25.03.2018, 22:12
Sie hasste ihn. Jetzt schon. Das Verlangen nach Flucht ebbte nicht ab, auch wenn es in diesem Moment keine Chance zum entkommen gab. Das musste sie einfach aussitzen. Es blieb ihr also nur, seinen Blick mit fester Miene zu erwidern, mehr oder weniger ruhig stehen zu bleiben. Wenigstens war die Aussicht nicht die schlechteste. Und sie brauchten nicht einmal eine Ausrede, um die Augen des anderen genauer zu inspizieren. Und sie blieb dabei – ihr gefiel, was sie sah. Seine Antwort kommentierte sie schließlich mit einem kurzen zur Seite neigen ihres Kopfes – und mit einem vielsagenden Blick.
„Und dann sagst du so etwas gemeines?“
Sie brauchte nicht mehr dazu zu sagen, sie musste sich damit wohl auf ganz andere Dinge konzentrieren. Die Stimme des Mannes war leiser geworden – und ganz automatisch passte der Ton ihrer Stimme sich an. Was für ein widerlicher Zwiespalt. Ihre Möglichkeiten kreisten immernoch durch ihre Gedanken, aber hier stehen zu bleiben und der Dinge zu harren, die da noch kamen, erschien ihr am sinnvollsten. Die junge Frau hoffte, dass sie damit richtig lag.
Aber irgendwie musste sie diesen Gedanken zur Seite schieben, musste darauf aufpassen, was der Mann als nächstes tat. Schließlich musste sie Bescheid wissen, wenn sie ihm irgendein Körperteil abbeißen musste. Vorzugsweise die Nase. Die war ihr immerhin nah genug. Und damit rechnete er vermutlich nicht. Aber auch, während sie ihn musterte, regte Lucien sich nicht weiter. Was hatte er für ein Glück, dass er den kurzen Moment ihrer halben Unachtsamkeit nicht ausnutzte. Und so erwiderte er ihren Blick, wirkte nach wie vor amüsiert über ihre Worte, ihre Musterung. Seine Worte entlockten ihr ein amüsiertes Auflachen, mit dem sie sich einen weiteren, prüfenden Blick verkniff. Trotzdem ließ er sich von all dem locken, dessen war die Dunkelhaarige sich vollkommen sicher. Ansonsten hätte er nicht so nah vor ihr gestanden und... was auch immer er da genau tat.
„Dabei haben dich die vielen Jahre im Gefängnis bestimmt geschwächt... und dazu die Langeweile... ohne gute Gesellschaft.“
Dieses eine Wort betonte sie bewusst. Ohne weibliche Gesellschaft. Das war sicher eine Qual für einen Mann wie ihn gewesen. Denn schon jetzt, nach diesen wenigen Momenten, konnte sie Talins Worte zumindest in einem Punkt unterschreiben. Sie würde sicher nicht die einzige Frau bleiben, die er in solch eine Situation bringen würde. Nur würde er bei den meisten vermutlich erfolgreicher sein. Dieser kleine Abstecher ihrer Gedanken wurde abrupt abgebrochen, als der Dunkelhaarige noch ein wenig näher kam. Augenblick erfroren die Gedanken der Schwarzhaarigen, während ihr Körper einfach weiter still stehen blieb. Die Berührung seiner Lippen hatten ihr Herz in einen holprigen Takt gebracht, ausgelöst durch einen Strudel Emotionen, die alle nicht zu ihr passen wollte. Die wusste schlicht und ergreifend nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Musste sie zum Glück aber auch nicht, sie wusste nicht einmal, ob er ihren leicht angespannten Körper bemerken würde, aber seine Lippen blieben nicht dort, sondern wanderten weiter.
Den Hauch einer Sekunde konnte sie sich wieder zur Ruhe rufen, ehe seine leise Stimme direkt an ihrem Ohr erklang, ihr einen Schauer zwischen eiskalt und kochend verlieh. Zu dem (sie würde dieses Wort über sich selbst nicht in den Mund nehmen, oder gar darüber nachdenken) überforderten Gefühl in ihrer Brust mischte sich der Drang, ihn von sich weg zu schubsen. Einfach nur, weil er da an einer furchtbaren Stelle war. Aber noch bevor sie diesen Gedanken vollführen konnte, spürte sie seine Lippen an ihrem Hals. Damit hielt sie nun doch den bis dahin stockenden Atem an, versteifte sich unter dieser Berührung und schluckte mit aller Kraft das Quieken herunten, das in ihrer Kehle nach oben kroch. Sie verriet ihm vermutlich schon viel zu viel mit ihrer Körperhaltung, das sollte reichen. Seine Worte – und was er daraufhin tat – verwirrten sie einen viel zu langen Moment. So ein verdammter Mistkerl. Aber so einfach ließ sie ihn damit nicht davon kommen! Ungeachtet seiner Worte folgte sie dem Dunkelhaarigen sofort mit einem Schritt, griff nach seinem Handgelenk, in der das Zwieback ruhte und richtete den Blick wieder fest auf seine grünen Augen, während ihre andere Hand nach dem Gebäck griff.
„Und in deiner Zelle hast du dazu einiges verlernt, hm?“
[Kombüse | Lucien]