29.06.2022, 09:28
Shanaya lächelte ruhig auf das Lob der Frau hin und neigte leicht den Kopf. Auf ihren Zügen lag, für jemanden, der sie kannte, ein dunkles Versprechen, eine absolute Sicherheit, diesen Laden nicht ohne ihr Begehren zu verlassen. Talins Reaktionen bekam die Schwarzhaarige kaum mit, sie hätten Shanaya wohl sowieso nur zum Lachen gebracht. Sie wusste, was sie wollte – und der kleine Versuch, daran zu kommen, hatte gefruchtet. Wieder einmal hatte sie erkannt, was sie ihrem Gegenüber in die Falle legen musste, um sie herein zu locken. Und die Kartenverkäuferin war schon längst zur Gänze in jene Falle getappt. Jetzt musste sie nur noch zuschnappen. Was danach kam… darum würde sie sich dann kümmern. Vielleicht eine gepflegte Kneipenschlägerei? Das klang nach einer guten Lösung. Die Verkäuferin nahm ihren ‚Scherz‘ als das, was sie glaubte, was es sein sollte, während Shanaya sich schon die Karten der anderen Welten vorstellte. Wie diese wohl aussehen würden? Und… gab es vielleicht sogar eine achte Karte? Oder warteten die anderen Welten darauf, dass jemand genau solch eine anfertigte? Das Lächeln der jungen Frau wurde jedenfalls ein wenig breiter, als die Alte sich der Vitrine zu wandte, um ihnen die Karte zu präsentieren. Ein kurzer Blick galt ihrer Freundin, die jedoch auf die Vitrine und die Frau konzentriert war.
Die Vitrine ging auf und zu Shanayas Aufregung mischte sich eine Hitze, die sie so noch nie erlebt hatte, sie schien in jede Pore zu kriechen, trocknete die Augen aus – vielleicht auch, weil Shanaya nicht blinzelte, um genau zu sehen, was die alte Frau tat. Ihr Blick galt der Karte von dem verschollenen Ort – aber sie war nur zweitrangig. Sie wollte beide Karten mit zur Sphinx nehmen – aber die zweite hatte ihre besondere Aufmerksamkeit. So viel mehr Wissen hing daran, viel mehr Aufregung zu den anderen Karten. Zu welchen Orten sie führten, was sie noch für Geheimnisse versteckt hielten. Und so hielt die Schwarzhaarige einige Momente die Luft an, als die Verkäuferin die Karte vor ihnen auf den Tresen legte, von den Welten sprach, in denen sie zeigten, was sie verbargen. Ohne darüber nachzudenken tat Shanaya, wie ihr geheißen. Langsam, vorsichtig, legte sie die Fingerspitzen auf die Karte. Nicht aus Angst, sich zu verbrennen, dieses Risiko war es ihr allemal wert. Viel mehr, als könne sie mit der bloßen Berührung Schaden an dem Pergament anrichten. Während der Teufel auf ihrer Schulter ihr zuflüsterte, dass das die optimale Chance war, schüttelte Shanaya kurz den Kopf, verwarf diesen Gedanken. Zu früh. Vielleicht gab es noch etwas, was sie aus der Verkäuferin heraus kitzeln konnte. Irgendeine Information zu den anderen Karten und ihren Aufenthaltsorten.
Die Alte kippte Sand auf die Karte und im ersten Moment hob die Dunkelhaarige leicht eine Augenbraue, ehe ihre Augen sich ein Stück weiteten – es war nicht schwer, ihr die pure Begeisterung anzusehen. Die Karte glühte nur an ihren Fingern, die Begeisterung übernahm den Rest ihres Körpers. Am liebsten hätte sie jedes Sandkorn beobachtet, wie es auf seinen Platz floss, die blauen Augen der jungen Frau huschten über jede Linie, nahmen das Bild genau auf. Und es kribbelte ihr so in den Fingern, die Karte zu schnappen und damit zu flüchten. Die Wärme und Begeisterung schienen sogar zu ihrem Herzen vorzudringen, ließen es aufgeregt in ihrer Brust schlagen, während sie nicht aufhören konnte, die Karte zu betrachten. Das Lächeln auf ihren Lippen war inzwischen unendlich sanft geworden. Es blieb auch bestehen, als sie den Blick schließlich doch hob, um der Verkäuferin diese eine Information zu geben, die sie bewusst zurück gehalten hatte. Genau für solch einen Moment.
„Sie würde unglaublich gut zu der Karte passen, die ich bereits besitze. Ein edles Stück aus der zweiten Welt, das Gegenstück zu dieser hier. Kalt wie ewiges Eis. Bisher noch unlesbar, aber wir sind auf dem Weg in die zweite Welt.“ Das Teufelchen auf ihrer Schulter lachte dreckig über diesen leisen bittenden Ton in Shanayas Stimme. Die Falle schnappte zu, es konnte nicht mehr lang dauern. Ihr Lächeln wurde wieder einen Hauch breiter. Die Hitze der Karte spiegelte sich auch in Shanayas Augen wieder, ein unmissverständliches Zeichen dafür, was in ihr vorging. Sie brannte dafür. Und auch in ihrer Stimme lag pure Sicherheit. „Und irgendwann werde ich jede Karte dieser Art besitzen.“
Ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihre Worte vollkommen ernst meinte. Sie wusste noch nicht, wo sich die anderen Karten aufhalten sollten – aber das würde sie herausfinden. Und die Sicherheit darüber lag in jedem Wort, in der Haltung der jungen Frau, die den Blick nun nicht wieder von der Verkäuferin abwandte.
[Kartenladen | Talin]