13.02.2022, 16:02
Seven devils all around you. Seven devils in my house.
08.05.1822
Seven devils all around you.
Seven devils in my house.
See they were there when I woke up this morning. I'll be dead before the day is done.*Seven devils in my house.
Früher Nachmittag des 08. Mai 1822 | Talin & Skadi
Allmählich hatte dieses dumpfe Gefühl nachgelassen, das seit dem Morgen beständig auf und ab gegangen war und keine Ruhe gegeben hatte. Wie alles andere in den letzten Tagen, hatte Skadi es auch dieses Mal weit in den hintersten Winkel ihrer Wahrnehmung verschoben und sich allem, aber nicht dessen gewidmet. Ein letztes Mal sah sie den Schatten am Horizont zu, ehe sie sich abwandte und auf die ersten Hausreihen des kleinen Dorfes starrte. Unsicher ob sie wirklich einen Abstecher in die Gassen und Ausläufer unternehmen oder doch lieber zum Schiff zurück gehen sollte. Denn das drückende Gefühl in ihrem Magen konnte sie trotz all der Disziplin nicht so einfach überspielen und da sie dem Alkohol bis auf Weiteres abgeschworen hatte, blieb nicht einmal das als lieblicher Ausweg zurück.
Leise summend schlich Talin durch die schattigen Gassen des kleinen Ortes. Den Vormittag hatte sie damit verbracht, ihre verkrampften Muskeln und eingerosteten Reflexe zu trainieren. Vielleicht gehörte es nicht gerade zur nettesten Art gering verdienende Menschen auszurauben. Aber Talin sah es so, dass sie noch wenig als diese Leute verdiente, wenn sie sie nicht bestahl. Nun, es war nicht so, als müsste sie ein schlechtes Gewissen beruhigen, weshalb sie darüber nachdachte. Es lag eher daran, dass sie versuchte, sich von dem leise pochenden Schmerz in ihrer Schulter abzulenken. Sie konnte froh sein, dass sie nicht schlimmer verletzt worden war, als sie von den Kopfgeldjägern verfolgt worden waren. Aber die Wunde störte immer noch, obwohl sie sehr gut verheilte.
Talin seufzte leise und trat aus der dunklen Gasse in den Halbschatten der Gebäude am Hafen. Schon wollte sie auf die Sphinx zuhalten, als ihr eine einsame Gestalt auffiel. Es dauerte einen kurzen Moment, dann erkannte sie Skadi und ein bekümmertes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Wann immer sie die Brünette sah, zog sich Talins Herz ein Stück weit zusammen. Ein Grund, warum sie die andere mit Samthandschuhen anfasste, wobei der Blonden dieses Verhalten nicht wirklich lag.
Kurz entschlossen hielt Talin auf Skadi zu, statt auf die Sphinx und blieb mit einem Lächeln vor der anderen stehen. „Hey Skadi. Was tust du hier?“
Sie hörte die Schritte, noch ehe sich der blonde Schopf in ihr Blickfeld schob und ihren Herzschlag beschleunigte. Während ihr Geist noch vollkommen träge an den Bildern des gestrigen Abends festhing, drehte sich die Welt in einer solchen Geschwindigkeit, dass sie nicht einmal mehr Zeit dafür hatte, einen Ausfallschritt zur Seite zu nehmen oder den Kopf herum zu drehen. Wie zäher Schleim fixierte ihr Gemüt ihre Gliedmaßen und ließ lediglich die dunklen Augen zur Seite fahren, ehe sich ein mattes Lächeln auf die Züge der Jägerin schlich.
Wenngleich Talin ihr in den letzten Tagen gern mit ihrer penetranten Anwesenheit auf die Nerven ging, tat es gut ein zumindest vertrautes Gesicht zu sehen.
“Hab auf dich gewartet.“ Eine Lüge, die sich unter einem süffisanten Zucken ihres Mundwinkels versteckte. “Hast ganz schön lang auf dich warten lassen.“
Nur langsam schob Skadi ihre Hände in Richtung Kopf und verschränkte die langen Finger spielerisch im Nacken.
Talins Lächeln wich einem Stirnrunzeln bei Skadis Verhalten. Sie wirkte angeschlagen, fast ein wenig langsam. Beinahe so, als hätte sie einen Kater. Aber die Blonde hatte die junge Frau die letzten Tag nichts trinken sehen. Und sie hatte sie die meiste Zeit wirklich gut im Auge behalten. Deshalb kaufte sie ihr auch irgendwie nicht ab, dass Skadi auf sie gewartet hätte.
Talin neigte den Kopf zur Seite und blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich vorbeugte und der anderen mit einem Lächeln tief in die Augen sah. „Ich wusste ja nicht, dass du gewartet hast, sonst wäre ich schneller gewesen,“ schnurrte sie leise. „Aber warum hast du denn auf mich gewartet?“ Sie unterdrückte die Sorge, die in ihr aufwallen wollte. Wenn es nicht um die Ereignisse auf der Kopfgeldjägerinsel ging, dann würde sie auch nicht weiter nachfragen. Sie wollte ja nur da sein. Für den Fall, dass Skadi wirklich jemanden brauchte, der mit ihr zuhörte.
Natürlich durchschaute die junge Dravean jedes ihrer Worte. Die sanften Furchen, die die Sonne auf dem formschönen Gesicht hinterließ, sowie die deutliche Skepsis in den blaugrünen Augen waren überdeutliche Anzeichen dafür, dass sie den Braten roch, noch ehe er freiwillig aus dem Ofen klettern konnte. Skadi selbst dankte ihr jedoch stillschweigend dafür, nicht unnötig nach der Quelle zu graben. “Ich glaube… normale Menschen nennen das… gute Gesellschaft oder so.“, gab die Dunkelhaarige mit geschürzten Lippen von sich und zuckte gespielt unwissend mit den Schultern.
Nicht im mindesten überzeugt, stieß Talin ein Schnauben aus und schüttelte den Kopf. Sie hätte erwartet, dass Skadi sich ein wenig mehr anstrengte, aber nichts der gleichen geschah. Stattdessen versuchte sie es wirklich mit so einem billigen Trick? Als ob sie sich einschmeicheln wollte. Nochmals schüttelte die Blonde den Kopf und deutete dann in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Wenn du nichts besseres zu tun hast und meine Gesellschaft noch ein wenig genießen willst, dann lass uns in die Stadt gehen.“ Obwohl sie ja eigentlich ihre Beute zur Sphinx hatte bringen wollen. Nun, dann würde sie sie eben ausgeben, dass konnte sie schließlich genauso gut. Also änderte sie ihre Pläne einfach und sah ihr Gegenüber mit einem süßlichen Lächeln an. „Oder spricht irgendetwas dagegen?“
Ob Talin es persönlich nahm oder nicht, war Skadi im selben Moment, in dem die blonden Locken aufgeregt unter dem deutlichen Kopfschütteln der anderen auf und ab tanzen, vollkommen egal. Hier ging es nicht um irgendetwas Lebenswichtiges. Nichts, dass von Belangen für die Sphinx, die Crew oder ihre Kapitäne war. Und wenn Talin ihr etwas Ablenkung bieten konnte, die Gras über die aufgesprungenen Narben streute, wäre sie ein Dummkopf, es abzulehnen.
“Wüsste nicht was.“ Nur langsam kehrte das warme Schmunzeln zurück, das sie in Gegenwart der Jüngeren öfter an den Tag legte. Gepaart mit diesem süffisanten Grinsen, das heute womöglich etwas länger auf sich warten lassen würde.
“Was macht deine Wunde?“ Die Jägerin hatte sich allmählich in Bewegung gesetzt und folgte blind dem Fingerzeig Talins in die Stadt hinein. Ihr Blick ruhte immer wieder im langsamen Wechsel auf dem Blondschopf und der relativ belebten Umgebung.
Immer noch mit einem Hauch Skepsis im Blick, zuckte Talin schließlich mit den Schultern und wandte sich in Richtung Stadt. Dennoch ging ihr dabei Skadis Verhalten nicht aus dem Kopf. Sie benahm sich...seltsam. Irgendetwas schien vorgefallen zu sein, oder vielleicht hatte sie auch einfach an all den Mist zurückgedacht, der vor nicht all zu langer Zeit geschehen war. So oder so, Talin hatte das Gefühl sie müsste etwas tun und deshalb entschied sie sich kurz entschlossen, die Dunkelhaarige einfach abzulenken. Sowohl von ihren Gedanken und Schmerzen, als auch von den Blicken, die die Blonde nicht verhindern konnte, ihr zu zuwerfen. Ein wenig fürchtete sie sich fast, irgendwann dafür verprügelt zu werden.
Deshalb war sie auch ganz froh, dass Skadi von sich aus, das Gespräch suchte. „Hm, eigentlich ziemlich gut. Manchmal ziept es noch ein wenig, aber ich bin so gut wie wieder hergestellt.“ Sie musterte die andere Frau, als sie in den Schatten der Häuser eintraten. „Und deine Wunden? Dich hat es doch auch ziemlich erwischt.“ Und zwar nicht nur körperlich.
Vielleicht mochten die Verletzungen von Talin und ihr nicht nennenswert sein, verglichen mit dem, was den Herrschaften widerfahren war. Doch für die Nordskov war es nicht weniger bedeutend – abgesehen von ihrem eigenen Zustand natürlich. Fast als wollte sie sich der Tatsache selbst vergewissern, glitten die dunklen Augen für einen Moment vom Gesicht ihres Kapitäns hinab zu ihrer Brust. An eben jene Stelle zwischen Schulter und Saum ihres Oberteils, an dem sich der Dolch des Kopfgeldjägers in ihre Haut gebohrt hatte. Nur um bei ihrer Frage augenblicklich wieder hinauf zu schnellen und unter einem amüsierten Schnauben zur Seite zu gleiten.
“Absolut aushaltbar. Ein paar Schrammen und Prellungen haben mich noch nie kleingekriegt.“ Dass Talin jedoch nicht DARAUF hinaus wollte, war ihr mehr als bewusst. Darauf antworten würde sie allerdings nicht. Nicht heute. Vielleicht nie. Und wieder kehrte dieses seltsame Gefühl zurück, das bereits an jenem Abend auf Mîlui präsent gewesen war. Dieser innere Kampf zwischen dem, was ihr altes Ich getan hätte und ihr Neues tunlichst vermied. Ob es klug war sich Talin anzuvertrauen? Ihr zu erzählen, was Liam bereits wusste und Enrique womöglich erahnte? Gott war sie grauenvoll im Umgang mit sozialen Kontakten geworden.
Sie wollte in Skadis Seite oder gegen ihre Schulter schlagen, einfach nur, um zu sehen, ob die andere Frau ihr auch wirklich die Wahrheit sagte. Also, natürlich glaubte sie ihr, wenn sie meinte, ein paar Schrammen würden sie nicht stören. Bei allen Welten, sie hatte länger verkleidet auf einem Marineschiff ausgehalten, als Talin selbst auf einem Piratenschiff. Und auf so einem Schipper voller Soldaten fuhren auf jeden Fall mehr vom anderen Geschlecht mit, als unter Captain Rondo damals. Allein dafür musste sie die andere Frau bewundern und kaufte ihr sofort ab, dass sie widerstandsfähiger war, als andere. Und trotzdem fühlte es sich immer noch nicht richtig an. Als wäre da noch etwas, abgesehen von dem, was in ihrer Seele lauerte. Sie nickte und trat auf einen kleinen Marktplatz hinaus, den sie vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatte. Die Stände reihten sich dicht an dicht und zwischen ihnen gingen Besucher fröhlich schwatzend umher. An einem Stand ganz in der Nähe, wurde Radau ausgelöst, als der kräftige Besitzer sich einen Jungen schnappte und schallende Ohrfeige verpasste. Der Junge starrte ihn nur trotzig an. Talin seufzte leise und sah zu Skadi, musterte sie aufmerksam. „Was denkst du? Sollten wir uns einmischen?“
Hatte sie sich für einen Augenblick von Talin abgewandt und den Blick auf die Auslagen der Stände neben sich gerichtet, lockte lautstarkes Gezeter ihre Aufmerksamkeit nun auf zwei Gestalten ein paar Armlängen voraus. Im ersten Moment wirkten sie wie Vater und Sohn. Vertieft in eine Auseinandersetzung, die Skadi unweigerlich an ihren Vater erinnerte.
“Wieso sollten wir?“ Wirkten die Worte zunächst gleichgültig, waren sie doch gänzlich anderer Natur, als Talin womöglich glauben konnte. Ganz sicher hing sie sich nicht in andere Leute Belange, schon gar nicht in erzieherische Maßnahmen eines Vaters.
“Du hast mir gar nichts zu sagen!“, brüllend hallten die Worte des Jungen über den Platz hinweg. Schwappten gegen die zwei Frauen, die nach nur wenigen Schritten am Stand des Hünen stehen blieben. Skadi den Blick auf die Waren gerichtet. Augenscheinlich wenig von dem Gerangel beeindruckt.
“ Wie viel kostet die?“ Nur langsam hob sich der dunkle Haarschopf und fixiert das puderrote Gesicht des Händlers, der irritiert und mit kochendem Blut in den Adern zu ihr herum sah. Demonstrativ deutete Skadi mit einem Finger auf die Halskette, deren Steine ganz offensichtlich poliert worden waren, um wertvoller zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren.
„Ja, natürlich. Warum sollten wir, nicht wahr?“ Und trotzdem nahmen sie irgendwie den Weg, der zwangsweise an dem Stand vorbeiführte, an dem sich der Mann und das Kind anschrien. Talin biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen, als Skadi sich eiskalt über die Warenauslage beugte und den Mann ansprach. Der wirkte völlig verwirrt, weil er nicht damit rechnete, dass er in so einem Augenblick Kundschaft erhalten könnte. Der Blick der Blonden wanderte weiter zu dem Jungen, dessen Gesicht, die Farbe seiner roten Haare angenommen hatte. Er ballte immer noch wütend die Fäuste und seine Wange schwoll ein klein wenig an. Offensichtlich hatte der Mann nicht mit Kraft gegeizt, als er zugeschlagen hatte.
Als hätte er einen Hebel in sich betätigt, veränderte sich das Verhalten des Verkäufers, nachdem er die erste Verwirrung überwunden hatte. Geflissentlich trat er näher zu Skadi, auch wenn man immer noch sehen konnte, wie eine Ader an seiner Stirn vor Wut pochte.
„Das gute Stück kostet Euch nur 28 Achter, gute Dame.“ Talin schnaubte. So viel war der Plunder niemals wert. Und weil der Junge anscheinend immer noch wütend war, mischte er sich einfach ein. „Das ist nicht wahr! Mein Vater hat es schätzen lassen, nachdem meine Schwester ein halbes Vermögen für so eine Kette ausgegeben hat. Es ist nur Plunder! Und jetzt will ich unser Geld zurück!“ Ah, dann waren die beiden also doch nicht Vater und Sohn.
Skadi verließ ein abschätziges, halb „amüsiertes“ Grunzen bei seinen Worten. Die Augen erst auf der Kette, dann auf dem Verkäufer gerichtet, dessen Temperament schlagartig abgekühlt war. Hatte ihr noch ein sarkastischer Kommentar über die Lippen gleiten wollen, rückte die vibrierende Stimme des Jungen in den Vordergrund. Darum war es also bei ihrem Streit gegangen, interessant. Mit erhobener Augenbraue erhob sich die Nordskov zur vollen Größe, musterte den Fremden skeptisch, dessen Wangen Sekunde um Sekunde erneut von roten Flecken überzogen wurde, ehe sie an seiner breiten Gestalt zu dem Rotschopf hinab sah.
“Das ist Verleumdung!“
“Ach… wirklich?“ Ein bitteres Auflachen stahl sich aus der Kehle der Nordskov. “So wie eure Kette dort nicht den Wert von ein paar Murmeln hat?“
Der Hüne japste. Zauberte Skadi damit ein süffisantes Lächeln auf die Lippen, während sie sich zu dem Schmuckstück herab bückte und es mit Daumen und Zeigefinger vor ihr Gesicht hob.
“Oder wollt ihr mir weiß machen, dass diese Edelsteine nicht aus Glas sind?“
Talin schnalzte mit der Zunge, als der Händler wieder auffuhr. Sie machte sich bereit, zwischen ihn und den Jungen zu treten, für den Fall, dass es wieder zu Handgreiflichkeiten kommen sollte. Aber Skadi zog die Aufmerksamkeit des Mannes einfach wieder auf sich und bohrte ihren Finger noch einmal in die Wunde hinein, die der Junge geschlagen hatte.
Die Blonde schmunzelte belustigt, hielt sich aber aus dem Streit heraus, sondern beobachtete nur, wie der Mann rot wurde und sich wand.
„Meine Dame, bitte. Ich habe nie gesagt, es wären echte Edelsteine, die hier ausliegen. Da würde ich mich ja vor Dieben, wie dem Burschen, kaum retten können.“ Er funkelte den Jungen böse an, der ebenso erbost zurück starrte. Dann wandte sich der Verkäufer mit einem kleinen Lächeln an Skadi. „Ich habe den Jungen mit der Hand in meiner Kasse erwischt. Daher habe ich ihn geschlagen und wollte ihn zu den Bütteln bringen. Ich weiß nichts davon, ihm oder seinen Angehörigen eine Kette verkauft zu haben.“ – „Lüge!“ Der Junge spie das Wort aus, als wollte er dem Mann am liebsten ins Gesicht spucken. Er kramte in einer zerlumpten Tasche und holte eine silberne Kette mit blauen Steinen heraus. Talin schnalzte erneut mit der Zunge und sah zu der Kette in Skadis Hand. Ziemlich identisch. Doch der Mann wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Wieder lief er rot an, seine Ader auf der Stirn pochte. „Du dreckiger Lump! Die hast du mir gerad von der Auslage geklaut!“ Er erhob die Hand und wollte wieder nach dem Kind schlagen.
Den Jungen zu schlagen war eine Sache. Sich auch noch mit Worten aus so einer Situation heraus zu winden und sie für blöd zu verkaufen eine ganz andere. Augenblicklich rollten die Augen der Dunkelhaarigen genervt zur Seite, gefolgt von einem schweren Seufzen, indem die Kette klimpernd unter einem festen Griff ihrer Finger zusammenkrachte. Doch noch ehe sie sich wortgewaltig darüber auslassen konnte, mit welchen fadenscheinigen Argumenten er um sich warf und für wie dumm er sie eigentlich hielt, kam plötzlich Bewegung in die Szenerie.
Fast schon aus Reflex schnellte die freie Hand zum Handgelenk des Hünen hinauf. Gefolgt von einem Blick, der ihn nur zu gern in tausend Einzelteile zerlegte. Hatte Skadi noch vor wenigen Minuten vorgehabt sich aus dieser Angelegenheit heraus zu halten, war es nun ihr Körper der vollkommen eigenmächtig über den Werdegang dieser Auseinandersetzung entschied. Zumindest in einem konnte sie sich kontrollieren: ihren Kopf von einer eher schmerzhaften Begrüßung mit seinem Gesicht abzuhalten.
“Na aber. Wir wollen doch nicht gleich handgreiflich werden, oder?“
Ein tiefes Brummen drang aus seiner Kehle, prallte jedoch an der eiskalten Ausstrahlung der Jägerin ab, dessen feine Züge ein erhabenes Lächeln zierte.
“Wäre doch ein Jammer EUCH zu den Bütteln bringen zu müssen.“
Talins Mundwinkel zuckten in die Höhe, ebenso wie ihre Augenbraue. „Nein, wir wollen uns gar nicht einmischen,“ flüsterte sie leise und seufzte dann. Sie löste die verschränkten Arme und ging auf den Jungen zu. Er mochte vielleicht acht oder neun Jahre alt sein. Das er hier stand und Gerechtigkeit für seine Familie forderte, war bemerkenswert. Oder eine Lüge. So oder so. Sie konnte es einfach nicht leiden, wenn Erwachsene Kinder schlugen.
Mit einem sanften Lächeln ging sie vor dem Kind in die Hocke und ignorierte seinen skeptischen Blick. Sie wusste, Skadi würde den Mann hinhalten können, auch wenn er sich schon mit drohendem Gesichtsausdruck von dem Jungen zu Skadi umgewandt. Was für ein Idiot. Während sie den Jungen also weiter musterte, hörte sie den Mann mit gepresster Stimme reden. „Meine Dame, ich verstehe, wenn Frauen Kinder beschützen möchten, aber der Bursche ist ein gemeiner Dieb. Und das Ihr meine Ware beschädigt habt, muss ich euch leider in Rechnung stellen.“ Hörte Talin da etwas so was wie Gier aus seiner Stimme? Glaubte er etwa wirklich, sie würden nicht zur Stadtwache gehen und ihn anzeigen? Nun, vielleicht war das momentan keine gute Idee bei den ganzen Steckbriefen. Wobei sie wenig Ähnlichkeit mit ihnen hatten.
Talin schüttelte den Kopf und sah den Jungen an. „Wie viel hat deine Schwester für die Kette bezahlt?“ Seine Augen verengten sich noch skeptischer, bevor er auf die Kette hinunter sah und dann wieder zu der Blonden. „23 Achter,“ sagte er sehr, sehr leise. „Sie sollte damit eigentlich Essen für die Woche holen.“ Talin schnaubte angewidert und sah sich zu Skadi um. „23 Achter soll die Kette gekostet haben. Was meinst du, meine Liebe?“
“Da wo ich herkomme, spannt man Scharlatane wie sie nackt hinter einen Karren und lässt sie durch die ganze Stadt schleifen, damit der dumme Pöbel wie wir ihn mit Abfall bewerfen kann… oder man schneidet ihnen alternativ die Hand ab.“ Manchmal tat man dies auch mit Dieben, aber DAS war wohl ein Punkt, den sie lieber unausgesprochen ließ. Ohnehin nahm dieses Gespräch eine Richtung an, die sie eigentlich hatte vermeiden wollen. Für die nächsten Tage und Wochen. Aber das Leben hatte wohl – wie allzu oft – seine eigenen Pläne.
“Aber ich werde mal nicht so sein. Immerhin braucht ihr sicher beide, um diesen Schrott an die Frau und euch ein bisschen private Freude zu bringen.“ Demonstrativ ließ sie von ihm ab und drückte ihm die Kette gegen die Brust. Nicht, dass sie vor lauter Anspannung wirklich noch Kratzer in diesem kostbaren Glas hinterließ oder dazu überging das hässliche Teil in seine Visage zu drücken. Gerade heute, wo sie ihre Dämonen in einem ruhigen Tiefschlaf zurückgelassen hatte und wusste, dass ihre Kraft nicht reichte, um sie dorthin zurück zu sperren.
Für Talins Worte hatte die Jägerin nur ein herablassendes Schnauben übrig. Gefolgt von einem tadelnden Schnalzen ihrer Zunge, das sie gegen den Hünen richtete, der noch immer schnaubend, aber mit deutlich angeschwellter Brust vor ihr stand. Nur noch ein Quenchen mehr und er würde ausrasten. Über sie herfallen und es für alle Beteiligte sehr viel einfacher machen, diese Diskussion zu einem Ende zu führen. Mit der Quintessenz, dass es nicht IHR Verschulden gewesen war.
“Das ist unerhört! Was fällt ihnen ein?!“
“Wie hoch ist wohl die Strafe für Betrug? 100 Achter? 200? Oder wird man hier öffentlich auf dem Markt ausgepeitscht?“
Ihr Blick glitt zur Seite. Fixierte am Ende der Straße eine kleine Gruppe junger Männer. Na wenn das nicht jene Bütteln waren, die der Fremde angesprochen hatten.
Skadis Reaktion auf ihre Worte entsprachen in etwa Talins eigener. Nur der Standbesitzer wollte sich die Frechheiten der beiden Frauen wohl nicht auf sich sitzen lassen und plusterte sich vor ihren Augen auf. Obwohl sie sich ja eigentlich nicht einmischten, trat die Blonde zum Schutz vor den Jungen, damit er nichts von dem abbekam, was auch immer ihnen durch eine wörtliche Drohung zugefügt werden sollte. Skadi schien den Mann gar nicht richtig zu beachten, sondern an ihm vorbei zu sehen. Talin folgte ihrem Blick und schnitt eine Grimasse zwischen Grinsen und Missmut. Sie wusste nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, die Büttel in die ganze Sache mit einzubeziehen. Aber wenn der Mann noch lauter schrie, dann würde es sich sowieso nicht vermeiden lassen. Und anscheinend hatte er Skadis Fragen gleich als Drohung aufgefasst. „Was soll das heißen!?!?“, wetterte er los. „Wollt ihr mich einer Straftat bezichtigen, weil so ein dummes Ding ihr Geld nicht bei sich behalten kann?!?!?“ Seine Stimme hallte durch die Luft über den restlichen Lärm des Marktes und ließ alles um sie herum verstummen. Die jungen Männer in ihren Uniformen waren nun doch auf sie aufmerksam geworden und setzten sich mit wachsamen Gesichtsausdrücken zu ihnen in Bewegung. „Dann gebt ihr also zu, seiner Schwester die Kette verkauft zu haben? Der Junge ist also kein Dieb?“ Der Händler lief rot an vor Zorn, ob auf sich selbst oder wegen Talins ruhiger Worte, dass wusste sie nicht. Aber in dem Moment schien irgendetwas in ihm zu reißen. Er hob den Arm, als wollte er zuschlagen, warf aber nur die Kette nach der Blonden, die sie schmerzhaft an der Schläfe traf. Wie alt war der Typ? Aber anscheinend reiche ihm das nicht, um seine Wut zu besänftigen. Stattdessen drehte er sich halb um und machte sich daran Skadi anzugreifen. Was für ein dummer, wirklich dummer Fehler.