22.01.2023, 19:17
Elian nickte im ersten Moment nur, da er schlicht nicht damit rechnete, mehr als diese kurze Einschätzung der Lage zu bekommen. Viel mehr brauchte es schließlich auch nicht und viel mehr hätte Gregory unter normalen Umständen vielleicht auch gar nicht zu sagen gehabt. Der junge Montrose wandte sich also schweigend dem Spielbrett zu und begann mit geübten Handgriffen, die einzelnen Figuren aufzustellen. Fest in der Absicht, sich nicht weiter mit kurzweiligem Geplauder aufzuhalten, sondern ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen und eine Partie Schach zu spielen.
Womit er nicht rechnete, war Gregorys sturer Entschluss, doch noch mehr aus seinem wortkargen Kameraden herauszulocken. Dem Schiffsarzt galt daraufhin ein kurzer Seitenblick und ein kommentierendes Schnauben, das unverblümt zynisch daher kam.
„Hoffen wir, es sind wirklich nur ein versoffener Bettler und eine Hure im Streit. Und niemand, der ein allzu wachsames Auge auf unser Schiff geworfen hat. Diese verdammten Segel sind so auffällig, dass mich wundert, weshalb uns die Marine hier nicht längst hochgenommen hat.“
Selbstverständlich hatte er mitbekommen, dass Greo einen Satz neue Segel zur Tarnung bestellt hatte. Doch die ungewöhnliche Bauart der Sphinx war Schuld daran, dass sich deren Lieferung gewaltig verzögerte. Und Elian empfand es als geradezu fahrlässig, dennoch so lange im Hafen auszuharren. Früher oder später würde das nur noch jemanden von ihnen das Leben kosten...
Er schüttelte den Kopf, eher um den Gedanken abzuschütteln, beließ die Geste jedoch zugleich als Antwort auf Gregorys anschließende Frage.
„Ich denke, noch sollte es gehen. Wer weiß, wen wir auf uns aufmerksam machen, wenn es hier leuchtet wie die Fenster zur nächsten Kneipe. Weiß oder schwarz?“
Elian hielt sich nicht für besonders paranoid. Tatsächlich glaubte er nicht wirklich, dass sich da unten im Hafen jemand anderes tummelte, als die von Gregory beschriebenen Gestalten. Doch aus seinem Herzen sprachen Wut und Verbitterung, die nach wie vor nach jeder Kleinigkeit zu suchen gedachten, die er den Captains anlasten konnte. Oder speziell einem der beiden. Und eben diese Gefühle mochte der Schiffsarzt in diesem Moment auch aus seinem Unterton heraushören. Immerhin kannte er ihn inzwischen gut genug und hatte gerade in den letzten Wochen mehr Zeit mit dem jungen Montrose verbracht, als alle anderen an Bord.
Den Bruchteil einer Sekunde lauschte Elijah mit angehaltenem Atem in die Gasse hinein, aus der er gekommen war, und es dauerte keinen Herzschlag, da hörte er die eiligen Schritte, die ihm dicht auf den Fersen gewesen waren. Ein protestierender Ruf hallte von den eng stehenden Mauern wider, der ihn zum Anhalten gemahnte. Dazu, sich zu stellen. Dass er gefunden und durchschaut worden war und es keinen Sinn hatte, weiter Katz und Maus mit ihnen zu spielen.
Stimmt. Hatte es nicht. Denn er hatte sie ja jetzt, wo er sie haben wollte. Zumindest den einen der beiden. Den Mann. Ob seine zweite Zielperson den Köder geschluckt hatte, wusste Elijah nicht. Als er vorhin den Markt verlassen hatte, war sie schon nicht mehr zu sehen gewesen. Hatte sie sich abgekapselt und ihren Gefährten seinem Schicksal überlassen? Wohl kaum. Holte sie Verstärkung? Wahrscheinlicher. Aber angesichts ihrer Fähigkeiten ging er eher davon aus, sie schätzte ihre Chancen besser ein. Immerhin war er allein. Also versuchte sie vielleicht, ihm den Weg abzuschneiden?
Wie von selbst huschte das ungleiche Augenpaar zum anderen Ausgang des kleinen Durchgangshofs. Doch just in diesem Moment platzte der junge Mann aus der Gasse heraus, blieb stehen und entdeckte Elijah am Rande seines Blickfelds. Der hatte längst die Hand an den Degen gelegt, die Klinge mit einem hell surrenden Geräusch aus der Scheide gezogen, um eventuelle Angriffe gegen sich abzuwehren. Und er tat gut daran, sich zumindest auf diesen Fall vorzubereiten. Denn nur einen Herzschlag später tauchte auch die Frau aus der Gasse auf und die Reaktion der beiden auf seine Anwesenheit hätte wahrlich nicht unterschiedlicher sein können. Während der eine beinahe amüsiert wirkte – wie ein Junge nach einer aufregenden Verfolgungsjagd – hatte die andere bereits zur Waffe gegriffen. Und sie war es auch, auf die sich Elijahs Aufmerksamkeit richtete, für den Fall, dass sie auf ihn los ging.
Die Klinge seines Degens schwebte zwischen ihnen, sein Körper blieb in angespannt lauernder Haltung, jederzeit bereit, einen Angriff mit dem Dolch an der eigenen Klinge abgleiten zu lassen. Doch er machte sichtlich keine Anstalten, selbst einen Vorstoß zu wagen. Stattdessen verharrte er ein, zwei tiefe Atemzüge in abwartendem Schweigen, bevor sich auf seinen Lippen ein Schmunzeln offenbarte.
„Euch. Hier, in dieser Gasse“, erwiderte er mit einem unerwarteten Hauch Spott in der Stimme auf Skadis Frage. Wobei er sich aus der Zweideutigkeit seiner Antwort sichtlich nichts machte.
Schließlich, zunächst noch wachsam, aber durchaus als Zeichen friedlicher Absichten, ließ er seinen Degen langsam sinken und richtete sich in eine weniger angespannte Haltung auf. Seine Waffe behielt er zwar in der Hand, löste jedoch den Blick von Skadi und schenkte stattdessen ihrem Begleiter ein amüsiertes Lächeln.
„Vielmehr habe ich Euch, meint Ihr nicht? Irgendwie musste ich Euch schließlich an einen Ort locken, an dem wir ungestört sein können, und ich bin wirklich froh, dass Ihr entschieden habt, meiner Einladung zu folgen.“