01.09.2022, 15:21
Um ehrlich zu sein, hatte sie der alten Dame niemals unterstellt, dass die Karte gestohlen wäre. Sie würde diese nicht so präsentieren, wenn es Diebesgut wäre. Es sei denn, sie wäre sehr dreist und so schätzte sie die Verkäuferin nicht ein. Aber eigentlich war es auch egal. Viel wichtiger waren die Informationen, die sie bekam. Deshalb lauschte Talin schweigend der Erklärung der Frau, während sie darüber nachdachte, ob sie nicht in einer Bibliothek im Herzogtum Cheliya nach weiteren Hinweisen nach so einer Karte suchen sollten. Was natürlich hinfällig wäre, wenn sie nicht einmal diese hier bekommen konnten. Und offensichtlich war die Frau nicht von dem Gedanken angetan, ihr Schmuckstück außer zum Angeben herauszurücken. Auch nicht, wenn Shanaya mit solchem Feuereifer darauf hinwies, dass sie alle diese Karten besitzen wollte.
Als in den Augen der alten Verkäuferin auf Shanayas leidenschaftliche Worte hin, Vorsicht und Unsicherheit aufglomm, wollte Talin sich am liebsten gegen die Stirn schlagen. Man sagte niemanden ins Gesicht, dass deren Besitz irgendwann einmal einem selbst gehören würde. Ihr würde es auch nicht gefallen, wenn jemand sagte, ihm würde irgendwann die Sphinx gehören. Nun sie würde nicht in aller Seelenruhe die Sachen zusammenpacken, sondern sich mit Händen und Klauen dagegen wehren, dass ihr jemand ihr Schiff wegnahm. Die alte Frau schien allerdings, nur ihren Schatz wieder verstaut wissen zu wollen.
Mit einem leisen Seufzer beobachtete die Blonde, wie der Sand wieder zurück in den Beutel rieselte und die Frau sich umdrehte, um die Karte in Sicherheit zu bringen. Als sie ihnen den Rücken zuwandte, drehte Talin ihren Kopf leicht, um Shanaya mit einer hochgezogenen Augenbraue anzusehen. Ihr Blick sagte alle: Toll gemacht. Sie schüttelte den Kopf und traf schließlich eine Entscheidung, für die Shanaya sie später noch hassen konnte. Sie konnte in diesem Moment keine Rücksicht mehr darauf nehmen, dass die Jüngere in den nächsten Tagen noch stöbern wollte. Diese Karte war zu wertvoll, als dass sie sie zurücklassen konnten. Vielleicht sprach aus ihr einfach wieder ihre Ungeduld und Impulsivität, aber sie wäre verdammt noch mal bescheuert, die Karte noch die nächsten Tage hier zu lassen, für den Fall, dass sie vielleicht, vielleicht auch nicht noch einmal wiederkamen.
Ohne lange zu zögern, stützte sie sich auf die Theke auf und drückte sich nach oben, so dass sie sich nur ein paar Sekunden später leise über das Holz hinübergeschwungen hatte. Hinter der Frau blieb sie einen Moment in der Hock und zückte ihren Dolch. Nein, sie war keine alte-Dame-Mörderin. Auch nicht für die ganzen Schätzchen, die ihr heute schon um die Ohren gehauen worden waren. Mit zügigen, aber vorsichtigen und leisen Schritten trat sie näher, während die Frau noch mit Shanaya über den Preis der anderen Karte verhandelte. Die alte Verkäuferin hatte kaum geendet, da landete Talin mit dem Knauf ihres Dolches einen Schlag auf ihren Nacken. Sie zuckte zusammen, ließ die Karte zu Boden gleiten und folgte kurz darauf. Die Blonde fing die Ältere auf und ließ sie sanft zu Boden gleiten. So ein Unmensch war sie ja nun auch wieder nicht. Sie steckte den Dolch wieder in ihren Stiefel und wandte sich dann an die Schwarzhaarige mit einem Blick der sagte, sie solle sich nur trauen, etwas gegen ihre Vorgehensweise zu sagen. Gleichzeitig zuckte sie mit den Schultern.
„Wenn du Glück hast, vergisst sie den Schlag und das wir hier waren und du kannst wiederkommen.“ Sie würde allerdings nicht darauf wetten.
Suchend wandte sie den Blick von Shanaya ab und sah sich kurz um, bis sie einige Transportzylinder für Karten entdeckte. Sie schnappte sich einen davon und hielt ihn der Jüngeren hin. „Deine Karte. Dir gebührt die Ehre.“
[Kartenladen | Shanaya]