05.02.2018, 12:55
Aus ihrem Spaß wurde zumindest bei Shanaya immer mehr blanker Ernst. Er selbst hatte nicht wirklich etwas gegen ihren Prinz Eisenherz, im Gegenzug dazu verband sie jetzt aber auch keine wirkliche Freundschaft. Er war halt da und Mitglied der Crew – in etwa so, wie Liam auch den Rest auf diesem Schiff behandelte und von ihm behandelt wurde. Seit dem Tod seiner Mutter waren sein Vater und er nur selten länger an einem Ort geblieben und auch, seit er alleine seine Abenteuer bestritt, hatte sich das nicht geändert. Viel Zeit für große Freundschaften war nie gewesen, aber Liam legte auch nicht sonderlich viel Wert darauf. Er setzte auf Bekanntschaften, über die man sich freute, wenn man sich wiedersah und bei denen man sich dann gegenseitig unter die Arme griff, um letztendlich aber doch wieder allein seines Weges zu ziehen. Er trug den Kopf viel zu weit in den Wolken, als dass er auf die Idee kam, Kompromisse einzugehen und nicht einfach dorthin zu ziehen, wo es ihn hintrieb. Nicht aus Egoismus, sondern einfach, weil er es zum einen nicht gewohnt war, sich nicht nur auf sich selbst zu verlassen, zum anderen aber auch, weil er schlicht nicht daran dachte, dass man sich an jemanden binden konnte, um längere Zeit gemeinsam zu reisen und gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Seine Zeit hier bei der Crew war für ihn ebenso begrenzt, wie seine Zeit auf anderen Schiffen es gewesen war. Ihm kam gar nicht der Gedanke, dass es dieses Mal anders sein könnte als all die Male davor. Das war sein Leben. So hatte er es mit seinem Vater gemeinsam kennengelernt und so lebte er es eben, weil er nichts anderes gewohnt war. Als Shanaya sich noch ein wenig mehr auf Aspen einzuschießen schien, belächelte er ihre Rage ein wenig, hielt sich aber zurück. Ihm kam es so vor, als wäre es nicht sonderlich schlau, weiter Zündstoff ins Feuer zu gießen – am Ende würde sie Aspen tatsächlich noch in einem heimlichen Moment über die Planke schicken. Ob dem Blondschopf bewusst war, wie tief die Antisympathie in der Schwarzhaarigen saß? Er nahm sich vor, nicht weiter nachzufragen.
Während er sich zurückgelehnt hatte, um den beiden anderen bei ihren Verhandlungen zu lauschen, ging es leider in genau die Richtung, die er erwartet hatte. Sein Blick wanderte kurzerhand über die Reling in die Richtung der Insel, die ruhig im Wind vor ihnen lag. Als Frau hatte man es auf einem Schiff wohl wirklich nicht leicht. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, immerhin betraf es ihn nicht und für ihn machte es auch keinen wirklichen Unterschied, ob er nun eine Frau oder einen Mann vor sich hatte. Davon abgesehen – sie war doch noch fast ein Kind, auch wenn sie sich nicht so verhielt. Innerlich seufzte er gelassen. Wenn sie Spaß daran hatten. Und wer wusste schon, wann Lucien das letzte Mal in seinem Leben eine richtige Frau gesehen hatte. Armer Kerl. Irgendwo in der Mitte des Gespräches hatte er abgeschaltet und schaute erst wieder auf, als offensichtlich eine Frage gestellt wurde. Mitkommen. Wohin – das hatte Liam verpasst, aber er war sich trotzdem um kein Lächeln verlegen.
„Ich glaube, ich lasse euch zwei lieber alleine, mh?“, grinste er schief aber vielsagend und schüttelte dann den Kopf. „Aber – bitte! - verschont die Kombüse.“
Damit stieß er sich von der Reling ab, klopfte Lucien im Vorbeigehen kurz auf die Schulter und wendete sich in die Richtung, in der Sineca zu seiner Überraschung mit den Schuhen von Brummbär spielte. Seine Augen weiteten sich etwas bei diesem Anblick, denn damit gerechnet hatte er wirklich nicht. Als die Bretter des Decks allerdings unter seinem Gewicht knarrten, sah die Ginsterkatze auf. Kaum hatte sie ihn erspäht, hatte sie sich erhoben, war auf das Fass gesprungen, an dem der ehemalige Gefangene lehnte und kletterte – kaum war Liam in Reichweite – auf seine Schulter um von oben hinunter zu spähen.
„Und ihr amüsiert euch hier? Ich hoffe, sie hat dir nicht das Ohr abgekaut mit ihren Geschichten. Sie hat 'ne blühende Fantasie.“
Ein Scherz am Rande. Aber wahrscheinlich hätte Sineca tatsächlich viel zu erzählen, wenn sie denn hätte sprechen können. Genug erlebt hatte sie auf jeden Fall.
„Wie lange ist's her, dass du dich frei auf einem Schiff bewegen durftest?“