehmen sollten. Aber sie konnten ja nicht vierundzwanzig Stunden auf die Hühner aufpassen. Er blickte nachdenklich auf den Käfig und überlegte, wo sie das Geflügel unterbringen konnten, während sie ihre Unterkunft reinigten. Greo tat es Shanaya gleich und knotete sich das Tuch am Hinterkopf zusammen. Seine Stimme drang gedämpft hinter dem Stoff hervor und seine Augen lächelten sie über den Saum des ausgeblichenen Musters an. „Profi wäre wirklich übertrieben.“, korrigierte er und kraulte einer Henne mit dem Zeigefinger die Stelle über dem Schnabel. Er schwieg kurz und sagte dann nur kurz: „Dir nicht?“
Shanaya stützte das Kinn wieder auf eine Handfläche, musterte den Mann mit belustigter Miene, während er eines der Hühner kraulte. Wenigstens konnte er mit Tieren umgehen. Das bezweifelte sie bei manch einem aus der Crew. Wozu sie sich selbst wohl auch irgendwie zählen musste. Aber dafür gab es eben auch Gründe, die sie sich mit einem kurzen Zucken der Schultern eingestand. „Ich hatte nie viel Kontakt mit Tieren. Meine Kleidung war eh immer dreckig, wenn ich mich jetzt noch mit den Schweinen im Schlamm gewälzt hätte, hätte man mich vermutlich gleich erhängt.“ Ihre Stimme klang bei diesen Worten kein bisschen bedrückt, viel eher belustigt. Zu gerne hätte sie die Gesichter ihrer Eltern gesehen, die mit Verzweiflung ihrer Tochter dabei zusehen musste, wie diese sich neben den rosa Borstenviechern im Dreck suhlte. „Aber wenn ich mich entscheiden müsste... vermutlich sind sie die angenehmere Gesellschaft.“ Sie lachte leise, strich einer Henne dann über die glatten Federn.