07.12.2022, 16:28
Die braunen Augen ruhten ruhig auf dem Gesicht der Zweiflerin, während über dieses verschiedenste Ausdrücke liefen. Jede kleinste Änderung im Ausdruck der jungen Frau wurde als Information gespeichert. Erst als sie sich elegant erhob, wanderte sein Blick einmal über seine neue Kundin. Dabei antwortete er bewusst nicht mehr auf die Worte der anderen. Zum einen hätte er eh nichts mehr dazu zu sagen gehabt und zum anderen hatte sich seine Konzentration nun ganz auf das sogenannte Liebchen gerichtet. Frau Zweiflerin hatte wohl ein Problem mit Ansprachen. Zumindest kam es Aric sehr distanzlos vor. Vielleicht wollte sie sich dadurch selbst größer machen. Oft versuchten unsichere Menschen, sich selbst über andere zu heben und diese mit Worten zu verunsichern. Oder sie war viel von Männern ohne Manieren umgeben und hatte sich eine ähnliche Art angeeignet. Innerlich schüttelte der Wahrsager sich kurz. Falsche Person. Er sollte sich doch viel mehr auf die eigentliche Kundin konzentrieren, statt über seine Zuschauer nachzudenken.
„Du kommst gar nicht unpassend. Meine Freundin hier möchte nur noch etwas über die Wahrsagerei von mir lernen.“
Die kleine Spitze konnte Aric sich einfach nicht verkneifen. Wenn die junge Frau ihn schon beschuldigte, zu Lügen, würde er auch ein bisschen Spaß mit ihr haben. Auch wenn sie scheinbar nicht ganz so schnell dachte wie andere Menschen.
„Aber falls du nicht möchtest, dass sie all deine Geheimnisse erfährt, kannst du das natürlich auch ablehnen“
Fügte er noch professionell hinzu. Es war Aric nicht neu, dass er sehr genau von Zweiflern beobachtet wurde. Meistens hatte er sogar Freude daran, genau für diese eine spezielle Show zu zeigen, doch spürte er bei der blonden Frau vor sich auch viele Unsicherheiten. Vielleicht war ihr es tatsächlich lieber, weniger Zuschauer zu haben. Noch während er sich dazu so seine Gedanken machte, schob sich ein bekanntes Gesicht neben die Dreads. Zumindest hatte er jetzt einen Verbündeten gegen die Zweiflerin. Der Wahrsager nickte Arvas kurz grüßend zu. Sie waren sich schon häufiger auf dem Marktplatz über den Weg gelaufen, hatten jedoch bisher erst einmal miteinander gesprochen. Aber Aric erinnerte sich an eine Vorführung des andern. Er war auch sehr begabt darin, das Geld aus den Taschen der Menschen zu ziehen und es sich selbst unter den Nagel zu reißen. Darin unterschieden sich die beiden nur in der Art und Weise. In seiner Welt hieß das, dass man sich gegenseitig nicht in den Rücken fiel, wenn Zweifler und Kunden in der Nähe waren. Mit einer geschmeidigen Handbewegung verteilte er den zuvor gemischten Kartenstapel in einem Halbkreis über den Tisch. Die Abstände der schwarzen Karten waren dabei nahezu identisch und auch der Halbkreis wies kaum Schwächen auf. Ein Zeichen von jahrelanger Übung und Erfahrung.
„Es scheint ein gefährliches Spiel zu sein, wenn selbst gestandene Männer wie du sich davor fürchten.“
Erwiderte er mit einem Grinsen. Dann strich er sich mit der freien Hand durch die offenen Haare und steckte sich dabei einige hinter das Ohr. Noch immer fielen die meisten der langen braunen Haare ihm um das Gesicht, doch die kleinen geflochtenen Zöpfe, welche die lange Mähne schmückten, blieben hinter den Ohren stecken und machten das Aussehen des jungen Mannes dadurch ein wenig wilder. Es musste von außen ein interessantes Bild abgeben, wie diese unterschiedlichen Menschen in dem kleinen Zelt standen. Die Zweiflerin, die Chaotin, der Extravagante und der Geheimnisvolle.
„Zieh dein Schicksal“
Naja, vielleicht etwas übertrieben. Aber Aric hatte das Gefühl, dass die ganze Situation es zu lies, ein wenig zu übertreiben. Oder auch sehr zu übertreiben.
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