14.04.2022, 09:09
Seit dem Moment, in dem Shanaya den Kartenladen betreten hatte, tanzten unzählige Gedanken durch ihren Kopf und stritten sich um die Vorherrschaft. Bis eben noch hatte sich die junge Frau darüber Gedanken gemacht, wer sie verfolgte. Von unzähligen Möglichkeiten, die in Frage kamen, herrschte eine im Bewusstsein der Schwarzhaarigen vor. Die Begegnungen, sowohl mit Mardoc als auch mit Bláyron, waren eine ganze Weile her. Und trotzdem, oder vielleicht auch deshalb, machte sie diese vermummte Gestalt nervös. Sie hatte sich davon nicht hetzen lassen, zeigte nicht viel von diesem Gefühl nach außen. Aber sie hatte Talin von ihrem Bruder und dem Schläger ihres Vaters erzählt, es war für die Blonde also nicht schwierig, Schlüsse aus der Unruhe ihres Gegenübers zu ziehen.
Das Gefühl, verfolgt zu werden, ebbte zwar etwas ab, als sie den besagten Laden betraten, war jedoch nicht vollkommen vergessen. Vielleicht auch nur etwas unterdrückt, von dem Anblick, der sich den beiden Frauen bot. Diese Ablenkung lag jedenfalls auch in den blauen Augen Shanayas, ein Leuchten, mit dem sie sich zu Talin herum wandte, ein breites Grinsen auf den Lippen. Kurz hatte sie überlegt, in die Tasche zu greifen, um der Blonden ihren Geldbeutel zu reichen. Mit dem Anblick des Ladens änderte sie jedoch ihre Meinung – hier würde sie garantiert einiges an Geld lassen. Schon mit den ersten Schritten, den ersten Blicken in die Regale, war Shanaya klar, dass sie hier sicher nicht nur fünf Minuten verbringen würde.
„Sollte ich in den nächsten Tagen spurlos verschwinden… du weißt, wo ihr mich findet. Wenn nicht, wurde ich von wem auch immer entführt.“
Ein glückliches Lachen galt Talin, mit den letzten Worten huschte ihr heller Blick jedoch noch einmal auf die Straße. Außer ein paar Passanten, die nicht wirklich vermummt waren, weil es viel zu warm war, spielte sich draußen jedoch nichts ungewöhnliches ab.
Mit den unzähligen Regalen, die sich in dem verwinkelten Laden erstreckten, die Schwarzhaarige lockten, nicht wissend, wohin sie zuerst gehen sollte, konnte sie jedoch auch das kleine Chaos in ihrem Kopf verdrängen. Das, was sie seit einer ganzen Weile tat. Es brauchte nur einen Laden voller bezeichnetem Papier, um ihren Verstand ein wenig auszutricksen. Jetzt musste sich Shanaya viel mehr darauf konzentrieren, nicht alles zur Kasse zu schleppen, was sie in die Finger bekam. Immer Mal wieder führte sie ihr Weg zurück zu Talin, in heller Aufregung erzählend, was sie noch alles gefunden hatte.
Bei einem dieser kurzen Besuche, sie wusste nicht, wie lange sie nun schon durch die Gänge und Regale stöberte, fiel der Schwarzhaarigen die Vitrine auf, die in diesem Moment ihre volle Aufmerksamkeit gewann. Beim Betreten des Ladens hatte sie noch einmal über die Schulter zurück geschaut, die Vitrine deshalb wohl nicht bemerkt. Sie wusste gut genug, was Ware in solch einer Vitrine bedeutete, die unter Beobachtung der Besitzerin stand. Ein glühender Blick galt ihrer blonden Begleitung, der Talin schon alles verraten würde.
Mit ruhigen Schritten trat Shanaya näher heran, warf der Verkäuferin einen munteren Blick zu, ehe ihre Augen jede der Karten genau untersuchte.
„Wer hat die Karten gezeichnet?“
Ihre Stimme klang ruhig, die Aufregung ließ sich jedoch nicht heraus streichen. Jedenfalls war es jemand gewesen, der sein Handwerk verstand. Fast so gut, wie ihre eigenen Karten. Noch einmal huschte ihr Blick zu der Frau am Tresen, sie wartete jedoch nicht auf eine Antwort, trat stattdessen noch näher an die Vitrine und inspizierte jede Karte ganz genau.
[Kartenladen | Talin]