16.04.2024, 14:16
Immer wieder versuchte Liam, sich einen Überblick zu verschaffen, was spätestens dann zu einem gefährlichen Unterfangen wurde, als er dem Händler direkt vor sich mit seinem Degen gegenüberstand. Aber er vertraute seinen Crewkameraden – und auch Cassy, die sich hoffentlich im richtigen Moment in Sicherheit bringen konnte, sollte es nötig werden – und konzentrierte sich dementsprechend auf seinen direkten Gegenüber. Das nächste, was er hörte, war ein Ächzen, das leider viel zu sehr nach Rayon klang, als dieser, wohl abgelenkt durch das Treiben rund um Per, aufgesehen hatte und eine Sekunde später den Pistolenlauf einer versteckten Waffe des Anführers im Nacken spürte und benommen zur Seite kippte. Shit.. Noch ehe der Lockenkopf das Treiben realisiert hatte, hatte der Anführer Rayon unsanft von sich runter geschoben und die Waffe in die Richtung Pers gerichtet.
„Per, vorsicht!“, rief er gerade noch, doch der Seemann hatte gerade das Mädchen zurückergattert und schien auf anderes konzentriert zu sein.Ein Knall ertönte, doch die Kugel schlug irgendwo in den Boden ein. Etwas, das Liam erst feststellte, als er den Mann vor sich kräftig mit der Schulter gegen die Kutsche gerammt hatte, ehe er alarmiert aufsah. Doch Per bewegte sich, die Kinder flohen und das kleine Mädchen rannte schluchzend in die Richtung ihres Bruders, um sich in seinen Armen zu vergraben. Den Anführer hatte der Lockenkopf als Gefahr vorerst ausgeblendet, immerhin konnte er ihnen zumindest aus der Entfernung nicht mehr gefährlich werden, nachdem er seine Waffe abgefeuert und den Schuss versemmelt hatte. Dieser allerdings hatte längst im Eifer des Gefechts die Waffe mit der geladenen am Boden ausgetauscht, ohne dass es einem der Piraten aufgefallen war. Vielleicht war es auch Liams Überzeugung, dass die Pistole in der Hand seines Gegenübers nicht geladen war, die ihn innehalten ließ, kaum dass ihm auffiel, dass man den Lauf auf ihn gerichtet hatte. Sein Kopf brauchte einen Moment, um hinterherzukommen. Einen Moment zu lange, denn der nächste Knall machte deutlich, dass es kein Bluff gewesen war.Liam kam unsanft auf dem Boden auf und rutschte einige Zentimeter mit der Schulter über den feinen Schotter. Aus Erfahrung wusste er, dass sich eine Schussverletzung anders anfühlte und einen vor allem nicht zur Seite, sondern wenn nach hinten stieß. Der Blick des Anführers war finster, als er zu ihm aufsah, doch dieser hatte etwas ganz anderes ins Auge gefasst und Liam folgte seinem Blick – Per. Per, der - Verdammt. Sein Kopf zählte eins und eins zusammen und ohne groß zu zögern stürzte er sich nach vorne auf eine der Waffen, die am Boden lagen. Liam wusste nicht, ob sie noch geladen war oder nicht aber er hoffte es schwer. Sonst hätten sie nun ein wirkliches Problem. Der Knall, der sich löste, kaum dass er die Pistole gen Anführer gerichtet hatte, enttäuschte ihn nicht. Der Mann ließ den Dolch fallen, den er gerade gezückt hatte, um sich um Per zu kümmern und sackte zu Boden. Liam atmete auf. Rayon bewegte sich und Per lag noch benommen am Boden. Hastig kämpfte er sich auf die Beine, um seinem Kameraden die Hand zu reichen, doch da fiel ihm auf, dass sich das Hemd seines Freundes allmählich blutrot gefärbt hatte. Nein. Nein, nein, nein.„Scheiße, Per.“, entwich es ihm, als er nach vorne stürzte, um die Hände auf die Brust des Seemannes zu drücken. Die Kugel hatte ihn doch erwischt. Die Kugel, die eigentlich für ihn bestimmt gewesen war. „Du musst wach bleiben, hörst du? Wach bleiben. Wir sind hier.“Als würde das etwas ändern, ging es ihm durch den Kopf, doch eine bessere Idee hatte er in diesem Moment auch nicht. Seine Gedanken überschlugen sich. Als Cassy bei ihm eintraf, übergab er ihr die Aufgabe, auf die Wunde zu drücken und riss sich geistesabwesend sein eigenes Hemd über den Kopf, um es dem Älteren mit Müh und Not eng um die Brust zu binden. Auch Rayon schien sich wieder gesammelt zu haben. Liam wusste nicht, ab wann er plötzlich neben ihm gestanden hatte, doch es tat gut, zu wissen, dass sie nicht alleine waren.„Wir müssen ihn zur Sphinx bringen. So schnell wie möglich.“, wies er seinen Freund an und sah zu ihm auf.Die beiden Kinder waren vergessen, ebenso wie die Sklavenhändler, die noch immer verstreut, aber wenigstens reglos am Boden lagen. Rayon und er warfen sich je einen Arm Pers über die Schulter und hievten ihn mehr schlecht als recht auf die Beine.„Bleib bei uns, wir bringen dich in Sicherheit.“, presste Liam angespannt zwischen den Zähnen hindurch.Die Umgebung blendete er vollkommen aus, ebenso wie die fragenden Blicke der Passanten, an denen vorbei sie sich gen Sphinx bewegten. Cassy folgte ihnen und verdeckte immer wieder die Sicht der Menschen auf den verwundeten Seemann. Auch, wenn Liam gerade keine Worte für sie hatte, war er dankbar. Seine Brust fühlte sich schwer an und sein Herz zog sich mit jedem Kilo weiter schmerzhaft zusammen, den Rayon und er auf ihrer Schulter spürten. Er hoffte, dass Pers Atmung einfach nur zu flach war, um sie zu hören. Alles andere wollte er nicht wahrhaben. Doch der Körper, den sie zur Sphinx brachten, wurde mit jedem Schritt schwerer und schlaffer. Liams Atmung zitterte, doch er behielt das Ziel fest im Blick. Gregory und Elias würden etwas tun können. Sie mussten nur bei ihnen ankommen. So schnell wie möglich.