25.01.2017, 02:02
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„Leutnant, sie werden die Übernahme der anderen Gefangenen überwachen. Und dieses mal werden sie sich beherrschen! Ich erwarte, dass alles reibungslos verläuft. So etwas wie in Netara wird nicht noch einmal passieren, ist das klar?!?“ Kapitän Harper sah ihn finster an.
„Jawohl Sir!“, erwiderte Enrique. Er hatte also doch niemand anderen für diese Aufgabe ausgewählt, sondern entschieden dass er ihm genug vertraute, dass es diese Mal besser machen würde. Bessern würde das allerdings nichts an dem, was unweigerlich folgte.
„Ich will, dass sich die Gefangenen benehmen, dass Gruppen getrennt werden, zumindest von ihren Anführern, dass es keine Verschwörungen oder neue Bandenbildung gibt. Nicht auf meinem Schiff! Verbrecher, die sich das Gleiche zu Schulden kommen lassen haben könnten sich kennen, am Besten klären sie das vorher. Ich will dass es keine Verluste gibt. Umbringen können sie sich auf Esmacil. Kranke gehen falls möglich in Quarantäne, notfalls wird es eine potentielle Sterbezelle geben. Und keine Fluchtversuche, Angriffe oder Ähnliches! Sorgen sie dafür! Verstanden?!?“
„Aye Sir.“ Enrique verbiss sich den Seufzer. Dass war nicht die erste Übergabe von Gefangene, die er beaufsichtigen sollte und auch nicht dass erste Mal, dass er mit der Morgenwind die finale Strecke von Asanu nach Esmacil zurücklegte. Es war nicht mal das erste Mal, dass er einer Zusammenlegung vorstand. Sie würden von zwei weiteren Schiffen Gefangene übernehmen und sämtliche Schwerverbrecher die sich bereits in der Stadt angesammelt hatten.
Und es war auch nicht das erste Mal, dass der Kapitän andere die Drecksarbeit machen ließ, ihnen eine Predigt hielt, wie was zu laufen hatte, welche Ergebnisse er haben wollte, hinterher den Ruhm, falls es welchen gab, einheimste, bei Verfehlungen anderen die Schuld in die Schuhe schob und stiften ging.
Oder das es 2. Leutnant de Guzmán traf. Oder das er unmöglich zu erfüllende Anweisungen bekam. Enrique hörte ihm nur mit halben Ohr zu.
Eigentlich war es Standard, dass es ihn erwischte. Immerhin hatten er und sein Vorgesetzter so was wie eine gemeinsame „Geschichte“: Der Kapitän erhielt eine Aufgabe, die keiner haben wollte, er hatte sich in dessen Augen etwas zu schulden kommen lassen, und sei es nur, dass er es wagte, eine eigene Meinung zu haben und damit hatte Harper seinen Kandidaten. Alles was ihm blieb war ‚Ja’ und ‚Amen’ zu sagen und dann aus einer vertrackten Situation etwas halbwegs Brauchbares zu machen.
So auch jetzt.
„Gut“, beendete der Alte seine Anweisungen. “Ich habe wichtiges zu erledigen, vor heute Abend werde ich nicht zurück sein. Nummer 1 trifft sich mit Kommodore McLean in der Stadt. Bis dahin haben sie das Kommando.“
„Aye Sir!“ Enrique salutierte und sah seinem Vorgesetzten nach der von dannen zog.
Dieses Mal gab es aber eine Sache, die versprach interessant zu werden. Vor ihm lag die Liste sämtlicher Gefangener, die die Morgenwind nach Esmacil bringen sollte, mit Vermerken, welcher woher kam und warum er einfuhr. Und abgesehen vom Kopfzerbrechen darüber, wen er mit wem in welche Zelle stecken sollte, damit sich die ungewöhnlich vielen Insassen nicht gegenseitig die Kehle aufschlitzten, gab es unter ihnen einen mit einer besonderen Unterschrift dahinter: Die von Konteradmiral Westenra.
Nur warum bestand der Vorgesetzte der Gefangenenflotte darauf, dass ausgerechnet dieser Kleinkriminelle mit all den schweren Jungs verlegt wurde?
***
Kaum 2 Stunden später, die Sonne war hinter den dichten Regenwolken nur schwer zu erahnen und berührte fast noch den Horizont, näherte sich das erste Ruderboot. Der dunkelhäutige Leutnant strengte die Augen an. Irgendwann würde er daran denken, sich ein Fernrohr zu besorgen. Dass er das vom Wachhabenden nicht einforderte lag daran, dass er sein erhöhtes Interesse an wahrscheinlich diesem Verurteilten und die deswegen in ihm vorherrschende Unruhe nicht zeigen wollte. Also stand er an der Reling, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und fluchte innerlich. Die Ruderer trugen keine Uniform, die Wachen die des berüchtigten Eastgate Gefängniss, wie erwartet. Nur ein Delinquent war auszumachen, dunkles Haar, recht jung, schmal, schmutzige Kleidung waren die einzigen Details, derer er sich sicher war. Das Boot machte gut Fahrt, trotzdem würde es eine Weile dauern und dann würde es unter dem Schanzkleid verschwinden, lange bevor er den „Gast“ richtig zu Gesicht bekommen würde.
Enrique riss sich los und sah den Wachhabenden an: „Ich bin in meiner Kajüte. Wenn irgendwas ist geben sie bescheid.“ Zeit ins Trockene zu kommen.
„Aye Sir!“
***
Lucien war ungewöhnlich früh geweckt und aus der Gruppenzelle geholt worden. Die Wachen hatten nicht gesprochen, außer gelegentlichen, kurzen, geknurrten Befehlen, und ihm die Hände gefesselt. Sie schienen über irgendetwas verstimmt und ließen das über eine grobe Behandlung an ihm aus. Erst hatten sie ihn in einen Verhörraum gebracht und allein gelassen, kurz darauf schleppten sie ihn in eine der Kutschen des Gefängnis und spätestens als durch die kleinen vergitterten Fenster und dicken Tropfen die ersten Masten zu sehen waren wurde ihm klar, wohin diese Reise ging. Sie packten ihn, schliffen ihn zu einem Ruderboot an der Kaimauer und stießen ihn hinein.
Die Überfahrt zum Schiff verlief ruhig, zum Einem war es ein Tag mit wenig Wind und zum Anderen hatten die Wachen ob des schlechten Wetters wohl doch die Lust verloren ihn weiter zu drangsalieren. Danach ging es gesichert und mit gefesselten Händen die triefende Bordwand hinauf und nach kurzem Gespräch des Verantwortlichen mit dem Wachhabenden unter Deck.
In einem kleinen abgetrennten Bereich, der scheinbar nicht nur die Kajüte sondern auch der Arbeitsbereich des Offiziers zu sein schien, stand er schließlich Enrique gegenüber. Selbst für ein Kriegsschiff der Marine, dass ohnehin nicht genug Deckenhöhe für jemanden wie Lucien gewährte, damit er aufrecht hätte stehen können, war die Decke auf dem alten Schiff niedrig.
“Lucien Dravean zur Übergabe Sir“, meldete der Matrose, der ihnen den Weg gewiesen hatte und verabschiedete sich nach knappem Nicken de Guzmáns.
“Wo sollen wir den Gefangene hinbringen?", fügte der Mann zu Luciens rechten an.
“Machen sie ihn dort drüben fest, ich kümmere mich darum, sowie ich hiermit fertig bin.“ Der Leutnant deutete zunächst auf den Neunpfünder, dann auf die Papiere vor sich auf der Tischplatte.
Irritiert sahen die Wachen sich an, zuckten dann mit den Schultern, schoben den Schmuggler neben das Geschütz, zwangen ihn unsanft in die Knie und banden ihn fest.
Ein paar knappe Sätze und zwei Unterschriften später ließen seine Begleiter ihn mit dem Dunkelhäutigen allein, der zunächst weiter schrieb bis die Schritte auf der Treppe verklungen waren und dann Lucien ausführlich aber weiterhin schweigend musterte.