10.11.2023, 20:17
Wirklich sauer konnte die Blondine dem Jungen nicht sein. Zu sehr erinnerte er sie an sich selbst. Sie spürte die Angst, als wäre es ihre eigene und doch, er war nicht sie. Er war noch ein Kind, er hatte jemanden, dem er etwas bedeutete und wenn Cassy eine Möglichkeit finden konnte, dass das auch so blieb, dann würde sie jene ergreifen. Deshalb tröstete sie ihn dann doch und versuchte ihn ein wenig aufzumuntern. Seine Gedanken daran, dass er vermutete, gar befürchtete dass seine Schwester bereits Tod war, musste er nicht aussprechen, sie konnte es sich schon denken und selbst dann, würden sie sie finden. Denn selbst wenn es dann schwer werden würde, hätte er wenigstens Gewissheit und würde nicht sein Leben lang weiter nach ihr suchen müssen. Der Gedanke daran schnürte ihr kurz die Kehle zu und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Rayon und auch Per zu ihr und dem Jungen aufgeschlossen hatten. Anders als Liam. Der Mann, dem Cassy es zu verdanken hatte, nicht alleine mit dem streunenden Jungen auf einem Friedhof herum zu irren - hätten die anderen beiden sie vermutlich nicht einmal bemerkt, wenn es das Gespräch mit Liam nicht gegeben hätte - fehlte. Dies fiel nicht nur ihr auf und gerade als sie ein paar Schritte in die Richtung machte, in welcher er die Jungs abfangen wollte, wenn es sein musste, hörte sie das wiehern. Kurzerhand erschrocken löste sie sich von dem Jungen und wandte ihren Blick den anderen beiden Männern zu. Ein kurzer Augenkontakt und plötzlich konnte sie das Wort Langweilig nur deutlich hören. Ebenso deutlich war, dass es sich dabei um die Stimme von Liam handelte. Er hatte sie also gefunden.
Cassy kniete sich nun noch einmal auf Augenhöhe des Jungen herab, der sich mehr oder weniger an die Ratte klammerte und scheinbar nicht sonderlich viel Hoffnung hatte.
”Hör zu, wir haben keine Zeit, aber wichtig ist, dass du dich zurückhältst. Ich will dich nicht hierlassen, aber einen Fehler können wir uns nicht erlauben, also bleib einfach direkt hinter mir.”
Sagte sie ihm dann und hoffte, dass er hören würde. Wie groß die Gefahr wirklich war, wusste Cassy nicht. Immernoch ging sie von ein paar Kindern aus, einem dummen Streich und sie ging davon aus, dass Liam sie nur rief, weil er eben nicht länger von der Gruppe getrennt sein wollte. Das es keinen Sinn machte, dass sie dann gerade ein Pferd hatte wiehern hören? Gleichgültig. Zu naiv war Cassy, um das zu erkennen und so nickte sie kurz den anderen beiden Männern zu und ging dann in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
Obwohl sie nur ein paar weitere Kinder erwartete, hielt sie sich zurück, denn sie wussten nicht ob diese Straßenjungs bewaffnet waren und Cassy wusste leider zu gut das auch jene sehr auf ihr Überleben gedrillt waren und durchaus in der Lage waren zu töten. Also blieb sie vorsichtig und was sie dann sehen konnte, sorgte dafür, dass ihr Herz kurz stehen blieb. Denn dort stand eine Kutsche, mit erwachsenen Männern und Liam war definitiv in Schwierigkeiten. Cassy spürte wie sich ihre Kehle zuschnürrte. Sie sah die Kinder in der Situation und wusste, dass das hier weder für Liam, noch für die Kinder gut ausgehen würde, wenn sie nicht handelten. Dafür, einen Plan zu machen, war es nun zu spät, aber einen weiteren Fehler durften sie nicht machen, denn noch schien sie niemand entdeckt zu haben, noch schienen sie der Meinung zu sein, dass Liam alleine war. Das war ein Vorteil, doch Cassy wusste nicht wirklich was sie tun sollte. Hoffentlich hatten Rayon und Per eine Idee und wenn nicht, nun gut, dann würden sie die Situation stürmen, kämpfen und schauen, was dabei herum kam. Frei nach dem Motto mit dem Kopf durch die Wand, oder so ähnlich.
Doch dann fiel Cassy der Junge wieder ein und ruckartig drehte sie sich um und presste ihre flache Hand auf dessen Mund.
”Shht. Du musst leise sein.”
Bemerkte sie dann und schob ihn wieder nach hinten, dann sah sie die beiden anderen Männer an, bevor sie wirklich leise flüsterte und hoffte, dass sie noch weit genug entfernt waren, um unentdeckt zu bleiben.
”Okay, wirklich Zeit für einen durchdachten Plan bleibt nicht. Wenn ihr keine besser Idee habt, würde ich die Situation stürmen, kreischen, die Bande ablenken in der Hoffnung, dass sie nicht noch mehr sind, so dass ihr sie dann aus dem Verkehr ziehen könnt.”
Meinte sie dann nur und wandte sich dann wieder an den Jungen.
”Funktioniert allerdings nur, wenn du hier bleibst, bis wir das geklärt haben und wenn es schief geht, dann lauf. "Lauf weg, so weit du kannst, okay?"
Ergänzte sie dann, zuckte mit den Schultern und grinste, bevor sie kurzerhand ihren Rock ein Stück hochzog, um den beiden anderen Männern zu zeigen da sie, so harmlos und lieblich sie auch aussehen mochte, für den Fall des Falles, bewaffnet war. Und kaum dass sie das okay von den Männern hatte, löste sie sich von der Gruppe, entfernte sich ein wenig nach rechts zurück, um schließlich aus einer anderen Richtung genau in die Situation an der Kutsche hinein zu platzen.
”AHHHHHH”
Ein schriller Schrei entkam ihr und theatralisch warf sie sich die Hände vor den Mund.
”Was machen Sie denn da? Was tun Sie denn hier? Das hier ist ein Ort der Ruhe und des Friedens!”
Meckerte sie dann wie ein zeterndes, dummes Weib. Ebenso in einer Tonlage, die sicherlich wirkte, als wäre sie strohdumm und wirklich besser im Haushalt als auf der Straße aufgehoben. Es musste in dieser Welt eben auch Vorteile haben, wie ein naives Blondchen durch die Gegend stolzieren zu können, ohne eines zu sein.
{ Per, Straßenjunge, Liam, Rayon | auf dem Friedhof }