30.10.2017, 20:14
Der Wind, der die Palmenblätter hin und her schaukelte, strich auch kitzelnd über die Haut des Schiffsjungen, als dieser auf dem Palmenstamm saß und auf seiner Panflöte spielte. Der salzige Geruch des Meeres stieg ihm in die Nase. Wenn er die Augen schloss, konnte er sich vorstellen, dass er sich wieder auf einem Schiff befand. Für die Melodie, die er spielte brauchte er seine Augen nicht. Scortias konnte sie bereits auswendig. Erst ein Flügelschlag über seinem Kopf ließ ihn die Augen wieder öffnen. Ein seltsam aussehender Vogel mit buntem Gefieder hatte sich auf einem Ast im Nebenbaum gesetzt. Sein Schnabel war recht groß und ähnelte einer kleinen Banane. Der Junge grinste, während er das Lied weiter spielte. Vermutlich hatte er den Vogel mit den Tönen angelockt, die er seiner Flöte entnahm. Der Zwölfjährige setzte das Instrument von seinen Lippen und verdrehte seinen Hals etwas, um zu dem Vogel sehen zu können. Dabei kniff er eines seiner Augen zu, da die Sonne ihn blendete.
„Hey, hörst Du gerne Musik?“ fragte er den Vogel grinsend, mit dem Bewusstsein, dass dieser ihm sicher nicht antworten würde.
Aber nach so vielen Tagen war es dennoch schön, wenn man sich mit jemand unterhalten konnte. Mit dem Captain war es nicht so einfach und auch nicht mehr so schön, Worte zu wechseln. Oft bekam Scortias nicht mal eine Antwort, wenn er Fragen stellte, oder nur ein abwesendes Brummen. Allerdings wusste der Junge nicht, ob Cornelis ihn absichtlich ignorierte, oder ob er einfach nur in seinen Gedanken versunken war und ihn nicht gehört hatte. Aber eines war sicher, Van der Meer war alles andere als eine Plaudertasche, seit des harten Gefechts und der Mann dabei seine besten Freunde verloren hatte. Aber es war nicht so, als hätte Scortias diesen Verlust einfach so weggesteckt. Er kannte die beiden zwar nicht so gut wie der Captain, dennoch waren ihm Murray und Díaz in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Sie hatten ihm einiges beigebracht und Geduld mit ihm bewiesen, da ja nicht immer alles gut funktioniert hatte. Die Schlacht war brutal gewesen. Die Onyx hatte ordentlich etwas abbekommen und die Splitter von dem zerberstenden Holzes hatten Scortias ein paar Schnittwunden zugefügt. An den Oberschenkeln, den Unterarmen und auch auf der Wage war der Junge von dem Kampf gezeichnet gewesen. Zum Glück heilten seine Wunden sehr schnell und hatten auch keine Narben hinterlassen. Er wusste aber auch, dass er damit recht glimpflich davon gekommen war. Auch ihn hätte es zerreißen können, wäre da nicht Rog, der Smutje, gewesen, der den Jungen noch rechtzeitig zur Seite gegen den Mast geschleudert hatte. Aber das alles war nun Vergangenheit. Ändern konnte man daran nichts mehr, genau so wenig, wie Scortias es nicht ändern konnte, dass seine Eltern ermordet wurden. Der Captain und er saßen jetzt auf dieser Insel fest, von der es nun galt zu entkommen.
“SCORTI!“
Scortias setzte sich aufrecht auf den Palmenstamm, als er seinen Namen hörte, der von der tiefen Stimme des Captains gerufen wurde. Der Vogel stieß sich von dem Baum ab und flog davon. Diese Abkürzung seines Namens hatte der Rotbart sich schon nach kurzer Zeit angewöhnt. Aber der Zwölfjährige hatte nichts dagegen. Sein Vater hatte ihn damals auch so genannt. Er mochte es sogar, wenn Van der Meer ihn so nannte.
„ICH KOMME!“ rief der Junge zurück und sprang von dem Stamm.
Die nackten Füße landeten im heißen Sand und bahnten sich schnell laufend den Weg zu Cornelis, der irgendwo hinter der nächsten Biegung sein musste. Scortias sprang spielerisch über einen Stein, der in seinem Weg lag und lief weiter, bis er Feuerbart erreichte. Er sah das Wild auf den Schultern des Mannes und lächelte. Endlich gab es mal keinen Fisch. Erst wenige Schritte vor Cornelis wurde der Schiffsjunge langsamer und blieb schließlich stehen. Er sah den hochgewachsenen Mann freudig und mit leuchtenden Augen an.
„WOW, … Irre!“ stieß er begeistert aus.
Der Zwölfjährige wusste nicht, ob er dem Mann irgendwie helfen konnte und würde einfach dessen Befehl abwarten, würde denn einer kommen. Aber aus irgendeinem Grund hatte er ihn ja gerufen, oder wollte er ihm nur seine Beute zeigen?
[Am westlichen Strand | mit Cornelis]