07.10.2017, 20:00
Scorias hatte so viele Dinge über die Aufgaben eines Schiffsjungen gehört, die sich aber nun als unwahr herausstellten. Zumindest waren das keine Aufgaben des Schiffsjungen auf einem Piratenschiff. Auf Marineschiffen war er da wohl etwas näher an den Tätigkeiten dran. Die Übermittlungen, die der Junge mitbekommen hatte, handelten ja auch meistens von der königlichen Marine. Etwas erstaunt hatte der Zwölfjährige zu Cornelis aufgesehen, als er dann erfuhr, dass er weder für die Munition, noch für das Schießpulver verantwortlich war. Welche Aufgabe hatte er denn sonst in einem Gefecht? Aber danach fragte er nicht und wollte es einfach auf sich zukommen lassen, oder bei Gelegenheit vielleicht mal Rog fragen. Wieso er nicht den Kapitän fragte? Der Schiffsjunge wollte nicht, dass der Mann ihn für total dumm hielt, schließlich hatte er ja schon mit so einigen Dingen total daneben gelegen. Er wünschte sich gerade, dass er viel mehr Wissen besäße um Feuerbart etwas beeindrucken zu können, aber leider war dem nicht so.
Van der Meer öffnete die Tür der Querwand und zu Scortias Enttäuschung handelte es sich nicht um eine Schatzkammer, sondern um die Waffenkammer. Hier wurden die Kanonenkugeln und das Schießpulver aufbewahrt. In dem Raum war es trocken, aber dunkel. Der Junge sah zu dem Mann, als dieser ein Bein auf eines der Fässer positionierte und die Arme auf das angewinkelte Bein stützte. Er lachte auf, denn die Frage von Scortias schien ihn zu amüsieren. Der Bartholomew wusste allerdings nicht, was daran nun so witzig war. Er hatte immer gedacht, dass Piraten total reich waren und Viele Reichtümer mit sich führten. Und was sie nicht im Schiff transportieren konnten, auf eine verlassene Insel vergruben. Aber all diese Gerüchte waren wohl auch nur wieder Bettmärchen, die man kleinen Kindern erzählte. Cornelis erzählte dem Jungen, dass ihre Beute mehr aus Handelswaren bestanden. Leise wiederholte Scortias den Namen „Asanu“ und sah dabei mit leerem Blick an die Wand. Die Insel lag weit im Südosten, da wo auch er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Langsam überflog der Junge die Fässer mit den Augen, während Feuerbart im erzählte, dass sich nie besonders viele Reichtümer ansammelten, dass die Mannschaft oft verschwenderisch mit ihrem Anteil umging. Sie tranken, hurten und spielten. Leicht grinsend huschten die braunen Rehaugen wieder zu dem Mann, als er die drei Lieblingsbeschäftigungen der Mannschaft vernahm. Scortias trank eigentlich kein Alkohol. Mit Huren war er nur einmal in Kontakt getreten, die ihn damals geradezu überredet hatten mit ihnen zu kommen. Und spielen tat der Junge genau so wenig. Er hatte keine Ahnung, wofür er seinen Anteil am Ende ausgeben würde, da er recht bescheiden war. Er brauchte nicht viel und stellte keine Ansprüche, bis auf ein trockenes Bett und eine sinnvolle Aufgabe.
Der Schiffsjunge sah Cornelis nach, der die Pullverkammer durchschritt, denn an deren Ende war erneut eine Tür. Er selber machte sich ebenfalls auf dem Weg und folgte dem großen Mann. Als er dann durch die Tür sah, staunte er nicht schlecht, denn am Heck, so wie der Kapitän zuvor schon erwähnt hatte, standen wieder zwei Kanonen, die nach hinten ausgerichtet waren.
“Das haben nicht viele Schiffe, oder?“ fragte er mit großen Augen und einem Lächeln.
Es war deutlich zu sehen, das Scortias von den Kanonen wohl am meisten begeistert war. Vielleicht lag es daran, dass Jungen generell gerne Scheiße in die Luft jagten und Dinge zerstörten. Sein Kopf wandte sich zu Feuerbart hoch, als der Zwölfjährige seine nächste Aufgabe bekam.
“Aye Captain.“ kam es von ihm begeistert und voller Tatendrang.
Scortias flitzte direkt los, durch die Pullverkammer hindurch, an der Luke vorbei, durch das Kanonendeck, in den Gang auf denen die Zimmer von Quertiermeister Murray und Steuermann Diaz lagen, durch die Messe, bis er schließlich durch den Eingang der Kombüse raste.
“HEY, HIER WIRD NICHT GERANNT!“
maulte Rog auch direkt los, als der Junge so hektisch zum stehen kam.
“Was willst Du? … Ach bestimmt das Essen für den Kapitän, stimmt's?“
Scortias nickte und lächelte.
“Ja, ich soll es jetzt abholen.“ meinte der Zwölfjährige etwas ungeduldig.
“Steht da drüben auf dem Tisch. Nimm es und verschwinde, bevor ich bei deinem Anblick noch Lust auf Froschschenkel bekomme.“
grinste Rog, nachdem er mit seinem Finger auf den Tisch gezeigt hatte.
Scortias machte die zwei Schritte zu dem Tisch und nahm jeweils in einer Hand einen Teller.
“Bis später.“ verabschiedete sich der Schiffsjunge.
“LIEBER NICHT! DU GEHST MIR JETZT SCHON AUF DIE NERVEN, JUNGELCHEN. SAG DEN ROTBART, DASS ER DAS NÄCHSTE MAL EXTRAWÜNSCHE EINE WOCHE VORHER ANMELDEN SOLL!“
antwortete Rog, allerdings nicht ernst gemeint, was den Jungen wieder zum schmunzeln brachte.
Mit den Tellern in den Händen, machte sich Scortias nun auf den Weg zur Brücke. Es war garnicht so einfach, durch die schmalen Gänge und die Treppe hinauf zu kommen, wenn man so beladen war. Daran musste er sich definitiv noch gewöhnen. Ab und an stand ihm sogar ein Seemann im Weg, der mit dem Verladen beschäftigt war, aber zum Glück kam er ohne Umwege und vor allem ohne Unfälle an Deck an. Er sah, dass Feuerbart auf dem Treppenabsatz saß und lief zu ihm. Er nahm die Treppe, die zur Brücke führte und blieb dann kurz vor dem Ende stehen, um die Teller an den Kapitän zu überreichen.
“Captain. Das Essen.“
“Ich soll Ausrichten, dass … Rog total stolz darauf ist, auf der Onyx arbeiten zu dürfen.“ meinte der Junge und grinste breit.
Er mochte den Smutje total gerne. Er hatte eine raue Schale, aber Scortias wusste, wie er damit umzugehen hatte. Und sein Captain war auch ein sehr netter und fähiger Mann. Mit der Onyx hatte Scortias wohl einen echten Glücksgriff gemacht. Hier oben an Deck war es schon wieder viel angenehmer von den Temperaturen her. Der Zwölfjährige konnte die Sonne auf seiner Haut spüren, die ihn sanft erwärmte. Vom Hafen her drangen die üblichen Handelsunterhaltungen zu dem Schiff heran. Seine Augen huschten über das Wasser und sahen das Schiff, das den Kopfgeldjägern von Sir Louis gehörte. Ob Bernward ihn gerade suchte? Aber nachdem, was seinem Freund passiert war, würde er sich das bestimmt nicht trauen. Scortias war sicher, dass Cornelis nicht lange fackeln würde, auch dem Pickelgesicht das Gehirn wegzupusten.
“Hast Du keine Angst, dass … naja, dass die Blauen Dich verhaften? Ich mein, wegen der Sache auf dem Markt.“ fragte Scortias und drehte sich wieder zu Feuerbart um.