25.02.2018, 10:24
Nein, es war tatsächlich hoffnungslos. Mit ihm, mit den Männern und mit den Mädchen ganz offensichtlich auch. Typisch holde Weiblichkeit fasste sie bereits ein Urteil über ihn, schob ihn in irgendeine Schublade. Er mochte kein großer Menschenkenner sein, doch zumindest das verriet ihm ihr vielsagender Blick. Wenn du dich da mal nicht täuschst, kleine Navigatorin.
Doch Lucien sprach den Gedanken nicht laut aus, legte lediglich die Hand auf das einfach gehaltene hölzerne Geländer des Treppenaufgangs und sah seiner Begleitung entgegen. Auch der kurze Anflug von Skepsis auf ihren Zügen entging dem Dunkelhaarigen nicht. Gut, zumindest darin lag sie richtig: Er war definitiv kein Gentleman. Den Vortritt ließ er ihr zwar aus keinem bedeutsameren Grund, als dem, dass er sich ihr aus Neugier noch einmal zuwandte und deshalb intuitiv stehen blieb. Doch als sie an ihm vorbei an die oberste Stufe trat, gönnte er sich trotzdem ungeniert einen Blick auf ihre ausgesprochen hübsche Rückseite. Zumindest bis sie sich wieder umdrehte.
Daraufhin gab er ein beinahe enttäuschtes Schnalzen von sich.
„Erwischt.“, kommentierte der 21-Jährige. Wie immer ohne sich die Mühe zu machen, auch nur peinlich berührt zu klingen. Immerhin waren anzügliche Blicke für eine Frau doch fast ein ebenso nettes Kompliment wie das ihre gerade eben für ihn. Sie sollte nur nicht denken, dass ihm das entgangen war. Er gefiel ihr...
Doch als die Schwarzhaarige weiter sprach und dabei beiläufig mit dem Fuß nach der nächsten Stufe suchte, musste sich Lucien ein kleines Schnauben verkneifen. Die Herausforderung in ihren blauen Augen erwiderte er mit einer spöttisch in die Höhe gezogenen Augenbraue. Ein Blick, der sich mit einem einzigen Wort beschreiben ließ: Ernsthaft?
Erst verhandeln, jetzt verdienen? Das war wie bei diesen Mädchen, die glaubten, sich für einen Mann interessanter zu machen, wenn sie so taten, als wären sie schwer zu haben. Nur, dass die Schwarzhaarige dabei einen anderen Ton anschlug. Sie glaubte, sie sei tatsächlich so unantastbar. Während jeder, der einen Blick in ihr hübsches Gesicht warf, schlagartig nicht mehr zurechnungsfähig sein sollte? Tja, scheinbar musste er sein Urteil über sie ein bisschen korrigieren: Shanaya war nicht einfach nur sehr selbstbewusst. Sie war schlichtweg restlos von sich überzeugt. Na gut.
„Bei dir gibt es nichts umsonst, was?“ Mit einem amüsierten Schmunzeln und einem ebensolchen Funkeln in den grünen Augen wartete Lucien einen Augenblick, bis sie eine zweite Stufe ertastet hatte. Dann trat er seinerseits an die Treppe heran, setzte einen Fuß auf die Stufe, die sie eben erst frei gemacht hatte und lehnte sich gelassen zu ihr vor. Seine Hand wanderte das Geländer ein Stück entlang, bis sie auf Höhe ihrer Schulter liegen blieb und seine Gesicht kam ihrem dabei ein weiteres Mal sehr nahe. Da sie deutlich unterhalb seiner Position stand, musste sie jetzt wohl oder übel zu ihm aufsehen.
„Dann lass mal hören, Prinzessin. Sieht 'verdienen' bei dir in etwa so aus wie 'verhandeln'? Denn dann sollten wir am besten gleich damit anfangen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir weit mehr verdienen kann, als ein oder zwei Antworten.“
Im gleichen Moment hob Lucien die freie Rechte und berührte flüchtig ihre Wange, ließ die Fingerspitzen in einem sanften Bogen zu ihrem Kinn wandern. Er war sich ziemlich sicher, dass sie auch mit 'verdienen' nicht meinte, was sein Unterton vermuten ließ. Aber wenn sie ihm nun schon wieder so eine Vorlage präsentierte? Wie hätte er da anders gekonnt?