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They come for You, they come for Me - Lucien Dravean - 31.05.2021 Lucien kippte sich den letzten Rest Whisky aus seinem Glas die Kehle hinab, stellte das Gefäß lautlos neben die leere Flasche auf den Beistelltisch neben dem Sessel und erhob sich schließlich. Er hatte in dem Salon gewartet, den Medhel ihnen zur Verfügung stellte, und sich ungeduldig schweigend die Zeit mit seinem Whisky vertrieben, bis auch die letzte Nachteule der Crew sich verzogen hatte – wohin auch immer – und die Geräusche des nächtlichen Bordellbetriebs seine Schritte überdeckten. Hatte gewartet, bis er sich einigermaßen sicher sein konnte, dass Talin entweder schlief, oder ausgeflogen war. Er wollte sie nicht mit hinein ziehen. Im Grunde war er sich nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt wissen lassen wollte, was er und Ceallagh in ihrer Freizeit trieben, obwohl er bezweifelte, dass es sie stören würde. War wohl Macht der Gewohnheit. Lucien ließ die Hand zu seinem Degen wandern, tastete kurz nach der beruhigenden Kälte des Metalls bevor er leise zur Tür ging und in den Flur hinaus trat. In seinen Blut rauschte der Alkohol, ließ seine Gedanken seltsam unstet werden und den schmalen Gang leicht schwanken, sodass er kurz innehalten und Luft holen musste, bevor er sich der Treppe ins Erdgeschoss zuwandte. RE: They come for You, they come for Me - Shanaya Árashi - 27.10.2021 Lucien ließ die Hand sinken, als Shanaya sich langsam zurück zog und wieder Abstand zwischen sie brachte. Ein sachtes Lächeln huschte über seine Lippen, zufrieden einerseits über ihre Bereitschaft für ein neues Abenteuer, und andererseits die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihn näher kommen ließ und seine Berührung gestattete. An einem anderen Tag konnte er sich darüber Gedanken machen, wohin das wohl führen mochte. Doch heute Nacht widmete er sich ganz seiner Aufgabe. Die nun ihre gemeinsame Aufgabe war. Vielleicht lenkte es sie beide von der Tatsache ab, dass das Land sie gefangen hielt. Mit ihr wandte Lucien sich dem hölzernen Tor zu, näherte sich der kleineren Tür, die darin eingelassen war und wog gleichzeitig zweifelnd den Kopf von einer Seite zur anderen. „Nicht wirklich. Mehrere Säcke – eine beachtliche Menge, wenn man bedenkt, dass seit Monaten keine Lieferungen mehr aus der Nachbarwelt kommen. Und was die Wachen angeht...“ Er verstummte, als sie die Tür erreichten, hob die Hand und klopfte, bevor sein Blick zu Shanaya zurückkehrte und er deutlich gleichgültiger, als es ihm vermutlich sein sollte, mit den Schultern zuckte und schmunzelte. „Keine Ahnung. Das gilt es jetzt herauszufinden...“ Von innen öffnete jemand die hölzerne Tür, lugte durch den handbreiten Spalt, der dabei entstand und musterte die beiden Neuankömmlinge kritisch. Dann trat er zurück und öffnete ihnen gänzlich, gewehrte einen ersten Blick auf die belebte Häuserflucht dahinter, in der sich Wand an Wand ein Stand an den nächsten reihte. RE: They come for You, they come for Me - Shanaya Árashi - 24.12.2021 „Oder irgendetwas anderes, das für den gleichen Zweck taugt“, ergänzte der Dunkelhaarige mit einem frechen Schmunzeln und sanftem Schalk in den grünen Augen, ehe er sich genau wie Shanaya der Tür zuwandte. Leise und nun wieder auf ihre Aufgabe konzentriert näherte er sich ebenfalls dem Durchgang, bezog auf der anderen Seite des Rahmens Stellung und bedeutete der Schwarzhaarigen mit einem Nicken, die Tür ein Stückchen weiter zu öffnen, damit er einen Blick dahinter werfen konnte. Als sich das Holz mit einem leisen Quietschen nach innen bewegte, offenbarte es einen schmalen Durchgang, der sich nach knapp zwei Schritten zu einem größeren Innenhof öffnete. Mehrere Balkone säumten die Hauswände, dazwischen waren Wäscheleinen gespannt. Eine Treppe auf der rechten Seite führte hinauf auf die Galerie, über die man wohl auch in die Wohnräume gelangte. Der Innenhof selbst war leer, die meisten Fenster dunkel. „Lass uns nachsehen, ob wir von einem der Balkone aufs Dach kommen. Sonst bleibt uns nichts anderes übrig, als in eins der Häuser einzusteigen und die Luke zum Dachboden zu suchen.“ Automatisch senkte Lucien die Stimme, bis nur noch Shanaya ihn würde hören können, während sein Blick wachsam über die Fenster im ersten Stock huschte. Shanaya hob nur kurz den Blick, als Lucien an die andere Seite der Tür trat, richtete die blauen Augen kurz auf ihn. Sein Nicken war unmissverständlich, sodass die junge Frau die Tür ein wenig aufschob, selbst versuchte, irgendetwas zu erkennen. Ihre Augen suchten nach Bewegungen, nach Silhouetten. Aber alles schien still, zumindest vorerst. „Darin sind wir doch auch schon Experten.“ Ein amüsiertes Grinsen galt dem Dunkelhaarigen, ehe sich die junge Frau wieder dem Hof zuwandte und die Tür noch ein Stück weiter aufschob, damit sie beide hindurch passten. Einen Moment hielt Shanaya noch inne, blickte sich aufmerksam um. Gerade wollte sie sich in Bewegung setzen, als sie laute, eilende Schritte vernahm. Sofort trat sie einen halben Meter zurück, konnte jedoch nicht orten, woher das Geräusch gekommen war. Kurz nachdem die Schritte verklungen waren, herrschte wieder Totenstille, die Shanaya mit einem Zucken ihrer Schultern in Luciens Richtung kommentierte. „Sehen wir das als Prüfung, wie gut wir ohne viele Worte zusammen arbeiten können.“ Ihre Stimme war nur ein leises Hauchen, womit sie auf keinen Fall Hall auslösen konnte. Damit setzte sie sich wieder langsam in Bewegung, dabei stets darauf bedacht, ihre Umgebung im Blick zu behalten. Lucien schmunzelte flüchtig in sich hinein. Stimmt. Im Improvisieren waren sie mittlerweile Experten. Unabhängig davon, worum genau es ging. Doch der Dunkelhaarige antwortete nicht mehr, sondern löste den Blick von Shanaya und wandte sich dem Durchgang zu. Dem Bild, das sich ihnen dahinter eröffnete. Beide lauschten sie in die Stille hinein und beinahe zeitgleich setzten sie dazu an, in den Hof hinter der Tür zu schlüpfen, als die eiligen Schritte sie zurück in die Schatten weichen ließen. Lucien lehnte sich gegen die Hauswand außer Sicht, lauschte gebannt. Die Geräusche schienen von oben zu kommen, doch sicher war er sich dabei nicht. Die Gebäude warfen den Schall so unberechenbar zurück, dass er von überall hätte kommen können. Auch ihre Schritte würde man hundertfach verstärkt wahrnehmen, wenn sie sich erst einmal in den Innenhof geschlichen hatten. Shanayas Gedanken schienen eine ähnliche Richtung zu nehmen. Die tiefgrünen Augen huschten wieder zu ihr hinüber, als sie leise das Wort ergriff und mit einem amüsierten Funkeln im Blick nickte Lucien. „Herausforderung angenommen“, flüsterte er ihr leise zu – ohne jeden Zweifel daran, dass sie so genauso gut miteinander harmonierten, wie auch sonst. Noch einmal nickte er, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten. Shanaya voraus und er ihr folgend. Und kurz bevor der Durchgang in den Innenhof mündete, bedeutete er ihr mit einem vielsagenden Blick, sich im Schatten unter der Galerie zu halten, dicht an der Hauswand entlang, bevor er zu der Treppe deutete, die sie nach oben führen würde. Shanayas Grinsen wurde bei der Erwiderung des Mannes noch einmal etwas breiter. Natürlich. Alles andere hätte die junge Frau sehr gewundert. Ohne sich also noch lang hier aufzuhalten, bewegte Shanaya sich an der Wand entlang, möglichst immer unter der Galerie. Sie hörte keine Schritte, keine Stimmen. Trotzdem bemühte die junge Frau sich, möglichst leise voran zu schreiten, um jeglichen anderen Geräusche besser vernehmen zu können. Luciens Deuten kommentierte sie nur mit einem Nicken, folgte diesem Weg und blieb an der ersten Stufe nur kurz stehen, um einen prüfenden Blick umher zu werfen. Noch war es ruhig, aber Shanaya wäre es, auch wenn sie immer bei einem kleinen Chaos dabei war, auch lieber, wenn es dabei blieb. Die Treppe war schnell erklommen, Shanaya warf nicht einen Blick zurück. Sie verließ sich darauf, dass Lucien ihren Rücken deckte. Auch wenn sie zu gern alles im Blick gehabt hätte. Erst, als ihr ein Stuhl auffiel, der zwischen einigen Kartons stand, wog die Schwarzhaarige den Kopf etwas zur Seite. Auf besagtem Stuhl stand eine Schüssel – gefüllt mit… Dingen, die Shanaya eigentlich nicht näher betrachten wollte. Sie hatte zumindest schon zwei Äpfel erkannt. Vielleicht noch anderes Obst… aber… wer wusste schon, ob die nicht abgezählt waren? Ob sie genau das verraten würde, wenn sie sich hier bediente? Shanaya blieb stehen. Betrachtete die Schale. Erst einige Herzschläge später wandte sie den Kopf herum zu Lucien, setzte eine vollkommen wehleidige Miene auf und seufzte tonlos aber schwer, ehe sie sich abwandte. Alles für die Mission. Stattdessen ließ sie noch einmal die blauen Augen schweifen, suchte nach einem Weg weiter nach oben. Wie zwei Schatten setzten sich die beiden Piraten in Bewegung, huschten dicht an dicht im Schutz der Hauswand bis zur Treppe, die hinauf auf die Galerie führte. Sie hatten bereits den halben Innenhof umrundet, als Lucien jedoch noch einmal innehielt und notgedrungen seinen Degen samt Scheide von seinem Gürtel löste. Denn Haken und Leder machten bei jedem Schritt einen ohrenbetäubenden Lärm in der gespenstigen Stille und schrammten viel zu oft gefährlich dicht an einem herumstehenden Blumenkasten oder der Hauswand vorbei. Er hielt sie Waffe also fest in der Rechten, als sie die Treppe erreichten und so leise wie möglich nach oben huschten. Lucien ließ den Blick über die Fenster wandern, die auf die Balkone hinaus wiesen. Doch nirgendwo regte sich etwas. Entsprechend beruhigt wandte er sich wieder seiner Begleiterin zu und bemerkte gerade noch, wie sie eine Schüssel voller Obst ansah und ihm im Anschluss einen derart wehleidigen Blick zuwarf, dass er nur die Brauen heben und halb belustigt, halb ungläubig den Kopf schütteln konnte. Dachte sie etwa gerade schon wieder nur ans Essen? Doch damit hatte Shanaya seine Aufmerksamkeit auch auf etwas gelenkt, das ihnen möglicherweise helfen könnte. Prompt huschte sein Blick zurück zu dem Stuhl und von da aus die Hauswände entlang, bis er eine Stelle fand, an der sich über dieser ersten Etage, auf der sie sich gerade befanden, bereits das Dach anschloss – während der Großteil des Gebäudes auch ein drittes Stockwerk besaß. Es wirkte niedrig genug, um Shanaya mit einer Räuberleiter hinauf zu helfen. Er selbst konnte im Anschluss erst auf den Stuhl klettern und sich dann die Traufe hinauf ziehen. So müsste es gehen. Also schnipste er leise mit den Fingern, um sich die Aufmerksamkeit der Schwarzhaarigen zu sichern, wies dann mit einem Nicken zunächst auf den Stuhl und dann mit der Rechten samt Degen auf die Dachschräge, die sein Ziel war, bevor er auch schon begann, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Als er an das Holzmöbel heran trat, fischte er einen der Äpfel aus der Schüssel und warf ihn seiner Begleiterin beiläufig zu, bevor er sich der Schüssel annahm und sie aus den Boden bugsierte. Luciens Kopfschütteln bemerkte Shanaya nur noch halb aufmerksam, ihr Blick ihre Aufmerksamkeit, waren schon wieder viele Schritte weiter. Das Schnipsen aus der Richtung des Mannes nahm sie dennoch wahr, riss die blauen Augen von den Dächern los und wandte sich zu Lucien herum. Dieser deutete auf den Stuhl – für sie im ersten Moment auf das Obst. Erst beim zweiten Deuten verstand die junge Frau und war einen Moment beinah enttäuscht. Ihr Captain wandte sich dem Stuhl zu und im nächsten Moment hatte Shanaya ihre Mühe damit, den Apfel zu fangen, der ihr herzensgut zugeworfen wurde. Sofort wurde das Grinsen auf den Lippen der Schwarzhaarigen etwas wärmer und sie zwinkerte dem Dunkelhaarigen charmant zu. Der Apfel wanderte trotzdem erst in ihre Tasche, zu der eisernen Kette. Um jetzt stehen zu bleiben und genüsslich etwas zu naschen hatten sie einfach keine Zeit. Während Lucien also die Schüssel auf den Boden stellte, trat Shanaya selbst an den Stuhl heran, fasste an die Lehne und hob ihn an, um ihn zu der Stelle zu tragen, an die Lucien gedeutet hatte. Die blauen Augen huschten kurz zum Innenhof, aber außer ein paar Vögeln war nichts zu sehen. Es war nur die Frage, wie lang das noch dauern sollte. So lautlos wie möglich stellte die Schwarzhaarige den Stuhl an eine passende Stelle, ohne ihn dabei zu verrutschen. Zuerst glitt ihr Blick nach oben, ehe sie sich wieder zu Lucien herum wandte, mit einem einladenden Lächeln auf das Möbelstück deutete. Ein amüsiertes, aber geradezu warmherziges Schmunzeln huschte über seine Lippen, als er ihrem Blick begegnete, während sie sich den Apfel in die Tasche steckte. Als wäre es eine besondere Geste gewesen, dass er ihren geradezu unstillbaren Appetit bediente. Doch dann wandte er sich wieder der Stelle an der Hauswand zu, an der das Dach niedriger stand. Shanaya griff sich bereits den Stuhl und der Dunkelhaarige ging vor, um seinen Degen gegen den rauen Putz zu lehnen, um beide Hände frei zu haben. Seine Begleiterin brachte derweil die improvisierte Leiter in Position und als sie nun einladend auf den Stuhl wies, winkte er sie zunächst zu sich, verschränkte beide Hände ineinander und deutete eine Räuberleiter an, um ihr zu zeigen, dass sie als erstes nach oben klettern sollte und er ihr dabei helfen würde. Das ging schneller, als wenn sie sich nacheinander mittels des Stuhls nach oben hieven würden, denn er konnte zumindest Shanaya mit ein bisschen Schwung bis hinauf befördern. Mit einem beinahe warmen Ausdruck in den blauen Augen betrachtete Shanaya einige Herzschläge lang den Degen, den Lucien an die Wand lehnte. Die Vorfreude kochte noch einmal in ihr auf, ehe sie kurz den Kopf schüttelte und sich wieder auf den Dunkelhaarigen konzentrierte. Als sie zu ihm hinüber trat, setzte die junge Frau ein vornehmes Lächeln auf, deutete einen kleinen Knicks an, ehe sie einen Fuß auf die Hände ihres Captains anhob, sich dann für den ersten Moment an seinen Schultern fest hielt. So dauerte es nicht lang, bis sie die Hände an die Kante des Daches legen konnte, um sich jetzt aus eigener Kraft hinauf zu ziehen. Bevor sich die Schwarzhaarige jedoch umdrehte um zu sehen, ob sie Lucien helfen konnte, prüften die blauen Augen genau die Umgebung. Keine Bewegung, keine Geräusche. Nichts auffälliges, trotzdem blieb die junge Frau in geduckter Haltung, wandte sich dann zu dem Dunkelhaarigen herum. „Alles unauffällig. Hier oben sollten wir einen Moment Ruhe haben.“ Den Blick, mit dem Shanaya den Degen bedachte, bemerkte Lucien nicht. Wohl aber den vornehmen Knicks, den sie ihm widmete, als er sich wieder ihr zuwandte. Ein amüsiertes Schmunzeln huschte über seine Lippen, in den tiefgrünen Augen blitzte warmherziger Schalk auf. Standen ihr gar nicht so schlecht, diese höfischen Etikette. Doch er verfolgte den Gedanken nicht weiter, konzentrierte sich wieder auf ihre Aufgabe und seine Begleiterin, die in diesem Moment einen Fuß in seine verschränkten Hände stellte, sich kurz an seinen Schultern festhielt. Dann drückte er sie nach oben, half ihr hinauf zur Dachkante, bis Shanaya sicheren Halt fand und sich aus eigener Kraft nach oben ziehen konnte. Dann verschwand sie für einen Augenblick aus seinem Blickfeld, nur um Sekunden später wieder aufzutauchen und ihm zu versichern, dass die Luft rein war. Sehr gut. Lucien nahm den Degen von der Wand, bedeutete ihr kurz, die Waffe entgegen zu nehmen, damit er die Hände frei hatte und wandte sich dann dem Stuhl zu. Nach nur wenigen Augenblicken stand er auf der Sitzfläche, überbrückte das letzte Stück bis zum Dach, indem er die Lehne als Stufe nutzte, und zog sich schließlich mit den Armen bis hinauf. Etwas, das definitiv anstrengender war, als es beim bloßen Zusehen wirkte. Leise schnaufend rutschte der Dunkelhaarige von der Kante weg, damit sie vom Innenhof aus nicht mehr zu sehen waren, und erlaubte sich, einen Moment sitzen zu bleiben, bevor er Shanaya einen gut gelaunten Blick von unten zuwarf. „So weit, so gut“, kommentierte er leise und sah sich kurz um. Von hier aus reihte sich ein Dach an das nächste. Nicht unbedingt alle auf gleicher Höhe – es würde also weiterhin eine Kletterpartie werden – aber zumindest auf den ersten Blick ohne größere Zwischenräume, die sie hätten überspringen müssen. „Wir sollten uns nahe am Markt halten, damit wir das richtige Dach finden“, schlug er noch immer mit gedämpfter Stimme vor. Selbstredend sollten sie dabei außer Sicht bleiben, aber bestenfalls kamen sie dann unbehelligt bis zum Lagerhaus. Shanaya nahm die Waffe des Mannes entgegen, rutschte dann ein Stück zurück, um ihrem Captain Platz zu machen. Noch einmal ruhten die blauen Augen auf dem Degen, ein Lächeln, bevor Lucien sich auch auf das Dach gehievt hatte. Der Mann blieb noch einen Moment sitzen und die junge Frau hockte sich neben ihn, seinen Degen zwischen ihren Beinen, die Hände beide auf den Knauf gelehnt. Die blauen Augen folgten dem Blick des Dunkelhaarigen, betrachtete die Umgebung. Hier oben gab es einige verwinkelte Ecken, unterschiedliche Dächer, Verstecke für sie, genau wie für ihre Gegner. Mit einem Nicken und einem vielsagenden Blick in die Richtung des Dunkelhaarigen, wandte Shanaya sich wieder zu Lucien herum, erhob sich, in dem sie sich auf seinen Degen stützte, mit dem sie ihn schließlich auffordernd antippte. „Weißt du, was das Problem an der Sache ist? Adrenalin macht süchtig, das hier wird eine perfekte Endlosschleife sein.“ Eine kurze Pause, ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter. „Und ich liebe es jetzt schon.“ Einen Moment noch ruhten die blauen Augen auf ihrem Gegenüber, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte, den hellen Blick noch immer aufmerksam schweifen lassend, aber nah genug von der Kante weg. Sein Blick folgte ihr, als Shanaya sich erhob und ihn schließlich mit seinem eigenen Degen auffordernd anstubste. Ein Schmunzeln stahl sich auf seine Lippen, während er noch einen Augenblick mit den Unterarmen auf die Knie gestützt sitzen blieb. „Glücklicherweise bin ich gänzlich unempfänglich für jegliche Art von Sucht“, erwiderte er amüsiert – und nicht ohne schalkhafte Ironie in seiner Stimme. Oh nein, er war mindestens genauso abenteuersüchtig, wie es ihn nach einer Flasche Rum verlangte. Oder dem Schoß einer Frau. Bis es ihn irgendwann umbrachte – mal sehen, was davon zu erst. Doch er vertrieb den Gedanken, indem er sich mit der Hand auf die Dachziegel stützte und sich wieder in die Höhe drückte, um ihr im Anschluss seinen Degen abzunehmen. „Also los, holen wir uns unsere Beute.“ Er nickte zu der Häuserschlucht, an deren Boden sich Stand um Stand des Schwarzmarktes reihte und an der entlang sie sich bis zum Lager durchschlagen wollten. „Wenn du irgendjemanden hier oben siehst, gib mir ein Zeichen“, flüsterte er leise und setzte sich wieder in Bewegung. Langsam, um auf dem trügerischen Grund den Halt nicht zu verlieren, und jeden erhöht liegenden Gebäudeteil als Deckung nutzend, steuerte er die Dächer oberhalb des Marktes an, bis er nahe der Kante einen Blick auf das Gedränge darunter erhaschen konnte. Sein Blick wanderte zu den Lagerhäusern, die er Shanaya von unten bereits gezeigt hatte und suchte das entsprechende Dach auf ihrer Höhe. „Das Flachdach dort hinten müsste es sein.“ Mit dem ausgestreckten Arm wies er auf das Gebäude, etwa 20 Meter vor ihnen. Shanaya konnte den Drang, Lucien bei seinen Worten durch die Haare zu streichen, nicht widerstehen. Dabei grinste sie ihm vielsagend entgegen, wog den Kopf dann leicht zur Seite, als sie die Hand wieder zurück zog, setzte eine gespielt theatralische Miene auf. „Dann… muss ich wohl demnächst allein los ziehen, ist schon okay.“ Sie nickte noch einmal, schwer traurig, ehe sich wieder das Lächeln voller Vorfreude auf ihre Lippen legte. Lucien stand auf, bekam als Antwort auf seine Worte ein Nicken zu geworfen. Wie lang war es her, dass Shanaya über Dächer getänzelt war? Sie war nur froh, dass sie frei von Höhenangst war… ansonsten hätte sie sich jetzt vermutlich an Luciens Bein geklammert – mit wenig Chancen auf Erfolg. Sie folgte Lucien, weiterhin darauf bedacht, keine lauten Geräusche zu verursachen. Selbst, wenn sie in diesem Moment niemanden sehen konnte, wer wusste schon, was um die Ecke auf sie wartete. Auch ihr Blick folgte seinem, blieb schließlich an dem Dach hängen, auf das der Dunkelhaarige deutete. Aber etwas anderes zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Leise flüsternd wandte sie sich noch einmal an Lucien. „Hast du den Schatten dort gesehen? Er ist hinter dem schrägen Dach vor der Lagerhalle verschwunden. Er wirkte aber nicht so, als hätte er irgendetwas gesehen.“ Damit glitt ihr Blick noch einmal hinter sie, prüfend. Noch schien ihnen jedoch niemand zu folgen. Noch. Shanaya hob einen Fuß, überbrückte die kleine Stufe, die sie auf das nächste Dach führte, die blauen Augen nun wieder aufmerksam nach vorn gerichtet. Bei diesem Einen würde es vermutlich nicht bleiben, also brauchte sie nun jede Konzentration und Aufmerksamkeit, die sie aufbringen konnte. Umso besser also, dass sie Lucien nicht allein bei dieser Aufgabe gelassen hatte. RE: They come for You, they come for Me - Shanaya Árashi - 06.02.2022 „Nur zu, nur zu. Hauptsache, du bringst Geld mit nach Hause, Weib“, witzelte Lucien noch, bevor er sich mit einem spitzbübischen Schmunzeln auf den Lippen selbst durch die dunklen Haare fuhr, um das angenehme Kribbeln auf seiner Kopfhaut zu vertreiben, das ihre kurze Berührung hinterlassen hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf die Dächer vor ihnen und die Aufgabe, die sie verfolgten. Seinen Degen behielt er weiter in der Hand, verzichtete darauf, ihn an seinem Gürtel zu befestigen. Im Augenblick störte er ihn bei dieser Kletterpartie sonst nur. Mit leisen Schritten bewegte er sich über die Ziegel, ließ den Blick immer wieder aufmerksam zum Markt hinunter wandern, an dem er sich orientierte. Nicht zuletzt prüfte er von hier oben, wie viele Wachen vor dem Lager postiert waren, die sie an einer Flucht hindern konnten. Und vielleicht bekam er deshalb nicht mit, was Shanaya einen Augenblick später zu sehen glaubte. Prompt richtete Lucien seine Aufmerksamkeit auf das Dach, auf das sie deutete. Doch was immer das gewesen war, es war bereits verschwunden. Trotzdem blieb er sicherheitshalber stehen, wandte sich zu seiner Begleiterin um und wisperte: „Ein großer oder ein kleiner Schatten?“ Bestenfalls ein kleiner. Eine Katze, oder soetwas. Denn ein Wachposten hier oben konnte den ganzen Plan zunichte machen, sollten sie es nicht schaffen, ihn leise außer Gefecht zu setzen. In diesem Fall – sollten sie es dann lebend hier raus schaffen – würde er Danté seine verdammte Schmugglerware dorthin schieben, wo die Sonne nie hin schien. Er hatte mir keinem Wort erwähnt, wie schwer dieses Lager bewacht wurde. Auf Luciens Worte hin bekam der Dunkelhaarige einen beleidigten Blick zugeworfen. Sie machte immerhin nicht ihr ganzes Werkzeug kaputt! Wie gut für ihn, dass er bereits stand! So war er nicht mehr ganz so erreichbar für einen vollkommen böse gemeinten Boxhieb. Ihr Captain richtete seine Aufmerksamkeit dann auch auf den Ort, an dem sie den Schatten hatte verschwinden sehen, fragte etwas, was der Schwarzhaarigen nur ein unsicheres Schulterzucken entlockte. Er war zu schnell weg gewesen, um wirklich etwas zu erkennen. Sie wollte gerade zu einer zusätzlichen Antwort ansetzen, als eine leise Stimme, ein Singsang, zu ihnen hinüber wehte. Eine einzige, männliche Stimme. Scheinbar in der Vermutung, hier allein zu sein. Shanaya hob automatisch beide Augenbrauen, richtete den blauen Blick zu Lucien herum. „Wenn das eine Wache sein soll… dann ist das eine verdammt schlechte.“ Vielleicht auch einfach ein Zivilist, der… hier auf den Dächern ein wenig Ruhe wollte? Sich seinem Gesang hingeben? „Meinst du, hier kommen irgendwelche Menschen hoch, die einfach allein sein wollen?“ Skepsis lag auf den Zügen der jungen Frau, während sie sich vorsichtig vorwärts bewegte, eine Hand an dem Knauf ihres Degens. Der Singsang, der eigentlich sogar recht angenehm klang, wurde lauter. „Vielleicht möchte uns auch einfach jemand ein Ständchen bringen?“ Ihre Stimme blieb leise, trotzdem warf sie Lucien ein amüsiertes Lächeln zu. Die Antwort auf seine Frage erhielt der 21-Jährige im ersten Moment nicht von Shanaya, sondern unmittelbar aus den Schatten heraus, in die die Gestalt verschwunden sein musste. Eine einzelne Stimme, ein leiser Singsang, der den Dunkelhaarigen die Stirn runzeln ließ. Im Stillen stimmte er seiner Begleiterin vollkommen zu: Wenn das ein Wachposten war, dann der schlechteste, den er je gesehen – oder in dem Fall gehört hatte. „Oder der gelangweilste“, ergänzte er leise und mit einem deutlichen Hauch Skepsis in der Stimme. Lucien war wieder stehen geblieben, warf der jungen Frau einen Seitenblick zu, als sie sich langsam an ihm vorbei schob und sich auf die fremde Stimme zubewegte. Ihre Worte entlockten ihm ein spöttisches Schmunzeln, doch ihm entging genauso wenig, dass sie die Hand auf ihre Waffe legte und sich bereit machte, denjenigen, wer auch immer dort durch die Dunkelheit schlich, unschädlich zu machen. Noch ohne die eigene Waffe zu ziehen, nickte er ihr kurz zu und bewegte sich dann vorsichtig von ihr fort. Weiter nach rechts, um auf die andere Seite eines breiten Schornsteins zu gelangen, hinter dem er den Verursacher des Singsangs vermutete, und ihn damit in die Zange zu nehmen. Shanaya von links, er von rechts. Shanaya lächelte bei den Worten ihres Captains, nickte jedoch nur zustimmend, antwortete jedoch nicht, da sie sich schon wieder auf ihr Ziel konzentrierte. Lucien nahm den anderen Weg, sodass die Schwarzhaarige nur einen Blick zurück warf und dann vorwärts schlich. Ein Schornstein bot der jungen Frau einen Platz zum verstecken. Eng an den Stein gelehnt, konnte sie einen Blick auf den Mann werfen. An seinem Hosenbund hing ein kleines Bund Schlüssel, er saß mit einer Flasche an einem anderen Schornstein. Nah genug an der Kante um zu fallen. Ohne zu zögern zog Shanaya ihren Degen von ihrem Gürtel und klopfte damit gegen den Schornstein, an dem sie stand. Etwas verzögert reagierte der Mann auf das Geräusch, blickte sich und und rappelte sich etwas wankend auf. "Wer da?" Etwas unfokussiert blickte er in Shanayas Richtung, zu abgelenkt, um Lucien zu bemerken. Als er den Schornstein umrundete, verlor er die Schwarzhaarige aus den Augen, machte sich daraus jedoch wenig. Sie war kein hilfloses, ängstliches kleines Mädchen, das zu wimmern begann, wenn er sich in einer gefährlichen Situation außer Sicht bewegte. Gerade Shanaya – als ob. Eher würde sie es allein mit der Wache aufnehmen, gleichgültig ob ein Mann oder fünf. Doch in diesem Moment vertraute er mit aller Selbstverständlichkeit darauf, dass sie wusste, was ihr Captain bezweckte. Dass sie einen Zangenangriff erkannte, wenn er sich anbot, und entsprechend handelte. Seine Deckung gab schließlich den Blick auf einen einzelnen Mann frei, der mit einer Flasche in der Hand an einem zweiten Schornstein lehnte und dessen leichtes Schwanken gefährlich dicht an der Dachkante darauf hindeutete, wie viel dieser Flasche schon in seinem Wanzt gelandet sein musste. Lucien zögerte, blieb zunächst im Schutz der Schatten und wog ab, was für ihre Zwecke wohl hilfreicher wäre: Ihren Gegner unbemerkt unschädlich zu machen, oder ihn als Ablenkung zu nutzen. So oder so wirkte dieser Schlüsselbund an seinem Gürtel ungemein interessant. Von links erklang ein vernehmliches Klingen, als Metall auf Stein traf. Der Betrunkene wandte sich schwerfällig um, taumelte dabei, doch seine Aufmerksamkeit galt den Schatten ein gutes Stück entfernt von Lucien, sodass der sich mit einem leichten Kopfschütteln unbemerkt wieder in Bewegung setzen konnte. ‚Wer da?‘ Hatte auf diese Frage schon jemals ein Einbrecher geantwortet? ‚Ja, hier, ich‘? Bestimmt. Schnell und so gut wie lautlos huschte der Dunkelhaarige eine Deckung weiter – näher heran an den Wachmann, der einen halben Schritt in Shanayas Richtung machte. Leise bückte er sich, legte den Degen auf die Dachziegel und zog noch im Aufstehen seinen Dolch, während er darauf wartete, dass der Mann noch einen weiteren Schritt vorwärts schwankte. Doch der unebene Boden machte dem Piraten einen Strich durch die Rechnung. Noch bevor er reagieren konnte, trat der Betrunkene ungünstig auf die Kante eines Ziegels, taumelte wie in Zeitlupe zurück, während er mit ungelenk rudernden Armen um sein Gleichgewicht kämpfte. Ein großer Schwung dunkelroten Weines schwappte oben aus dem Flaschenhals, platschte auf die Ziegel, dann trat der Wächter mit einem Fuß ins Leere und kippte rücklings über die Kante des Daches. Für einen Moment spiegelte sich nur verwirrte Überraschung auf seinen Zügen, dann verschwand er aus ihrer beider Blickfeld. Mit einem lauten Rumps schlug der Körper zwei Stockwerke tiefer auf dem Boden auf und eine unheimliche Stille legte sich über den Marktplatz. Dann gellte der Schrei einer jungen Frau zu ihnen hinauf. Lucien verzog das Gesicht. „Verdammt.“ Shanayas Position war nicht besonders vielversprechend für irgendeine Handlung, also wollte sie ihrem Gefährten eine passende Möglichkeit durch Ablenkung bieten. Es funktionierte, der Typ wurde aufmerksam und bewegte sich mit seiner Flasche leicht in ihre Richtung. Shanaya sah Lucien nicht wirklich, was nur dafür sprach, dass er ihrem Plan folgte. Was dann passierte, hätte Shanaya irgendwie erwarten können. Unsinnigerweise machte sie einen Schritt nach vorn, konnte gerade noch den verwirrten Blick des Mannes sehen, ehe sich sein Schicksal besiegelte. Die junge Frau blinzelte, hielt einen Herzschlag inne, ehe sie sich mit vorsichtigen Schritten in Luciens Richtung begegnete. Der Schrei der Frau drang an ihr Ohr, lockte ein amüsiertes Schmunzeln auf die Lippen der Schwarzhaarigen. „Sieh an. Noch eine Möglichkeit für dich, eine Frau zum Schreien zu bringen.“ Sie wirkte durch die ganze Situation nur noch amüsierter, auch wenn da gerade vermutlich eine gute Chance zermatscht auf dem Marktplatz lag. „Pass bloß auf, dass du dem armen Tropf nicht hinterher fällst.“ Ihr Lächeln wurde deutlich wärmer, ernsthaft besorgt, ohne jedoch daran zu glauben, dass Lucien so unaufmerksam war, so nah an die Kante heran zu treten. Kurz blickte die junge Frau zu der Stelle, an der der Mann verschwunden war. „Schade um die Schlüssel, aber wenn hier noch mehr solcher Wachen herum geistern, wird das ein absolutes Kinderspiel.“ Mit einigen, geübten Bewegungen verstaute Shanaya ihren Degen wieder an ihrem Gürtel, ließ die blauen Augen noch kurz lächelnd auf Lucien ruhen, ehe sie sich wieder ihrem Ziel zu wandte, das noch etwas näher gekommen war. Von ihrer Position aus konnte sie nun auch eine Leiter sehen, die zu dem Dach führte, bei dem Lucien ihren Zielort vermutet hatte. Abwartend richtete sie sich also wieder an ihren Captain, bewegte sich langsam in die Richtung des besagten Daches. Immer noch leise murrend griff er nach seinem Degen und dieses mal befestigte er die Waffe wieder an seinem Gürtel, während er aus seiner Deckung trat. Auf seiner linken Seite tauchte auch Shanaya wieder auf und er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Ihre Worte entlockten ihm ein spöttisches Schnauben und in den grünen Augen blitzte der Schalk auf. „So gern ich dieses auch Kompliment annehmen möchte,“ erwiderte er und hob dabei beide Hände in einer Geste der Unschuld an. Wobei er in der Linken noch immer den Dolch hielt, der seinen folgenden Worten einen Hauch ihrer Glaubwürdigkeit nahm. „Dieses Mal war das nicht mein Verdienst.“ Lucien ließ die Arme sinken, sah ein letztes Mal zu der Kante, an der ihr betrunkener Freund verschwunden war, beging jedoch nicht den Fehler, näher heran zu gehen. Zum einen war der Untergrund auch halbwegs nüchtern noch trügerisch, zum anderen würde man ihn von unten sehen können, wenn nur ein Schaulustiger den Blick nach oben wendete. „Hoffen wir, dass sie seinen Tod als Unfall abtun und nicht jeden ihrer versoffenen Schläger in Alarmbereitschaft versetzen. Den Wein hat er ja glücklicherweise mit nach unten genommen – reicht ihnen vielleicht als Beweis.“ Er schob den Dolch zurück in dessen Scheide und sah erneut zu Shanaya hinüber, deren Blick bereits zu dem Dach der Lagerhalle wanderte, die ihr Ziel war. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Wir sollten uns trotzdem beeilen. Wenn sie Ersatz schicken, hätte ich unsere hübschen Hintern gern schon nach unten ins Lager verfrachtet.“ Wie um seine Worte damit zu untermalen, versetzte er der Schwarzhaarigen mit der flachen Hand einen Klaps auf den Hintern, kaum dass sie auf seiner Höhe war und sie sich beide wieder ihrem Ziel zuwandten. Mit einem frechen Grinsen nickte er zu der Leiter und ließ ihr damit den Vortritt. Ein Problem hatte sich von allein erledigt, blieb die Frage, was noch auf sie zu kommen würde. Shanaya machte sich darüber jedoch keine riesigen Gedanken, es war ihr schlicht egal. Lucien Unschuldsbekundung ließ die junge Frau lächeln, ihm einen vielsagenden Blick zuwerfen. Auf seine nächsten Worte hin nickte die junge Frau zustimmend und tat es dem Dunkelhaarigen gleich, warf einen kurzen Blick nach unten. "Ich finde das sehr überzeugend..." was dann folgte, entlockte Shanaya ein breites Grinsen, ehe sie ergeben den Kopf neigte - und kam nächsten Moment einen Klaps auf den Hintern bekam. Er konnte es wirklich nicht lassen. Genau wie sie! "Erst begrabscht du mich und jetzt schickst du mich noch vor, die Aussicht zu genießen..." Wissend ruhten Die Blauen Augen auf Lucien, ohne Umwände legte sie jedoch die Hand an die Sprossen und begann mit dem Aufstieg. Vorsichtig, ohne Eile, streckte sie oben angekommen den Kopf etwas hoch, raunte dann ein leises "Sieht alles frei aus..." Noch ein prüfender Blick, ehe sie sich auf das nächste Dach zog. Weiterhin aufmerksam blieb Shanaya jedoch in der Hocke, achtete auf jede mögliche Bewegung. Mit diesem für ihn so typischen Kleinjungengrinsen erwiderte er ihren wissenden Blick vollkommen ungerührt. „Ganz genau das war meine Absicht“, gab er genauso unverblümt zu und da Shanaya nichtsdestotrotz nach der untersten Sprosse der Leiter griff, wertete Lucien das durchaus als Zustimmung. Während sie ihren entzückenden Körper also nach oben verfrachtete, genoss er den Ausblick auf ihren wohlgeformten Hintern. Und erst, als sie versicherte, dass die Luft rein war, kehrte seine Aufmerksamkeit zu ihrer Aufgabe zurück. „Na dann hoch mit dir.“ Leiser, diesmal, aber noch immer amüsiert, spornte er sie an und als die Schwarzhaarige über die Kante zum nächsten Dach verschwand, griff Lucien ebenfalls nach der Leiter, um ihr zu folgen. Oben angekommen warf er einen kurzen Blick über die Schulter, versicherte sich, dass ihnen niemand folgte. Dann wandte er sich um und verschaffte sich einen Überblick von dem Dach, auf dem sie sich nun befanden. Ein Flachdach, wie erwartet. Nur in der Mitte erhob sich noch ein kleinerer Aufbau, der aus nichts als Fenstern bestand und sich von einem Ende des Gebäudes bis zum anderen erstreckte. Mit einem Nicken wies er hinüber. „Lass uns nachsehen, ob eins der Fenster offen ist. Vielleicht kommen wir irgendwie nach unten, ohne bemerkt zu werden.“ Shanaya lächelte mit einem sachten Schütteln ihres Kopfes über die Worte des Mannes, während sie die Leiter empor kletterte. Was so etwas anging war er einfach zu durchschauen - sie allerdings auch, das war kein Geheimnis. Trotz allem verlor sie nicht ihre Umgebung aus den Augen, ließ den blauen Blick schweifen, bis Lucien neben ihr auftauchte. Seinem Blick folgend, wandte die junge Frau den Kopf zu dem Glasdach. "Himmel, ist das alles aufregend. Ich schlafe heute Nacht entweder gar nicht oder wie ein Stein." Ihre Worte wurden von einem leichten Lachen untermalt, ehe sie sich in Richtung Glasdach aufmachte. An den ersten paar Scheiben ging sie vorbei, warf einen Blick durch die teilweise ziemlich dreckigen Gläser. Irgendetwas erkannte man am Boden der Halle, jedoch nicht, was genau. Mit etwas Abstand zu den Fenstern blieb sie stehen, ließ den Blick schweifen. "Ich sehe kein offenes Fenster... aber die sehen nicht sonderlich stabil gebaut aus." Damit zog die Schwarzhaarige ihren Dolch, trat an ein willkürliche Fenster heran und schob mit ein paar ruckelnden Bewegungen die Klinge in den Spalt, den Blick dann zu ihrem Begleiter wendend. "Wir müssen nur eins finden, bei dem wir gut nach unten kommen..." Shanayas Antwort holte das freche Grinsen zurück auf seine Lippen. „Wenn du nicht schlafen kannst, helfe ich dir gern dabei, dir die Zeit bis zum Morgen zu vertreiben“, antwortete er gelassen. Er konnte schlicht und ergreifend nicht anders. Wenn sie ihm eine solche Vorlage bot, musste er sie einfach nutzen. In diesem Sinne war er wirklich mehr als berechenbar und was das Thema Sex anging auch einfach gestrickt. Sie konnte sich jetzt also selbst zusammenreimen, ob das nur lose dahingesagt oder doch sein voller Ernst gewesen war. Wozu sich auch verstellen? Im Moment jedoch konzentrierte er sich mehr auf ihre Aufgabe, folgte der Schwarzhaarigen deshalb zu den Fenstern und während sie an den ersten vorbei ging und eines suchte, das offen stand, warf er einen Blick durch die trübe Scheibe ins Innere des Gebäudes, um herauszufinden, womit sie es vielleicht zu tun hatten. Irgendwo am Boden erahnte er eine Gestalt, die hinter ein paar großen Schatten – Kisten vermutlich – verschwand, doch das Glas war zu dreckig, um viel mehr zu erkennen. „Dafür müsste man nur irgendetwas da drinnen erkennen können“, antwortete er auf die Idee seiner Begleiterin, die sich bereits mit dem Dolch an einem der Schlösser zu schaffen machte. Er sah nicht zu ihr hinüber, sondern ging vor einem der Fenster in die Hocke, sammelte für einen Moment den Speichel in seinem Mund und spuckte ihn im Anschluss aufs Glas, um mit dem Ärmel seines Hemdes den seit Jahren angesammelten Dreck wegzuwischen. Es entstand ein schlieriges Oval auf der Scheibe, durch das er einen halbwegs ungetrübten Blick nach unten werfen konnte. Das erste, was er sah, war ein gewaltiger Haufen ordentlich aufgestapelter Säcke im hinteren Drittel des Gebäudes. Mehl vielleicht, Getreide... oder eben Kaffee – wobei das bei der Menge eher unwahrscheinlich war. Nach vorn zum Markt führte ein geschlossenes Tor, aber auch auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite führte ein geschlossenes Tor nach draußen. Allerdings versperrten ihm einige große Kistenstapel den direkten Blick auf diesen Teil der Halle. Dafür bemerkte er die Galerie, die auf Höhe der ersten Etage einmal um das gesamte Lager führte. Auf der Marktseite führte sie an der Tür zu einem separaten Raum vorbei, vielleicht eine Art Büro. „Hier gibt es eine Galerie, die wir erreichen können. Die Fenster dort hinten müssten genau darüber liegen.“ Er wies auf die Fenster an der marktabgewandten Gebäudeseite. „Allerdings weiß ich nicht, wie leise wir da runter kommen. Mindestens einen Wachmann hab ich gesehen.“ Das war eine Steilvorlage gewesen, das musste Shanaya zugeben. Vielleicht hatte sie das auch ein wenig beabsichtigt. Ein vielsagenden Lächeln war dem Dunkelhaarigen sicher, genau wie ein Zwinkernin seine Richtung. "Darauf komme ich bestimmt gern zurück." Bis dahin würde jedoch sicher einiges an Zeit verstreichen, immerhin waren sie sich auch da einig - ihre Aufgabe stand gerade über jedweden Gelüsten. Auxh wenn sie das zwischendurch doch etwas schade fand, aber so war es eben. Sie lauschte den Worten des Mannes, reagierte jedoch nicht groß darauf, da er sich schon zum nächsten Fenster aufmachte, sich ein wenig bessere Sicht verschaffte. Als er sich dann wieder an sie wandte, richtete Shanaya den Blick zu ihm, zog ihren Dolch wieder hervor und trat zu ihrem Captain. "Siehst du auch etwas, wie wir wieder raus kommen?" Sie lehnte sich etwas vor, stützte sich mit den Händen auf die Schultern des Mannes und versuchte, an ihm vorbei zu spähen. "Wenn der so ist, wie der eben ..." sie lachte leise, wog den Kopf etwas zur Seite. "Irgendeine Idee?" Ihre Schritte verrieten ihm, dass Shanaya zu ihm kam, kurz bevor sie sich auf seinen Schultern abstützte, um ebenfalls einen Blick durch das Fenster zu erhaschen. Für einen Moment wandte er den Kopf leicht zu ihr herum, warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Schön wär’s, aber ich befürchte, da unten sind sie etwas aufmerksamer.“ Wieder kehrte seine Aufmerksamkeit zu dem Fenster zurück und er deutete durch die Scheibe hindurch wage auf die hintere Gebäudeseite. „Ich glaube, da hinten befindet sich ein ähnliches Tor, wie vorne zum Markt raus. Vermutlich für größere Lieferungen, die man dann nicht quer durch die engen Gassen karren muss. Und bei unserem Glück ist es abgeschlossen und der Kerl, der gerade vom Dach gefallen ist, hatte einen der Schlüssel.“ Ein leises, spöttisches Schnauben folgte diesen Worten, das allerdings alles andere als frustriert, sondern hauptsächlich amüsiert klang. „Vielleicht hat der, der da unten rumläuft, noch einen Schlüssel – oder wir müssen es irgendwie anders aufkriegen. Jedenfalls wäre das am ehesten der Weg, den ich nehmen würde, um zu verschwinden.“ Blieb zu hoffen, dass Danté wenigstens in einem Punkt recht hatte: Sie hatten vor, den Kaffee heute Nacht wegzuschaffen. Und zwar in einem Karren mit einem Gaul vorne dran. Woher auch immer er diese Information hatte. Klang jedenfalls verdächtig nach einem Insider. „Also schön... wie wäre es damit. Ich lasse dich runter auf die Galerie und du schaust nach, ob das Tor nach hinten raus offen ist. Wenn ja, musst du nur noch den Wagen mit dem Kaffee finden und gibst mir ein Zeichen. Dann springe ich runter, stoße zu dir und wir machen uns vom Acker. Meinst du, das kriegst du hin?“ Und unwillkürlich schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen, als er erneut zu Shanaya aufsah. Klang eigentlich einfach. Und ziemlich löchrig. Würde schon schief gehen. Auf Luciens Worte hin schnaufte Shanaya nur leise, zuckte ergeben mit den Schultern, ließ den Blick dann weiter an ihm vorbei zu dem kleinen ‚sauberen‘ Loch im Fenster schweifen. Seinem Deuten folgend hob die Schwarzhaarige eine Augenbraue, nickte dann aber verstehend, musste dann aber auch über ihren betrunkenen, inzwischen wahrscheinlich sehr toten, Freund schmunzeln. „Vielleicht erfreut sich jetzt jemand anderes am Zugang zu einer Schmugglerhalle.“ Shanaya lehnte sich noch ein wenig weiter vor, versuchte noch etwas mehr von der Halle zu erkennen. Lucien äußerte eine Idee und Shanaya lauschte bis zum letzten Wort – für das Lucien nun jedoch mit geballter Faust einen Stoß gegen den Kopf bekam. „Provozier mich nicht, wenn es ganz dumm für dich läuft, habe ich dein Leben in der Hand! Du weißt aber, dass ich erst 17 bin und damit vollkommen schwach und hilflos bin, wenn irgendjemand mich überrascht?“ Ein Lachen schwang in ihrer Stimme mit. „Klingt zumindest, als könnte das klappen. Ansonsten bin ich Meisterin im Improvisieren.“ Damit legte sie kurz die Arme um den Körper des Mannes, legte das Kinn auf seinem Kopf ab und flüsterte ganz leise. „Aber wenn du ganz lieb bist, besorge ich dir natürlich deinen Kaffee.“ Wieder ein warmes Lachen, ehe sie sich wieder voll aufrichtete, kurz die Arme in die Luft reckte. „Dann lass uns loslegen!“ „Oder dieser Jemand steht dort unten vor dem Tor und wartet nur darauf, dass wir uns den Schlüssel abholen, weil er nicht weiß, wofür er sein könnte.“ Ein Grinsen lag in Luciens Stimme, als er kurz durch das halbwegs saubere Oval in der Scheibe zu dem Hallentor auf der Marktseite lugte. Dann warf er erneut einen Blick über die Schulter zu seiner Begleiterin und in den tiefgrünen Augen blitzte der altbekannte Schalk auf. „Oh, also im Gegensatz zu dir da unten bin ich hier oben mehr oder weniger in Sicherheit. Es wird für mich bestimmt leichter, über die Dächer abzuhauen, als für dich, aus der Lagerhalle zu entkommen. Also wer hat hier wessen Leben in der Hand? Und dann bin ich auch noch so ein Unhold und schicke dich armes, hilfloses, kleines Mädchen mitten in die Höhle des Löwen.“ Die Art, wie er seine Tonlage übertrieb und dem Gesagten einen Hauch Melodrama verlieh, sagte schon genug darüber, wie ernst er diese Worte nahm. Wenn nicht, dann tat es sein Nachsatz: „Ich hoffe nur, die da unten denken genauso. Gegner, die dich unterschätzen, lassen sich noch schneller besiegen.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da legte sie die Arme um ihn und den Kinn auf sein Kopf. Lucien ließ es geschehen, schmunzelte halb amüsiert, halb mit sanfter Zuneigung auf den jungen Zügen. „Ich werde mich hinterher angemessen erkenntlich zeigen, kleine Sirene. Du hast mein Wort.“ Damit ließ sie ihn los und er nickte bestätigend, bevor er sich erhob und aufmerksam durch die trüben Scheiben schauend zu dem Fenster hinüber ging, unter dem die Galerie lag. Zog nun seinerseits seinen Dolch und rammte die Klinge in den Schlitz zwischen Zarge und Fensterrahmen, um vorsichtig und so leise wie möglich den Verschluss aufzubrechen. Er knirschte kurz vernehmlich, gab dann ein leises, ungesundes Klicken von sich und ließ sich schließlich öffnen. Lucien zog das Fenster auf, vorsichtig, und ließ den Blick dabei wachsam durch das Innere der Halle schweifen, bevor er zu Shanaya aufsah und sie zu sich winkte. „Kletter durch. Wenn du frei hängst, greifst du nach meiner Hand und ich lasse dich so weit runter, wie ich kann. Den Rest musst du dich fallen lassen. Kann sein, dass das da drinnen jemand hört, also sei vorsichtig, in Ordnung?“ Ein sachtes Lächeln huschte über seine Lippen, dass aber nicht verbarg, wie ernst er seine Bitte meinte. Die Worte ihres Captains brachten Shanaya auch im Nachhinein zum Lächeln, womit sie leicht den Kopf schief legte und ein deutliches Funkeln in ihren Augen erschien. „Sie wissen ja nichts von der wirklichen Löwin, die auf dem Weg zu ihnen ist.“ Beinahe unschuldig zuckte sie mit den Schultern, zwinkerte ihm dann bei seinem Versprechen zu. „Ich hoffe doch. Immerhin bringe ich mein Leben für dich in Gefahr!“ Sie lachte noch einmal, hob in einer Geste, die klar machte, dass sie überdramatisierte, die Hand an ihre Stirn. Lucien machte sich daran, das Fenster aufzuknacken, während Shanaya prüfend den Blick schweifen ließ. Vielleicht hatten sie sie längst bemerkt, und sie war in der Halle doch sicherer als der Dunkelhaarige auf dem Dach? Sie hoffte es nicht, klopfte ihm nur noch einmal auf die Schulter, machte sich dann bereit für eine kleine Kletter und Sturzpartie. „Versprochen.“ Nun hatte ihre Stimme wieder einen sanfteren Ton angenommen und sie machte sich daran, durch das Fenster zu klettern. Jede Bewegung langsam, ein Absturz hätte mehr als schmerzhaft enden können, wenn sie falsch aufkam. Stück für Stück schob sie sich vor, prüfte und umklammerte schließlich, was ihr Halt gab. Ihr Herz schlug mittlerweile in einem schnelleren Takt, der sich auch nicht beruhigte, als sie nach Luciens Händen griff, die sie noch ein Stück weiter nach unten ließen. Als klar war, dass er tiefer nicht kommen würde, nickte Shanaya ihm nur stumm zu, ein euphorisches Lächeln auf den Lippen. Gott, sie lebte für solche Momente. Ihr Captain ließ sie los und sofort stellte sich ein Schalter in ihrem Gehirn um. Jetzt gab es nur noch sie und diese Halle. Mit einem dumpfen Geräusch kam Shanaya auf dem Boden der Galerie auf, duckte sich im nächsten Moment und ließ den blauen Blick durch die Halle schweifen. Einige Sekunden wartete sie, es blieb jedoch alles still. Sie stand auf, lauschte weiter auf die Umgebung und setzte sich in Bewegung, ohne noch einmal zu Lucien zurück zu blicken. Also diese Wachen in dieser Halle waren wirklich… vielleicht waren sie alle betrunken. Die junge Frau erreichte die Treppe, bewegte sich mit ruhigen Schritten nach unten, darauf bedacht, auch hier keine unnötigen Geräusche zu verursachen. Wieder festen Boden unter den Füßen blieb sie kurz stehen, erspähte eine Bewegung hinter einem der Kistenstapel. Nur kurz überlegte die Dunkelhaarige, ehe sie die Schlaufe ihrer Bluse öffnete, um sich dann hinter einem Stapel in ihrer Nähe zu verbergen. Es dauerte nicht lang, bis der Mann hinter den Kisten hervor trat – an seinem Hosenbund zwei zusammen geschnallte Schlüssel. Aber auch, wenn sie noch einige Momente wartete, keine weitere Person tauchte auf und der Mann schien auch keinerlei Anstalten zu machen, mit jemandem zu sprechen. Shanaya atmete tief durch, schloss einige Herzschläge die Augen und trat dann aus ihrem Versteck, den blauen Blick direkt auf den Mann gerichtet, der augenblicklich an seine Hose griff, an der ein Degen baumelte. Sofort hob die Schwarzhaarige eine Hand, legte sich einen Finger über die Lippen und setzte die unschuldigste Miene auf, die sie hervor bringen konnte. „Schhh, bitte, die töten mich doch sofort! Ich… habe mich hierher verlaufen. Ich bin ganz allein und habe schrecklichen Durst… Könntest du mir etwas Wasser besorgen?“ Shanaya machte ganz große, hilflose Augen, spielte an der Kordel ihrer Bluse, drehte sie zwischen den Fingern und ließ den Kopf ein wenig hängen. Der Mann brummte ein leises „Komm mit“ und wandte sich ab. Er schien nicht wirklich begeistert, aber… immerhin hatte er sie nicht sofort verraten. Er trottete davon und Shanaya folgte ihm, die Hand bereits an ihrem Dolch. Er verschwand auf der einen Seite, Shanayas Schritte brachten sie jedoch auf die andere Seite – zu ihrem Glück. Der Mann hatte seinen Degen gezogen, lauerte auf sie und rechnete nicht damit, dass sie auf der anderen Seite auftauchte. Als er sie hinter sich bemerkte, bohrte sich schon die Klinge in seinen Hals, bescherte ihm einen schnellen, lautlosen Tod. Und versteckt, sollte noch eine andere Wache in nächster Zeit hier vorbei kommen. Die Klinge war schnell am Hemd des Mannes abgeputzt, der Schlüssel landete in Shanayas Hand, nachdem die Klinge verstaut war. Nun trat sie, mit zuvor prüfendem Blick hinter den Kisten hervor, reckte die Eroberung in die Luft, um Lucien hiermit schon einmal ein Zeichen zu geben. Nur kurz, dann wandte sie sich wieder einem der Fenster zu, die immerhin etwas sauberer waren als das Dach. Ganz dumpf hörte sie Stimmen, jedoch nicht, wie viele. Die Tür ließ sie erst einmal geschlossen, sie wollte keine schlafenden Hunde wecken. Aus ihrem Winkel konnte die junge Frau jedoch etwas erkennen, was nach einem Karren aussah. Ob ein Tier davor gespannt war… möglicherweise. Noch einmal hob sie also die Hand, winkte in Luciens Richtung. Sie musste so oder so warten, trat also einen halben Schritt zurück, um vielleicht noch etwas mehr sehen zu können. RE: They come for You, they come for Me - Shanaya Árashi - 20.02.2022 Dem Dunkelhaarigen entwich ein leises Lachen. Ohne ein Wort zu sagen, waf er Shanaya einen Blick zu, der zu sagen schien: ‘Na dann, zeig mal, was du drauf hast, du Löwin.‘ Ein Hauch provozierenden Spotts, aber nicht unfreundlich, fast freundschaftlich. Immerhin war ihr Selbstbewusstsein der Grund, weshalb er sie mochte, und weshalb er mit nichts anderem als so einer Antwort gerechnet hatte. Laut erwiderte er jedoch: „Als ob! Du bringst dein Leben nicht für mich in Gefahr, sondern für dich. Weil du drauf stehst!“ Schalk blitzte in seinen Augen auf, bis Shanayas Züge ernster, weicher wurden und die Belustigung sich auch bei ihm auf ein sachtes Lächeln reduzierte. Bestätigend nickte er ihr zu, vertraute – erneut – darauf, dass sie auf sich Acht geben würde. Dann rückte Lucien ein Stück zur Seite, damit sie genug Platz hatte, um durch das Fenster zu klettern. Doch er blieb auch nahe genug, um im Fall der Fälle reagieren zu können, sollte sie abrutschen. Als die Schwarzhaarige sich schließlich nur noch am Fensterrahmen festhielt, reichte er ihr die Hand und sie griff zu. Mit den Knien gegen die Zarge gedrückt hielt er ihr Gewicht, beugte sich schließlich so weit wie möglich durch das Fenster nach unten und hielt sich mit der freien Hand am Rahmen fest, bis ihre Beine kaum einen halben Meter über der Galerie baumelten. Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, sie nickte war bereit. Lucien erwiderte die Geste, schmunzelte ob ihres vorfreudigen Lächelns kurz und ließ sie schließlich los. Shanaya fiel das letzte Stück, kam weich auf dem Boden der Galerie auf. Dennoch wich Lucien sicherheitshalber vom Fenster zurück, für den Fall, dass ein aufmerksamer Wachmann den Blick nach oben wandte. Doch kein ‚wer da?‘ ertönte. Selbst nach den zwei, drei tiefen Atemzügen, die er abwartete. Rasch warf er einen Blick über die Schulter, fand sich aber nach wie vor allein auf dem Dach wieder. Also kehrte seine Aufmerksamkeit ins Innere der Halle zurück. Die tiefgrünen Augen huschten quer durch den Raum, fanden Shanaya schließlich am unteren Ende der Treppe. Die Art, wie sie innehielt, verriet ihm, dass sie etwas entdeckt hatte, und dass sie daraufhin die Schleife ihrer Bluse öffnete, sagte ihm auch, was genau. Er stieß ein leises Schnauben aus. Und kurz darauf sah auch er den Wachmann, der im Schatten einer großen Kiste auftauchte. Stumm beobachtete der Dunkelhaarige, was sich unter ihm abspielte, unterdrückte das ungute Gefühl, das in ihm aufstieg, als beide Gestalten aus seinem Blickfeld verschwanden. Stattdessen warf er erneut einen Blick über die Schulter. Stimmen drangen zu ihm hinauf, ohne dass er hätte sagen können, ob sie von vor der Halle oder aus ihrem Inneren kamen, noch, ob sie sich ihm näherten. Doch das Dach hinter ihm blieb leer und keine Schritte auf losen Ziegeln kündigten Gesellschaft an. Stattdessen bemerkte er, wie innerhalb des Gebäudes eine Gestalt hinter den Kisten hervortrat und sofort erkannte er Shanaya. Sie hielt triumphierend etwas in die Höhe, das er als Schlüsselbund identifizierte und ihm ein zufriedenes Grinsen entlockte. Bis es hinter ihm leise knackte. Wie Ton, der unter einem großen Gewicht zerbrach. Sofort warf er einen Blick über die Schulter, erahnte auf dem Dach nebenan die Silhouetten zweier Männer. Miteinander ins Gespräch vertieft. Unwillkürlich stieß Lucien die Luft aus, unterdrückte einen Fluch. Also schön, dann sah er eben nicht zu, dass er möglichst leise unten an kam. Dafür blieb ihm keine Zeit. Schlimm genug, dass man das offene Fenster schon von Weitem sehen würde. Wenn sie ihn nicht noch beim Sprung ertappten. Doch der junge Captain dachte nicht länger darüber nach. Er stützte sich mit der Linken auf die Zarge, schwang die Beine durchs Fenster und sprang. Zwei Meter freier Fall stellten sich bei ihm als deutlich geräuschintensiver heraus, als bei Shanaya. Mit einem lauten Rumps landete er auf dem Boden der Galerie, fing seinen Sturz ab, indem er in die Hocke sank und mit einer Hand auf den Holzbohlen sein Gleichgewicht hielt. Doch nur den Bruchteil einer Sekunde lauschte er ob, sich innerhalb der Halle vielleicht noch ein zweiter Wachmann regte – stattdessen durchbrach das nervöse Schnauben eines Pferdes die Stille – dann setzte er sich in Bewegung und folgte Shanayas Weg nach unten. Sein Blick huschte dabei hinauf zu dem offenstehenden Fenster, doch wider Erwarten erschien kein Gesicht in der quadratischen Öffnung. Noch nicht. Er tauchte in die Schatten ab, erschien kurz darauf an Shanayas Seite und durch Galerie und Kisten abgeschirmt. „Oben nähert sich die Ablöse für unseren betrunkenen Sänger. Wo hast du den Wachmann gelassen?“, flüsterte er der Schwarzhaarigen beinahe unhörbar zu. „W...w... wer da?“, rief plötzlich eine zittrige Stimme hinter dem nächsten Stapel Kisten. „Ich... ich warne euch!“ Wovor, behielt derjenige aber für sich. Er klang nicht viel älter als ein Junge und eher hoffnungslos verängstigt, als furchteinflößend. In der einen Hand das kleine Bund Schlüssel, die andere ruhte zur Sicherheit auf dem Knauf ihres Degens. Ab und zu hörte Shanaya von draußen Stimmen, nach wie vor konnte sie jedoch nicht ausmachen, wo genau und wie viele Personen es waren. Trotzdem blieb sie ruhig stehen, ließ nur den hellen Blick immer wieder schweifen, um niemanden zu verpassen, der sich plötzlich näherte. Noch war es still um sie, nur das dumpfe Geräusch von der Galerie drang zu ihr durch. Lucien folgte ihr, allein weniger auffällig, als es ihr mit seiner Hilfe möglich gewesen war. Automatisch richtete die junge Frau die Augen zu dem Fenster, durch das sie beide diese Halle betreten hatten. Niemand schien ihnen zu folgen, also wandte die Schwarzhaarige ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre direkte Umgebung, lauschte, beobachtete. Das Schnauben des Pferdes zog ihren Blick noch einmal nach draußen. Sie mussten also wirklich eine Kutsche stehlen. Innerlich zuckte Shanaya mit den Schultern. Wie sie schon gesagt hatte, so schwer konnte das nicht sein. Jetzt trat ihr Captain an ihre Seite, ließ ihren Blick mit seinen Worten noch einmal zu dem aufgebrochenen Fenster richten, ehe sie die Lippen zu einer gespielt deprimierten Miene verzog und lautlos seufzte. „Der wurde dafür bestraft, mir das Gefühl zu geben, meine Brüste wären kaputt!“ Trotz der Entrüstung in ihrer Stimme, sprach sie nicht lauter als Lucien, grinste dann aber und deutete mit einem kurzen Fingerzeig auf die Kisten, hinter denen der Mann lange schlafen würde. Als dann jedoch eine zittrige Stimme erklang, hob Shanaya leicht eine Augenbraue, warf noch einen Blick nach draußen. Noch immer Stimmgewirr, keiner schien jedoch Anstalten zu machen, die Halle zu betreten. Die Schwarzhaarige atmete einmal tief durch, legte dann so viel Unschuld in ihre Stimme wie bei dem Mann zuvor, richtete die blauen Augen kurz auf Luciens, ehe sie direkt in die Halle sprach, dahin, wo sie den Ursprung der Stimme vermutete. Ruhig, laut genug, dass er sie hören würde, leise genug, um nicht von draußen gehört zu werden. „Hab‘ keine Angst, ich bin ganz allein. Ich habe mich verlaufen. Kannst du mir helfen? Ich habe furchtbaren Durst… Ich verspreche auch, dir nichts zu tun, ich habe selber furchtbare Angst vor den Männern da draußen. Weißt du etwas über sie? Ich bin schwer verletzt, ich glaube, wenn sie mich finden… sie würden bestimmt… furchtbare Dinge mit mir anstellen...“ Sie konnte nicht auf Kommando weinen, trotzdem klang ihre Stimme, als wäre genau das der Fall. Beinahe hätte Lucien gelacht. Es kämpfte sich bereits seine Kehle hinauf, wollte in einem ebenso belustigten, wie anzüglichen Kommentar münden. Doch die zittrige Stimme aus der Halle erstickte es im Keim. Sofort huschten die grünen Augen von der Stelle, in die Shanaya noch kurz zuvor gedeutet hatte, in die Richtung, aus der das dünne Drohen kam. Sie beide schwiegen einen Moment, in dem sich ihre Blicke begegneten, dann wandte sich die Schwarzhaarige mit leiser, aber deutlicher Stimme an denjenigen, der gesprochen hatte. Mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen huschte Lucien um die Kisten herum, an denen sie standen, lehnte sich rücklings gegen das Holz und lauschte. Schritte knirschten auf dem dreckigen Boden, näherten sich der Position der Piratin und der junge Captain spähte um seine Deckung herum. Ein Junge trat in Shanayas Sichtfeld – tatsächlich kaum älter als 16. Er trug die einfache Kleidung der Arbeiter, staubig, mehrfach geflickt, aber immerhin ordentlich. Vor sich hielt er ein Messer, das bestenfalls zum Schmieren von Brot getaugt hätte, umklammerte es mit beiden, zitternden Händen. Erst, als er die Schwarzhaarige sah, ließ er es sinken. Den zweiten Piraten bemerkte er zunächst nicht. „Du... du... solltest nicht hier sein“, erwiderte er mit deutlicher Angst in der Stimme und warf einen Blick zu dem Tor, vor dem vermutlich der Pferdewagen parkte und von wo das gedämpfte Gespräch zweier Männer zu ihnen zu dringen schien. „Wenn die dich finden... die verstehen keinen Spaß“, wisperte er und richtete seinen Blick wieder auf Shanaya. Offensichtlich in dem Bestreben, ihr zu helfen – das musste er dem Kleinen ja anrechnen. Noch hatte er den Trick nicht durchschaut. Zumindest, bis er die Frau ihm gegenüber im dämmrigen Licht noch einmal musterte und leise nachfragte: „Wo hast du dich denn... Du...“ Er stockte, wirkte zunächst verwirrt, ehe die Erkenntnis in seinem Verstand heranreifte. „Du bist gar nicht verletzt“, stellte er fest. Doch bevor er noch irgendetwas hätte sagen können, verließ Lucien sein Versteck und erschien unmittelbar hinter dem Jungen, legte ihm ohne lange zu zögern einen Arm um die Kehle und die freie Hand auf Mund und Nase, um ihm die Luft abzuschnüren und jedes weitere Geräusch zu unterdrücken. Der Junge ließ das Messer fallen, griff nach seinem Unterarm, um ihn von seiner Kehle zu ziehen und scheiterte kläglich. Fing an, zu strampeln, zu treten, zu kämpfen, doch Lucien hielt ihn mit schraubstockartigem Griff eisern fest. Es dauerte beinahe eine geschlagene Minute, bis der Widerstand nachließ, bis der Körper des Jungen schließlich erschlaffte und Lucien die Hand von seinem Mund nahm. Dann ließ er ihn zu Boden sinken, lehnte ihn fast vorsichtig gegen die große Holzkiste, hinter der er vor ein paar Minuten noch gestanden hatte, und richtete sich dann wieder auf, um zu Shanaya hinüber zu sehen. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Klappt ja doch noch, das mit den Brüsten.“ Ein unüberhörbares Lachen lag in seiner Stimme, bevor er Richtung Tor nickte und genauso leise fortfuhr: „Kriegst du die da draußen nochmal so abgelenkt, damit ich nachsehen kann, ob das Zeug auf dem Karren unser Kaffee ist?“ Herzschläge später trat auch schon der Besitzer der verängstigten Stimme zu ihr, ein Messer erhoben und sah dabei aus, als könne er damit nicht wirklich etwas anfangen. Shanaya hob langsam die Hände, ließ den hellen Blick auf dem Jungen ruhen. Erst, als er die tödliche Waffe etwas sinken ließ, tat Shanaya es ihm mit den Händen gleich, warf ihm jedoch ein ruhiges Lächeln zu. Sie sollte nicht hier sein, dabei war genau das hier jetzt der Platz, an dem sie sein wollte. Also… oberflächlich gesehen. Etwas, was sie dem Jungen sicher nicht hätte erklären können. „Ich weiß, deswegen musst du mir helfen!“ Dann konnte sie jedoch sehen, wie es in seinem Verstand zu arbeiten begann. Er sah keine direkte Verletzung, enttarnte ihre Lüge – und bezahlte im nächsten Moment für seine Unachtsamkeit. Bevor Shanaya sich irgendeine imaginäre Verletzung ausdenken konnte, trat Lucien hinter den Jungen, ungestört von seinem Strampeln. Er tat Shanaya ja fast Leid, so sehr, dass sie nur schmunzelte und den Blick aufmerksam schweifen ließ. Niemand, der sie bemerkte. Draußen noch immer Stimmgemurmel. Trotzdem wandte sich ihre Aufmerksamkeit erst zu Lucien herum, als er den Jungen gegen eine Kiste lehnte, sein Schmunzeln erwidernd, ehe sie eine theatralische Miene aufsetzte. „Ich sehe es. Alle liegen mir vollkommen atemlos zu Füßen.“ Auch die Schwarzhaarige lachte leise, machte bei Luciens Frage eine wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand. „Dass du das immernoch fragst!“ Ein kurzer, vielsagender Blick galt dem Dunkelhaarigen, ehe sie ihren Dolch zog. „Geh hinter die Kisten, wenn es so läuft, wie geplant, kriegst du gleich Gäste.“ Kurz noch ruhte ihr Blick auf Lucien, ehe sie mit der Spitze ihres Dolches und einem kurzen Verziehen ihres Gesichtes über die Handfläche ihrer linken Hand fuhr. Nicht tief, nur so, dass ein kleiner Schnitt entstand, in dem sich etwas Blut sammelte. Über so etwas durfte man wirklich nicht lang nachdenken. Shanaya steckte den Dolch wieder weg, zog dafür den Schlüssel und trat zu der Tür, die blutende Hand auf ihre Corsage gelegt. Es brannte, aber… sie hatte wirklich schon schlimmeres ausgehalten. Ein tiefer Atemzug, ehe sie testete, ob der Schlüssel passte. Er ließ sich herum drehen, die Tür öffnete sich mit einem leisen Knacken und Shanaya öffnete sie einen Spalt. Noch ein tiefer Atemzug, ehe sie zurück trat und sich auf eine herzzerreißende, wehklagende Stimme einstellte, die im nächsten Moment erklang. Laut genug, um die Stimmen draußen verstummen zu lassen, jedoch nicht weit getragen zu werden. „HILFE! Ein Dieb, helft mir, er will euch erschießen, ihr müsst ihn fassen! Ich sterbe, ich verblute!“ Mit diesen Worten fiel die Schwarzhaarige auf die Knie, schob ihren Degen nach hinten, damit man ihn nicht direkt erkennen konnte. Nur zwei Herzschläge später wurde die Tür aufgeschmissen, zwei Männer mit gezogenen Klingen stürmten in den Raum. Shanaya hob ihre blutende Hand, streckte sie ihnen entgegen, sodass sie das Blut an ihrer Corsage sehen konnten. „Ich sterbe, bitte… er hat mich verraten, er wollte alles für sich allein… Ihr Beide, BITTE! HILFE!“ Ein wenig sackte die junge Frau in sich zusammen, freute sich diebisch darüber, wie zittrig ihre Stimme klingen konnte und ließ sich doch nicht ablenken. Die Männer warfen sich ratlose Blicke zu, der etwas Größere nickte in die Richtung eines Einganges in die Halle. Dieser umfasste den Knauf seines Degens fester, bewegte sich mit sicherem Blick vorwärts. Der Zweite blieb bei Shanaya, richtete seinen Degen direkt auf sie, was die junge Frau erzittern ließ. Während sie sich innerlich noch immer selbst feierte. „Er ist direkt zur Tür dort hinten gelaufen, nachdem er mich angegriffen hat! Ihr müsst ihn stoppen!“ Mit großen, blauen Augen blickte sie dem Mann entgegen, der über ihr stand, bereit sie zu verletzen, sie zu töten. Nun legte sie wieder beide Arme um ihren Körper, sackte noch etwas mehr in sich zusammen, wimmerte vor Angst und vor Freude. Dann schwieg sie, um nicht den Moment der Überraschung zu verpassen, wenn Lucien verstand, was ihr Plan war, der Mann auf seiner Höhe war. Eine Sekundenentscheidung, die sie für den Gegner direkt vor sich nutzen musste. Ob dieses unglaublich flachen Wortspiels warf er der Schwarzhaarigen einen halb gequälten, halb belustigten Blick zu und stieß demonstrativ ein Schnauben aus. Doch er wäre nicht er, wenn diese Art von Humor nicht genau der seine gewesen wäre. Antworten tat er darauf allerdings nicht mehr. Denn seine Gedanken wandten sich bereits dem nächsten Problem zu: Den beiden Männern draußen vor der Tür, die bestenfalls wirklich nur zu zweit waren. Für einige wenige Herzschläge noch folgte Luciens Blick seiner Begleiterin, beobachtete jede Bewegung aufmerksam. Wie sie den Dolch zückte und sich die Handfläche aufschnitt; wie sie die Wunde an ihren Bauch drückte, damit sich der Stoff ihrer Korsage mit Blut vollsog; und wie sie schließlich den Schlüssel hervorzog und sich dem Tor zuwandte. Also schön, dann lockten sie ihre Gegner eben erst in die Halle und räumten sie aus dem Weg, bevor sie nach dem Karren und dessen Fracht sahen. Dann konnten sie immerhin nicht mehr stören. Nur kurz warf der junge Captain einen Blick nach oben zur Decke, suchte das offene Fenster, in dem nach wie vor kein Gesicht erschien. Dann huschte er erneut hinter einem Stapel Kisten in Deckung und zog seinen eigenen Dolch. Bestenfalls würde er nichts anderes brauchen, auch wenn er sich nicht sicher war, wie gut Shanayas Vorhaben funktionierte. Doch die Pistole machte zu viel Lärm und sein Degen war für diese Enge ohnehin zu sperrig. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als die Daumen zu drücken und zu improvisieren. Mit einem raschen Blick um die Ecke der Kiste sah er, wie die Schwarzhaarige das Tor öffnete, hörte ihre Stimme, die eine bühnenreife Vorstellung lieferte und konnte sich ein weiteres Schmunzeln nicht verkneifen. Vielleicht sollte er Shanaya öfter für diese Art Vorhut benutzen. Das Schauspiel, das sie bot, wäre es in jedem Fall wert. Doch als die Torflügel aufflogen, zuckte Lucien zurück in den Schutz der Kiste, schloss die Hand um den Griff seiner Waffe und verlegte sich aufs Lauschen. Wieder näherten sich Schritte, hielten inne, setzten sich wieder in Bewegung. Er wandte leicht den Kopf, wartete – bis schließlich eine Gestalt auf seiner Höhe erschien, die sich mit umsichtigen Schritten auf das Tor zubewegte, das zum Markt hinausführte, und dabei wachsam jede Deckung ausspähte, hinter der er sich vielleicht verbergen könnte. Und gerade, als der Wächter den Kopf wandte und Lucien entdeckte, reagierte der. Er schnellte nach vorn, packte den Mann am Kragen seines Hemdes und zog ihn mit einem Ruck, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, hinter den Stapel Kisten. Er machte ein halb überraschtes, halb gurgelndes Geräusch, setzte dazu an, den gezückten Degen zu heben, als sich der Dolch des jungen Captains bis zum Heft seitlich in seinen Hals bohrte und Adern und Fleisch durchtrennten. Blut spritzte aus der Wunde, traf ihn im Gesicht und färbte sein Hemd an Kragen, Brust und Ärmel dunkelrot. Dann wurde der Körper in seinem Griff schwer und er ließ ihn langsam zu Boden sacken, zog dabei seine Waffe zurück und hörte über das Rauschen in seinen Ohren den zweiten Wächter nach seinem Kumpanen rufen: „Andrik? Scheiße, wer ist da?“ Bisher lief alles nach Plan, keiner der Männer bedrohte sie ernsthaft. Sie blieben wachsam, aber das sollten sie ruhig sein. Um den einen würde Lucien sich kümmern, bei dem anderen, direkt vor ihr, brauchte sie nur den Moment der Unachtsamkeit, wenn er bemerkte, dass hier etwas nicht so lief, wie es sollte. Alles an ihrem Plan schien zu stimmen. Womit Shanaya jedoch nicht gerechnet hatte, war die Hand des blonden Mannes, die sich grob an ihr Kinn legte, sie dazu brachte, den Oberkörper etwas anzuheben. Er behielt die Waffe im Anschlag, bekam so jede Bewegung der jungen Frau mit. Seine legten sich prüfend auf ihre Corsage, erkannten in diesem Moment, dass sie nicht wirklich verletzt war. Der Hüne machte eine überraschte Miene, wollte seinem Kumpel gerade etwas zu rufen, als Kampfgeräusche hinter Shanaya erklangen. Er rief nach seinem Kollegen – und realisierte zu schnell für Shanaya, dass keine Antwort kam – und etwas gar nicht stimmte. So schnell es ihr möglich war, griff sie nach dem Knauf ihres Degens, der Moment der Überraschung war jedoch nur zwei Herzschläge lang, und bevor die Schwarzhaarige ihre Waffe ziehen konnte, spürte sie einen festen Tritt gegen ihren Brustkorb, der sie nach hinten warf, ihre Welt für einige Sekunden schwarz färbte und ihr die Luft nahm. Benommen schlug die junge Frau auf dem Boden auf, versuchte noch einmal ihren Degen zu ziehen, als der Mann plötzlich über ihr war, auf ihr saß und seine eigene Klinge direkt gegen ihren Hals drückte. Shanayas Umwelt gewann wieder an Schärfe, jagte ihr einen eiskalten Schauer durch jede Faser. Ihr Plan hatte so gut angefangen, hätte der Fremde nur in diesem einen Moment länger zu seinem Kollegen und zu Lucien hinüber geblickt. Sie war nur einen Moment zu langsam gewesen. Der Blonde war zu schwer, um ihn mit einer Bewegung von sich zu werfen, die Klinge drückte sich fest auf ihre Haut. „Eine falsche Bewegung von einem von euch, und das war es mit dir, auch wenn das wirklich eine schreckliche Verschwendung wäre, so ein hübsches Ding...“ Er wusste nicht, wie viele sich hier versteckten, seine Drohung richtete sich jedoch auch gegen einen einzelnen. Die Worte des Mannes trieben der Schwarzhaarigen Übelkeit in die Magengegend, für einen Moment blieb ihr jedoch nicht mehr, als sich ihrem Schicksal zu ergeben. Nicht einmal den Kopf konnte sie herum drehen, um zu sehen, was mit Lucien und seinem Gegner war, die Antwort bekam sie erst von dem Mann, der sie eisern auf den Boden drückte, dessen freie Hand sich nun auf ihre Schulter legte und von da weiter nach unten glitt. Sofort schlug Shanayas einige Takte schneller, jagte Wut und Übelkeit in jede einzelne Zelle. „Du darfst gehen, dieses süße Engelchen behalte ich aber hier.“ Shanaya schloss aus diesen Worten, dass Lucien noch stand, dass sein Gegner ihn nicht überrumpelt hatte und er hinter der Kiste hervor getreten war. Der Mann ließ die Augen in die Richtung ihres Captains gewandt, ein überlegenes, beinahe geiferndes Grinsen auf den schmalen Lippen. Seine Hand glitt unter die Bluse der Schwarzhaarigen, umfasste ihre Brust mit festem Griff – und allein das kurze Zucken der Schwarzhaarigen brachte ihn dazu, die Klinge noch ein wenig fester gegen ihre Kehle zu drücken, sodass sich ein hauchzarter Rinnsal an Blut bildete. „Schön stillhalten, Püppchen.“ Es war nicht Bláyrons Hand, nicht der Körper ihres Bruders über ihr, trotzdem jagte eine ähnliche Angst durch den Körper der jungen Frau, nahm ihr für einen Moment die Möglichkeit, klar zu denken, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie konnte nicht einmal nutzen, dass der Blonde nicht ein mal den Blick zu ihr wandte, ihren Körper berührte, ohne hin zu sehen. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis Lucien seine Umgebung wieder richtig wahrnahm. Bis ihm der metallische Geruch von Blut in die Nase stieg und er dessen Geschmack auf der Zunge spürte, als er sich flüchtig über die feuchten Tropfen auf seiner Lippe leckte. Und bis er die Geräusche einzuordnen vermochte, die von weiter vorn aus der Halle zu ihm drangen. Ein Körper, der zu Boden ging, ein Kampf auf der staubigen Erde. Dann eine Stimme – die Stimme eines Mannes – der eine Warnung in dem Raum sandte und den jungen Captain schließlich aufmerken ließ. Shanaya. Irgendetwas musste schiefgegangen sein. Er hob ruckartig den Kopf, sah zur Ecke der Kiste, die den Blick auf die beiden anderen Gestalten verbarg. Was jetzt? Er hatte keine Chance, sich von hinten an die beiden heranzuschleichen und den verbliebenen Wächter mit einem Überraschungsangriff auszuschalten – sie hatten nur das Tor zum Pferdekarren hinter sich, keine Kisten, die ihm Deckung boten. Noch dazu wusste er nicht, wie die Situation genau aussah. Doch sein Versteck zu verlassen, konnte ihn um einen entscheidenden Vorteil bringen. Und angreifbar machen. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile überschlug der junge Captain seine Möglichkeiten und kam zu dem Schluss, dass er nicht viel Auswahl hatte. Noch dazu lag etwas in dieser Stimme. Etwas, das ihn unruhig machte, ihm ein ungutes Gefühl gab. Widerwillen. Abscheu. Also verließ er seine Deckung. Langsam, bedacht. Eine Hand halb erhoben und die Handinnenfläche beschwichtigend nach vorn weisend. Mit der anderen schob er den Dolch zurück in die Scheide an seinem Gürtel. „Du darfst gehen...“, begann der Blonde. Den Rest seiner Worte hörte Lucien nur unterbewusst. Denn das Bild, das sich ihm bot, ließ kalte Wut in den grünen Augen flackern. Sein Blick sank flüchtig nach unten, folgte der Hand des anderen Mannes, die unter Shanayas Bluse glitt, und er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sich seine Kiefermuskeln sichtbar verspannten. Ohne, dass er wirklich darüber nachdachte, zuckte seine Hand zu seiner Pistole. Doch der Blonde erahnte die Bewegung, bevor er sie zu Ende bringen konnte. „Das würde ich an deiner Stelle lassen...“, drohte er, und zog die Klinge am Hals der Schwarzhaarigen ein Stück weiter über ihre Haut. Selbst von dort, wo er stand, erahnte Lucien die rote Linie, die sich nun über ihren Hals zog und er hielt abrupt inne. Ein Brodeln kochte in ihm hoch, ließ das Blut erneut in seinen Ohren rauschen. „Shanaya...“, setzte er an. Wut und Sorge in jeder einzelnen Silbe ihres Namens. Doch wieder stockte er unfreiwillig. Bemerkte etwas, das ihn von der nächsten, wirklich dummen Tat abhielt. Die Bewegung ihrer Hand war nur leicht, kaum wahrnehmbar, aber unmissverständlich. Er musste dieses Brodeln in ihm unter Kontrolle behalten. Nur noch einen Moment. Also kehrten die grünen Augen zu dem Blonden zurück und er zwang ein eisiges Lächeln auf seine Lippen, hob nun auch die zweite Hand halb an, um seine Aufgabe zu signalisieren. „Also schön... du kannst sie haben. Tut mir Leid, kleine Sirene. War nett mit dir.“ Er machte einen halben Schritt zurück, hoffte, dass der Kerl den Köder schluckte. Und dass die Schwarzhaarige so lange durchhielt, bis er wirklich abgelenkt genug war, um nicht zu bemerken, wie Lucien zurückkam. Shanaya liebte die Gefahr, in manchen Momenten bekam sie nicht genug davon. Doch nicht jetzt, nicht in solch einer Situation. Das, was sonst im Angesicht von Gefahr durch ihren Körper flutete, wurde in diesem Moment von ihrem rasenden Herzen übertönt, ausgelöscht. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen das Zittern ihres Körpers an, musste sich zusammen reißen, um nicht irgendetwas Dummes zu tun. Die Klinge an ihrem Hals schnitt tief genug in ihre Haut, sie musste aufpassen. Lucien konnte sie nur aus den Augenwinkeln erahnen, traute sich nicht, den Kopf zu ihm zu drehen. Der Mann über ihr drohte ihrem Captain, zog die Klinge noch ein wenig fester über ihre Haut. Die Schwarzhaarige hielt die Luft an, unterdrückte einen schmerzhaften Laut, die Tränen, die siedend heiß über ihre Wange rannen, würden ihm genug verraten. Sie glaubte, ihren Namen zu hören, eine Stimme, die ihr Herz nur dazu verlockte, noch schneller zu schlagen, Angst durch jede Faser zu jagen. Der Blonde ließ den Blick noch immer auf Lucien gerichtet, Shanaya nutzte das, angetrieben vom Klang ihres Namens, um tief durch zu atmen, sich wenigstens für den Bruchteil weniger Sekunden zu beruhigen. Wenige Herzschläge, in denen sie klarer denken konnte. In denen ihre Hand, die nicht im Blickfeld des Mannes lag, leicht zu bewegen. Sie hatte eine Idee, die jedoch nur funktionieren würde, wenn Lucien nicht mehr bei ihnen stand. Wenn der Kerl wirklich dachte, dass sie allein waren. Und Lucien verstand, was sie meinte. Jetzt verstand sie seine Stimme klar und deutlich, wie er sich verabschiedete – und damit einen Kampf in ihrem Inneren auslöste, den sie nicht erwartet hatte. Natürlich, sie hatte ihm das Zeichen geben, zu verschwinden. Und mehr als alles andere wollte die junge Frau in diesem Moment daran glauben, dass er nicht ging. Er war auch bei ihrer Begegnung mit Mardoc nicht gegangen, er war da gewesen, als Bláyron sie allein in einer Gasse zurück gelassen hatte. Und trotz allem konnte sie sich nicht gegen die Angst wehren, dass er wirklich ging. Dass sie allein aus dieser Situation kommen musste. Allein. Vollkommen auf sich allein gestellt. So, wie sie es kannte. Neue Tränen traten in ihre blauen Augen, selbst wenn… sie musste das Beste aus ihrer Situation machen. Einfach darauf hoffen, dass Lucien nicht ging. Dass er noch hier war. Und dass dieser verdammte Kerl bekommen würde, was er verdiente. Ein weiterer Atemzug, flach genug, um sich nicht weiter gegen die Klinge zu lehnen, ehe Shanaya das erste Mal ihre Stimme wieder fand, jegliche Übelkeit und Abscheu unterdrückend. „Er ist weg...“ Hätte er sich nicht inzwischen auf ihren Körper konzentriert, er hätte vielleicht das Zittern in ihrer Stimme gehört. „Ich kann dir jetzt geben, was du willst.“ Der Mann richtete den Blick nun direkt auf ihre blauen Augen, verwirrt, gleichzeitig angetan von ihrem beinahe verlegenen Lächeln, den Tränen, die sie noch viel unschuldiger aussehen ließen. Und nicht zuletzt von der Hand, die sich in sein Hemd krallte, als er sich zu ihr beugte, mit den Lippen über ein Stück Hals strichen, an dem noch kein Blut war. Alles in ihr wehrte sich, jede Faser war zum Zerreißen gespannt. Das Beste daraus machen. Ihn nur lang genug ablenken. Die Klinge an ihrem Hals war längst gelockert, gab ihr Raum zum Atmen, Platz zum Bewegen. Und so legte sie die Hände an sein Hemd, schob es nach oben, bis sein Kopf vollständig dahinter verborgen lag. Wenn sie nicht allein war, würde Lucien nicht viele Versuche haben. Und Shanaya hoffte, dass dieser eine reichen würde. They come for You, they come for Me - Lucien Dravean - 04.03.2022 Die Worte lagen wie Gift auf seiner Zunge, noch während er sie aussprach. Die tiefgrünen Augen glühten vor unterdrückter Wut. Nein. Nein, er dachte nicht im Traum daran, zu verschwinden. Dachte nicht im Traum daran, sie zurückzulassen. Im Stich zu lassen. Und trotzdem wich Lucien weiter zurück in die Schatten. Weiter zurück, bis zu dem Tor, das auf den Markt führte. Bis die Stapel Kisten den direkten Blick auf ihn verbargen. Doch nach wie vor konnte er sie hören. Leise zwar, entfernt, aber er verstand, was Shanaya sagte. Was sie ihrem Gegner anbot, um ihn abzulenken. In seinem Inneren kämpften Zorn und Übelkeit um die Vorherrschaft. Düstere Schatten griffen nach seinem Verstand. Sie tat, was sie tun musste. Aber er war da, er konnte ihr helfen. Er würde diesem Typen den verdammten Schädel zertrümmern, wenn er nur konnte. Ohne lange darüber nachzudenken, was er tat, zog Lucien seinen Degen und huschte um den Stapel Kisten herum, hinter dem er sich verborgen hatte. Nur für den Fall, dass der Blonde den Blick noch einmal hob, um zu prüfen, ob der junge Captain zurückkam. Oh, er kam zurück. Aber nicht von dort, wo ihn das dämmrige Zwielicht verschluckt hatte, sondern von der Seite. Und kaum erhaschte er erneut einen Blick auf Shanaya und ihren Peiniger, erlosch jeder Funke Vernunft in seinem Handeln. Dass er nicht nach der Pistole griff und den Mann einfach erschoss – und damit jeden Schläger im Umkreis von hundert Metern alarmierte – lag schlicht an der Tatsache, dass er den Degen bereits in der Hand hatte. Und dass es ihm zu schnell gegangen wäre. Noch während Shanaya dem Blonden das Hemd über den Kopf streifte, ihn für diesen kurzen Moment blind machte, erschien Lucien über ihr. Mit der freien Hand packte er den Wächter von hinten an seinem Oberteil, dessen Kragen noch an seinem Hals lag und sich unter der Gewalt, mit der der Dunkelhaarige ihn hochriss, um seine Kehle straffzog. Ein halberstickter Schrei drang aus dem hellen Stoff, der ihm den Atem abschnürte, bevor er in blinder Panik mit seinem Messer durch die Luft fuchtelte. Die Klinge schnitt dem jungen Captain über die Brust, zerteilte den Stoff seines eigenen Hemdes, hinterließ eine lange, blutige Linie auf seiner Haut. Doch er achtete nicht darauf, stieß den binden Mann brutal gegen eine der Kisten und rammte ihm den Degen mit aller Gewalt durch den bloßgelegten Bauch, bis die Spitze der Waffe, von der Wirbelsäule abgelenkt, hinten am Rücken wieder austrat und sich in eine der Holzleisten bohrte. „Schwanz frisst Hirn, was?“, knurrte er leise, kaum hörbar, dicht an dem von Stoff bedeckten Ohr des Mannes, bevor er das Heft des Degens losließ und zurücktrat. Den Mann an die Kiste genagelt und noch immer mit seinem Hemd über dem Gesicht langsam sterben ließ. Dann wandte er sich zu Shanaya um, ging neben ihr in die Hocke und ließ den Blick mit ernsten Zügen über ihr Gesicht huschen, bevor er die Hand hob und sacht an ihre Wange legte. „Alles in Ordnung?“ Die Momente zogen sich dahin, jede Bewegung kam der jungen Frau vor, als würde sie Ewigkeiten dauern. Sekunden kamen ihr wie Stunden vor. Einsame Stunden, in denen sich noch entscheiden würde, was mit ihr geschehen würde. Ob sie hier heraus kam oder den Gelüsten des Blonden zum Opfer fiel. Ekel kochte wie heißes Gift durch Shanayas Körper, alles in ihr stellte sich gegen das, was sie tat. Aber gerade jetzt blieb ihr keine andere Wahl, egal, wie sehr sie sich dagegen sträubte. Trotz der Angst, auf sich allein gestellt zu sein, wartete Shanaya beinahe sehnsüchtig auf einen Schuss, auf sich nähernde Schritte. Der Blonde nuschelte vor sich hin, erzählte von all den schönen Dingen, die er mit ihr vor hatte, sodass Shanaya nur hoffend die blauen Augen schloss. Sie musste nur selbst an eine Waffe kommen, so konnte sie ihn einfach los werden… sie musste nur… In diesem Moment wurde der Mann von ihr weg gerissen, ein überraschter Laut drang über ihre Lippen, ging beinahe in dem Schrei des Blonden unter. Shanaya öffnete sofort die Augen, zuckte zusammen, als der Mann unter dem Hemd mit der Waffe nach Lucien schlug. Sie wollte aufstehen, schaffte es jedoch lediglich, ihren Oberkörper aufzurichten. Sich die Hand, die nicht verletzt war, auf den Hals zu legen, das Blut ein wenig zurück zu halten. Es war nicht viel, trotzdem sorgten beide Verletzungen dafür, dass der Schwarzhaarigen schwummrig war, die Übelkeit tat ihr Übriges. Nur blinzelnd konnte sie den Kopf zu den beiden Männern drehen, gerade, als Lucien dem Fremden den Gnadenstoß gab. Es war absurd, aber ihr Herz schlug deutlich schneller, trieb sanfte, einnehmende Erleichterung durch ihre Adern. Wieder war sie Lucien unendlich dankbar, freute sich umso mehr auf das… kleine Geschenk, das auf ihn wartete. Die blauen Augen blickten einige, stille Sekunden zu dem Mann, der mit einem Degen an die Kiste gebannt war, bis Lucien plötzlich in ihr Blickfeld trat, sie leicht zusammen zucken ließ. Die Hand an ihrer Wange, die sanfte Berührung und seine Worte beruhigten ihrer Körper, trotzdem traten wieder Tränen in ihre Augen. Sie hätte in diesem Moment nichts lieber getan, als sich einen Moment an den Dunkelhaarigen zu schmiegen, um sich zu beruhigen, um einen Herzschlag Schutz zu suchen, in seiner Nähe Kraft zu tanken. Aber etwas hielt sie zurück, ließ sie nur eine Hand heben, die sich locker in sein Hemd krallte. „Du bist verletzt...“ Kurz legten sich die blauen Augen auf den Schnitt auf seiner Brust, ehe sie zurück zu seinen Augen fanden. Unruhe lag in ihrem Blick, ihre Hand schloss sich etwas fester um den Leinenstoff, zitterte dabei nur noch mehr, genau wie ihr ganzer Körper. Mit dem Handrücken der verletzten Hand versuchte Shanaya ihre Wangen zu trocknen, bis neue Tränen ihre Haut benetzten. Seine Züge wurden weicher, verloren die Härte, mit der er sich der beiden Wächter entledigt hatte, als Shanaya die Hand in sein Hemd grub. Langsam, vorsichtig, ließ sich Lucien auf ein Knie sinken, kam der Schwarzhaarigen damit noch ein Stück näher. „Ist nicht schlimm“, versicherte er ihr leise, sah nicht einmal hinab, um den Schnitt zu begutachten, der sich über seine Brust zog. Er brannte, wie Schnitte es nun einmal taten, war aber sonst nicht der Rede wert. Stattdessen begegnete er ihrem Blick, fing die Unruhe darin auf. Die Angst, die ihre himmelblauen Augen trübten. Tränen, die all das hinausschwemmten. Sanft, unendlich zärtlich, strich er mit dem Daumen über die feuchte Spur, die sich über ihre Wange zog, wischte die Tränen damit fort, nur damit gleich darauf neue ihren Platz einnehmen konnten. „Ich bin noch hier, kleine Sirene. Alles ist gut. Er ist tot, er kann dir nichts mehr tun.“ Oder zumindest würde er bald tot sein. Aber das waren Feinheiten, auf die es jetzt nicht ankam. Ohne lange darüber nachzudenken, legte er die freie Hand an ihren Rücken, zog sie näher zu sich heran – bereit, sie jederzeit loszulassen, wenn ihr die Berührung zu viel wurde. Spürte das Zittern nun umso deutlicher, das ihren gesamten Körper erfasst hatte. Wahrscheinlich hatten sie nicht viel Zeit, um sich von dieser Begegnung zu erholen. In ein paar Minuten würde jemand das offene Fenster auf dem Dach oder den herrenlosen Wagen vor der Tür entdecken. Und doch war all das in diesem Moment noch zweitrangig. Alles, woran Lucien dachte, war der Wunsch, sie zu beruhigen und sich um den Schnitt an ihrem Hals zu kümmern. Erst das eine, dann das andere. Er hauchte ihr einen sachten Kuss auf die Schläfe, ließ die Hand, die zuvor noch an ihrer Wange gelegen hatte, vorsichtig durch das rabenschwarze Haar gleiten, bevor er seine Lippen dichter an ihr Ohr brachte. Nur einem Gefühl, einer simplen Intuition folgend. „Es war nicht dein Bruder.“ Für einige Momente fühlte Shanaya sich noch wie fest geschraubt, von einer Angst gelähmt, die viel zu tief in ihr verankert war. Erst, als Lucien zu ihr sprach, realisierte die junge Frau, dass er neben ihr kniete. Noch einmal glitt ihr Blick zu dem Schnitt auf seiner Brust, richtete Die Blauen Augen einen Moment später dann wieder auf seine, noch immer Sorge und Angst in ihrem Blick. Aber sie nickte, versuchte sich vergebens mit einem tiefen Atemzug zu beruhigen. Seine Worte halfen zwar, das Zittern ihres Körpers ebbte jedoch erst ab, als er sie zu sich zog, ihr eine Sicherheit gab, die ihr Herz beruhigte, ihr wie ein Anker Halt gab. Auch das, was sich eben noch in ihr gegen seine Nähe gestemmt hatte, verflog, ließ die Schwarzhaarige die Arme heben und sie um den Körper des Mannes schließen, darauf achtend, sich nicht zu sehr gegen seine Wunde zu lehnen. Nur einen Moment Sicherheit genießen. Auch, wenn sie wusste, dass sie weiter mussten... sie brauchte die Wärme, die Lucien mit seiner Nähe auslöste, um das Gefühl von Ekel herunter schlucken zu können. Ihr Körper beruhigte sich, je enger sie sich an den Dunkelhaarigen schmiegte, die sanfte Berührung in ihrem Haar ließ sie Die Blauen Augen schließen, noch einmal tief durchatmen. Seine leisen Worte sorgten noch einmal für einige Herzschläge, in denen sich ihr Körper angespannte, der Griff in Luciens Hemd fester wurde. Sie fühlte sich beinahe ertappt, schauderte mit dem Bild vor ihren Augen. Aber auch sie löste sich wieder, vertrieben von dem sanft klopfenden, sehenden Herzen. Er war hier. Er ließ sie nicht allein. "Einen Moment lang war ich nicht sicher, ob du zurück kommst." Ein leises Schluchzen kam ihr über die Lippen, mit dem sie versuchte, sich noch ein wenig mehr in Luciens Hemd zu verstecken. Sie wollte ihn nicht los lassen, nur widerwillig löste sie die Umarmung also etwas, ohne groß von ihm zu weichen. Auf ihren Lippen lag jetzt ein unendlich sanftes Lächeln, voller Wärme. Und vor allem Dankbarkeit darüber, dass er nicht gegangen war. Dass er sie wieder einmal nicht allein gelassen hatte und ihr Halt gab, so sie es am meisten brauchte. Irgendwann gewöhnte sie sich hoffentlich daran. "Lass es uns zu Ende bringen." Ihre Stimme nur ein leises Flüstern, ein Schluchzen, mit dem sie sich nun leicht zurück lehnte. Mehr als deutlich, dass sie diese Nähe eigentlich noch nicht aufgeben wollte. Mit einem leisen, tonlosen Seufzen zog er Shanaya fester an sich, kaum dass er spürte, wie sie sich von selbst gegen ihn drückte. Das Zittern in ihren Gliedern ebbte allmählich ab, ließ damit auch ihn und die brodelnde Sorge in ihm ruhiger werden. Er lehnte das Gesicht in ihr Haar, atmete ihren inzwischen schon so vertrauten Duft ein und wartete darauf, dass der Ansturm ihrer Gefühle wieder abklang, während seine Finger immer wieder sanft durch die dunklen Strähnen glitten. Bis Shanaya ihre Stimme wiederfand und ihm mit ihren Worten ein sachtes Schmunzeln entlockte. „Ich habe doch gesagt, dass du jetzt nicht mehr alleine sein musst.“ Widerstandslos, wenn auch etwas unwillig, lockerte er seine Umarmung, ließ der jungen Frau Platz, damit sie sich ein Stück zurücklehnen und zu ihm aufsehen konnte. Strich ihr mit einer sanften Berührung das Haar hinter ihr Ohr und begegnete ihrem Blick. Nahm die Dankbarkeit darin schweigend an und wischte noch einmal mit dem Daumen über ihre tränenfeuchte Wange, bevor er sacht nickte. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden, ehe sie erneut unliebsame Gesellschaft bekamen. Statt jedoch aufzustehen, legte Lucien die Hand an ihre Wange, überbrückte die kurze Entfernung zwischen ihnen und küsste sie. Ruhig, sanft, aber intensiv. So lange er es wagte, bevor der Drang, aufzubrechen, zu stark wurde und er sich vorsichtig von ihr löste. Dennoch viel zu kurz. Und er bedauerte die Unterbrechung sofort. Trotzdem schenkte er ihr ein Lächeln. „Komm, verschwinden wir.“ Langsam stemmte Lucien sich in die Höhe, streckte dann die Hand nach ihr aus, um sie mit sich auf die Beine zu ziehen. Gerade in dem Moment, als eine weitere Stimme das dämmrige Licht in der Halle zerschnitt. „Ihr da! Bleibt, wo ihr seid!“ Der Blick des Dunkelhaarigen schoss in die Höhe, zu dem Fenster, durch das sie ins Innere des Lagers gelangt waren und in dessen Öffnung nun das Gesicht eines weiteren Handlangers erschienen war. Zeit zu gehen. Er griff nach Shanayas Hand und zog sie ohne lange zu zögern in Richtung des hinteren Tores. „Dann hoffen wir mal, so einen Gaul zum Laufen zu bringen, ist wirklich nicht so schwer.“ Shanayas Lächeln blieb, verlor nicht an Wärme, auch wenn sie ein wenig Abstand zwischen sich gebracht hatte. Selbst, wenn alles in ihr sich nach dieser Nähe sehnte, wusste sie, dass sie nicht ewig so hier sitzen konnten. Umso mehr, auch wenn sie bisher Spaß an dieser ganzen Aktion gehabt hatte, wollte sie es jetzt hinter sich bringen und zur Ruhe kommen, ihrer beider Wunden versorgen. Luciens Worte entlockten ihr ein leises, ergebenes Lachen. "Vielleicht gewöhne ich mich irgendwann daran..." Sie hatte einfach viel zu lang jeden Kampf allein bestritten. Luciens Nicken nahm sie im ersten Moment als Zeichen zum Aufbruch, auch wenn sie das sachte Streichen durch ihr Haar gern noch einen Moment länger genossen hätte. So war Shanaya einen Moment lang überrascht, als Lucien sich zu ihr neigte, sie küsste - und ihr damit den letzten Rest an Anspannung nahm. Für einen Moment vergaß Shanaya, in welcher Situation sie sich befanden, konnte ausblenden, dass die Wunde an ihrem Hals jetzt zu Schmerzen begann, wo jegliche Angst von ihr wich. Sie erwiderte nur den Kuss, voller Zuneigung. Dieser Moment hätte noch ewig dauern können, aber als Lucien sich von ihr löste, erwiderte sie sein Lächeln, nickte dann ihrerseits. Es wurde wirklich Zeit, aufzubrechen. Gerade, als sie, mit seiner Hilfe, wieder aufrecht stand und eine Hand unbewusst an ihren Hals legte, erklang von dort, wo sie gekommen waren, eine Stimme. Eindeutig, zu wem sie gehören konnte. Lucien griffen nach ihrer Hand, noch bevor Shanaya den Blick wieder gesenkt hatte, ließ ihr Lächeln damit noch einmal etwas wärmer werden, sie folgte ihm jedoch sofort. Schnell waren sie durch die Tür, aus dem Blickfeld der anderen Wächter. Draußen erwartete sie der Karren, das träge mahnende Pferd, das davor gespannt war. "Sind deine Hände unverletzt?" Mit einem Lächeln hob sie die verletzte Hand, ihre gesunde lag nun wieder an ihrem Hals. Sie glaubte nicht, dass sie so das Pferd führen konnte. Schnell warf sie einen Blick zu den Säcken, die auf dem Karren lagen. Sie hatten alles da, was sie brauchten. Sie konnten aufbrechen. Ihre Antwort ließ ihn flüchtig und doch seltsam abwesend lächeln - auch wenn Shanaya davon vielleicht nichts mehr sah, weil er sich in gerade diesem Moment dem Hallentor zuwandte, und sie mit sanft aber bestimmt mit sich zog. Irgendwann. Irgendwann würde sie sich daran gewöhnen, dass es Menschen gab, denen sie am Herzen lag. Menschen, die an ihrer Seite standen. Und ein Teil von ihm wusste, dass er nur den Grundstein legte, ihr nur zeigte, wie es sich anfühlen konnte. Und dass nicht er es sein würde, bei dem sie letztlich fand, wonach sie suchte. Denn sein Platz war ein anderer. Doch nicht jetzt. Jetzt hatten sie bei Weitem andere Sorgen. Er stieß einen der Torflügel auf, schreckte das träge vor sich hin mahlende Pferd auf, das vor den Karren gespannt war und ließ gleich darauf Shanayas Hand los, um sie anzusehen. Sein Blick huschte auf die Schnittwunde auf ihrer Handinnenfläche und er verstand rasch, worauf sie hinauswollte. Also nickte er nur. „Ich kümmere mich um das Pferd. Steig hinten auf und schau nach, ob in diesen Säcken wirklich Kaffee drin ist. Nicht, dass wir am Ende noch den falschen Wagen klauen.“ Ein amüsiertes Schmunzeln huschte bei diesem Gedanken über seine Lippen. Nach allem, was in den letzten Minuten passiert war, wäre das nun wirklich die Krönung. Besser, sie vermieden diese Art Patzer. Ein Anflug von Nervosität wallte in ihm auf, als er sich dem kräftigen Braunen zuwandte, der ihn mit hocherhobenem Kopf und unruhig spielenden Ohren beobachtete. Die Nüstern waren gebläht, die Augen geweitet und selbst ohne jegliche Erfahrung mit diesen Tieren war Lucien klar, dass es Angst hatte. Gut... damit waren sie schon mal zu zweit. Wer wusste schon, was dieses Biest tun würde, wenn es glaubte, dass er ihm schaden wollte. „Wenn du mich beißt, mach ich Wurst aus dir“, versicherte er dem Vieh, machte dabei einen zögernden Schritt in Richtung seines Kopfes. Dann packte er ohne lange nachzudenken das Zaumzeug. Der Braune scheute. Mit einem Knarren ruckelte der Wagen ein Stück nach vorn. Doch da Lucien das Geschirr am Backenstück gegriffen hatte, kam das Tier nicht weit, schnaubte nur unruhig. Der Blick des Dunkelhaarigen fiel derweil auf die Zügel, folgte ihrem Verlauf über das Selett nach hinten, wo sie auf den Kutschbock führten und dort lose an einer Halterung hingen. Dann wandte er sich an Shanaya und lehnte sich gleichzeitig mit der Schulter gegen die des Pferdes, um das Tier in Richtung der Gasse zu drängen, die vom Lager wegführte. „Wie sieht’s aus?“ Von Luciens Gedanken, von dem abwesenden Lächeln, bekam Shanaya in diesem Moment nichts mit. Ihr Blick glitt zu dem Karren, zu ihrem Fluchtweg und suchte die Umgebung nach fremden Gesichtern ab. Vorerst schienen sie jedoch außer Reichweite zu sein. Luciens Aufforderung entlockte der jungen Frau ein kurzes Nicken, als der Mann sich dem Pferd zu wandte und sie den letzten Schritt zu dem Karren trat. Einige Jutesäcke lagen dort, fest verzurrt. Noch einmal ließ Shanaya den Blick schweifen, ehe sie beide Hände auf das Holz legte und sich daran auf den Karren zog. Schnell hatte sie eins der Bänder durch trennt, das den Sack verschloss- und zum Vorschein kam genau das, was sie suchten. Luciens Stimme ließ sie aufmerken, ein warmes Lächeln auf ihre Lippen treten, das auch in ihrer Stimme lag. "Da hast du deinen Nebenverdienst. Pferdeschlächter." Eine absurde Vorstellung, trotzdem wurde ihr Lächeln noch einen Hauch sanfter, während sie sich erlaubte, ihren Captain für zwei Herzschläge zu beobachten. Erst mit einem Kopfschütteln wandte sie sich schließlich wieder den Säcken zu. Ein wenig versteckt lag ein deutlich kleinerer, direkt neben einer dunklen Flasche. Neugierig zog sie ihn auf, fand einige Karotten, etwas Brot und Äpfel. Lucien erkundigte sich gerade, als Shanayas Hand schon eine der Möhren gegriffen hatte. Sie erhob sich, trat näher zu ihm und biss einmal von dem Gemüse ab, ehe sie es in seine Richtung streckte. Vielleicht wurden die zwei ja so Freunde. Mit diesem Gedanken schmunzelte die Schwarzhaarige, legte wieder eine Hand an ihren Hals. "Genug Kaffee, um Talin ein paar Wochen zu versorgen." Obwohl er dem Dunkelhaarigen nicht wirklich zu trauen schien, bewegte sich der Braune wie von ihm verlangt zur Seite, drehte den Karren dabei mit schabenden Rädern so weit, dass er in Fahrtrichtung die Gasse hinab wies. Gleichzeitig schnaubte Lucien spöttisch. „Ich glaube nicht, dass ich mit Pferdewurst am Ende reich werde.“ Sein Blick kehrte zu der Schwarzhaarigen zurück, die ihm in eben diesem Moment eine angebissene Möhre entgegenhielt. Nur kurz fragte er sich, wie sie jetzt daran denken konnte, ihren Hunger zu stillen, als ihm dämmerte, worauf sie wirklich hinaus wollte – und dass der Bissen, den sie sich gegönnt hatte, wohl nur der günstigen Gelegenheit geschuldet war. Also nahm er die Karotte entgegen, tippte sich damit gegen den imaginären Hut und wandte sich wieder dem Pferd zu, das bereits die Ohren nach vorn gedreht hatte und aus neugierigen Augen zu ihm hinter schielte. Noch immer hielt er das Tier am Zaumzeug fest, doch kaum kam der Leckerbissen nur in die Nähe seines Kopfes, spitzte es bereits die Lippen und drängte gegen seinen Griff, um danach zu angeln. Lucien ließ das Pferd los, streckte ihm zeitgleich die Möhre ins Maul und brachte hastig seine Hände in Sicherheit, bevor er sich der Kutsche zuwandte und sich mit ein paar eiligen Schritten einen Weg hinauf auf den Kutschbock suchte. „Und Talin sollte hiervon besser nichts erfahren“, erinnerte er Shanaya beiläufig. „Ich will das Zeug verkaufen und nicht zusehen, wie sie es austrinkt.“ Er warf ihr einen amüsierten Blick zu und griff nach den Zügeln, löste den lockeren Knoten, der sie zusammenhielt. Auf der anderen Seite der Halle drangen laute Stimmen zu ihnen hinüber, stammten vielleicht sogar bereits aus ihrem Inneren. Es wurde Zeit, zu verschwinden... „Und jetzt? Wie kriegt man das Vieh zum Laufen? Siehst du was zum Draufhauen?“ Shanaya bemerkte nicht einmal bewusst, dass ihre Hand sich wieder auf die Wunde an ihrem Hals gelegt hatte. Sie übte leichten Druck aus, konnte so zumindest etwas von dem pochenden Schmerz lindern. Luciens Kommentar zu der Pferdewurst entlockte der jungen Frau schließlich ein zustimmendes Schnaufen, damit ließ sie das Thema ruhen und schmunzelte über die ‚Ohne-Hut‘ Geste des Mannes. Die kam ihr vertraut vor, wenn auch nicht von Lucien. Ihr Lächeln wurde jedoch noch ein wenig breiter, während sie beobachtete, wie Lucien sich wieder mit dem Pferd und der Möhre beschäftigte. Ihr lag dazu ein Kommentar auf der Zunge, den sie vorerst jedoch herunter schluckte. „Ich schweige wie ein Grab.“ Jetzt huschte ihr Blick kurz zu der Halle, noch erkannte sie jedoch niemanden. „Frag mich nicht, ich will nicht wissen, wie oft ich Ärger bekommen habe, weil ich mich mit den Pferden der Insel beschäftigt habe. Aber…“ Shanaya reckte den Kopf etwas, blickte zu den Füßen des Mannes. „Was ist damit?“ Etwas längliches, schwarzes. Egal, was das war, um dem Pferd einen Klaps zu geben, würde es sicher reichen. Unwillkürlich huschte sein Blick zum Hallentor. Die Stimmen wurden lauter, deutlicher, was ihren Aufbruch umso dringlicher machte. „Na, wahrscheinlich lernt man in deinen Kreisen eher, wie man IN einer Kutsche sitzt, nicht, wie man sie in Bewegung setzt“, erwiderte er mit einem Schmunzeln in der Stimme. „Aber das wäre jetzt wirklich praktisch gewesen.“ Ihr Kopf erschien am Rande seines Blickfelds, was ihn den Kopf wenden und auf ihren Wink hin nach unten sehen ließ. „Hm“, machte er interessiert, beugte sich umständlich nach unten und hob den langen, dünnen Stock auf, der dort lag. Eine schlanke Schnur entrollte sich, als er den Stock aufrichtete, sodass das ganze Ding an eine Angel erinnerte. Wenn das mit dem Draufhauen also nicht funktionierte, banden sie eine Möhre ans Ende und hielten sie dem Pferd einfach vor die Nase. Den Rest erledigte schon die Gier. „Also schön, probieren wir unser Glück. Setz dich lieber hin und halt dich fest.“ Er ließ die Zügel locker, warf dem Braunen noch kurz einen kritischen Blick zu, bevor er die Peitsche fester griff, leicht nach hinten ausholte und die feine Schnur mit ordentlich Schwung auf die breite Kruppe des Pferdes sausen ließ. Es knallte und klatschte gleichzeitig. Das Tier riss mit einem ohrenbetäubenden Wiehern den Kopf in die Luft, machte einen gewaltigen Satz nach vorn und schleuderte die beiden Piraten nach hinten. Unsanft prallte Lucien mit dem Rücken gegen die hölzerne Lehne, die seinen Fall jedoch bremste und ihn stützte, als das Pferd aus dem Stand in einen panischen Galopp fiel und die Gasse hinunter preschte. Shanaya hätte jetzt zu gern dazu passend einen höfischen Knicks gemacht, um die Worte des Mannes zu untermalen, gab aber nur erneut ein zustimmendes Geräusch von sich. Lucien fand etwas, das nach einer Peitsche aussah und Shanaya hob mit einem amüsierten Schmunzeln eine Augenbraue. Sie streckte die Hand aus, klopfte dem Dunkelhaarigen auf die Schulter. „Ich glaub an dich!“ Die Schwarzhaarige lachte, tat dann wie geheißen und ließ sich auf den Säcken nieder. Dabei erkannte sie noch ein zusammen gelegtes Tuch zwischen die Säcke gequetscht, als auch schon ein Ruck durch den Karren ging. Sofort spannte sich Shanayas Griff um die Holzsprossen zu ihrer Seite fester, auch wenn der Ruck einmal Schmerz durch ihren Körper, den Hals und die Hände zucken ließ. „Nur so rein theoretisch… weißt du, wie du den Gaul wieder zum Stillstand bekommst?“ Shanaya hilft sich fest, rief gegen den Fahrlärm an und warf einen Blick zurück, wo gerade eine Schar Männer auf den Hof gelaufen kamen, den sie gerade verlassen hatten. „Oder zumindest, wie du es lenkst, damit wir nicht vor die nächste Wand krachen? Die sind nicht sehr begeistert da hinten!“ Für einen kurzen Augenblick hörte und sah Lucien nichts anderes, als das Donnern der Pferdehufen auf dem Asphalt, der Fahrtwind, der ihm in den Ohren rauschte, das Rumpeln der hölzernen Räder übers Pflaster und der dahinsausende Boden unter ihnen. Er war voll und ganz damit beschäftigt, ob der unerwarteten Gewalt der Geschwindigkeit sein Gleichgewicht zu halten und sich auf dem Kutschbock wieder aufrecht hinzusetzten. Hastig nahm er die Zügel wieder auf und notierte sich gedanklich, dem Vierbeiner nicht gleich wieder eine überzubraten, wenn es nicht zwingend notwendig wurde, bevor Shanayas Worte zu ihm durchdrangen und er den Kopf leicht in ihre Richtung neigte, um sie besser zu verstehen – ohne dabei die Straße aus den Augen zu lassen. Ganz kurz stieg ein Lachen in seiner Kehle auf, das eher trocken-ironisch als amüsiert klang. Doch die Schwarzhaarige nahm ihm seine Antwort bereits vorweg. Anhalten... pft... Viel dringender war die Frage, wie man lenkte. Denn auch wenn die Gasse noch ein kleines Stück geradeaus führte, steuerten sie zielgenau auf die Fassade eines kleineren Gebäudes zu, vor dem die Straße nach links und rechts eine Biegung einschlug. „Sehen wir gleich“, rief er über die Schulter zurück. „Ich vertraue ein bisschen darauf, dass dieses Vieh selbst nicht gegen eine Wand brettern will... Folgen sie uns?“ Da er es nicht riskieren wollte, sich umzudrehen, musste Shanaya die Lage im Blick behalten. Luciens Lachen ließ Shanayas Schmunzeln kurz etwas hämisches annehmen. Wie sie schon gesagt hatte, so schwer konnte das an sich ja nicht sein. Aber da sie selbst nicht wirklich eine Ahnung hatte… das war etwas, wo sie nie aufgepasst hatte. Ein kurzer Blick zurück zu der Halle, wo sie auf die inzwischen große Entfernung nur sehen konnte, dass einige der Männer schnell wurden. Langsam und etwas taumelig, mit den Händen an den Kutschbox geklammert, erhob die Schwarzhaarige sich, machte sich selbst ein Bild von dem, was vor ihnen lag. „Wohin wolltest du flüchten? In den Norden?“ Irgendein Gedanke in diese Richtung kam ihr, vielleicht sollten sie ihren Fluchtweg dem anpassen. „Eine Hand voll ist zurück in die Halle gerannt, aber ich sehe zumindest niemanden auf einem Pferd… Aber…“ So gut es ging beugte die Schwarzhaarige sich im Schutz des Kutschbockes nach unten, griff in einen der Säcke und nahm eine Hand voll Kaffee heraus. „Eine kleine, falsche Fährte schadet nicht.“ Jetzt musste sie nur noch warten, in welche Richtung das Pferd einschlug… „Wer könnte dem Gaul besser erklären, was links ist, als du?!“ Ein deutliches Lachen lag in der Stimme der jungen Frau, die die Hand fest um die Bohnen schloss und darauf wartete, diese von der Kutsche werfen zu können. Lucien gab nur ein vernehmliches, aber bestätigendes „hmhm“ von sich. Konzentrierte sich wieder deutlich mehr auf die Aufgabe, dem davonstürmenden Pferd zu verdeutlichen, in welche Richtung sie als Nächstes wollten. Norden jedenfalls, das war sein Plan gewesen. Raus aus der Stadt, weg vom Hafen. Um dann zur Sphinx zurückzukehren, wenn sich der Staub gelegt hatte. „Hoffen wir, dass wir außer Sicht sind, bevor sie uns folgen können...“ Er warf seiner Begleiterin einen flüchtigen Seitenblick zu, sah, wie sie nach einem der Säcke griff und dabei etwas von einer falschen Fährte sagte. Doch bei ihrem nächsten Satz schnaubte er nur spöttisch. „Alles klar. Nach links, kommt sofort. Aber verpulver mir nicht zu viel von meiner teuren Ware!“ Lucien grinste, sah wieder nach vorn. Sie hatten die Kreuzung beinahe erreicht. Jetzt galt es – und wie schwer konnte das schon sein? Seine Hand schloss sich fest um die Zügel, dann zog er sie kräftig zu sich ran, riss den Kopf des Tieres damit nach links. Eben dorthin, wo sie hinwollten. Das Pferd gab erneut ein quiekendes Wiehern von sich, das in seinen Ohren seltsam gequält klang, warf sich jedoch beinahe sofort in die Kurve und riss den Wagen samt der beiden Piraten hinter sich her. Das Gefährt neigte sich bedrohlich, verlor mit dem linken Rad beinahe den Kontakt zur Straße, bevor sie herum waren und wieder zurück in die Spur sackten. „Ha! Geht doch. Ist gar nicht so schwer...“ „Wir haben immerhin einen großen Vorsprung, wir könnten Glück haben…“ Mit leicht zusammen gekniffenen Augen richtete Shanaya den Blick noch einmal zurück, erkannte jedoch noch immer niemanden, der ihnen schnell folgen wollte. Bei den weiteren Worten des Mannes wurde ihr Grinsen wieder etwas breiter, gab ein unwilliges Brummen von sich. Immerhin arbeitete sie daran, dass sie ihre Hintern hier mehr oder weniger heil heraus bekamen! Viel Zeit, sich auf ihren Wurf vorzubereiten blieb der jungen Frau jedoch nicht, als Lucien die Zügel herum riss und dem Pferd genau zeigte, wo dieses Links war. Es gab ein gequältes Geräusch von sich, auf das Shanaya jedoch nur halbherzig lauschte. Mit einer Bohne, die sie zwischen die Zähne geklemmt hatte, drehte die Schwarzhaarige sich in die Richtung der rechten Gasse, holte weit auf und ließ die Bohnen in die Richtung der Gasse fliegen – was vermutlich nur funktionierte, weil sie so oder so verstreut liegen sollten. Jetzt kippte der Karren, ließ sie einmal mit dem Gleichgewicht kämpfen, ehe die ruckelige Fahrt wieder weiterging wie zuvor. Die Kaffeebohne war derweil in ihrem Mund verschwunden, sie drehte sie mit der Zunge hin und her. „Siehst du, sage ich doch!“ Shanaya lachte, klopfte dem Mann noch einmal auf die Schulter. Lucien schnaubte erneut in einer Mischung aus freundschaftlichem Spott und ehrlicher Belustigung. „Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dir zu widersprechen“, erwiderte er. Stellte sich trotz allem noch die Frage, wie er diesen Gaul in ein halbwegs gemäßigteres Tempo bekam, das nicht gleich nach Flucht schrie und jeden Soldaten in Sichtweite auf sie aufmerksam machte. Oder überhaupt anhielt. Aber immerhin – lenken ging. Die Fahrt ging in einem ähnlich haarsträubenden Tempo weiter, wie sie auch angefangen hatte, bis Lucien die Zügel aus reiner Intuition heraus ein Stück anzog und das Pferd mit einem dankbaren Schnauben in einen ruckeligen Trab verfiel. Da hatten sie die Stadtgrenze bereits hinter sich gelassen und offenes Feld durchquert. Der Rücken des Braunen glänzte im Mondlicht dunkel vor Schweiß, Dampf stieg aus seinem Fell auf, als sie schließlich ein kleines Wäldchen erreichten, das ihnen ein wenig Deckung bot und Lucien den Wagen vom Weg hinunter und zwischen die Bäume lenkte. Nicht weit von der Straße hatten sie eine zerfallene Scheune entdeckt, die groß genug war, um Pferd und Wagen zu verstecken, bis sich der Staub etwas gelegt hatte. „Schau mal nach, ob du das Tor irgendwie auf kriegst...“, wandte er sich an die Schwarzhaarige und zog die Zügel an, bis der Braune zum Stehen kam, damit Shanaya vom Kutschbock springen konnte. Shanaya war ganz froh, als die Fahrt ein wenig ruckeliger wurde und sie nicht mehr durchgeschüttelt wurden. Noch glücklicher darüber war aber wohl das Pferd, das sich noch eine zweite Möhre verdient hatte. Die Scheune lag abgelegen genug, ganz nach Shanayas Geschmack. Hierhin würde man ihnen nicht unbedingt folgen und sie konnten hier etwas Zeit verbringen, bis sie wirklich sicher zum Hafen zurückkehren konnten. Die Kutsche kam zum Stehen, Shanaya nickte nur auf die Worte ihres Captains hin und sprang mit einem eleganten Satz vom Kutschbock. Suchend ließ sie die blauen Augen schweifen, erkannte jedoch nichts, was dafür sprach, dass hier Menschen hausten. Keine Feuerstelle, kein Rauch von irgendwo. Umso sicherer waren die Schritte, mit denen sie sich dem Tor näherte. Es brauchte einiges an Kraft, um das verrostete Schloss zu öffnen und die leicht zugewachsene Tür schließlich aufzuziehen. Ihre verletzte Hand streikte, aber Shanaya biss nur die Zähne zusammen, zog so fest sie konnte, bis das Tor weit genug geöffnet war, um Wagen und Pferd hinein zu lassen. Nun machte sie doch einen kurzen, vornehmen Knicks und deutete ins Innere der Hütte. „Der werte Herr...“ Genau wie die junge Navigatorin ließ Lucien den Blick wachsam schweifen. Doch nichts rührte sich, kein Hufgetrappel in der Ferne kündigte Reisende oder Verfolger an. Das zerfallene Gebäude schien längst verlassen, diente vielleicht einmal als Lager für die umliegenden Felder und war schon lange aufgegeben worden. Zumindest ließ das eingefallene Dach und die mit Efeu überwucherten, löchrigen Wände darauf schließen. Also perfekt dafür geeignet, ihnen Unterschlupf zu gewähren. Als Shanaya mit leisem Rumpeln das Scheunentor öffnete und schließlich mit einer eleganten Verbeugung den Weg hinein wies, schnaubte Lucien deshalb nur amüsiert, ließ die Zügel leicht auf die Kruppe des Braunen klatschen – er hatte inzwischen herausgefunden, dass diese Taktik ebenfalls funktionierte, um ihn zum Laufen zu animieren – und steuerte Tier und Wagen mehr oder weniger zielgenau durch die breite Öffnung. Im Inneren brachte er das Pferd erneut zum Stehen, warf die Zügel über die Halterung und sprang im nächsten Moment vom Kutschbock, um der Schwarzhaarigen dabei zu helfen, das in den Angeln hängende Tor wieder zu schließen. Erst dann warf er ihr einen musternden Seitenblick zu und klopfte sich den Schmutz und moosig-morsches Holz an seiner Hose ab. „In Ordnung... wie fühlst du dich?“ Deutlich harmloser als zuvor mit der Peitsche lenkte Lucien das Pferd nun ins Innere der Scheune, womit Shanaya den Blick noch einmal prüfend schweifen ließ. Vielleicht hatte ihre kleine Fährte ja wirklich einen Effekt erzielt. Als sie sich wieder herum drehte, sprang Lucien gerade von der Kutsche, das Pferd stand einfach erschöpft da. Gemeinsam mit dem Dunkelhaarigen schloss sie wieder die Tür, was ihnen noch einmal etwas Sicherheit verschaffte. Und das Licht, das durch das zerfallene Dach fiel, reichte aus, um nicht in vollkommener Dunkelheit zu stehen. Ihr Augen betrachteten die noch vorhandene Decke, bis Luciens Stimme sie den Kopf zu ihm drehen ließ. Fast automatisch legte sich ihre Hand auf die Wunde an ihrem Hals, es legte sich dennoch ein warmes Lächeln auf ihre Lippen. „Geht schon. Brennt noch etwas, aber das ist morgen wieder weg.“ Ein spontaner Gedanke kam ihr und damit drehte sie sich von Lucien weg, trat noch einmal zu dem Karren. „Hier war eine Flasche Rum… vielleicht kann ich wenigstens etwas von dem Blut weg waschen. Sonst hält man mich noch für eine lebende Tote.“ Ohne noch einmal zu Lucien herum zu blicken, zog sie sich auf die Kutsche, trat an die Stelle, wo die Flasche geruht hatte und band sich das rote Tuch von der Hüfte und hob die Flasche an, um mit einem Zucken der Schultern zu Lucien zurück zu blicken. Lucien lächelte als Reaktion auf ihre Worte flüchtig und nickte verstehend. Sah ihr dann nach, als sie sich dem Karren zuwandte und die Ladefläche erklomm. Der Wagen knarzte ob der Bewegung leise, doch der Braune, der immer noch davor gespannt war, hatte längst den Kopf gesenkt, ein Hinterbein entlastet und kümmerte sich nicht mehr um das, was hinter ihm geschah. Lucien stieß sich vom Scheunentor ab, folgte der Schwarzhaarigen schließlich. „Lass mich das machen. Dann kann ich mir den Schnitt nochmal ansehen.“ Er stemmte sich rücklings auf die Ladefläche des Karrens, zog ein Bein in einen halben Schneidersitz nach oben, sodass er sich Shanaya zuwenden konnte, und winkte sie mit der Linken zu sich, damit sie sich zu ihm setzte. Mit routinierten Griffen hatte Shanaya das Tuch von ihrer Hüfte gebunden, es sich über die Schulter gegriffen und sich nach der Flasche gebückt, die bei dem kleinen Beutel lag, in dem ein bisschen Proviant verstaut war. Immerhin hatten sie etwas zu trinken und etwas Essbares dabei. Luciens Worte ließen sie kurz blinzeln, abwägen. Der Gedanke, auf der anderen Seite vom Karren zu springen, war für einige Herzschläge viel zu verlockend. Aber Shanaya kämpfte dagegen an, bückte sich noch nach dem Essensbeutel und trat zu Lucien, den Beutel hinter ihm auf den Karren sinken lassend und ihm mit der freien Hand rote Tuch von ihrer Schulter zu werfend. Erst dann ließ sie sich, ihm zu gewandt, in einen Schneidersitz senkend und hielt ihm die Flasche hin. „Solange du nicht vorher alles austrinkst.“ Sie grinste. Lucien fing das Tuch auf, dass die Schwarzhaarige ihm entgegen warf, und musste gleichzeitig grinsen. „Ich versuche, mich zu beherrschen.“ Die Verlockung war groß – aber er konnte genauso gut im Anschluss trinken, was noch übrig war. Also nahm er ihr die Flasche nur wortlos ab, legte das Tuch auf seinen Oberschenkel und wartete darauf, dass sie sich vor ihm auf die Ladefläche sinken ließ. Von ihrer inneren Unruhe bekam Lucien derweil nichts mit, dachte sich auch ob ihres Zögerns nichts. Vorsichtig legte er die freie Hand unter ihr Kinn, brachte sie mit sanftem Druck dazu, den Kopf etwas zu heben, damit er im spärlichen Licht zumindest ein bisschen erkennen konnte. Dann ließ er sie wieder los. „Es hat zumindest aufgehört, zu bluten“ stellte er mit einem sachten Lächeln fest, hob die Flasche an den Mund und entkorkte sie mit den Zähnen, bevor er das Tuch wieder aufhob, ein Stück vom Stoff zusammenknüllte und ihn mit der scharfen Flüssigkeit tränkte. „Wird vermutlich nicht mal ne Narbe. Kopf wieder hoch!“, wies er sie sanft, aber bestimmt an und legte erneut die Hand an ihr Kinn, damit sie seiner Aufforderung folgte. Shanaya atmete tief durch, versuchte damit irgendwie, das aufwallende Gefühl in ihrem Inneren zu unterdrücken. Sie wusste nicht, was und woher es kam, aber es ließ sich nicht einfach so verbannen. Also konzentrierte sie sich auf Lucien, hob den Kopf etwas an, als er die Hand unter ihr Kinn legte. Seinen Worten folgte, als er die Hand weg zog, ein kurzes Nicken. „Er hatte ja glücklicherweise anderes im Kopf. Und sich mit einer Leiche zu vergnügen ist halt nicht sonderlich spaßig.“ Kurz zuckte die Schwarzhaarige mit den Schultern, hob dann wieder den Kopf an, als Lucien das Tuch mit Alkohol getränkt hatte und schloss die Augen, in Erwartung eines Brennens am Hals. Und zumindest das half ihr für einen Moment. „Dann muss ich mir immerhin keine Geschichte ausdenken, wie ich da eine Narbe bekommen habe.“ Unwillkürlich huschte ein Schmunzeln über seine Lippen, während Shanaya den Kopf erneut hob. „Soll Leute geben, die drauf stehen...“ Doch beinahe sofort verblasste der Ausdruck auf seinen Zügen wieder, wurde ernster. So vorsichtig wie möglich ließ er den Stoff über die Haut an ihrer Kehle gleiten, wischte zunächst das Blut rund um den Schnitt ab, bevor er vorsichtig über die Wunde selbst strich, um sie so gut es ging vom Staub des Lagerhauses und der Straße zu reinigen. Dann ließ er wieder von ihr ab, griff erneut zu der Rumflasche und tränkte das Tuch mit einem neuerlichen Schwung Alkohol. Sein Blick huschte derweil wieder zu der Schwarzhaarigen zurück. „Das war gute Arbeit heute Nacht. Danke.“ Ein sachtes Lächeln legte sich auf seine Lippen, das zugleich eine Spur Unsicherheit verriet. Er war sich nicht ganz sicher, wie sie das, was passiert war, aufnahm. Wie sie die Gefühle verarbeitete, die dieser Mann in ihr ausgelöst haben mochte – und wie man darüber sprach, statt es totzuschweigen. Wo er doch selbst kein großer Freund davon war, über solche Dinge zu reden. Shanaya ließ die Augen geschlossen, konnte sich so darauf konzentrieren, tief und ruhig ein und aus zu atmen. So konnte sie sich etwas beruhigen – das Brennen an ihrem Hals erledigte dann den Rest. Shanaya zog scharf die Luft ein, als Lucien mit dem Tuch über die Wunde strich. Die Schwarzhaarige blieb jedoch ruhig sitzen, öffnete jedoch ein Auge, als Lucien das Tuch zurück zog und sie nur hörte, wie er erneut Rum darüber goss. Er sprach sie jedoch an, sodass sie nun beide Augen öffnete, erneut blinzelte und sich dann ein warmes Lächeln auf ihre Lippen legte. „Ich bin jederzeit bereit, mich dir wieder anzuschließen, wenn du noch einmal so eine Idee hast.“ Die junge Frau wog den Kopf etwas zur Seite, hob eine Hand und tätschelte dem Mann sachte die Wange, zog die Hand dann aber wieder zurück. „Und glaub nicht, dass ich mich von irgendwelchen Idioten und Rückschlägen davon abhalten lasse.“ Wieder entlockte ihre Antwort, ihre ganze Reaktion ihm ein Lächeln. Er begegnete einen Moment noch ihrem Blick, hielt ihn fest, bevor er flüchtig nickte und sonst nichts weiter sagte. Es war ihre Entscheidung. Sie wusste, worauf sie sich einließ. Sie wusste, welche Gefahren auf einen Piraten und erst recht auf eine Frau warteten. Wenn sie sagte, dass sie sich davon nicht unterkriegen lassen würde, glaubte er ihr das – und hinterfragte es nicht. Also hob er nur die Hand und setzte das Tuch wieder an die Wunde an ihrer Kehle, wischte den letzten Rest Staub und Blut von ihrer Haut. Die Stille, die in diesen wenigen Augenblicken zwischen ihnen entstand, störte Lucien nicht. Trotzdem unterbrach er sie nach einigen Herzschlägen. „Ich werde das verbinden.“ Keine Frage, eine Feststellung. „Wie sieht deine Hand aus? Blutet die noch?“ Er ließ das Tuch erneut auf seinem Schenkel liegen und machte sich daran, sich seines zerrissenen Hemdes zu entledigen, während er einen fragenden Blick auf ihre verletzte Hand warf. Shanaya erwartete in diesem Moment keine Widerworte aus Luciens Richtung. Ob er sie jedoch noch einmal mit auf so eine… Tour nehmen würde, das würde sich zeigen. Ein leises Seufzen ihrerseits folgte, sowie ein zugekniffenes Auge, als Lucien noch einmal über die Wunde wischte. Sie hatte sich für den Moment jedoch wieder genug unter Kontrolle, um dieses kleine Gefühl von Nervosität zu unterdrücken. Irgendwie. Als der Dunkelhaarige jedoch verkündete, bestimmte, dass er die Wunde verbinden würde, blinzelte die Schwarzhaarige, hob dann ihre Hand, um einen prüfenden Blick darauf zu werfen. „Das war nur ein winziger, oberflächlicher Schnitt. Den merke ich schon gar nicht mehr.“ Ein zögernder Blick galt Lucien, als er sich an sein Hemd machte. „Hier wirst du aber keine Wäscheleine finden, von der du dir etwas klauen kannst, damit du nicht halbnackt rum rennen musst.“ Ein tiefer Atemzug. „Nicht, dass ich mich beschweren würde, aber…“ Nun galt dem Mann ein vielsagender Blick. Lucien schälte sich etwas umständlich aus seinem Hemd, warf Shanaya dabei einen kurzen Blick zu und hob ob der lapidaren Beurteilung ihrer Hand eine Augenbraue. „Sicher? Oder behauptest du das jetzt nur, damit du vor mir keine Schwäche zeigen musst?“ Ein freches Grinsen stahl sich auf seine Lippen, doch auf ihre folgenden Worte zuckte er nur mit den inzwischen nackten Schultern. „Sehr angezogen kam ich mir damit ohnehin nicht mehr vor“, meinte er amüsiert schmunzelnd und hob das Hemd an, um ihr den großen Schnitt vor Augen zu führen, der sich quer durch den Stoff zog. „Also lieber ohne Hemd, als mit zerstückeltem Hemd. Außerdem wird es nachts nicht mehr so kalt, dass ich das nicht aushalte. Sonst musst du mich eben warm halten.“ Ein spöttischer Zug spielte um seine Mundwinkel, als er Shanaya einen kurzen Blick zuwarf und schließlich nach dem Dolch an seinem Gürtel griff, um am unteren Saum des Kleidungsstücks einen etwa zwei Zentimeter breiten Stoffstreifen abzutrennen. Shanaya betrachtete die Wunde auf der Brust des Mannes, kaum, dass er sich das Hemd über den Kopf gezogen hatte. Erst bei seinen Worten hob sie die blauen Augen wieder an, genau wie die verletzte Hand, mit der Hand in seine Richtung. „Ich bin nicht so blöd und schneide mir tief ins eigene Fleisch.“ Als er ihr das Hemd präsentierte, seufzte sie nur, nickte ergeben. „Ziehst du halt noch ein paar mehr Blicke auf dich als sonst schon.“ Seine nächsten Worte kommentierte sie mit einem warmen Lächeln, einem zur Seite geneigten Kopf. „Dein Wunsch ist mir Befehl, nachher friere ich mir selbst noch etwas ab.“ Nun machte sich der Mann daran, das Hemd zu zerschneiden, womit Shanaya den Moment nutzte um aufzustehen, einen Blick in den Beutel mit Essen zu werfen und schließlich einen der Äpfel heraus fischte und hinein biss. Kauend überlegte sie einen Moment, seufzte dann. Es war ein innerer Kampf, den sie nicht bestimmen konnte – und den sie haushoch verlor. Mit einem tonlosen Seufzen trat sie also wieder zu Lucien, ließ sich hinter ihm auf die Knie fallen und legte die Arme u seinen Körper, schmiegte sich beinahe vorsichtig an ihn. Nicht weniger hin und her gerissen als vorher. „Wenn du ganz doll frierst, leihe ich dir auch meine Bluse. Vielleicht hält sie dich ein bisschen warm.“ Ein deutliches Lachen schwang in ihrer Stimme mit und ließ sich nicht herunter schlucken. Mit einem prüfenden Blick auf ihre Hand versicherte er sich, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen und wandte sich dann – mit einem deutlichen Schmunzeln auf den Lippen – wieder seinem Hemd zu, aus dem er sorgfältig möglichst lange Streifen schnitt. In seiner Stimme lag deutliche Belustigung, als er ohne aufzusehen konterte: „Im Moment bist du hier die einzige, die mich lüstern anstarren kann.“ Er hörte, wie sie sich erhob, und der Wagen schwankte unter ihren Schritten leicht, als die Schwarzhaarige erneut einen der Säcke unter die Lupe nahm, den sie erbeutet hatten. Lucien achtete nicht darauf, was sie dort tat, konzentrierte sich vielmehr auf das, was er tat, bis er einen halbwegs brauchbaren Schwung schmaler Leinenstreifen zusammen hatte, die reichen würden, um die Wunde an Shanayas Hals zu verbinden und im Anschluss ihren Verbandsschrank im Lazarett ein Stück weit wieder aufzufüllen. Alles andere wäre nur schade um das Hemd und zudem Verschwendung gewesen. Lucien schob den Dolch zurück in seinen Gürtel und hob den Blick, gerade als die junge Frau zu ihm zurückkehrte. Er spürte eher, als dass er sah, wie sie hinter ihm vorsichtig auf die Knie sank, spürte schließlich, wie sich ihre Arme um ihn legten, und hielt unwillkürlich in der Bewegung inne. Ihre Wärme schmiegte sich an seinen Rücken, drang durch die vernarbte Haut und ließ ihn sacht lächeln. Ein Lächeln, das sie wahrscheinlich nicht einmal sah, das aber durchaus in seiner Stimme lag. „Wie wäre es, wenn wir uns einfach gegenseitig warm halten“, erwiderte er mit sanftem Spott, dann wandte er leicht den Kopf, bis er sie aus den Augenwinkeln sehen konnte. In dem tiefen Grün glomm leiser Schalk, aber auch eine ungewohnte Wärme. „Dann kannst du wenigstens deine Bluse behalten.“ Shanaya schloss im ersten Moment, in dem sie sich an Lucien schmiegte, die blauen Augen, genoss die kurze Ruhe, die in ihrem Inneren herrschte. Erst, als Lucien sprach, öffnete sie die Augen wieder, betrachtete die Stoffstreifen, die er zurecht geschnitten hatte. Die Wunde an ihrem Hals konnte sie beinahe ausblenden, wenn sie ihm so nah war. Sie brannte, aber ihr sehnsüchtig schlagendes Herz trieb diesen Schmerz in den Hintergrund. Ein leises Lachen folgte, mit dem sie mit den Lippen sachte über Luciens nackte Schulter strich. „Als ob wir zulassen würden, dass der andere erfriert.“ Der Dunkelhaarige drehte leicht den Kopf zu ihr, womit die Schwarzhaarige leicht den Blick hob, um ihn direkter anblicken zu können. Das Lächeln auf ihren Lippen sprach Bände, hatte zugleich etwas lockendes an sich. Genau wie ihre Finger, die sachte über seine Brust strichen, ohne dass sie sich auch nur einen Hauch von ihm entfernte.„Als ob du mir die nicht in deinem Kopf längst ausgezogen hast.“ Nicht mehr als ein sehnsüchtiges Flüstern direkt an seinem Ohr. Ihr Atem, ihre Lippen, die über seine Haut strichen, sandten ihm einen sachten Schauer durch den Körper. Wärme breitete sich in ihm aus, sickerte durch seine Adern und lenkte ihn ab. Ihr Lachen, ihre Worte, alles an ihrem Verhalten war eine Einladung. Von jetzt auf gleich. Auch wenn es Lucien im Nachhinein nicht überraschte, dass sich das Adrenalin in ihrer beider Blut auf diese Weise Luft verschaffen wollte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde flammte noch die Erinnerung an ein nicht allzu weit zurückliegendes Gespräch auf, ließ ihn kurz und kaum merklich zögern. Doch als Shanayas Hände sanft über seine Brust wanderten und aus der lockenden Wärme simples Begehren wurde, verdrängte er den Gedanken. Stattdessen begegnete er ihrem Blick nun ohne jedes Lächeln. „Wäre schade, wenn das nur in meinem Kopf passiert“, erwiderte er mit leiserer, rauerer Stimme. Dann drehte er sich in ihrer Umarmung ein kleines Stück weiter zu ihr um, legte ohne ein weiteres Wort die Hand an ihre Wange und küsste sie fordernd. Ließ sie wissen, dass er gerade keine große Lust auf Spielereien hatte. Zumindest nicht in dieser ersten Runde. |