15.02.2018, 13:52
Ihr grüblerischer Unterton entlockte dem Dunkelhaarigen erneut ein kleines Schmunzeln und ließ ihn den Blick nach vorne wenden, damit sie in Ruhe durchkauen konnte, was er gesagt hatte. Tatsächlich war seine Antwort genauso einfach und oberflächlich gemeint, wie sie klang. Bei manchen Menschen – Männern – war es eben so simpel. Ob auch bei ihm sei an dieser Stelle dahin gestellt und da Lucien ziemlich gleich war, was die Schwarzhaarige über ihn dachte, überließ er diese Beurteilung ihr. Auch darin waren Frauen schließlich besonders gut... vor allem schnell.
Bevor seine Gedanken jedoch zu den Mädchen auf Kelekuna abdriften konnten, lenkte Shanayas wedelnde Handbewegung seinen Blick zu ihr zurück. Prompt musste er erneut grinsen und schüttelte mit kaum wirklich ernsthaftem Bedauern den Kopf.
„Gar nicht. Wir werden früh geprägt. Das sitzt einfach zu tief.“
Absolut.
Er dachte unwillkürlich an die dritte Fahrt mit seinem Vater, den düsteren Hafen von Axo und die muffigen Spelunken, bis zum Rand gefüllt mit zwielichtigen Gestalten und leicht bekleideten Mädchen. Und beinahe wäre ihm ein wehmütiges Seufzen über die Lippen gekommen – denn er war verdammt gut darin, den bitteren Beigeschmack jeder einzelnen Erinnerung an seine Kindheit aus seinen Gedanken heraus zu halten. Wenngleich er sich stets als leichter Druck in seiner Brust bemerkbar machte. Auch jetzt.
Der Moment währte jedoch nur wenige Herzschläge, in denen er lediglich seinen Erinnerungen nachhing, bevor er seiner Begleitung wieder seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Shanaya unterzog ihn während dessen einer eingehenden Musterung und verkürzte dann den Abstand zwischen ihnen ungefähr auf das Mindeste, das nötig war, um noch nebeneinander her laufen zu können. Unwillkürlich fing er ihren Blick auf. Ein sehr intensiver Blick.
Das brachte Lucien etwas aus dem Konzept. Allerdings mehr, weil er nicht wusste, was sie damit bezweckte, als wegen irgendwelcher emotionaler Regungen. Seine Augenbraue zuckte in die Höhe und er fragte sich, ob er vielleicht stehen bleiben sollte, damit sie in Ruhe weiter nach dem Ausschau halten konnte, was sie in seinen Augen zu finden hoffte. Doch da legte sich schon ein bedauernder Ausdruck auf ihre Züge und sie ließ von ihm ab.
Was sie dann sagte, ließ ihn kurz ehrlich belustigt auflachen. Na gut, das hatte er jetzt provoziert. Selbst Schuld.
Mit nur mühsam beherrschten Zügen setzte er ein enttäuschtes Gesicht auf.
„Es liegt am Bartschatten, oder?“ Und wie zur Bekräftigung seiner eigenen Vermutung fuhr er sich mit der Hand über den Dreitagebart, der das junge Gesicht des 21-Jährigen etwas verdunkelte. Sehr lange konnte er das Schauspiel jedoch nicht aufrecht erhalten und so kehrte prompt der Schalk in die tiefgrünen Augen zurück. Er ließ die Hand sinken. „Aber würde jeder auf diesem Schiff beim Anblick einer schönen Frau sofort den Verstand verlieren, wäre diese Rettungsaktion neulich ganz anders gelaufen.“
In diesem Moment betraten sie den kleinen Vorraum vor der Kapitänskajüte, von dem aus eine Treppe in den Bauch der Sphinx führte. Doch da der Abstieg deutlich zu schmal für zwei Personen war, blieb Lucien am Absatz stehen, um der Schwarzhaarigen den Vortritt zu lassen. Automatisch kehrte sein Blick dabei zu ihr zurück. Eine Spur neugieriger dieses Mal.
„Was mich natürlich wieder zu der Frage bringt, warum ihr das überhaupt getan habt. Du folgst meiner Schwester vermutlich nicht auf ein Marineschiff, weil sie so hübsch ist.“