11.11.2017, 10:22
Scortias hatte ein paar Probleme damit, am Vorabend einzuschlafen. Die Umgebung war neu und das Holz des Schiffes knarrte ab und an. Zudem war er total aufgeregt, denn am nächsten Tag sollte es ja endlich losgehen. Er würde also nun zur See fahren. Der Zwölfjährige freute sich schon sehr auf die Reise, aber er wusste nicht, was ihn da erwarten würde. Es war eine Reise ins ungewisse und war er erst mal mit der Crew ausgelaufen, würde er nicht mehr umkehren können. Kaum merklich wiegte sich seine Hängematte hin und her. Der Blick des Jungen war auf das Holz über ihn gerichtet, welches er nur schemenhaft sehen konnte. Es war zu dunkel um ein klares Bild zu haben. Während Scortias so da lag und die Stunden vergingen, schossen ihm viele Gedanken durch den Kopf. Er dachte an die Huntsman, die ihm bis zum heutigen Tag noch ein Zuhause gegeben hatten. An die Anfänge bei den Wirtsleuten und wie gemein sie am Anfang noch zu ihm gewesen waren. Dann kam ihm das Waisenhaus in den Sinn und deren bösen Machenschaften. Und natürlich dachte Scorias an seinen besten Freund Chico. Ob er ihn jemals wieder sehen würde? Mit viel Pech würden sie das auf offener See tun, aber dann wahrscheinlich als Feinde. Sir Louis würde nun wohl richtig ausrasten, wenn er von den Ereignissen auf dem Markt hörte. Bei diesem Gedanken konnte der Junge sich ein schmunzeln nicht verkneifen. Oh man, wie der an die Decke gehen würde, wenn er erfuhr, dass Bernward versagt hatte. Aber hier auf der Onyx, in der Nähe von Cornelis Van der Meer würde der Zwölfjährige sicher vor diesem Mann sein.
Schwere Schritte hallten von der Treppe wieder, die vom Achterdeck auf das Hauptdeck führten. Der Captain schien sich jetzt wohl auf den Weg in seine Kajüte zu machen. Scortias drehte seinen Körper auf die Seite und tat so, als würde er bereits schlafen, denn der Weg von Feuerbart würde an seinem Platz vorbei führen. Wenn Cornelis mitbekam, dass er noch wach in der Hängematte lag, dann wüsste er, dass Scortias nervös war, doch der Junge wollte stark wirken. Er hörte, wie der großgewachsene Mann an ihm vorbei lief und dann in der Kapitänskajüte verschwand. Bis weit in den Morgen lag Scortias noch wach und hatte kein Auge zu bekommen. Es kam ihm so vor, als hätte er es gerade erst geschafft die Augen zu schließen und einzuschlafen, als er auch schon unsanft auf dem Boden landete.
Etwas benommen und sich erstmal zurechtfindend sah Scortias sich um, bis er dann das Gesicht von Van der Meer erblickte.
"Es geht bald los, also hoch mit dir, du Schlafmütze."
Es ging los? Was ging los? Es dauerte nur einen kurzen Moment, als der Junge schließlich begriff, wo er war und was nun passierte. Scortias rieb sich die Augen und stand schließlich auf.
“Aye Sir … ähm Captain mein ich.“ kam es mit heiser Stimme.
Van der Meer zog sich in seine Kajüte zurück, während der Schiffsjunge ein paar Minuten bekam um sich frisch zu machen. Der Toilettengang erwies sich etwas komplizierter als erwartet. Während die Erwachsenen mal kurzerhand über die Reling pinkeln konnten, war diese für Scortias viel zu hoch. Aber der Junge war nicht dumm und somit lief er zum Kanonendeck, öffnete eine der Stückpfoten und konnte dort hinaus pinkeln. Mit der Hygiene auf so einem Schiff, war das ja immer so eine Sache. Während ihm die Huntsman doch recht streng beigebracht hatten, sich jeden Morgen nach dem Aufstehen zu waschen, war das auf einem Schiff nicht so gut möglich. Die Kapazitäten waren sehr knapp und Wasser wurde hauptsächlich zum trinken benutzt. Lange konnte man Wasser auch nicht transportieren, bevor es stank oder in den Fässern faulig wurde. Somit war das Waschen auf einem Schiff eher ein Luxus. Es blieb dem Jungen also nichts anderes übrig, als auf das morgendliche Waschen zu verzichten. Lediglich mit etwas Wasser spülte Scortias sich den Mund aus, bevor er dann zum Captain in die Kajüte lief. Zusammen mit Feuerbart ging es dann über das Schiff. Der Zwölfjährige beobachtete den Mann, wie er die Onyx kontrollierte. Seile, Winden und selbst das Holz wurde überprüft. Auf dem Deck herrschte hektisches treiben. Mister Díaz gab die Anweisungen und die Crew rannte und kletterte auf dem Schiff herum, um diese Befehle auszuführen. Cornelis hatte Scortias gesagt, dass er eng an ihm bleiben sollte, um niemanden im Weg zu stehen, woran der Junge sich auch hielt.
Schließlich fanden sie sich beide auf dem Achterdeck wieder. Von der Brücke aus konnte man noch viel besser sehen, wie die Mannschaft als eine Einheit, das Schiff bereit machte. Dann erschrak sich Scortias, denn Cornelis brüllte nun weitere Befehle zur Crew. Die Stimme des Mannes war ihm durch die Knochen gefahren, aber es löste gleichzeitig auch eine angenehme Gänsehaut aus. Es ging nun los. Der Zwölfjährige hatte keine Worte an dem Captain gerichtet und beobachtete nur. Es schien so, als wäre jetzt auch nicht der richtige Zeitpunkt mit Feuerbart zu reden. Und somit beschränkte sich Scortias auf das Beobachten. Die Onix hatten nun schon eigenständig Geschwindigkeit aufgenommen und die Bugspitze zeigte auf die offene See. Scortias ließ sich dennoch dazu hinreißen, sich umzudrehen und Kitar einen letzten Blick zuzuwerfen. Die kurze Zeit bei den Huntsman war schön gewesen, aber nun, da Sir Louis wusste, dass er dort war, würde der Zwölfjährige dort nicht mehr sicher sein. Schon fast symbolisch sah Scortias wieder nach Vorne auf die See. Sie lag nun vor ihm und auf sie würde er sich nun konzentrieren. Ein leichter Wind ließ die Spitzen seiner Haare flattern. Die Sonne entfaltete nun mehr und mehr ihre Kraft. Es war ein Gefühl von Freiheit, welches in dem Jungen gerade aufkam und es ließ sein Herz etwas höher schlagen.