11.09.2017, 14:36
Käpt´n Feuerbart beobachtete mit einem zufriedenen Schmunzeln das kleine Wortgefecht zwischen dem Smutje und dem neuen Schiffsjungen. Um diese beiden brauchte er sich anscheinend nicht zu sorgen denn es machte ganz den Eindruck, daß sie miteinander auskommen würden. Als sie schließlich die Kombüse verlassen, zum Kanonendeck gegangen und es betreten hatten, war der Junge voller Begeisterung zu einer der Zwölfpfünder gerannt und hatte sich daneben niedergehockt. Cornelis mußte lachen. Außer den Hängematten machten auch Kisten als Stauraum und andere Utensilien deutlich, daß es sich hier um den Wohnraum der Besatzung handelte. "Ja, die Kanonen sind sehr laut wenn sie schießen, vor allem hier unten." Er ging weiter bis zur offenen Ladeluke und warf einen Blick hinunter. "Dort unten ist schließlich noch der Laderaum, wie du dir sicher schon gedacht hast. Unter dem Boden des Laderaums ist noch der Ballastraum, der mit Steinen gefüllt ist." Als Scortias ihn fragend ansah, schmunzelte er. "Ohne den Ballast würde sich die Onyx wie auch jedes andere Schiff einfach auf die Seite legen wie ein Stück Holz, das man ins Wasser wirft. Und noch was Junge: Gewöhn dir das `Sir´ ab. Wir sind hier auf einem Piratenschiff und nicht bei der Marine."
Scortias sah begeistert zu den Geschützen und wand sich erst wieder um, als Cornelis ihm erzählte, dass die Kanonen ordentlich krach machten, wenn sie abgefeuert wurden. Klar würde Scortias so ein Knall gerne mal hören, aber wenn diese Kanone zum Einsatz kam, hieße das auch, dass sie in einem Gefecht sein würden. Das wiederum ließ in den Jungen ein mulmiges Gefühl aufkommen. In einem Gefecht bestand ja immer die Gefahr, dass man verletzt oder sogar getötet wurde. Dem Zwölfjährigen war klar, dass es sich wohl eher nicht vermeiden ließ in einen Kampf zu geraten, schließlich lebten Piraten von den Kämpfen und dem Erbeuteten. Es war also unumgänglich, dass er die Kanonen irgendwann zu hören bekam.
Der Captain lief aber dann auch schon weiter, worauf hin Scortias sich erhob und ihm folgte. An der Ladeluke blieben sie stehen und sahen in den Bauch des Schiffes hinab. Aufmerksam hörte der Schiffsjunge zu, was der Captain ihm berichtete und beibrachte. Etwas irritiert sah er den Rotbart dann doch an, als er erfuhr, dass das Schiff Steine geladen hatte. Der Blick verriet dem Erwachsenen wohl, dass sich dem Jungen diese Fracht nicht erschloss, weswegen eine Erklärung folgte. „Ach so? Dann ziehen die Stein den Rumpf also nach unten und hält es in Position?“ schlussfolgerte Scortias schließlich. Er war nicht gerade gebildet, denn im Waisenhaus hatten sie nur selten Unterricht bekommen, aber Scortias war ein Junge, der sehr logisch denken konnte. Deswegen verstand er auch sofort, welche Aufgabe die Steine hatten. Im nächsten Moment sah er etwas verlegen aus, da Captain Feuerbart ihm die höfliche und respektzollende Anrede untersagte. „Aye S… Captain.“ kam es schließlich leise und nickend. „Im Waisenhaus musste ich das immer sagen. Es gab sogar Strafen wenn man das mal vergessen hat.“ erklärte der Schiffsjunge, vielleicht auch, um sich damit zu rechtfertigen und zu entschuldigen. „Und was ist das da?“ fragte Scortias, streckte seinen Arm aus und zeigte mit dem Finger auf zwei Kugeln, die mit einer Kette verbunden waren und an der Bordwand hingen. Es sah aus, wie zwei Kanonenkugeln, die mit einer Kette verbunden waren, aber wieso? Gerade in dem Moment bereute Scortias, dass er sein Hemd und die Jacke ausgezogen hatte, denn hier unten im Schiff war es deutlich kühler, als noch an Deck. Die Sonne war noch nicht kräftig genug, um auch den Innenraum aufzuwärmen.
Cornelis war etwas irritiert über die Nachfrage des Jungen, denn er war durchaus der Meinung, daß er den Sinn des Ballastes ausreichend erklärt hatte. Deshalb kommentierte er diese Frage nur mit einem Kopfnicken und einem knappen "Genau." Als er dann auf die förmliche Anrede und auf das Waisenhaus zu sprechen kam, war er schon wieder nachsichtiger, was an seinen Worten deutlich wurde. "Ich glaube dir gern, daß die Aufseher im Waisenhaus das von euch verlangt haben. Doch kannst du dir sicher vorstellen, daß die Männer auf die Marine, die oft genug Jagd auf uns macht, nicht allzu gut zu sprechen sind. Deshalb gibt es hier keine Gepflogenheiten, die allzu sehr an diese erinnern.
Und da gehört nun mal das Sir auch zu. Selbst die Anrede Mister oder Herr nutzen wir eigentlich nie, höchstens zu Tarnungszwecken beim Landgang." Er ging zu einer der Kanonen hinüber und setzte sich auf diese darauf um Scortias Zeit zu geben, sich diese nochmals ansehen zu können. Auf den erstaunten Blick des Schiffsjungen schmunzelte er. "Meinst du vielleicht, die Kanonen stehen geladen hier herum?"
Als Scortias mit ausgestrecktem Arm auf etwas zeigte und danach fragte, folgte der Käpt´n mit dem Blick dessen Finger. "Das ist eine Kettenkugel, von denen ich dir beim Angriff auf die Doncella, der jetzigen Onyx, erzählt habe. Sie werden in die Takelage der Schiffe geschossen, um Masten und Segel zu zerstören und so dem Schiff seine Geschwindigkeit zu nehmen. Prinzipiell könnte man sie auch für Truppenansammlungen verwenden, da sie mit ihrer rotierenden Bewegung große Lücken reißen würden. Das ist auf See allerdings ungebräuchlich, da durch den Seegang die Höhe, auf der das Geschoß auftrifft, etwas variabel ist."
Natürlich hatte Scortias den Sinn der Steine im Bauch des Schiffes aufgrund der Erklärung verstanden, doch er hatte seine logische Sicht auf die Dinge zum Ausdruck gebracht, vielleicht auch mehr, um sich selber das Ganze noch einmal klar zu machen. Der Captain bestätigte ihn und kam schließlich auf den Umgangston von Piraten zu sprechen. Der Schiffsjunge war davon ausgegangen, dass man auch unter Piraten eine gewisse Respektbekundung an den Vorgesetzten übermittelte, indem man Höflichkeiten benutze. Gut, genau mit diesen Worten dachte Scortias nicht, da war er altersbedingt einfacher gestrickt. Aber er hatte damit gerechnet, dass der Captain, oder der Quartiermeister eine gewisse ‚Ansprache‘ wünschten. „Okay, ich werde es mir merken. Das bedeutet also, dass ich jeden mit seinem Namen anspreche. Und Dich mit Captain.“ Er spürte in dem Moment sofort, dass er lockerer wurde. Er musste also nicht so sein, wie damals im Waisenhaus. Er konnte mehr er selber sein. Mehr Kind sein.
Die Augen des Jungen verfolgten Cornelis, der sich auf eine der Kanonen nieder ließ. Er selber folgte dem Mann und stellte sich vor ihm. Dann schüttelte er den Kopf und sah wieder zu dem Geschütz. „Nein Captain.“ antwortete er auf die Frage. „Ist doch bestimmt gefährlich, wenn die Kanonen geladen sind.“
Ihm fielen die Eisenkugeln auf, die in der Mitte eine Kette trugen. Deswegen fragte er, wozu sie da waren. Captain Feuerbart hatte ihm ja bereits von der Doncella berichtet und wie die Übernahme abgelaufen ist, aber der Zwölfjährige hatte sich solche Kettenkugeln anders vorgestellt. „Ach das sind die?“ meinte er schließlich verstehend. Er hatte noch sehr viel zu lernen. Natürlich hatte sich Scortias für Piratengeschichten, aber auch den Erlebnissen der Marine interessiert und den Erzählungen gerne zugehört. Aber ihm fehlten eindeutig gewisse Fachbegriffe und Vorgehensweisen aus der Schifffahrt. Er war froh, dass Van der Meer sich die Zeit für ihn nahm. „Wie weit können die Kanonen denn schießen?“ fragte er schließlich und zeigte mit der Hand auf das Geschütz, auf das sich der Captain nieder gelassen hatte. Der Schiffsjunge spürte eine gewisse Nervosität in sich aufkommen. Er konnte es kaum erwarten, dass es endlich raus auf die See ging. Er wollte auch Abenteuer erleben, so wie es in den Geschichten passierte, von denen er immer gehört hatte.
Cornelis nickte. "Genau, es ist zu gefährlich, sie geladen stehen zu haben. Erst auf den Befehl Fertigmachen zum Gefecht werden sie geladen, die Stückpforten geöffnet und die Kanonen nach vorne gezogen. Sind sie abgeschossen, werden sie wieder eingeholt und neu geladen. Davor müssen sie jedoch feucht ausgewischt werden, nicht daß glühende Pulverreste im Rohr die neue Ladung beim Reinschieben schon entzünden."
Cornelis erklärte weiter, wann und wie man die Geschütze benutzte und auch dass man die Rohre feucht auswischen musste, bevor sie neu geladen werden. Die Vorgehensweise kannte Scortias, allerdings war ihm das auswischen neu, erschloss sich ihm aber als logisch, nachdem er erfahren hatte, wieso man das tat. Der Zwölfjährige ließ seinen Blick über das Seil wandern, mit dem man die Geschütze näher an die Stückpforten heran zog. Die Mündung schaute dann aus der Luke heraus. Nach dem Abschuss zog man sie also wieder hinein, reinigte das Rohr und lud sie neu. Zwischen jedem Schuss würde also schon eine kleine Weile vergehen, bevor der nächste Schuss abgefeuert werden konnte. Sollte es dann zu einem Gefecht kommen, war seine Aufgabe, als Schiffsjunge, die Munition und das Schießpulver zu verteilen. Bestimmt keine leichte Aufgabe, denn die Kugeln, so wie die Fässer waren alles andere als leicht für einen Knirps wie ihm. Mit einem leichten Lächeln nickte Scortias dem Captain zu, um ihm zu signalisieren, dass er verstanden und auch keine weiteren Fragen zu den Kanonen und einem Gefecht hatte. Zumindest in dem Moment nicht mehr.
"Wichtig ist, daß du bei einem Gefecht hier unten nicht im Weg herumstehst. Dann herrscht hier viel Hektik an den Kanonen aber auch bei den Ladeschützen, die das Pulver und die Kugeln aus dem Magazin holen." Dann ging er noch auf den anderen Punkt ein, den Scortias zuvor angesprochen hatte. "Es stimmt soweit, daß du jeden mit Namen anredest. Bei uns ist es eine gewisse Respektsbezeugung, diejenigen, die einen Posten innehaben, mit diesem anzusprechen. Also bei Díaz sagst du Steuermann, bei Murray Quartiermeister und so weiter für Maat und die anderen mit besonderem Posten. Eben so, wie du mich auch mit Käpt´n ansprichst." Dann bestätigte er des Schiffsjungen Nachfrage zu den Kettenkugeln mit einem Nicken.
Anschließend erhob er sich und ging weiter in Richtung Heck. Bald standen sie vor einer weiteren Querwand mit einer Tür, die Cornelis nun mit einem Schlüssel an seinem Schlüsselbund aufschloß. Sie betraten einen Raum, bei dem direkt klar war, um was es sich handelte, nämlich um das Munitionslager, wie die Fässer mit Pulver und die Kisten mit Kugeln deutlich machten.