01.09.2017, 10:03
Einige Dielen knarrten unter dem Gewicht des Captains, wenn er vor Scortias her schritt. Eigentlich mochte er das Geräusch des Holzes, wenn es ächzte. Vorausgesetzt, dass es einem nicht im Schlaf störte. Es erinnerte immer daran, wo man sich befand und wo war es schöner und freier, als auf einem Schiff. Nun gut, Scortias war zuvor noch nie ein Schiffsjunge, aber hatte er immer davon geträumt mal auf einem Schiff anzuheuern. Die Geschichten, die er in den Tavernen gehört hatte, ließen darauf schließen, dass die Seefahrt einfach toll sein musste. Voller Abenteuer und wilder Erlebnisse. Zudem war er schon immer von den großen Kähnen begeistert gewesen, wenn sie in Aelinos auf der Insel Axo am Hafen angelegt hatten. Ihre Mäste ragten weit in den Himmel geschmückt mit den Seilen, die die Segel hielten. Spinnennetzähnlich ragten die Wanten zum Krähennest hinauf und ermöglichten somit den Aufstieg in den Ausguck. Die Erfahrung, die Scortias mit einem Schiff gemacht hatte, war bisher alles andere als positiv gewesen. Als blinder Passagier hatte er auf der Blue Mary eine Strafe abzusitzen und schließlich wurde er von den Piraten aus dem Krähennest ins Wasser geschmissen. Dennoch hatte er Glück im Unglück, da nicht auch er sein Leben lassen musste, so wie die meisten Männer der Blue Mary. Aber das alles hielt den Jungen nicht davon ab, die Schiffe zu mögen, die weich und sanft ans Ufer heran glitten und unter sich fast lautlos das Wasser teilten. Es war ein Anblick, von dem der Junge nie genug bekommen konnte.
Scortias war sehr froh darüber, dass ihm die Entscheidung abgenommen wurde, wo schließlich gegessen wurde. Er war sicher, dass es da immer Diskussionen gegeben hätte. Aber in dem Fall würde also Captain Feuerbart bestimmen, wo gegessen wurde. Zudem bräuchte er sich auch nur um das Essen vom Captain, Mister Diaz und Mister Murray kümmern. Naja und zu guter Letzt um sein eigenes. Als er das Schmunzeln des Rotbartes sah, grinste der Junge zu dem Man hinauf und nickte verstehend.
“Aye Sir“
Zusammen betraten sie die Kombüse in der immer noch Rog, der Smutje am werkeln war. Captain van der Meer wandte sich an sein Besatzungsmitglied, der daraufhin seine Arbeit einstellte und sich zu den beiden Eindringlingen umdrehte.
“AYE SIR! HAB DIE KLEINE RATTE SCHON KENNEN GELERNT!“
meinte Rog in seiner bekannten, lauten Tonart und sah dann zwinkernd zu dem Jungen.
“ALLERDINGS, ICH HOFFE DER KNIRBS TAUGT MEHR ALS DER LETZTE SCHIFFSJUNGE!“
kam es von dem Smutje, der nun durchdringend in die Augen von Scortias blickte.
“Den letzten Schiffsjungen habe ich im Gemüseeintopf verarbeitet, weil der nur faul, wie eine Erbse, in der Hängematte gelegen hat.“
sagte Rog mit ernster Miene, konnte diese aber nicht lange aufrecht halten und lachte schließlich bellend los.
„ABER ICH WERD AUS DER HALBEN PORTION HIER SCHON EIN KERNIGEN MANN MACHEN, SIR.“
Im ersten Moment huschten die Augen von Scortias etwas nervös zum Captain und wieder zurück zum Smutje. Doch das Lachen des Mannes entspannte den Jungen wieder. Er mochte den Koch immer mehr. Auch wenn er laut und eine rüde Umgangsform hatte, spürte der Zwölfjährige, dass der stämmige Mann ein sehr gutes Herz besaß. Der Waisenjunge war noch nie sonderlich sanft angepackt worden und kannte diese raue Art der Erwachsenen. Da musste man sich schon in jungen Jahren ein recht dickes Fell anschaffen. Weicheier hatten in dieser Zeit keine Chance und dennoch war es erfreulich, wenn es Menschen gab, so wie Captain Feuerbart. Menschen, die Führungsqualitäten hatten, ohne dabei immer eine harte Linie zu fahren. Wieder nickte der junge Bartholomew dem Captain verstehend zu, bevor sich Cornelis wieder an den Koch wendete.
“WIRD GEMACHT SIR! KANN DIE RATTE GLEICH ABHOLEN!“
“Ich heiße Scortias, Mister Rog Sir.“ protestierte der Junge leise gegen den tierischen Kosenamen.
“DAS IST EIN TOLLER NAME JUNGELCHEN UND WENN DU GLÜCK HAST, DANN MERK‘ ICH MIR DEN IRGENDWANN. UND ICH BIN ROG, WEDER MISTER, NOCH SIR. VERSTANDEN?“
sagte der Smutje belustigt.
“Okay Mister Rog Sir. Vielleicht merke ich mir das ja … auch irgendwann.” antwortete der neue Schiffsjunge leicht grinsend.
Rog sah den Jungen an und bellte wieder lachend los. Dann zeigte er mit dem Finger auf ihn und nickte.
“ICH MAG DICH KLEINER. KOMM GLEICH VORBEI UND HOL‘ DAS ESSEN FÜR DEN CAPTAIN AB, OKAY?“
Scortias nickte dem Smutje grinsend zu und drehte sich wieder zum Captain. Zusammen ging es wieder zurück in die Messe, durch sie hindurch und in den Gang auf dem die Zimmer von Mister Murray und Mister Diaz lagen. An einer Querwand befand sich eine weitere Tür, die Cornelis öffnete und mit eingezogenem Kopf durchschritt. Scortias folgte dem großen Mann wortlos. In dem Raum angekommen ließ der Junge seinen Blick schweifen. Die Augen des Zwölfjährigen weiteten sich, als er die Geschütze sah. Noch standen sie friedlich vor den Stückpforten und warteten auf ihren Einsatz. Wie gerne würde Scortias mal eine davon abfeuern. Das war wirklich beeindruckend. Aber auch die Hängematten waren ihm aufgefallen, die hier angebracht wurden. Wie erwartet, bestätigte Captain van der Meer, dass die Besatzung hier auch schlief.
“WOOOAH, das ist ja irre.“ kam es voller Emotion aus dem Mund des Jungen, der auf eine der Kanonen zu lief, in die Hocke ging und seine Hand auf das kalte Gusseisen legte.
Die Hand des Jungen streichelte sanft über das Rohr, während seine Augen die Zwölfpfünder genau betrachteten. So nah war er einem Geschütz noch nie gekommen. Er sah die Zündvorrichtung, das Seil, mit dem die Kanone aus den Stückpforten gezogen wurde, und die Räder, auf denen sich das Geschütz bewegen ließ. Er war von diesem Anblick wirklich begeistert.
“Sind die sehr laut, wenn die abgefeuert werden?“ fragte er schließlich und drehte seinen Kopf zum Captain. “Sir?“ setzte er schnell noch hinzu, hatte er die Höflichkeit doch im Eifer vergessen.