22.01.2023, 19:58
Den Blick leicht auf seine Karten gesenkt, schaute der Wahrsager weniger auf gerade diese, als es den Anschein machte. In Wahrheit konzentrierte er sich auf das, was sein Blickfeld sonst noch zuließ. Die Karten musste er nicht anschauen, er kannte jede davon in- und auswendig, wusste um ihre Bedeutung und was man alles dazu sagen konnte. Es hatte nicht lange gedauert, sich die überlieferten Bedeutungen zu merken, doch es hatte Jahre gedauert, um die jeweilige Karte an die Kunden anzupassen und eher die Kunden lesen zu lernen als die Karten an sich. Also beobachtete er nun, wie die junge Frau sich vor ihn setzte und begann an einer Perle in ihrem Haar zu spielen. Sein Bild war dabei leicht verschwommen, so wie es immer war, wenn man eigentlich auf etwas anderes schaute, aber sich auf die Dinge darum herum konzentrierte. Ein Andenken? Kurz danach kam ein eher missgünstiger Blick gegenüber der Zweiflerin, doch kurz danach Entschlossenheit und eine Frage. Aric nickte kurz und hob nun den Blick leicht an, um die Kundin anzuschauen. Dabei ignorierte er vorerst die Anmerkung des anderen Mannes und bat seine Kundin darum, auf 6 Karten zu deuten. Während diese ihren Finger hob, senkte Aric den Blick wieder auf den Kartenfächer und sammelte der Reihe nach die gezeigten Karten ein und legte sie in einer Art Pyramide auf den Tisch. Die restlichen Karten sammelte er wieder ein und legte sie an die Seite.
„Vielleicht miete ich mir als Nächstes ein Theater“ antwortete er mit einem Grinsen an Arvas gerichtet und dann an Lola und die Karten „Na, dann wollen wir mal sehen“
Mit ruhiger Hand drehte der Wahrsager die drei Karten um, welche das Fundament der Pyramide bildeten. Die erste Karte zeigte ein Skelett, welches einen goldenen Ring über ihrem Kopf hielt. Gehüllt in einen Umhang mit goldenen Verzierungen und Kopfschmuck, welcher ebenfalls aus Gold bestand. Die zweite Karte zeigte nur Schädel. Die goldenen Verzierungen waren hier deutlich weniger, doch ebenfalls vorhanden. Die dargestellten sieben Schädel waren dabei aus unterschiedlichen Positionen gezeichnet. Die dritte und letzte Karte aus dieser Reihe zeigte zwei sich haltende Hände, jeweils mit einem goldenen Armreif geschmückt. Aric ließ sich einige Minuten Zeit, um die Karten zu betrachten und machte so den Anschein, als müsste er über die Bedeutung nachdenken. Vielleicht sollte er anfangen, seinen Kunden zu sagen, dass er ein sehr ungewöhnliches Tarot besaß. Er liebte es sehr, hatte er doch bisher kein ähnliches gesehen.
„Diese erste Reihe symbolisiert deine aktuelle Situation. Hier haben wir zuallererst die Königin der Ringe, welche für Beständigkeit, Balance und Natur steht. Die zweite Karte ist die Sieben der Kelche. Sie steht für Entscheidungen sowie Träume oder Illusionen. Die letzte Karte ist die Zwei der Ringe. Hier steht der Zyklus des Lebens im Mittelpunkt und das Auf und Ab sowie Prioritäten, welche gesetzt werden.“
Bei jeder Erwähnung einer der Karten hatte der junge Mann die jeweilige Karte kurz angetippt. Nun legte er wieder eine kurze Sprechpause ein, während er alle drei Karten erneut musterte. Er tippte auf die letzten beiden Karten und begann dann wieder mit ruhiger Stimme zu sprechen.
„Diese beiden Karten liegen verkehrt herum und weisen damit eher auf ein Hindernis hin. Damit würde ich sagen, du könntest ein Leben im Einklang und in Balance mit der Natur führen. In welchem du durch dein Wissen in diesen Dingen zur Beständigkeit gelangst. Doch halten dich deine eigenen Träume genau davon ab und zeigen dir immer wieder, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, dieses Leben zu leben. Du schaffst es nicht, Prioritäten zu setzen und den Zyklus des Lebens anzunehmen und verlierst damit die Leichtigkeit, welche es brauchen würde, um diesen Einklang zu erreichen. Der Zyklus des Lebens könnte hier auch für Verlust stehen.“
Den letzten Satz setzte er etwas leiser hinzu. Mehr zu sich selbst als zu den Anwesenden und doch gut hörbar. Die zweite Reihe wurde durch die Hände des Wahrsagers aufgedeckt. Die erste, der hier nur zwei Karten zeigte einen Schädel in der Seitenaufsicht, welchem der obere Teil fehlte. Anstelle des sonst darin befindlichen Gehirns schmückte hier eine Seerosenblüte das innere des Schädels. Die zweite Karte zeigte den Schädel eines Vogels von oben und über diesem einen goldenen Stern. Beide Karten standen erneut auf dem Kopf.
„Die zweite Reihe symbolisiert die Entwicklung deines Weges oder auch die Dinge, die hilfreich sind, um diesen zu gehen. Hier haben wir zuerst einmal die Königin der Kelche, welche für emotionale Stabilität und die Fähigkeit zu reflektieren steht. Daneben liegt der Stern. Diese Karte bedeutet so viel wie man selbst sein steht aber auch für Visionen oder Sehnsüchte. Dir steht sehr viel im Weg, um einen neuen Weg einzuschlagen. Daran solltest du arbeiten. Vor allem an deiner emotionalen Stabilität. Du hast eine große Sehnsucht nach etwas Neuem, doch keine richtigen Visionen davon. Auch fällt es dir schwer, du selbst zu sein und zu reflektieren, was deine eigenen Wünsche und Gedanken sind. Wenn du an dir selbst arbeitest, kannst du einen neuen Weg gehen.“
Mensch, was für ein großartiger Ratschlag das doch war. Irgendwie war der Wahrsager da mit sich selbst nicht ganz zufrieden, aber mehr gaben die Karten auch nicht wirklich her. Und alles, was er an der jungen Frau zu dem Thema sah, war eher Unsicherheit. Wenn sie sich jedoch einmal zu etwas entschlossen hatte, konnte sie auch Dinge erreichen. Aber das traf auf so viele Menschen zu, dass es ihm vielleicht gerade deswegen so plakativ und unbedeutend vorkam. Die letzte Karte wurde aufgedeckt und Aric schmunzelte kurz. Diese zeigte ein Skelett in einem schwarzen Umhang mit einem goldenen Schwert in der Hand.
„Die Königin der Schwerter zeigt dir, wo dein Weg hingehen kann. Sie steht für Klarheit und Unabhängigkeit. Doch auch diese Karte steht auf dem Kopf. Du zweifelst leider viel an dir selbst und kannst dadurch nicht zu dir selbst finden. Sei Ehrlicher mit den Menschen in deiner Umgebung, gib dein Wissen weiter und du wirst mit der Hilfe von anderen selbstbestimmter und stärker. Verschließe dich nicht anderen, sondern öffne dich und du wirst deinen neuen Weg gehen können.“
Wieder überlegte der Wahrsager kurz und legte dabei seinen Kopf ein wenig zur Seite.
„ Man könnte auch sagen. Jemand wird in dein Leben treten und wenn du dich ihm oder ihr gegenüber ehrlich verhältst, wird dir ein neuer Weg gezeigt.“
Der Blick der braunen Augen glitt erneut durch das Zelt. Normalerweise hätte er weniger erklärt und einfach seine Wahrsagung gemacht. Doch es gab bestimmte Menschen, bei denen er wusste, dass es sinnvoller war, jede Karte gesondert zu erklären. Sowohl die Zweiflerin als auch seine Kundin schätzte er so ein. Bei Arvas wusste er es sowieso besser. Gerne hätte er sich mit dem Schwindler bei einem Bier unterhalten. Doch nun nickte er diesem nur kurz zu, bevor er sich erneut an die Blonde vor ihm wendete.
„Ich denke, das war keine Legung im Zeichen eines schlechten Omens.“
Er grinste sie kurz an, während er die Worte sprach. Im Augenwinkel beobachtete er die Rothaarige. War er nun weiterhin ein Lügner? Er wusste noch immer nicht genau, was genau sie ihm vorwarf. Er war sich keiner Schuld bewusst. Zumindest keiner, welche die Frau auch mitbetraf.
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