18.12.2017, 18:54
Und wieder wunderte sie sich, wie ein kleines Persönchen, wie sie selbst eines war, einen ausgewachsenen Mann so Kleinlaut werden lassen konnte. Es passte nicht so ganz in ihr Weltbild, dass jemand so reagierte, wenn sie noch überhaupt nichts getan hatte. Außer dieser Jemand verbarg vielleicht etwas...aber sie unterstellte Gregory bestimmt etwas. Vielleicht...vermutlich...mit ziemlicher Sicherheit, auch wenn sie es ihm schlecht beweisen konnte. Außerdem musste es erst einmal hintenan gestellt werden, denn interessanter fand Talin an dieser Stelle, was er über die neuen zu sagen hatte. Als Arzt oder zumindest als derjenige, der die meisten medizinischen Kenntnisse hatte, konnte er mehr über die Leute in Erfahrung bringen, als sie selbst in jedem Gespräch. Die Leute redeten gerne, wenn jemand an ihren klaffenden Wunden rumstocherte, damit sie nicht darüber nachdenken mussten, wie scheiße weh das eigentlich tat.
Als sie ihrem Gegenüber ins Gesicht blickte, stellte sie verwundert fest, dass sein Ausdruck sich verfinstert hatte. Gerade eben noch sprach er über Yaris Wunden und nun schaute er so drein? War mit diesem schweigsamen Kerl doch nicht alles in Ordnung, wie Gregory gerade verkündet hatte? Oder war es vielleicht dieses andere Geheimnis, dem sie hoffte, auf die Spur zu kommen...
Die Blonde richtete sie ein wenig höher auf, weil sie mit dem interessantesten rechnete. Die Glöckchen in ihrem Haar klingelten leise, als sie sich leicht vorbeugte, um ja nichts zu verpassen, was der Arzt sagte. Doch statt interessanten und faszinierenden Geheimnissen, bekam sie nur wieder Beschwerden.
Mit einem genervten Stöhnen, richtete sie sich wieder richtig auf und strich sich ein paar blonde Strähnen hinters Ohr. Wieso nur dachte sie nie daran, er könne seine jetzige Position in der Mannschaft nicht mögen? Sie selbst fand seine Funktion als Arzt sehr gut und dachte auch gar nicht daran, ihn demnächst durch jemand anderen zu ersetzen. Schon gar nicht auf einer Insel, die nicht bewohnt war. Aber sie hütete sich davor es ihm zu sagen. Vermutlich schaute er sie dann nur noch griesgrämiger an. Auch wenn er seine eigenen Worte gleich wieder abschwächte. Dieser Mann mochte es wirklich nicht, jemanden zu verärgern. Also lächelte sie nur teils beschwichtigend, teils nichtssagend.
„Wir werden sehen, was passiert, wenn wir wieder eine größere Insel ansteuern. Hier werden wir so schnell niemanden finden, der deine Rolle übernehmen könnte und ob jemand sich uns anschließen will, dass ist jetzt noch eine andere Sache. Ich weiß nicht, wie gut es andere Menschen finden einer Mannschaft beizutreten, die ein Marineschiff in die Luft gejagt hat. Ich habe das Gefühl alle halbwegs tüchtigen Männer sind der Inbegriff von Ehre, Mitgefühl und Emotionalität, bei denen der gesunde Menschenverstand völlig abhanden kommt.“
Ihr Gesicht verfinsterte sich bei dem Gedanken an die ewig langen Gespräche mit...naja, eigentlich fast allen aus der Mannschaft. Vorwürfe über die Grausamkeit und Nutzlosigkeit ihrer Aktion konnte sie inzwischen gar nicht mehr hören, ohne das Bedürfnis zu verspüren über Bord zu springen. Sie verstand die Zweifel der Männer, sie verstand ihre Trauer um die Leben, die beendet wurden und die noch nicht hätten zu ende gehen müssen. Auch ihr taten diese armen Seelen leid, aber in der Lage, in der sie sich befunden hatten, wäre ein Sicheres davon kommen oder überhaupt ein Überleben ungewiss bis überhaupt nicht vorhanden gewesen. Es erschien ihr die einzige Option gewesen zu sein und dann immer Vorhalte zu hören bekommen, wie unnötig das alles gewesen war von Leuten, die entweder nicht dabei gewesen waren oder nicht klar und keine anderen Vorschläge gemacht hatten, war nicht gerade hilfreich.
Mit einem leichten kneten ihrer Nasenwurzel verscheuchte sie die Gedanken aus ihrem Kopf und sie konzentrierte sich auf Gregorys Worte, die die Blonde allerdings mit einem sarkastischen Auflachen kommentierte.
„Ich würde ihn nicht als umgänglich bezeichnen. Der böse Teil in mir behauptet, er plant meinen Tod, aber ich denke eher, er trauert. Ob um die Leute an Bord, seinen verlorenen Posten oder etwas anderes, ich weiß es nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es geht mich auch nichts an. Es ist seine Sache und solange er sich irgendwann in den Griff kriegt oder mit mir reden will, soll es mir recht sein.“
Noch einmal seufzte sie und setzte sich dann auf den Stuhl, auf dem meistens die Patienten platz nahmen, wenn sie noch sitzen konnten.
„Was auf der Morgenwind passiert ist? Kurz: Alles ist schief gelaufen. Wir wurden recht schnell entdeckt und aus mir unbekannten Gründen haben unsere beiden Marinesoldaten uns geholfen. Sie hätten nicht da bleiben können und Lucien meinte, er will den Leutnant mitnehmen, also hab ich nichts gegen ihn gesagt.“ Wieder zuckte sie die Schultern. „Und auch jetzt sag ich nichts dagegen, dass sollen die Männer unter sich klären. Ich werde einfach nur auf meinen Rücken aufpassen.“ Sie grinste den braunhaarigen schelmisch an. „Was ist mit dem anderen? Kaladar? Über ihn hast du noch gar nichts gesagt?“