Dieses Forum nutzt Cookies
Dieses Forum verwendet Cookies, um deine Login-Informationen zu speichern, wenn du registriert bist, und deinen letzten Besuch, wenn du es nicht bist. Cookies sind kleine Textdokumente, die auf deinem Computer gespeichert sind; Die von diesem Forum gesetzten Cookies düfen nur auf dieser Website verwendet werden und stellen kein Sicherheitsrisiko dar. Cookies auf diesem Forum speichern auch die spezifischen Themen, die du gelesen hast und wann du zum letzten Mal gelesen hast. Bitte bestätige, ob du diese Cookies akzeptierst oder ablehnst.

Ein Cookie wird in deinem Browser unabhängig von der Wahl gespeichert, um zu verhindern, dass dir diese Frage erneut gestellt wird. Du kannst deine Cookie-Einstellungen jederzeit über den Link in der Fußzeile ändern.


They come for You, they come for Me
Crewmitglied der Sphinx
für 60 Gold gesucht
dabei seit Nov 2015
#5
Dem Dunkelhaarigen entwich ein leises Lachen. Ohne ein Wort zu sagen, waf er Shanaya einen Blick zu, der zu sagen schien: ‘Na dann, zeig mal, was du drauf hast, du Löwin.‘ Ein Hauch provozierenden Spotts, aber nicht unfreundlich, fast freundschaftlich. Immerhin war ihr Selbstbewusstsein der Grund, weshalb er sie mochte, und weshalb er mit nichts anderem als so einer Antwort gerechnet hatte. Laut erwiderte er jedoch: „Als ob! Du bringst dein Leben nicht für mich in Gefahr, sondern für dich. Weil du drauf stehst!“ Schalk blitzte in seinen Augen auf, bis Shanayas Züge ernster, weicher wurden und die Belustigung sich auch bei ihm auf ein sachtes Lächeln reduzierte.
Bestätigend nickte er ihr zu, vertraute – erneut – darauf, dass sie auf sich Acht geben würde. Dann rückte Lucien ein Stück zur Seite, damit sie genug Platz hatte, um durch das Fenster zu klettern. Doch er blieb auch nahe genug, um im Fall der Fälle reagieren zu können, sollte sie abrutschen. Als die Schwarzhaarige sich schließlich nur noch am Fensterrahmen festhielt, reichte er ihr die Hand und sie griff zu. Mit den Knien gegen die Zarge gedrückt hielt er ihr Gewicht, beugte sich schließlich so weit wie möglich durch das Fenster nach unten und hielt sich mit der freien Hand am Rahmen fest, bis ihre Beine kaum einen halben Meter über der Galerie baumelten. Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, sie nickte war bereit. Lucien erwiderte die Geste, schmunzelte ob ihres vorfreudigen Lächelns kurz und ließ sie schließlich los.
Shanaya fiel das letzte Stück, kam weich auf dem Boden der Galerie auf. Dennoch wich Lucien sicherheitshalber vom Fenster zurück, für den Fall, dass ein aufmerksamer Wachmann den Blick nach oben wandte. Doch kein ‚wer da?‘ ertönte. Selbst nach den zwei, drei tiefen Atemzügen, die er abwartete. Rasch warf er einen Blick über die Schulter, fand sich aber nach wie vor allein auf dem Dach wieder. Also kehrte seine Aufmerksamkeit ins Innere der Halle zurück. Die tiefgrünen Augen huschten quer durch den Raum, fanden Shanaya schließlich am unteren Ende der Treppe. Die Art, wie sie innehielt, verriet ihm, dass sie etwas entdeckt hatte, und dass sie daraufhin die Schleife ihrer Bluse öffnete, sagte ihm auch, was genau. Er stieß ein leises Schnauben aus. Und kurz darauf sah auch er den Wachmann, der im Schatten einer großen Kiste auftauchte. Stumm beobachtete der Dunkelhaarige, was sich unter ihm abspielte, unterdrückte das ungute Gefühl, das in ihm aufstieg, als beide Gestalten aus seinem Blickfeld verschwanden. Stattdessen warf er erneut einen Blick über die Schulter. Stimmen drangen zu ihm hinauf, ohne dass er hätte sagen können, ob sie von vor der Halle oder aus ihrem Inneren kamen, noch, ob sie sich ihm näherten. Doch das Dach hinter ihm blieb leer und keine Schritte auf losen Ziegeln kündigten Gesellschaft an. Stattdessen bemerkte er, wie innerhalb des Gebäudes eine Gestalt hinter den Kisten hervortrat und sofort erkannte er Shanaya. Sie hielt triumphierend etwas in die Höhe, das er als Schlüsselbund identifizierte und ihm ein zufriedenes Grinsen entlockte.
Bis es hinter ihm leise knackte. Wie Ton, der unter einem großen Gewicht zerbrach. Sofort warf er einen Blick über die Schulter, erahnte auf dem Dach nebenan die Silhouetten zweier Männer. Miteinander ins Gespräch vertieft. Unwillkürlich stieß Lucien die Luft aus, unterdrückte einen Fluch. Also schön, dann sah er eben nicht zu, dass er möglichst leise unten an kam. Dafür blieb ihm keine Zeit. Schlimm genug, dass man das offene Fenster schon von Weitem sehen würde. Wenn sie ihn nicht noch beim Sprung ertappten. Doch der junge Captain dachte nicht länger darüber nach. Er stützte sich mit der Linken auf die Zarge, schwang die Beine durchs Fenster und sprang. Zwei Meter freier Fall stellten sich bei ihm als deutlich geräuschintensiver heraus, als bei Shanaya. Mit einem lauten Rumps landete er auf dem Boden der Galerie, fing seinen Sturz ab, indem er in die Hocke sank und mit einer Hand auf den Holzbohlen sein Gleichgewicht hielt. Doch nur den Bruchteil einer Sekunde lauschte er ob, sich innerhalb der Halle vielleicht noch ein zweiter Wachmann regte – stattdessen durchbrach das nervöse Schnauben eines Pferdes die Stille – dann setzte er sich in Bewegung und folgte Shanayas Weg nach unten. Sein Blick huschte dabei hinauf zu dem offenstehenden Fenster, doch wider Erwarten erschien kein Gesicht in der quadratischen Öffnung. Noch nicht. Er tauchte in die Schatten ab, erschien kurz darauf an Shanayas Seite und durch Galerie und Kisten abgeschirmt. „Oben nähert sich die Ablöse für unseren betrunkenen Sänger. Wo hast du den Wachmann gelassen?“, flüsterte er der Schwarzhaarigen beinahe unhörbar zu. „W...w... wer da?“, rief plötzlich eine zittrige Stimme hinter dem nächsten Stapel Kisten. „Ich... ich warne euch!“ Wovor, behielt derjenige aber für sich. Er klang nicht viel älter als ein Junge und eher hoffnungslos verängstigt, als furchteinflößend.


In der einen Hand das kleine Bund Schlüssel, die andere ruhte zur Sicherheit auf dem Knauf ihres Degens. Ab und zu hörte Shanaya von draußen Stimmen, nach wie vor konnte sie jedoch nicht ausmachen, wo genau und wie viele Personen es waren. Trotzdem blieb sie ruhig stehen, ließ nur den hellen Blick immer wieder schweifen, um niemanden zu verpassen, der sich plötzlich näherte. Noch war es still um sie, nur das dumpfe Geräusch von der Galerie drang zu ihr durch. Lucien folgte ihr, allein weniger auffällig, als es ihr mit seiner Hilfe möglich gewesen war. Automatisch richtete die junge Frau die Augen zu dem Fenster, durch das sie beide diese Halle betreten hatten. Niemand schien ihnen zu folgen, also wandte die Schwarzhaarige ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre direkte Umgebung, lauschte, beobachtete. Das Schnauben des Pferdes zog ihren Blick noch einmal nach draußen. Sie mussten also wirklich eine Kutsche stehlen. Innerlich zuckte Shanaya mit den Schultern. Wie sie schon gesagt hatte, so schwer konnte das nicht sein.
Jetzt trat ihr Captain an ihre Seite, ließ ihren Blick mit seinen Worten noch einmal zu dem aufgebrochenen Fenster richten, ehe sie die Lippen zu einer gespielt deprimierten Miene verzog und lautlos seufzte. „Der wurde dafür bestraft, mir das Gefühl zu geben, meine Brüste wären kaputt!“ Trotz der Entrüstung in ihrer Stimme, sprach sie nicht lauter als Lucien, grinste dann aber und deutete mit einem kurzen Fingerzeig auf die Kisten, hinter denen der Mann lange schlafen würde. Als dann jedoch eine zittrige Stimme erklang, hob Shanaya leicht eine Augenbraue, warf noch einen Blick nach draußen. Noch immer Stimmgewirr, keiner schien jedoch Anstalten zu machen, die Halle zu betreten. Die Schwarzhaarige atmete einmal tief durch, legte dann so viel Unschuld in ihre Stimme wie bei dem Mann zuvor, richtete die blauen Augen kurz auf Luciens, ehe sie direkt in die Halle sprach, dahin, wo sie den Ursprung der Stimme vermutete. Ruhig, laut genug, dass er sie hören würde, leise genug, um nicht von draußen gehört zu werden. „Hab‘ keine Angst, ich bin ganz allein. Ich habe mich verlaufen. Kannst du mir helfen? Ich habe furchtbaren Durst… Ich verspreche auch, dir nichts zu tun, ich habe selber furchtbare Angst vor den Männern da draußen. Weißt du etwas über sie? Ich bin schwer verletzt, ich glaube, wenn sie mich finden… sie würden bestimmt… furchtbare Dinge mit mir anstellen...“ Sie konnte nicht auf Kommando weinen, trotzdem klang ihre Stimme, als wäre genau das der Fall.


Beinahe hätte Lucien gelacht. Es kämpfte sich bereits seine Kehle hinauf, wollte in einem ebenso belustigten, wie anzüglichen Kommentar münden. Doch die zittrige Stimme aus der Halle erstickte es im Keim. Sofort huschten die grünen Augen von der Stelle, in die Shanaya noch kurz zuvor gedeutet hatte, in die Richtung, aus der das dünne Drohen kam. Sie beide schwiegen einen Moment, in dem sich ihre Blicke begegneten, dann wandte sich die Schwarzhaarige mit leiser, aber deutlicher Stimme an denjenigen, der gesprochen hatte. Mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen huschte Lucien um die Kisten herum, an denen sie standen, lehnte sich rücklings gegen das Holz und lauschte. Schritte knirschten auf dem dreckigen Boden, näherten sich der Position der Piratin und der junge Captain spähte um seine Deckung herum. Ein Junge trat in Shanayas Sichtfeld – tatsächlich kaum älter als 16. Er trug die einfache Kleidung der Arbeiter, staubig, mehrfach geflickt, aber immerhin ordentlich. Vor sich hielt er ein Messer, das bestenfalls zum Schmieren von Brot getaugt hätte, umklammerte es mit beiden, zitternden Händen. Erst, als er die Schwarzhaarige sah, ließ er es sinken. Den zweiten Piraten bemerkte er zunächst nicht.
„Du... du... solltest nicht hier sein“, erwiderte er mit deutlicher Angst in der Stimme und warf einen Blick zu dem Tor, vor dem vermutlich der Pferdewagen parkte und von wo das gedämpfte Gespräch zweier Männer zu ihnen zu dringen schien. „Wenn die dich finden... die verstehen keinen Spaß“, wisperte er und richtete seinen Blick wieder auf Shanaya. Offensichtlich in dem Bestreben, ihr zu helfen – das musste er dem Kleinen ja anrechnen. Noch hatte er den Trick nicht durchschaut. Zumindest, bis er die Frau ihm gegenüber im dämmrigen Licht noch einmal musterte und leise nachfragte: „Wo hast du dich denn... Du...“ Er stockte, wirkte zunächst verwirrt, ehe die Erkenntnis in seinem Verstand heranreifte. „Du bist gar nicht verletzt“, stellte er fest. Doch bevor er noch irgendetwas hätte sagen können, verließ Lucien sein Versteck und erschien unmittelbar hinter dem Jungen, legte ihm ohne lange zu zögern einen Arm um die Kehle und die freie Hand auf Mund und Nase, um ihm die Luft abzuschnüren und jedes weitere Geräusch zu unterdrücken. Der Junge ließ das Messer fallen, griff nach seinem Unterarm, um ihn von seiner Kehle zu ziehen und scheiterte kläglich. Fing an, zu strampeln, zu treten, zu kämpfen, doch Lucien hielt ihn mit schraubstockartigem Griff eisern fest.
Es dauerte beinahe eine geschlagene Minute, bis der Widerstand nachließ, bis der Körper des Jungen schließlich erschlaffte und Lucien die Hand von seinem Mund nahm. Dann ließ er ihn zu Boden sinken, lehnte ihn fast vorsichtig gegen die große Holzkiste, hinter der er vor ein paar Minuten noch gestanden hatte, und richtete sich dann wieder auf, um zu Shanaya hinüber zu sehen. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Klappt ja doch noch, das mit den Brüsten.“ Ein unüberhörbares Lachen lag in seiner Stimme, bevor er Richtung Tor nickte und genauso leise fortfuhr: „Kriegst du die da draußen nochmal so abgelenkt, damit ich nachsehen kann, ob das Zeug auf dem Karren unser Kaffee ist?“


Herzschläge später trat auch schon der Besitzer der verängstigten Stimme zu ihr, ein Messer erhoben und sah dabei aus, als könne er damit nicht wirklich etwas anfangen. Shanaya hob langsam die Hände, ließ den hellen Blick auf dem Jungen ruhen. Erst, als er die tödliche Waffe etwas sinken ließ, tat Shanaya es ihm mit den Händen gleich, warf ihm jedoch ein ruhiges Lächeln zu. Sie sollte nicht hier sein, dabei war genau das hier jetzt der Platz, an dem sie sein wollte. Also… oberflächlich gesehen. Etwas, was sie dem Jungen sicher nicht hätte erklären können. „Ich weiß, deswegen musst du mir helfen!“ Dann konnte sie jedoch sehen, wie es in seinem Verstand zu arbeiten begann. Er sah keine direkte Verletzung, enttarnte ihre Lüge – und bezahlte im nächsten Moment für seine Unachtsamkeit. Bevor Shanaya sich irgendeine imaginäre Verletzung ausdenken konnte, trat Lucien hinter den Jungen, ungestört von seinem Strampeln. Er tat Shanaya ja fast Leid, so sehr, dass sie nur schmunzelte und den Blick aufmerksam schweifen ließ. Niemand, der sie bemerkte. Draußen noch immer Stimmgemurmel. Trotzdem wandte sich ihre Aufmerksamkeit erst zu Lucien herum, als er den Jungen gegen eine Kiste lehnte, sein Schmunzeln erwidernd, ehe sie eine theatralische Miene aufsetzte. „Ich sehe es. Alle liegen mir vollkommen atemlos zu Füßen.“ Auch die Schwarzhaarige lachte leise, machte bei Luciens Frage eine wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand.
„Dass du das immernoch fragst!“ Ein kurzer, vielsagender Blick galt dem Dunkelhaarigen, ehe sie ihren Dolch zog. „Geh hinter die Kisten, wenn es so läuft, wie geplant, kriegst du gleich Gäste.“ Kurz noch ruhte ihr Blick auf Lucien, ehe sie mit der Spitze ihres Dolches und einem kurzen Verziehen ihres Gesichtes über die Handfläche ihrer linken Hand fuhr. Nicht tief, nur so, dass ein kleiner Schnitt entstand, in dem sich etwas Blut sammelte. Über so etwas durfte man wirklich nicht lang nachdenken. Shanaya steckte den Dolch wieder weg, zog dafür den Schlüssel und trat zu der Tür, die blutende Hand auf ihre Corsage gelegt. Es brannte, aber… sie hatte wirklich schon schlimmeres ausgehalten. Ein tiefer Atemzug, ehe sie testete, ob der Schlüssel passte. Er ließ sich herum drehen, die Tür öffnete sich mit einem leisen Knacken und Shanaya öffnete sie einen Spalt. Noch ein tiefer Atemzug, ehe sie zurück trat und sich auf eine herzzerreißende, wehklagende Stimme einstellte, die im nächsten Moment erklang. Laut genug, um die Stimmen draußen verstummen zu lassen, jedoch nicht weit getragen zu werden. „HILFE! Ein Dieb, helft mir, er will euch erschießen, ihr müsst ihn fassen! Ich sterbe, ich verblute!“ Mit diesen Worten fiel die Schwarzhaarige auf die Knie, schob ihren Degen nach hinten, damit man ihn nicht direkt erkennen konnte. Nur zwei Herzschläge später wurde die Tür aufgeschmissen, zwei Männer mit gezogenen Klingen stürmten in den Raum. Shanaya hob ihre blutende Hand, streckte sie ihnen entgegen, sodass sie das Blut an ihrer Corsage sehen konnten. „Ich sterbe, bitte… er hat mich verraten, er wollte alles für sich allein… Ihr Beide, BITTE! HILFE!“ Ein wenig sackte die junge Frau in sich zusammen, freute sich diebisch darüber, wie zittrig ihre Stimme klingen konnte und ließ sich doch nicht ablenken.
Die Männer warfen sich ratlose Blicke zu, der etwas Größere nickte in die Richtung eines Einganges in die Halle. Dieser umfasste den Knauf seines Degens fester, bewegte sich mit sicherem Blick vorwärts. Der Zweite blieb bei Shanaya, richtete seinen Degen direkt auf sie, was die junge Frau erzittern ließ. Während sie sich innerlich noch immer selbst feierte. „Er ist direkt zur Tür dort hinten gelaufen, nachdem er mich angegriffen hat! Ihr müsst ihn stoppen!“ Mit großen, blauen Augen blickte sie dem Mann entgegen, der über ihr stand, bereit sie zu verletzen, sie zu töten. Nun legte sie wieder beide Arme um ihren Körper, sackte noch etwas mehr in sich zusammen, wimmerte vor Angst und vor Freude. Dann schwieg sie, um nicht den Moment der Überraschung zu verpassen, wenn Lucien verstand, was ihr Plan war, der Mann auf seiner Höhe war. Eine Sekundenentscheidung, die sie für den Gegner direkt vor sich nutzen musste.


Ob dieses unglaublich flachen Wortspiels warf er der Schwarzhaarigen einen halb gequälten, halb belustigten Blick zu und stieß demonstrativ ein Schnauben aus. Doch er wäre nicht er, wenn diese Art von Humor nicht genau der seine gewesen wäre. Antworten tat er darauf allerdings nicht mehr. Denn seine Gedanken wandten sich bereits dem nächsten Problem zu: Den beiden Männern draußen vor der Tür, die bestenfalls wirklich nur zu zweit waren. Für einige wenige Herzschläge noch folgte Luciens Blick seiner Begleiterin, beobachtete jede Bewegung aufmerksam. Wie sie den Dolch zückte und sich die Handfläche aufschnitt; wie sie die Wunde an ihren Bauch drückte, damit sich der Stoff ihrer Korsage mit Blut vollsog; und wie sie schließlich den Schlüssel hervorzog und sich dem Tor zuwandte. Also schön, dann lockten sie ihre Gegner eben erst in die Halle und räumten sie aus dem Weg, bevor sie nach dem Karren und dessen Fracht sahen. Dann konnten sie immerhin nicht mehr stören. Nur kurz warf der junge Captain einen Blick nach oben zur Decke, suchte das offene Fenster, in dem nach wie vor kein Gesicht erschien. Dann huschte er erneut hinter einem Stapel Kisten in Deckung und zog seinen eigenen Dolch. Bestenfalls würde er nichts anderes brauchen, auch wenn er sich nicht sicher war, wie gut Shanayas Vorhaben funktionierte. Doch die Pistole machte zu viel Lärm und sein Degen war für diese Enge ohnehin zu sperrig. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als die Daumen zu drücken und zu improvisieren.
Mit einem raschen Blick um die Ecke der Kiste sah er, wie die Schwarzhaarige das Tor öffnete, hörte ihre Stimme, die eine bühnenreife Vorstellung lieferte und konnte sich ein weiteres Schmunzeln nicht verkneifen. Vielleicht sollte er Shanaya öfter für diese Art Vorhut benutzen. Das Schauspiel, das sie bot, wäre es in jedem Fall wert. Doch als die Torflügel aufflogen, zuckte Lucien zurück in den Schutz der Kiste, schloss die Hand um den Griff seiner Waffe und verlegte sich aufs Lauschen. Wieder näherten sich Schritte, hielten inne, setzten sich wieder in Bewegung. Er wandte leicht den Kopf, wartete – bis schließlich eine Gestalt auf seiner Höhe erschien, die sich mit umsichtigen Schritten auf das Tor zubewegte, das zum Markt hinausführte, und dabei wachsam jede Deckung ausspähte, hinter der er sich vielleicht verbergen könnte. Und gerade, als der Wächter den Kopf wandte und Lucien entdeckte, reagierte der. Er schnellte nach vorn, packte den Mann am Kragen seines Hemdes und zog ihn mit einem Ruck, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, hinter den Stapel Kisten. Er machte ein halb überraschtes, halb gurgelndes Geräusch, setzte dazu an, den gezückten Degen zu heben, als sich der Dolch des jungen Captains bis zum Heft seitlich in seinen Hals bohrte und Adern und Fleisch durchtrennten. Blut spritzte aus der Wunde, traf ihn im Gesicht und färbte sein Hemd an Kragen, Brust und Ärmel dunkelrot. Dann wurde der Körper in seinem Griff schwer und er ließ ihn langsam zu Boden sacken, zog dabei seine Waffe zurück und hörte über das Rauschen in seinen Ohren den zweiten Wächter nach seinem Kumpanen rufen: „Andrik? Scheiße, wer ist da?“


Bisher lief alles nach Plan, keiner der Männer bedrohte sie ernsthaft. Sie blieben wachsam, aber das sollten sie ruhig sein. Um den einen würde Lucien sich kümmern, bei dem anderen, direkt vor ihr, brauchte sie nur den Moment der Unachtsamkeit, wenn er bemerkte, dass hier etwas nicht so lief, wie es sollte. Alles an ihrem Plan schien zu stimmen. Womit Shanaya jedoch nicht gerechnet hatte, war die Hand des blonden Mannes, die sich grob an ihr Kinn legte, sie dazu brachte, den Oberkörper etwas anzuheben. Er behielt die Waffe im Anschlag, bekam so jede Bewegung der jungen Frau mit. Seine legten sich prüfend auf ihre Corsage, erkannten in diesem Moment, dass sie nicht wirklich verletzt war. Der Hüne machte eine überraschte Miene, wollte seinem Kumpel gerade etwas zu rufen, als Kampfgeräusche hinter Shanaya erklangen. Er rief nach seinem Kollegen – und realisierte zu schnell für Shanaya, dass keine Antwort kam – und etwas gar nicht stimmte. So schnell es ihr möglich war, griff sie nach dem Knauf ihres Degens, der Moment der Überraschung war jedoch nur zwei Herzschläge lang, und bevor die Schwarzhaarige ihre Waffe ziehen konnte, spürte sie einen festen Tritt gegen ihren Brustkorb, der sie nach hinten warf, ihre Welt für einige Sekunden schwarz färbte und ihr die Luft nahm. Benommen schlug die junge Frau auf dem Boden auf, versuchte noch einmal ihren Degen zu ziehen, als der Mann plötzlich über ihr war, auf ihr saß und seine eigene Klinge direkt gegen ihren Hals drückte. Shanayas Umwelt gewann wieder an Schärfe, jagte ihr einen eiskalten Schauer durch jede Faser. Ihr Plan hatte so gut angefangen, hätte der Fremde nur in diesem einen Moment länger zu seinem Kollegen und zu Lucien hinüber geblickt. Sie war nur einen Moment zu langsam gewesen.
Der Blonde war zu schwer, um ihn mit einer Bewegung von sich zu werfen, die Klinge drückte sich fest auf ihre Haut. „Eine falsche Bewegung von einem von euch, und das war es mit dir, auch wenn das wirklich eine schreckliche Verschwendung wäre, so ein hübsches Ding...“ Er wusste nicht, wie viele sich hier versteckten, seine Drohung richtete sich jedoch auch gegen einen einzelnen. Die Worte des Mannes trieben der Schwarzhaarigen Übelkeit in die Magengegend, für einen Moment blieb ihr jedoch nicht mehr, als sich ihrem Schicksal zu ergeben. Nicht einmal den Kopf konnte sie herum drehen, um zu sehen, was mit Lucien und seinem Gegner war, die Antwort bekam sie erst von dem Mann, der sie eisern auf den Boden drückte, dessen freie Hand sich nun auf ihre Schulter legte und von da weiter nach unten glitt. Sofort schlug Shanayas einige Takte schneller, jagte Wut und Übelkeit in jede einzelne Zelle. „Du darfst gehen, dieses süße Engelchen behalte ich aber hier.“ Shanaya schloss aus diesen Worten, dass Lucien noch stand, dass sein Gegner ihn nicht überrumpelt hatte und er hinter der Kiste hervor getreten war. Der Mann ließ die Augen in die Richtung ihres Captains gewandt, ein überlegenes, beinahe geiferndes Grinsen auf den schmalen Lippen. Seine Hand glitt unter die Bluse der Schwarzhaarigen, umfasste ihre Brust mit festem Griff – und allein das kurze Zucken der Schwarzhaarigen brachte ihn dazu, die Klinge noch ein wenig fester gegen ihre Kehle zu drücken, sodass sich ein hauchzarter Rinnsal an Blut bildete. „Schön stillhalten, Püppchen.“ Es war nicht Bláyrons Hand, nicht der Körper ihres Bruders über ihr, trotzdem jagte eine ähnliche Angst durch den Körper der jungen Frau, nahm ihr für einen Moment die Möglichkeit, klar zu denken, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie konnte nicht einmal nutzen, dass der Blonde nicht ein mal den Blick zu ihr wandte, ihren Körper berührte, ohne hin zu sehen.


Es dauerte ein paar Herzschläge, bis Lucien seine Umgebung wieder richtig wahrnahm. Bis ihm der metallische Geruch von Blut in die Nase stieg und er dessen Geschmack auf der Zunge spürte, als er sich flüchtig über die feuchten Tropfen auf seiner Lippe leckte. Und bis er die Geräusche einzuordnen vermochte, die von weiter vorn aus der Halle zu ihm drangen. Ein Körper, der zu Boden ging, ein Kampf auf der staubigen Erde. Dann eine Stimme – die Stimme eines Mannes – der eine Warnung in dem Raum sandte und den jungen Captain schließlich aufmerken ließ. Shanaya. Irgendetwas musste schiefgegangen sein. Er hob ruckartig den Kopf, sah zur Ecke der Kiste, die den Blick auf die beiden anderen Gestalten verbarg. Was jetzt? Er hatte keine Chance, sich von hinten an die beiden heranzuschleichen und den verbliebenen Wächter mit einem Überraschungsangriff auszuschalten – sie hatten nur das Tor zum Pferdekarren hinter sich, keine Kisten, die ihm Deckung boten. Noch dazu wusste er nicht, wie die Situation genau aussah. Doch sein Versteck zu verlassen, konnte ihn um einen entscheidenden Vorteil bringen. Und angreifbar machen. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile überschlug der junge Captain seine Möglichkeiten und kam zu dem Schluss, dass er nicht viel Auswahl hatte. Noch dazu lag etwas in dieser Stimme. Etwas, das ihn unruhig machte, ihm ein ungutes Gefühl gab. Widerwillen. Abscheu.
Also verließ er seine Deckung. Langsam, bedacht. Eine Hand halb erhoben und die Handinnenfläche beschwichtigend nach vorn weisend. Mit der anderen schob er den Dolch zurück in die Scheide an seinem Gürtel. „Du darfst gehen...“, begann der Blonde. Den Rest seiner Worte hörte Lucien nur unterbewusst. Denn das Bild, das sich ihm bot, ließ kalte Wut in den grünen Augen flackern. Sein Blick sank flüchtig nach unten, folgte der Hand des anderen Mannes, die unter Shanayas Bluse glitt, und er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sich seine Kiefermuskeln sichtbar verspannten. Ohne, dass er wirklich darüber nachdachte, zuckte seine Hand zu seiner Pistole. Doch der Blonde erahnte die Bewegung, bevor er sie zu Ende bringen konnte. „Das würde ich an deiner Stelle lassen...“, drohte er, und zog die Klinge am Hals der Schwarzhaarigen ein Stück weiter über ihre Haut. Selbst von dort, wo er stand, erahnte Lucien die rote Linie, die sich nun über ihren Hals zog und er hielt abrupt inne. Ein Brodeln kochte in ihm hoch, ließ das Blut erneut in seinen Ohren rauschen. „Shanaya...“, setzte er an. Wut und Sorge in jeder einzelnen Silbe ihres Namens. Doch wieder stockte er unfreiwillig. Bemerkte etwas, das ihn von der nächsten, wirklich dummen Tat abhielt. Die Bewegung ihrer Hand war nur leicht, kaum wahrnehmbar, aber unmissverständlich. Er musste dieses Brodeln in ihm unter Kontrolle behalten. Nur noch einen Moment. Also kehrten die grünen Augen zu dem Blonden zurück und er zwang ein eisiges Lächeln auf seine Lippen, hob nun auch die zweite Hand halb an, um seine Aufgabe zu signalisieren. „Also schön... du kannst sie haben. Tut mir Leid, kleine Sirene. War nett mit dir.“ Er machte einen halben Schritt zurück, hoffte, dass der Kerl den Köder schluckte. Und dass die Schwarzhaarige so lange durchhielt, bis er wirklich abgelenkt genug war, um nicht zu bemerken, wie Lucien zurückkam.


Shanaya liebte die Gefahr, in manchen Momenten bekam sie nicht genug davon. Doch nicht jetzt, nicht in solch einer Situation. Das, was sonst im Angesicht von Gefahr durch ihren Körper flutete, wurde in diesem Moment von ihrem rasenden Herzen übertönt, ausgelöscht. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen das Zittern ihres Körpers an, musste sich zusammen reißen, um nicht irgendetwas Dummes zu tun. Die Klinge an ihrem Hals schnitt tief genug in ihre Haut, sie musste aufpassen. Lucien konnte sie nur aus den Augenwinkeln erahnen, traute sich nicht, den Kopf zu ihm zu drehen. Der Mann über ihr drohte ihrem Captain, zog die Klinge noch ein wenig fester über ihre Haut. Die Schwarzhaarige hielt die Luft an, unterdrückte einen schmerzhaften Laut, die Tränen, die siedend heiß über ihre Wange rannen, würden ihm genug verraten. Sie glaubte, ihren Namen zu hören, eine Stimme, die ihr Herz nur dazu verlockte, noch schneller zu schlagen, Angst durch jede Faser zu jagen. Der Blonde ließ den Blick noch immer auf Lucien gerichtet, Shanaya nutzte das, angetrieben vom Klang ihres Namens, um tief durch zu atmen, sich wenigstens für den Bruchteil weniger Sekunden zu beruhigen. Wenige Herzschläge, in denen sie klarer denken konnte. In denen ihre Hand, die nicht im Blickfeld des Mannes lag, leicht zu bewegen. Sie hatte eine Idee, die jedoch nur funktionieren würde, wenn Lucien nicht mehr bei ihnen stand. Wenn der Kerl wirklich dachte, dass sie allein waren. Und Lucien verstand, was sie meinte.
Jetzt verstand sie seine Stimme klar und deutlich, wie er sich verabschiedete – und damit einen Kampf in ihrem Inneren auslöste, den sie nicht erwartet hatte. Natürlich, sie hatte ihm das Zeichen geben, zu verschwinden. Und mehr als alles andere wollte die junge Frau in diesem Moment daran glauben, dass er nicht ging. Er war auch bei ihrer Begegnung mit Mardoc nicht gegangen, er war da gewesen, als Bláyron sie allein in einer Gasse zurück gelassen hatte. Und trotz allem konnte sie sich nicht gegen die Angst wehren, dass er wirklich ging. Dass sie allein aus dieser Situation kommen musste. Allein. Vollkommen auf sich allein gestellt. So, wie sie es kannte.
Neue Tränen traten in ihre blauen Augen, selbst wenn… sie musste das Beste aus ihrer Situation machen. Einfach darauf hoffen, dass Lucien nicht ging. Dass er noch hier war. Und dass dieser verdammte Kerl bekommen würde, was er verdiente. Ein weiterer Atemzug, flach genug, um sich nicht weiter gegen die Klinge zu lehnen, ehe Shanaya das erste Mal ihre Stimme wieder fand, jegliche Übelkeit und Abscheu unterdrückend. „Er ist weg...“ Hätte er sich nicht inzwischen auf ihren Körper konzentriert, er hätte vielleicht das Zittern in ihrer Stimme gehört. „Ich kann dir jetzt geben, was du willst.“ Der Mann richtete den Blick nun direkt auf ihre blauen Augen, verwirrt, gleichzeitig angetan von ihrem beinahe verlegenen Lächeln, den Tränen, die sie noch viel unschuldiger aussehen ließen. Und nicht zuletzt von der Hand, die sich in sein Hemd krallte, als er sich zu ihr beugte, mit den Lippen über ein Stück Hals strichen, an dem noch kein Blut war. Alles in ihr wehrte sich, jede Faser war zum Zerreißen gespannt. Das Beste daraus machen. Ihn nur lang genug ablenken. Die Klinge an ihrem Hals war längst gelockert, gab ihr Raum zum Atmen, Platz zum Bewegen. Und so legte sie die Hände an sein Hemd, schob es nach oben, bis sein Kopf vollständig dahinter verborgen lag. Wenn sie nicht allein war, würde Lucien nicht viele Versuche haben. Und Shanaya hoffte, dass dieser eine reichen würde.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: They come for You, they come for Me - von Shanaya Árashi - 20.02.2022, 20:00

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste