04.07.2022, 20:10
Statt einer weiteren Erwiderung zu der Wirkung und Folgsamkeit Sinecas auf das andere Geschlecht, hob er den Krug an seinen Mund, über dessen Rand hinweg er mit irgendeinem verbotenen Gedanken im Kopf kurz lächelte. Auch diesmal genehmigte er sich lediglich einen kleinen Schluck. Seine Zunge weigerte sich gegen den Geschmack, der ihr aufgezwungen wurde und er spürte, wie sich seine Schleimhäute im Protest zusammenzogen. Wie konnte man das freiwillig genießen. Aber die Farce war wichtig.
Es fiel ihm schwer, thematisch bei der Sache zu bleiben und nicht wieder kognitiv abzudriften. Er war zu sehr mit Rayons Abwesenheit, die er für untypisch für dessen Verlässlichkeit hielt, und vor allem den Verschleierungsmaßnahmen an der Sphinx beschäftigt. Und mit anderen Plänen, Wünschen, Vorstellungen und Ideen, die er nicht an diesem Tisch diskutieren konnte. Er guckte kurz irritiert zu Per, der etwas in seiner Tasche zu kontrollieren schien, schaute dann wieder zu Liam, wirkte aber ein wenig abwesend. Er verpasste auch seinen Einsatz, bei dem er mal hätte wieder ins Gespräch einsteigen sollen.
Während sein Hirn noch versuchte Rechnungen anzustellen, die er nie wieder würde begleichen können, bemühten sich seine Augen, ihm die Information weiterzugeben, dass Cassy sich an den Tisch gesellte.
Hoppla, dachte er einigermaßen überrascht, als zu seinen Neuronen durchdrang, dass der Blick der Frau vor ihm genauso war wie seiner. Er hatte noch nie jemanden getroffen, dessen Augen ebenfalls unterschiedliche Farben hatten und er guckte sie so dämlich an wie ein Rind im Klosterseminar. Er war froh, dass ihn jemand anders vorstellte, und er nur seinen Muskeln befehligen musste, einmal mit dem Kopf freundlich zu nicken und so was wie die Mundwinkel hochzuziehen, weil er immer noch zu fasziniert von der Tatsache war, dass sie ausschaute, als könnten sie verwandt sein. Gut, vom Typus her zwar sonst zu hell, zu fein, aber was machte das schon.
Innerlich, wenn auch sich das nicht sofort in seiner Mimik widerspiegelte, sympathisierte er sofort mit ihr. Herauskommen – das war ein treffendes Stichwort. Konnte er ihr nicht verübeln.
„Die eröffnet doch sicher Möglichkeiten, herumzukommen.“,
sagte er und nickte zu Cassys Drehleier, wobei das gepokert war, denn er spielte kein Instrument und hatte nicht den leisesten Schimmer, ob das ausreichte, um sich von einem Ort zum nächsten zu musizieren. Er runzelte die Stirn und brach dann in ein erleichtertes, zufriedenes Grinsen aus, als er Rayon erkannte, der ohne groß Federlesen mit Sack und Pack am Tisch erschien.
„Na so was, hast du den ganzen Markt leergekauft?“
[Wirtshaus | Liam, Cassy, Per, Rayon]