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Seven devils all around you. Seven devils in my house. - Skadi Nordskov - 13.02.2022

Seven devils all around you.
Seven devils in my house.
See they were there when I woke up this morning. I'll be dead before the day is done.*

Früher Nachmittag des 08. Mai 1822  | Talin & Skadi


Allmählich hatte dieses dumpfe Gefühl nachgelassen, das seit dem Morgen beständig auf und ab gegangen war und keine Ruhe gegeben hatte. Wie alles andere in den letzten Tagen, hatte Skadi es auch dieses Mal weit in den hintersten Winkel ihrer Wahrnehmung verschoben und sich allem, aber nicht dessen gewidmet. Ein letztes Mal sah sie den Schatten am Horizont zu, ehe sie sich abwandte und auf die ersten Hausreihen des kleinen Dorfes starrte. Unsicher ob sie wirklich einen Abstecher in die Gassen und Ausläufer unternehmen oder doch lieber zum Schiff zurück gehen sollte. Denn das drückende Gefühl in ihrem Magen konnte sie trotz all der Disziplin nicht so einfach überspielen und da sie dem Alkohol bis auf Weiteres abgeschworen hatte, blieb nicht einmal das als lieblicher Ausweg zurück.

Leise summend schlich Talin durch die schattigen Gassen des kleinen Ortes. Den Vormittag hatte sie damit verbracht, ihre verkrampften Muskeln und eingerosteten Reflexe zu trainieren. Vielleicht gehörte es nicht gerade zur nettesten Art gering verdienende Menschen auszurauben. Aber Talin sah es so, dass sie noch wenig als diese Leute verdiente, wenn sie sie nicht bestahl. Nun, es war nicht so, als müsste sie ein schlechtes Gewissen beruhigen, weshalb sie darüber nachdachte. Es lag eher daran, dass sie versuchte, sich von dem leise pochenden Schmerz in ihrer Schulter abzulenken. Sie konnte froh sein, dass sie nicht schlimmer verletzt worden war, als sie von den Kopfgeldjägern verfolgt worden waren. Aber die Wunde störte immer noch, obwohl sie sehr gut verheilte.
Talin seufzte leise und trat aus der dunklen Gasse in den Halbschatten der Gebäude am Hafen. Schon wollte sie auf die Sphinx zuhalten, als ihr eine einsame Gestalt auffiel. Es dauerte einen kurzen Moment, dann erkannte sie Skadi und ein bekümmertes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Wann immer sie die Brünette sah, zog sich Talins Herz ein Stück weit zusammen. Ein Grund, warum sie die andere mit Samthandschuhen anfasste, wobei der Blonden dieses Verhalten nicht wirklich lag.
Kurz entschlossen hielt Talin auf Skadi zu, statt auf die Sphinx und blieb mit einem Lächeln vor der anderen stehen. „Hey Skadi. Was tust du hier?“


Sie hörte die Schritte, noch ehe sich der blonde Schopf in ihr Blickfeld schob und ihren Herzschlag beschleunigte. Während ihr Geist noch vollkommen träge an den Bildern des gestrigen Abends festhing, drehte sich die Welt in einer solchen Geschwindigkeit, dass sie nicht einmal mehr Zeit dafür hatte, einen Ausfallschritt zur Seite zu nehmen oder den Kopf herum zu drehen. Wie zäher Schleim fixierte ihr Gemüt ihre Gliedmaßen und ließ lediglich die dunklen Augen zur Seite fahren, ehe sich ein mattes Lächeln auf die Züge der Jägerin schlich.
Wenngleich Talin ihr in den letzten Tagen gern mit ihrer penetranten Anwesenheit auf die Nerven ging, tat es gut ein zumindest vertrautes Gesicht zu sehen.
“Hab auf dich gewartet.“ Eine Lüge, die sich unter einem süffisanten Zucken ihres Mundwinkels versteckte. “Hast ganz schön lang auf dich warten lassen.“
Nur langsam schob Skadi ihre Hände in Richtung Kopf und verschränkte die langen Finger spielerisch im Nacken.


Talins Lächeln wich einem Stirnrunzeln bei Skadis Verhalten. Sie wirkte angeschlagen, fast ein wenig langsam. Beinahe so, als hätte sie einen Kater. Aber die Blonde hatte die junge Frau die letzten Tag nichts trinken sehen. Und sie hatte sie die meiste Zeit wirklich gut im Auge behalten. Deshalb kaufte sie ihr auch irgendwie nicht ab, dass Skadi auf sie gewartet hätte.
Talin neigte den Kopf zur Seite und blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich vorbeugte und der anderen mit einem Lächeln tief in die Augen sah. „Ich wusste ja nicht, dass du gewartet hast, sonst wäre ich schneller gewesen,“ schnurrte sie leise. „Aber warum hast du denn auf mich gewartet?“ Sie unterdrückte die Sorge, die in ihr aufwallen wollte. Wenn es nicht um die Ereignisse auf der Kopfgeldjägerinsel ging, dann würde sie auch nicht weiter nachfragen. Sie wollte ja nur da sein. Für den Fall, dass Skadi wirklich jemanden brauchte, der mit ihr zuhörte.


Natürlich durchschaute die junge Dravean jedes ihrer Worte. Die sanften Furchen, die die Sonne auf dem formschönen Gesicht hinterließ, sowie die deutliche Skepsis in den blaugrünen Augen waren überdeutliche Anzeichen dafür, dass sie den Braten roch, noch ehe er freiwillig aus dem Ofen klettern konnte. Skadi selbst dankte ihr jedoch stillschweigend dafür, nicht unnötig nach der Quelle zu graben. “Ich glaube… normale Menschen nennen das… gute Gesellschaft oder so.“, gab die Dunkelhaarige mit geschürzten Lippen von sich und zuckte gespielt unwissend mit den Schultern.

Nicht im mindesten überzeugt, stieß Talin ein Schnauben aus und schüttelte den Kopf. Sie hätte erwartet, dass Skadi sich ein wenig mehr anstrengte, aber nichts der gleichen geschah. Stattdessen versuchte sie es wirklich mit so einem billigen Trick? Als ob sie sich einschmeicheln wollte. Nochmals schüttelte die Blonde den Kopf und deutete dann in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Wenn du nichts besseres zu tun hast und meine Gesellschaft noch ein wenig genießen willst, dann lass uns in die Stadt gehen.“ Obwohl sie ja eigentlich ihre Beute zur Sphinx hatte bringen wollen. Nun, dann würde sie sie eben ausgeben, dass konnte sie schließlich genauso gut. Also änderte sie ihre Pläne einfach und sah ihr Gegenüber mit einem süßlichen Lächeln an. „Oder spricht irgendetwas dagegen?“

Ob Talin es persönlich nahm oder nicht, war Skadi im selben Moment, in dem die blonden Locken aufgeregt unter dem deutlichen Kopfschütteln der anderen auf und ab tanzen, vollkommen egal. Hier ging es nicht um irgendetwas Lebenswichtiges. Nichts, dass von Belangen für die Sphinx, die Crew oder ihre Kapitäne war. Und wenn Talin ihr etwas Ablenkung bieten konnte, die Gras über die aufgesprungenen Narben streute, wäre sie ein Dummkopf, es abzulehnen.
“Wüsste nicht was.“ Nur langsam kehrte das warme Schmunzeln zurück, das sie in Gegenwart der Jüngeren öfter an den Tag legte. Gepaart mit diesem süffisanten Grinsen, das heute womöglich etwas länger auf sich warten lassen würde.
“Was macht deine Wunde?“ Die Jägerin hatte sich allmählich in Bewegung gesetzt und folgte blind dem Fingerzeig Talins in die Stadt hinein. Ihr Blick ruhte immer wieder im langsamen Wechsel auf dem Blondschopf und der relativ belebten Umgebung.


Immer noch mit einem Hauch Skepsis im Blick, zuckte Talin schließlich mit den Schultern und wandte sich in Richtung Stadt. Dennoch ging ihr dabei Skadis Verhalten nicht aus dem Kopf. Sie benahm sich...seltsam. Irgendetwas schien vorgefallen zu sein, oder vielleicht hatte sie auch einfach an all den Mist zurückgedacht, der vor nicht all zu langer Zeit geschehen war. So oder so, Talin hatte das Gefühl sie müsste etwas tun und deshalb entschied sie sich kurz entschlossen, die Dunkelhaarige einfach abzulenken. Sowohl von ihren Gedanken und Schmerzen, als auch von den Blicken, die die Blonde nicht verhindern konnte, ihr zu zuwerfen. Ein wenig fürchtete sie sich fast, irgendwann dafür verprügelt zu werden.
Deshalb war sie auch ganz froh, dass Skadi von sich aus, das Gespräch suchte. „Hm, eigentlich ziemlich gut. Manchmal ziept es noch ein wenig, aber ich bin so gut wie wieder hergestellt.“ Sie musterte die andere Frau, als sie in den Schatten der Häuser eintraten. „Und deine Wunden? Dich hat es doch auch ziemlich erwischt.“ Und zwar nicht nur körperlich.


Vielleicht mochten die Verletzungen von Talin und ihr nicht nennenswert sein, verglichen mit dem, was den Herrschaften widerfahren war. Doch für die Nordskov war es nicht weniger bedeutend – abgesehen von ihrem eigenen Zustand natürlich. Fast als wollte sie sich der Tatsache selbst vergewissern, glitten die dunklen Augen für einen Moment vom Gesicht ihres Kapitäns hinab zu ihrer Brust. An eben jene Stelle zwischen Schulter und Saum ihres Oberteils, an dem sich der Dolch des Kopfgeldjägers in ihre Haut gebohrt hatte. Nur um bei ihrer Frage augenblicklich wieder hinauf zu schnellen und unter einem amüsierten Schnauben zur Seite zu gleiten.
“Absolut aushaltbar. Ein paar Schrammen und Prellungen haben mich noch nie kleingekriegt.“ Dass Talin jedoch nicht DARAUF hinaus wollte, war ihr mehr als bewusst. Darauf antworten würde sie allerdings nicht. Nicht heute. Vielleicht nie. Und wieder kehrte dieses seltsame Gefühl zurück, das bereits an jenem Abend auf Mîlui präsent gewesen war. Dieser innere Kampf zwischen dem, was ihr altes Ich getan hätte und ihr Neues tunlichst vermied. Ob es klug war sich Talin anzuvertrauen? Ihr zu erzählen, was Liam bereits wusste und Enrique womöglich erahnte? Gott war sie grauenvoll im Umgang mit sozialen Kontakten geworden.


Sie wollte in Skadis Seite oder gegen ihre Schulter schlagen, einfach nur, um zu sehen, ob die andere Frau ihr auch wirklich die Wahrheit sagte. Also, natürlich glaubte sie ihr, wenn sie meinte, ein paar Schrammen würden sie nicht stören. Bei allen Welten, sie hatte länger verkleidet auf einem Marineschiff ausgehalten, als Talin selbst auf einem Piratenschiff. Und auf so einem Schipper voller Soldaten fuhren auf jeden Fall mehr vom anderen Geschlecht mit, als unter Captain Rondo damals. Allein dafür musste sie die andere Frau bewundern und kaufte ihr sofort ab, dass sie widerstandsfähiger war, als andere. Und trotzdem fühlte es sich immer noch nicht richtig an. Als wäre da noch etwas, abgesehen von dem, was in ihrer Seele lauerte. Sie nickte und trat auf einen kleinen Marktplatz hinaus, den sie vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatte. Die Stände reihten sich dicht an dicht und zwischen ihnen gingen Besucher fröhlich schwatzend umher. An einem Stand ganz in der Nähe, wurde Radau ausgelöst, als der kräftige Besitzer sich einen Jungen schnappte und schallende Ohrfeige verpasste. Der Junge starrte ihn nur trotzig an. Talin seufzte leise und sah zu Skadi, musterte sie aufmerksam. „Was denkst du? Sollten wir uns einmischen?“

Hatte sie sich für einen Augenblick von Talin abgewandt und den Blick auf die Auslagen der Stände neben sich gerichtet, lockte lautstarkes Gezeter ihre Aufmerksamkeit nun auf zwei Gestalten ein paar Armlängen voraus. Im ersten Moment wirkten sie wie Vater und Sohn. Vertieft in eine Auseinandersetzung, die Skadi unweigerlich an ihren Vater erinnerte.
“Wieso sollten wir?“ Wirkten die Worte zunächst gleichgültig, waren sie doch gänzlich anderer Natur, als Talin womöglich glauben konnte. Ganz sicher hing sie sich nicht in andere Leute Belange, schon gar nicht in erzieherische Maßnahmen eines Vaters.
“Du hast mir gar nichts zu sagen!“, brüllend hallten die Worte des Jungen über den Platz hinweg. Schwappten gegen die zwei Frauen, die nach nur wenigen Schritten am Stand des Hünen stehen blieben. Skadi den Blick auf die Waren gerichtet. Augenscheinlich wenig von dem Gerangel beeindruckt.

“ Wie viel kostet die?“ Nur langsam hob sich der dunkle Haarschopf und fixiert das puderrote Gesicht des Händlers, der irritiert und mit kochendem Blut in den Adern zu ihr herum sah. Demonstrativ deutete Skadi mit einem Finger auf die Halskette, deren Steine ganz offensichtlich poliert worden waren, um wertvoller zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren.


„Ja, natürlich. Warum sollten wir, nicht wahr?“ Und trotzdem nahmen sie irgendwie den Weg, der zwangsweise an dem Stand vorbeiführte, an dem sich der Mann und das Kind anschrien. Talin biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen, als Skadi sich eiskalt über die Warenauslage beugte und den Mann ansprach. Der wirkte völlig verwirrt, weil er nicht damit rechnete, dass er in so einem Augenblick Kundschaft erhalten könnte. Der Blick der Blonden wanderte weiter zu dem Jungen, dessen Gesicht, die Farbe seiner roten Haare angenommen hatte. Er ballte immer noch wütend die Fäuste und seine Wange schwoll ein klein wenig an. Offensichtlich hatte der Mann nicht mit Kraft gegeizt, als er zugeschlagen hatte.
Als hätte er einen Hebel in sich betätigt, veränderte sich das Verhalten des Verkäufers, nachdem er die erste Verwirrung überwunden hatte. Geflissentlich trat er näher zu Skadi, auch wenn man immer noch sehen konnte, wie eine Ader an seiner Stirn vor Wut pochte.
„Das gute Stück kostet Euch nur 28 Achter, gute Dame.“ Talin schnaubte. So viel war der Plunder niemals wert. Und weil der Junge anscheinend immer noch wütend war, mischte er sich einfach ein. „Das ist nicht wahr! Mein Vater hat es schätzen lassen, nachdem meine Schwester ein halbes Vermögen für so eine Kette ausgegeben hat. Es ist nur Plunder! Und jetzt will ich unser Geld zurück!“ Ah, dann waren die beiden also doch nicht Vater und Sohn.


Skadi verließ ein abschätziges, halb „amüsiertes“ Grunzen bei seinen Worten. Die Augen erst auf der Kette, dann auf dem Verkäufer gerichtet, dessen Temperament schlagartig abgekühlt war. Hatte ihr noch ein sarkastischer Kommentar über die Lippen gleiten wollen, rückte die vibrierende Stimme des Jungen in den Vordergrund. Darum war es also bei ihrem Streit gegangen, interessant. Mit erhobener Augenbraue erhob sich die Nordskov zur vollen Größe, musterte den Fremden skeptisch, dessen Wangen Sekunde um Sekunde erneut von roten Flecken überzogen wurde, ehe sie an seiner breiten Gestalt zu dem Rotschopf hinab sah.

“Das ist Verleumdung!“

“Ach… wirklich?“ Ein bitteres Auflachen stahl sich aus der Kehle der Nordskov. “So wie eure Kette dort nicht den Wert von ein paar Murmeln hat?“

Der Hüne japste. Zauberte Skadi damit ein süffisantes Lächeln auf die Lippen, während sie sich zu dem Schmuckstück herab bückte und es mit Daumen und Zeigefinger vor ihr Gesicht hob.

“Oder wollt ihr mir weiß machen, dass diese Edelsteine nicht aus Glas sind?“


Talin schnalzte mit der Zunge, als der Händler wieder auffuhr. Sie machte sich bereit, zwischen ihn und den Jungen zu treten, für den Fall, dass es wieder zu Handgreiflichkeiten kommen sollte. Aber Skadi zog die Aufmerksamkeit des Mannes einfach wieder auf sich und bohrte ihren Finger noch einmal in die Wunde hinein, die der Junge geschlagen hatte.
Die Blonde schmunzelte belustigt, hielt sich aber aus dem Streit heraus, sondern beobachtete nur, wie der Mann rot wurde und sich wand.
„Meine Dame, bitte. Ich habe nie gesagt, es wären echte Edelsteine, die hier ausliegen. Da würde ich mich ja vor Dieben, wie dem Burschen, kaum retten können.“ Er funkelte den Jungen böse an, der ebenso erbost zurück starrte. Dann wandte sich der Verkäufer mit einem kleinen Lächeln an Skadi. „Ich habe den Jungen mit der Hand in meiner Kasse erwischt. Daher habe ich ihn geschlagen und wollte ihn zu den Bütteln bringen. Ich weiß nichts davon, ihm oder seinen Angehörigen eine Kette verkauft zu haben.“„Lüge!“ Der Junge spie das Wort aus, als wollte er dem Mann am liebsten ins Gesicht spucken. Er kramte in einer zerlumpten Tasche und holte eine silberne Kette mit blauen Steinen heraus. Talin schnalzte erneut mit der Zunge und sah zu der Kette in Skadis Hand. Ziemlich identisch. Doch der Mann wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Wieder lief er rot an, seine Ader auf der Stirn pochte. „Du dreckiger Lump! Die hast du mir gerad von der Auslage geklaut!“ Er erhob die Hand und wollte wieder nach dem Kind schlagen.


Den Jungen zu schlagen war eine Sache. Sich auch noch mit Worten aus so einer Situation heraus zu winden und sie für blöd zu verkaufen eine ganz andere. Augenblicklich rollten die Augen der Dunkelhaarigen genervt zur Seite, gefolgt von einem schweren Seufzen, indem die Kette klimpernd unter einem festen Griff ihrer Finger zusammenkrachte. Doch noch ehe sie sich wortgewaltig darüber auslassen konnte, mit welchen fadenscheinigen Argumenten er um sich warf und für wie dumm er sie eigentlich hielt, kam plötzlich Bewegung in die Szenerie.
Fast schon aus Reflex schnellte die freie Hand zum Handgelenk des Hünen hinauf. Gefolgt von einem Blick, der ihn nur zu gern in tausend Einzelteile zerlegte. Hatte Skadi noch vor wenigen Minuten vorgehabt sich aus dieser Angelegenheit heraus zu halten, war es nun ihr Körper der vollkommen eigenmächtig über den Werdegang dieser Auseinandersetzung entschied. Zumindest in einem konnte sie sich kontrollieren: ihren Kopf von einer eher schmerzhaften Begrüßung mit seinem Gesicht abzuhalten.

“Na aber. Wir wollen doch nicht gleich handgreiflich werden, oder?“

Ein tiefes Brummen drang aus seiner Kehle, prallte jedoch an der eiskalten Ausstrahlung der Jägerin ab, dessen feine Züge ein erhabenes Lächeln zierte.

“Wäre doch ein Jammer EUCH zu den Bütteln bringen zu müssen.“


Talins Mundwinkel zuckten in die Höhe, ebenso wie ihre Augenbraue. „Nein, wir wollen uns gar nicht einmischen,“ flüsterte sie leise und seufzte dann. Sie löste die verschränkten Arme und ging auf den Jungen zu. Er mochte vielleicht acht oder neun Jahre alt sein. Das er hier stand und Gerechtigkeit für seine Familie forderte, war bemerkenswert. Oder eine Lüge. So oder so. Sie konnte es einfach nicht leiden, wenn Erwachsene Kinder schlugen.
Mit einem sanften Lächeln ging sie vor dem Kind in die Hocke und ignorierte seinen skeptischen Blick. Sie wusste, Skadi würde den Mann hinhalten können, auch wenn er sich schon mit drohendem Gesichtsausdruck von dem Jungen zu Skadi umgewandt. Was für ein Idiot. Während sie den Jungen also weiter musterte, hörte sie den Mann mit gepresster Stimme reden. „Meine Dame, ich verstehe, wenn Frauen Kinder beschützen möchten, aber der Bursche ist ein gemeiner Dieb. Und das Ihr meine Ware beschädigt habt, muss ich euch leider in Rechnung stellen.“ Hörte Talin da etwas so was wie Gier aus seiner Stimme? Glaubte er etwa wirklich, sie würden nicht zur Stadtwache gehen und ihn anzeigen? Nun, vielleicht war das momentan keine gute Idee bei den ganzen Steckbriefen. Wobei sie wenig Ähnlichkeit mit ihnen hatten.
Talin schüttelte den Kopf und sah den Jungen an. „Wie viel hat deine Schwester für die Kette bezahlt?“ Seine Augen verengten sich noch skeptischer, bevor er auf die Kette hinunter sah und dann wieder zu der Blonden. „23 Achter,“ sagte er sehr, sehr leise. „Sie sollte damit eigentlich Essen für die Woche holen.“ Talin schnaubte angewidert und sah sich zu Skadi um. „23 Achter soll die Kette gekostet haben. Was meinst du, meine Liebe?“


“Da wo ich herkomme, spannt man Scharlatane wie sie nackt hinter einen Karren und lässt sie durch die ganze Stadt schleifen, damit der dumme Pöbel wie wir ihn mit Abfall bewerfen kann… oder man schneidet ihnen alternativ die Hand ab.“ Manchmal tat man dies auch mit Dieben, aber DAS war wohl ein Punkt, den sie lieber unausgesprochen ließ. Ohnehin nahm dieses Gespräch eine Richtung an, die sie eigentlich hatte vermeiden wollen. Für die nächsten Tage und Wochen. Aber das Leben hatte wohl – wie allzu oft – seine eigenen Pläne.
“Aber ich werde mal nicht so sein. Immerhin braucht ihr sicher beide, um diesen Schrott an die Frau und euch ein bisschen private Freude zu bringen.“ Demonstrativ ließ sie von ihm ab und drückte ihm die Kette gegen die Brust. Nicht, dass sie vor lauter Anspannung wirklich noch Kratzer in diesem kostbaren Glas hinterließ oder dazu überging das hässliche Teil in seine Visage zu drücken. Gerade heute, wo sie ihre Dämonen in einem ruhigen Tiefschlaf zurückgelassen hatte und wusste, dass ihre Kraft nicht reichte, um sie dorthin zurück zu sperren.
Für Talins Worte hatte die Jägerin nur ein herablassendes Schnauben übrig. Gefolgt von einem tadelnden Schnalzen ihrer Zunge, das sie gegen den Hünen richtete, der noch immer schnaubend, aber mit deutlich angeschwellter Brust vor  ihr stand. Nur noch ein Quenchen mehr und er würde ausrasten. Über sie herfallen und es für alle Beteiligte sehr viel einfacher machen, diese Diskussion zu einem Ende zu führen. Mit der Quintessenz, dass es nicht IHR Verschulden gewesen war.
“Das ist unerhört! Was fällt ihnen ein?!“
“Wie hoch ist wohl die Strafe für Betrug? 100 Achter? 200? Oder wird man hier öffentlich auf dem Markt ausgepeitscht?“
Ihr Blick glitt zur Seite. Fixierte am Ende der Straße eine kleine Gruppe junger Männer. Na wenn das nicht jene Bütteln waren, die der Fremde angesprochen hatten.


Skadis Reaktion auf ihre Worte entsprachen in etwa Talins eigener. Nur der Standbesitzer wollte sich die Frechheiten der beiden Frauen wohl nicht auf sich sitzen lassen und plusterte sich vor ihren Augen auf. Obwohl sie sich ja eigentlich nicht einmischten, trat die Blonde zum Schutz vor den Jungen, damit er nichts von dem abbekam, was auch immer ihnen durch eine wörtliche Drohung zugefügt werden sollte. Skadi schien den Mann gar nicht richtig zu beachten, sondern an ihm vorbei zu sehen. Talin folgte ihrem Blick und schnitt eine Grimasse zwischen Grinsen und Missmut. Sie wusste nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, die Büttel in die ganze Sache mit einzubeziehen. Aber wenn der Mann noch lauter schrie, dann würde es sich sowieso nicht vermeiden lassen. Und anscheinend hatte er Skadis Fragen gleich als Drohung aufgefasst. „Was soll das heißen!?!?“, wetterte er los. „Wollt ihr mich einer Straftat bezichtigen, weil so ein dummes Ding ihr Geld nicht bei sich behalten kann?!?!?“ Seine Stimme hallte durch die Luft über den restlichen Lärm des Marktes und ließ alles um sie herum verstummen. Die jungen Männer in ihren Uniformen waren nun doch auf sie aufmerksam geworden und setzten sich mit wachsamen Gesichtsausdrücken zu ihnen in Bewegung. „Dann gebt ihr also zu, seiner Schwester die Kette verkauft zu haben? Der Junge ist also kein Dieb?“ Der Händler lief rot an vor Zorn, ob auf sich selbst oder wegen Talins ruhiger Worte, dass wusste sie nicht. Aber in dem Moment schien irgendetwas in ihm zu reißen. Er hob den Arm, als wollte er zuschlagen, warf aber nur die Kette nach der Blonden, die sie schmerzhaft an der Schläfe traf. Wie alt war der Typ? Aber anscheinend reiche ihm das nicht, um seine Wut zu besänftigen. Stattdessen drehte er sich halb um und machte sich daran Skadi anzugreifen. Was für ein dummer, wirklich dummer Fehler.


RE: Talin & Skadi - Talin Dravean - 13.02.2022

Aus den Augenwinkeln sah die Nordskov zu dem Fremden hinüber, dessen Gesicht alsbald explodierte. Talins Worte und die ihren waren nur noch ein Tropfen auf den bereits kochendheißen Stein, der nun auch von den Männern des Gesetzes nicht unbemerkt geblieben war. Entgegen Talins Besorgnis, herrschte in der Dunkelhaarigen gähnende Leere. Berechnende Gleichgültigkeit, die sie mit einem Lächeln auf den Lippen trug, ehe Bewegung in die Szenerie kam. Der Hüne warf das Schmuckstück gegen Talins Stirn, was Skadi lediglich dem lautstarken Klatschen und dem leisen Zischeln der Jüngeren entnahm. Denn ihr Blick blieb wie das eines Raubtiers auf dem hochroten Kopf vor sich gerichtet. Und fast, als habe sie all das einstudiert, als wäre es Teil eines Schmierentheaters, das sie bereits seit Wochen probten, erhob sie ihre Stimme und wich so weit zurück, dass die ausgestreckte Faust knapp ihren Kopf streifte. Mit aufgeplatzter Lippe stand die Nordskov nun auf dem Markplatz, umringt von schockierten Schaulustigen, deren aufgeregte Atemzüge sie mit zufrieden klopfendem Herzen wahrnahm. Der Kerl war eiskalt in ihre Falle getappt.
“Sind sie denn verrückt geworden?! Was soll das?“

Demonstrativ huschten die langen Finger erst an die vollen Lippen, dann hinauf zu ihrer Nasenspitze. Blut tropfte hinab. Deutlich zu sehen, kaum dass auch die Männer in Uniform die kleine Gruppe erreichten und der Verkäufer stotternd zu sagen versuchte, wie wenig Schuld er eigentlich an dem Ausgang dieser Auseinandersetzung war.
Doch angesichts des aufkeimenden Geschreis der Umstehenden drang nur noch ein halbes Röcheln aus ihm heraus.


In Ordnung, sie hatte etwas anderes erwartet. Wenn sie ehrlich wahr, hätte Talin gedacht, dass der Verkäufer bald seine eigene Faust im Gesicht haben und auf dem Boden liegen würde, als dass er Skadi treffen könnte. Stattdessen aber wich die Brünette aus und noch nicht einmal so elegant, dass der Angreifer sie verfehlte. Talins Augenbraue wanderte überrascht in die Höhe und sie wollte schon einen Schritt auf die andere Frau zu machen, um ihr zu helfen, als ihr die Uniformierten einfielen, die sich auch schon prompt einmischten. Zwei der Männer wandten sich strafend an den Verkäufer und verurteilten ihn fast sofort, für den Aufruhr, den er veranstaltet hatte. Ein dritter wandte sich an Skadi und hielt sie am Arm fest, als würde sie gleich umkippen. „Alles in Ordnung mit Ihnen? Hat er sie schlimm verletzt?“ Etwas hilflos sah er sich um und entdeckte Talin. Bevor er etwas zu der Blonden sagen konnte, trat sie mit dem Kind an der Hand einen Schritt vor. „Geht es dir gut, Liebes? Ich fasse es nicht, dass er so einen Aufstand macht, nur weil wir ihn nach der Herkunft seines Schmuckes gefragt haben.“ Wenn es sein musste, dann konnte Talin wirklich sehr, sehr traurig gucken. Aber anscheinend schien der Verkäufer von seinen kleinlauten Erklärungen zu Vorwürfen übergegangen zu sein. Denn kaum hatte die Blonde ausgesprochen, erhob er seine Stimme gegen sie. „So ein Unsinn! Das Kind wollte mich beklauen!“ Offensichtlich hatte er sich von den kurzen Schreck erholt und wollte jetzt aus der Situation Kapital schlagen. Denn würden sich die Uniformierten wirklich auf die Seite von zwei Frauen und einem Kind schlagen? Ja...wenn man die richtigen Emotionen verwendete. „Aber wieso schlagen sie meine Freundin, wo wir doch mit der ganzen Sache gar nichts zu tun haben?“ Talin sah erst zu dem Verkäufer und dann, schon fast den Tränen nahe zu dem Uniformierten in der Nähe von Skadi.

Ihr erster Impuls kratzte unbarmherzig an ihrer Kehle. Doch Skadi hielt dem Versuch ihres Körpers stand, sich aus der Berührung zu reißen, die sich sengend auf ihrem Arm hinterließ. Der Uniformierte war Teil ihres Plans. Sie brauchten ihn. Sie brauchten sein Mitgefühl, diesen Funken an Gewissen, der sich durch seinen Körper fraß, wann immer er sie auch nur ansah. Sichtlich erschüttert sah Skadi zur Seite, begegnete einem hellen Paar Augen und schluckte, als kämpfe sie mit ihrem Verstand und den Geschehnissen der Realität.
"Meine Nase... brennt... wie Feuer." Erneut schluckte sie. Verlor den Halt und stolperte einen Augenblick zur Seite, tiefer in die Arme des Fremden hinein, der sie schockierte stützte und wieder aufrichtete.
"Miss?!"
Der Zweite uniformierte wandte sich herum. Beäugte die Situation zu seiner Seite aufmerksam, ehe er sich erneut dem Verkäufer und Talin zuwandte, die wie einstudiert den hitzigen Schlagabtausch fortfuhr. Wie eine Löwenmutter stand sie neben dem Jungen, der unsicher zwischen den Parteien hin und her sah und die langen Finger der Fremden umklammert hielt. Ob er verstand, was die zwei Frauen beabsichtigten? Skadi konnte es nur hoffen, als sie sich ihrerseits an der Stadtwache festhielt und schwer ein und ausatmete.
"Ich glaube... ich muss... mich irgendwo hinsetzen."
"Mit der Sache nichts zu tun?! Hören sie Miss. SIE waren es doch, die sich für den Jungen verbürgt haben, der MICH bestehlen wollte! SIE waren es, die mich und meine wundervollen Ketten bloß gestellt und beleidigt haben. Ihrer Freundin sollte man den Mund auswaschen! Teufelszeug hat sie gesprochen. Unerhörtes TEUFELSZEUG!"


Sie musste sehr mit sich kämpfen, nicht einfach zu lachen. Statt diesem Drang nach zugeben, drückte sie die Hand des Kindes an ihrer Seite ein wenig fester, passte aber auf, dass es nicht vor Schmerzen das Gesicht verzehrte. Stattdessen schien es aber zu wissen, was es tun musste und sah eher so aus, als würde es gleich weinen wollen. Sehr schön, sehr schön. Obwohl Talin sich nicht sicher war, ob es aufgrund ihrer kräftigeren Händedrucks oder dem Geschrei des Verkäufers sein sollte. Und da sowohl das Kind, als auch Skadi ihren Teil dazu betrugen, das ganze Schauspiel galant über die Bühne zu bringen, durfte Talin nicht hinten anstehen.
„Teufelszeug? Der Junge wollte sein Geld zurück, weil ihr die Kette zu teuer verkauft habt. Und wie reagiert ihr? Ihr schlagt meine arme Freundin! Seht doch nur! Sie kann kaum Blut sehen, deshalb wird sie so schwach. Rechtfertigen unsere Anschuldigungen wirklich Schläge?“ Sie spürte ein leises Zögern, eine Ungewissheit in der Luft und wusste, dass zumindest der Soldat bei Skadi auf ihrer Seite war. Der war sogar gleich so hilfsbereit, dass er der Brünetten einen kleinen Hocker hinter einem Stand hervor holen ließ, damit sie sich setzen konnte. Aber anscheinend fand der Verkäufer immer noch Worte, um sich zu verteidigen. Oder zumindest wollte er das, denn einer der anderen Soldaten legte ihm eine Hand auf die Schulter, bevor der Verkäufer sprechen konnte. „Ihr solltet erst einmal ruhig bleiben. Ihr dürft nicht einfach so jemanden schlagen, weil er eure Ketten kritisiert.“ Er warf dem Mann einen unwirschen Blick zu und sah sich selbst einmal die Auslage an, bevor er schnaubte. „Die Ketten sind wirklich nicht die beste Qualität. Hey, Kleiner. Zeig mal die, die du da in der Hand hälst.“


Nur langsam ließ sich Skadi auf dem Hocker nieder, den Kopf in den Nacken gelegt, um nicht noch mehr Blut auf ihre Kleidung tropfen zu lassen. Zwar konnte sie weder Talin noch den Jungen sehen, der bei den Worten der Wache nur zögerlich hinter dem Lockenkopf hervor trat, doch sie lauschte den Umstehenden aufmerksam, während der junge Mann neben ihr dazu überging ihre Nase zu versorgen.
"Hier." Hatte er erst einen Augenblick gezögert, hob er langsam seinen Arm in Richtung der ausgestreckten Hand. Beobachtete den Wachmann dabei, wie er prüfend das Schmuckstück vor seine Augen hielt und es dann mit abschätzigem Blick seinem Kollegen zeigte.
"Als ich sie dem Mann geben wollte, hat er mich weggeschupst und mir ins Gesicht geschlagen."
Wieder glitten die Blicke zwischen dem Jungen und dem Verkäufer hin und her. Galten dann einander, kaum dass die Kette an den Zweiten weitergereicht und unter die Lupe genommen wurde.
"Für wie viel hat er sie dir verkauft, mein Kleiner?"
"Meine Herren. Haben sie mir denn nicht zugehört? Er wollte mich bestehlen!"


Talin war versucht sich die Schläfen zu massieren, weil der Mann einfach nicht aufhören wollte, sich zu verteidigen. Dabei sagten die Blicke der Uniformierten, die sich die Kette hin und her reichten, eigentlich schon alles. Sie sahen, dass die Kette kaum etwas wert war und wollten von dem Jungen nur wissen, wie sie das am besten lösen könnten, wenn er ihnen eine viel zu hohe Summe sagte. Aber der Verkäufer schien sich mit aller Macht verteidigen zu wollen. Wahrscheinlich vor allem, um dem Gefängnis zu entkommen. „Als wir dazu kamen hatten sie den Jungen schon längst gepackt. Warum habt Ihr nicht gleich die Wachen geholt, um den Dieb zu stellen?“ „Ich...ich war doch gerade dabei, als...ja...als ihr beiden Hexen euch eingemischt habt!“ Talin versteckte hinter einem Schluchzen ihr Schnauben. So einen Schwachsinn hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Doch sie stubste den Jungen nur in die Seite, damit er auf die Frage des Uniformierten antwortete. „23 Achter. Aber die hab nicht ich bezahlt, sondern meine Schwester.“ Wieder schnaubte der Soldat, trotz seiner immer noch vorhandenen Zweifel. Er wandte sich an den Verkäufer. „Werter Herr, Ihr wisst, dass diese Kette nie und nimmer 23 Achter wert ist. Wie konntet ihr das Mädchen nur so ausnehmen?“ „Das ist eine Lüge! Ich verkaufe meine Ketten zu ehrlichen Preisen.“ Talin verdrehte innerlich die Augen. „Aber selbst wenn Ihr das tut, wie könnt Ihr dann meine Freundin schlagen?“ Die Blonde drehte sich leicht zu Skadi um. „Wie geht es dir meine Liebe? Tut es sehr weh?“

Je mehr der Mann sprach, desto stärker verwickelte er sich in Ausflüchte, Anschuldigungen und ein moralisches Dilemma, dem er sich kaum mehr entwinden konnte. Wie eine Schlange zog sich die Situation um ihn zusammen. Stärker und stärker, je mehr er sich bewegte. Nur noch wenige Augenblicke und sie wurden den Kerl endgültig los.

"Als hätte man mir mit einem Stein ins Gesicht geschlagen."

Es war übertrieben, doch so bildlich, dass selbst die Soldaten verstanden, dass der vermeintlich sanfte "Treffer" mehr war, als der Kerl behauptete. Oder zumindest Skadi sie glauben lassen wollte.

"Wieso wolltet ihr mir die Kette in eurer Hand dann für 28 Achter verkaufen?"

An dem Tuch vorbei, das der Wachmann an ihrer Seite ihr auf die Nase gedrückt hielt, schielte Skadi zu dem Verkäufer hinüber, der erst irritiert ihren Blick erwiderte, um dann mit offenem Mund auf die blauen Steine hinab zu starren, die in dem hellem Metall der Kette eingefasst waren.


Voller Mitgefühl sah Talin Skadi an und wäre wenn nötig sogar in Tränen ausgebrochen, aber die Uniformierten sahen sowieso schon überzeugt aus, deshalb ließ sie ihre Krokodilstränen dort, wo sie waren. Und als Skadi ihren letzten Trumpf auswarf, konnte Talin sogar ein kleines Lächeln nicht verbergen. Der Verkäufer sah hilflos zwischen seiner Hand und der Brünetten hin und her und schien nicht so recht zu wissen, wie er dieser Schlinge entgehen sollte. Auch die Wachen schienen das zusehen und schüttelten nur den Kopf. „Dann würde ich sagen, wir unterhalten uns noch einmal in Ruhe und mit weniger Publikum, meint Ihr nicht?“ Der Junge schien zu spüren, dass die Stimmung ein wenig zu kippen schien und drängte sich hinter Talin ein wenig mehr nach vorn. „Was...was ist mit dem Geld? Ich brauche es wirklich dringend wieder.“ Einer der Uniformierten fuhr sich über die Haare und beugte sich dann zu dem Jungen hinab. „Wir werden sehen, was wir machen können, aber so schnell geht das nicht.“ Das Kind biss sich auf die Unterlippe und verfiel in hilfloses Schweigen.
Den Moment wählte der Uniformierte, der bis jetzt geschwiegen und Skadi einer intensiven Musterung unterzogen hatte. „Hey...sag mal, kennen wir uns nicht irgendwo her? Ich glaube dich schon einmal gesehen zu haben. Im Ring? Kann das sein?“ Upsi...


So viel zu dem kleinen und „kurzweiligen“ Ausflug. Ehrlich gesagt hatte die Nordskov absolut keine Lust sich mit den Wachen in ruhige Räumlichkeiten zurück zu ziehen. Erst Recht nicht mit einer blutenden Nase und einer Lüge im Gepäck. Ganz gleich, wie sehr ihr Wort und das Talins gegen das des Händlers stand, der wohl nicht zum ersten Mal seine Kundschaft hinters Licht geführt hatte.
Was dann jedoch ihr Herz für einen Moment aus dem Takt brachte, war nichts, womit sie gerechnet hatte. Mit skeptischer Miene sah sie unter dem Tuch hinweg auf den zweiten Mann, der bisher vollkommen stillschweigend im Hintergrund geblieben war.
“Was für ein Ring?“ Die Frage kam so schnell und so unbedarft über ihre Lippen, dass es nicht einmal eine wirkliche Finte war. Sie hatte absolut keine Ahnung wovon er sprach. Und selbst als ihr wenige Atemzüge später bewusst wurde, worauf er anspielte, veränderte sich nichts in ihren Zügen an dem skeptischen und verständnislosen Ausdruck.
Hoffentlich würde Talin sich alsbald dazwischen werfen und sie aus dieser Lage heraus holen, in die sie sie immerhin hineingeworfen hatte. Selbst wenn es ihre Worte gewesen waren, die den Stein ins Rollen gebracht hatten.


Sie wusste nicht sofort, welches Feuer sie zuerst löschen sollte. Sollte sie dem Jungen helfen, der so dringend sein Geld benötigte oder sollte sie sich lieber Skadi zuwenden, die drohte aufzufliegen. Zum Glück schien die junge Frau aber sehr gut die Planlose spielen zu können, denn ihr Blick sagte, dass sie keine Ahnung hatte, wovon der Stadtwächter da sprach. Da die Situation für den Moment gerettet zu sein schien, sah sie zu dem Büttel vor ihr auf. „Ich bin mir sicher, dass es eine Weile dauern wird, bis das Problem gelöst werden kann, aber besteht nicht die Möglichkeit, dem Jungen sein Geld schon vorher wieder zurückzugeben?“ Der Wächter schien wirklich nach einer Lösung zu suchen, so angestrengt hatte er das Gesicht verzogen. Schließlich antwortete er langsam, fast ein bisschen zögernd: „Wir können ihn mit zur Wache nehmen und zusehen, dass es vielleicht ein wenig schneller geht. Wenn Ihr und Eure Freundin...“ Talin ließ ihn gar nicht weiter ausreden, sondern legte sofort eine bedauernde und besorgte Mine auf. „Meine Freundin ist verletzt, ich möchte sie lieber zu einem Medikus schaffen, damit dieser ihre Nase ansehen kann. Danach werden wir sofort auf die Wache kommen.“ Noch während sie sprach, trat sie hinüber zu Skadi und half ihr umständlich dabei, sich aufzurichten. Sie stellte sich dabei so hin, dass sie ein wenig zwischen dem zweiten Soldaten und der anderen Frau stand, auch wenn Talin mit ihrer Körpergröße wenig dazu beitragen konnte, Skadi abzuschirmen. Deshalb sah sie Mitleid heischend zwischen den Männern hin und her, die nicht ganz zu wissen schienen, wie sie reagieren sollten. Der eine von beiden setzte sogar schon dazu an, zu sprechen. Vermutlich um ihnen zu sagen, dass sie doch erst einmal bleiben sollten. Und was dann? Am Ende erkannten sie noch mehr als nur eine Frau, die in irgendwelchen Ringen auftrat.
Talin unterdrückte das Verlangen, Skadi auf den Fuß zutreten und eine Reaktion von ihr hervor zulocken und sah die andere Frau stattdessen mit einem Blick an, der besagte, sie solle so tun, als würde sie gleich vor Schmerzen sterben.


Der skeptische Blick des Uniformierten bohrte sich noch immer in ihre Augen. An seinem Kollegen vorbei, der erst von dem Stück Stoff an ihrer Nase abließ, als sie selbst vorsichtig mit den Fingerspitzen dagegen drückte. Doch Skadi wusste, dass sie ihm in jenem Moment keine Angriffsfläche bieten durfte. Andernfalls wäre dieser Ausflug schneller vorbei, als ihr und erst Recht Talin lieb war. Nicht auszumalen, welches Theater Lucien veranstalten würde, wenn sie seine Schwester ungewollt in diese Angelegenheiten hinein manövrierte.
Ganz gleich wie gut sie auch darin war, es ohne fremde Hilfe dorthin zu schaffen. An Orte, die eine Spur Nervenkitzel in ihren Adern hinterließ. So lebte es sich schließlich als Pirat am besten. Nicht wahr?
Fast blind griff die Nordskov nach dem Handgelenk der Jüngeren, deren zierliche Gestalt sich zwischen sie und die Herrschaften geschoben hatte, um sie auf sich Aufmerksam zu machen. Nicht, weil sie etwas Wichtiges zu sagen gehabt hätte, sondern weil es ihrem Schauspiel zuträglich war.

“Mir… mir wird irgendwie schwindelig… ist das normal?“ Nein. War es nicht. Skadi wusste das. Genauso wenig, wie dunkle Flecken vor den Augen oder plötzliche Blindheit. Augenblicklich verkrampfte sich ihr Körper. Gut sichtbar für jeden im näheren Umkreis. Zu tun als wäre ihr schlecht, war ihr in all den Jahren als Frau in Fleisch und … im wahrsten Sinne des Wortes… Blut übergegangen. Denn selbiges schob sich immer intensiver auf den hellen Stoff vor ihrer Nase – und DAS war nicht einmal mehr wirklich Teil des Theaterstücks.


Ihr Seitenblick lohnte sich. Kaum hatte Talin stumm den Wunsch nach einem Theater geäußert, bot Skadi auch schon die nahezu ohnmächtige Damsel, die dringend die Sorge eines Medikus benötigte. Hätte diese Situation sie nicht in große Schwierigkeiten gemacht, so hätte Talin am liebsten aufgelacht. Doch sie unterdrückte das Verlangen mit wildrasendem Herzen, in der Hoffnung, die Männer würden sie bei dieser Darbietung ziehen lassen. Einzig das Blut auf dem Tuch vor Skadis Nase machte der Blonden doch Sorge. Blutete eine gebrochene Nase wirklich so schlimm? Sie hatte es bei Kneipenschlägereien nie bis zu Ende verfolgt, wenn ein Betrunkener einem anderen die Faust ins Gesicht schlug. Aber das war in diesem Moment eigentlich auch unwichtig. Statt also weiter darüber nachzugrübeln, machte Talin einen Schritt zurück, direkt an die Seite von Skadi, legte einen Arm um ihre Hüfte und berührte mit der anderen Hand den Ellenbogen der Dunkelhaarigen, bevor sie mit ihrem besten besorgten Ausdruck die beiden Männer ansah. Sie waren immer noch skeptisch, zumindest der eine von beiden und vermutlich wollten die Büttel die beiden Frauen auch nicht alleine ziehen lassen. Aber auf der anderen Seite konnten sie es nicht erlauben, dass eine Verletzte mitten auf dem Marktplatz einfach umkippte. Sie entspannten sich nicht, aber die Vorsichtig wich ein wenig aus ihrem Blick. „Nun gut. Wisst Ihr, wo sich ein Medikus befindet?“ Talin nickte, hatte Sorge dass sich die Erleichterung in ihrer Stimme hören lassen würde, wenn sie nun sprach. „Gut, dann bringt eure Freundin dorthin. Kommt danach sofort zur Station der Stadtwache, damit Ihr beide Euer Zeugnis ablegen könnt.“ Der eine wandte sich zu dem Jungen um, sprach leise ein paar Worte zu ihm, woraufhin der Junge nickte. Er schielte an den Männern vorbei und schenkte Skadi und Talin einen dankbaren Blick, bevor er mit dem ersten Mann verschwand.
Der andere blieb noch einen Moment stehen, betrachtete die beiden Frauen, während Talin ihn mit einem kleinen Lächeln noch einmal zunickte und dann Skadi von der Menschenmenge und den wachsamen Augen fortführte. Nachdem sie einige Biegungen durch Gassen genommen haben und die Blonde dachte, doch nicht verfolgt zu werden, blieb sie stehen und stellte sich vor Skadi. „Ich glaube ich muss mir die Haare schneiden oder sie färben...“ Sie stieß die Luft aus und betrachtete besorgt die Nase ihrer Begleiterin. „Wie gehts der Nase?“



RE: Talin & Skadi - Skadi Nordskov - 13.02.2022

Den ganzen Weg über versuchte Skadi nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern, während Talin sie von einer Abzweigung in die nächste schob. Drückte noch immer das Tuch auf ihre Nase, die mit voranschreitender Zeit immer weniger blutete. Und kaum dass die Blondine stehen blieb, senkte sie das Stück Stoff in ihrer Hand. Leckte sich über die Lippen, weil sie kaum das Gefühl los wurde, dass sich dort etwas Blut hinverirrt hatte.
“Geht schon. Hab weitaus schlimmeres erlebt.“ Was nicht bedeuten sollte, dass sie robuster war als sie aussah und ihr niemand etwas konnte. Doch im Vergleich zu gebrochenen Rippen und Pfeilspitzen im Körper, war das hier wie ein kleiner Spaziergang. Sicherlich nicht schmerzfrei, aber aushaltbar, um nicht innerhalb weniger Minuten umzukippen.
“Ich würde dennoch einiges darum geben, dass es aufhört zu bluten. Oder zumindest irgendwas Kühles drauf zu tun.“ Doch es würde Minuten oder gar Stunden brauchen, bis sie an eine Süßwasserquelle kamen. “Aber das war eine beeindruckende Leistung… man könnte meinen, du hast im Theater gespielt.“ Ein Grinsen schob sich auf ihre Lippen. Zupfte unangenehm an ihren Nasenflügeln. Spannte auf der rot verkrusteten Haut drum herum.


Talin trat einen Schritt näher an Skadi heran und betrachtet aufmerksam das langsam antrocknende Blut an der Nase der älteren. Erleichterung, dass es nicht so schlimm war, wie sie befürchtet hatte, durchflutete sie. Gleichzeitig fragte sie sich allerdings auch, was die andere sonst noch für schlimmeres erlebt hatte, als dass sie eine verletzte Nase nicht als so schwerwiegend einstufte. Eine Sekunde länger blieb die Blonde vor der anderen stehen, bevor sie nach ihrer Hand griff und sie sanft, aber bestimmt, weiter zog. „Wir sollten dir dann etwas suchen, was deine Nase kühlen kann. Denn so können wir dich ja nicht weiter herumlaufen lassen. So sieht doch keine junge Dame aus.“ Sie grinste schief über ihre Schulter und zog Skadi um eine Ecke, während sie gleichzeitig über die Worte der anderen nachdachte. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe ein knappes Jahr in einem Bordell gearbeitet. Du lernst zu schauspielern, wenn du andere unterhalten willst.“ Und wenn sie darüber nachdachte, dann war es auch nichts anderes, als sie sich auf der Sphin als Schiffsjunge versteckt hatte. In dem Sinne konnte man vielleicht sagen, dass sie ein recht passables Schauspiel abgeben konnte. „Aber deine Leistung war auch nicht von schlechten Eltern. Bis auf das mit deiner Nase. Ich kann nicht glauben, dass dir das so wenig ausmacht.“

Skadi schnaubte amüsiert und kassierte prompt die Quittung dafür. Allein der Druck auf ihrem Handrücken hielt dem Pochen in ihrem Gesicht stand. Wie ein angenehmer Gegenspieler. "Ich bezweifle, dass ich auch ohne meine Boxernase etwas damenhaftes an mir habe." Ihre Haut war weit davon entfernt makellos zu sein. Vernarbt. Braun gebrannt und mit schwarzer Tinte bemalt. Sie ginge mehr als Bardame durch. Oder als Wilde. Oder ja... man musste es sich eingestehen... als waschechte Piratin. Was Talin dann jedoch aussprach, ließ die Nordskov schlagartig verstummen. Senkte den Blick aus dunklen Augen auf den hellen Hinterkopf, dessen Locken bei jedem Schritt von der einen zur anderen Seite wiegten. "Bist du deshalb damals beim Anblick dieses schwanzlosen Kerls so von der Rolle gewesen?" Man konnte es nicht schöner ausdrücken. Zumindest nicht, wenn man in der Welt von Skadi steckte, die sich nicht auf die feinen Wortspiele der gehobenen Gesellschaft verstand.

Auf Skadis Worte hin wandte sie noch einmal den Kopf nach hinten, um die junge Frau zu mustern. Es war ein Reflex, denn man musterte wohl immer jemanden, wenn der selbst nicht so viel von seinem Äußeren zu halten schien. Nach den Maßstäben, die sie bis jetzt kennengelernt hatte, musste sie der Dunkelhaarigen recht geben. Für viele Männer musste eine Frau aussehen, wie eine unschuldige Prinzessin, weich, zierlich und gleichzeitig üppig. Wenige hatten etwas für ein ‚Mannsweib‘ übrig. Sie schmunzelte leicht darüber, denn für sie sah Skadi gar nicht so aus. Auch wenn sie vielleicht Narben hatte und gebräunt war, vom vielen Aufenthalt unter der Sonne, so machte sie das nicht weniger attraktiv. Am liebsten hätte sie der anderen das auch gesagt, aber das Lächeln wurde ihr bei Skadis Frage schnell aus dem Gesicht gewischt. Sie wich dem Blick der anderen aus, sah wieder nach vorn, hatte aber doch nur das Bild des Mannes in der dunklen Gasse vor sich. Ihre Atmung beschleunigte sich, ihr Herz begann zu rasen. Ohne es zu bemerken, biss sie sich auf die Unterlippe, unwillig diese Frage zu beantworten. Dennoch hatte sie das Gefühl, nach diesem Abenteuer, Skadi zumindest diese Ehrlichkeit entgegenzubringen. Also atmete die Blonde tief ein, versuchte, sich wieder zu beruhigen und räusperte sich schließlich. „Die Arbeit im Bordell war gar nicht so schlimm. Ich war hauptsächlich für die musikalische Unterhaltung zuständig, oder dabei behilflich, dass der Alkohol anständig floss.“ Sie spürte, wie ihre Hände kalt wurden und sie leicht fröstelte, dennoch sprach sie weiter. „Der Kerl in der Gasse hat mich an den Mann erinnert, den ich kastriert habe, nachdem er ein Jahr lang seinen ‚ehelichen Pflichten‘ mit mir nachgegangen ist.“ Wieder warf sie einen Blick über ihre Schulter und lächelte Skadi freudlos an. „Schockiert?“

Irgendetwas an Talins Haltung veränderte sich. Skadi blinzelte und zog die Brauen zusammen. Folgte den Schritten der Jüngeren und spürte, wie der Griff um ihre Hand fester und eisiger wurde. Es war mehr als offensichtlich, dass ihr dieses Thema nicht behagte. Doch es war zu spät, um es abzuwiegeln. So wie Liam es tat. Dessen Talent ihm dafür wohl in die Wiege gelegt worden war. Ganz im Gegensatz zu ihr, die nun damit Leben musste, dass ihr Gesprächspartner den Blick abwandte und sie mit deutlich beschleunigtem Schritt durch die Gassen zerrte.
Skadi schwieg. Selbst als Talin längst geendet hatte. Regte sich erst als die hellen Augen erneut über die schmale Schulter zu ihr zurück glitten und ihr nichts anderes übrig blieb, als innezuhalten. Nun war sie es, die den Arm der anderen umfasste. Sie eindringlich musterte und mit einem tiefem Atemzug den Kopf schüttelte.
“Nein. Weil ich der Grund war, wieso der Kerl dort lag.“
Vergessen war das warme Pulsieren in ihrem Gesicht. Der Gedanke an Augen, die sie beobachten könnten. Abgesehen von Frauen mit Obst- und Wäschekörben, kleinen Kindern, die fernab auf einem Hof miteinander spielten und dem Markschreier, der bis in den letzten Winkel dieser Stadt zu hören sein musste, war niemand außer ihnen in diesem Arm der Seitenstraße. Und es war, als hätte die Nordskov nach all den Wochen endlich den Schleier gelüftet, der seit diesem Abend auf ihr gelegen hatte.
“Sie hatten es beide verdient.“


Ihre Gedanken trieben sie weiter voran, wollten sie vor den Erinnerungen weglaufen lassen. Doch ein Blick in Skadis Gesicht, sowie der feste Griff, ließen Talin in der stillen Gasse anhalten. Nach einigen knappen Atemzügen wandte sie sich der anderen Frau zu, neigte leicht den Kopf. Ganz sicher, ob sie selbst über Skadis Worte schockiert sein sollte, war sie sich nicht. Es überraschte sie eigentlich nicht, denn sie konnte sich gut vorstellen, dass die Brünette Männer bestrafte, warum der Mann in der Gasse es allerdings verdient hatte, wusste sie nicht. Und ehrlich gesagt, interessierte es sie auch nicht. Wenn Skadi meinte, es hatte so geschehen müssen, dann würde Talin ihr da nicht widersprechen. Auf der anderen Seite – ihr Blick richtete sich an Skadis Gesicht vorbei in die Ferne. Das freudlose Lächeln auf ihren Lippen blieb. „Hatten sie das? Versteh mich nicht falsch, ich werde nie bereuen, dass ich ihm das angetan habe, nachdem was er mir angetan hat.“ Ihre Hand glitt wie von selbst an ihre Hüfte. Sacht strich sie über die Kleidung, als könnte sie die Narbe darunter spüren, die Juan ihr hinterlassen hatte. „Manchmal denke ich nur, es wäre besser gewesen, ihn umzubringen. Er sollte leiden und ich wollte mich daran ergötzen, dass er nie wieder einen hochkriegt, aber ich habe immer weniger an ihn gedacht, das kam erst wieder, als ich den Mann in der Gasse gesehen habe. Und da habe ich nicht die Zufriedenheit gespürt, die ich hätte fühlen sollen, sondern...Angst.“ Ihre Stimme brach zum Ende hin und ihr Blick fokussierte sich schließlich wieder auf Skadi. Sie drückte die Hand der anderen fester. „Hat es dir Genugtuung gebracht, Skadi? Tut es das immer noch? Zu wissen, dass du jemanden bestraft hast und er damit leben muss?“

Der Ausdruck auf Talins Zügen schwankte für einen Moment und hinterließ ein seltsames Gefühl in Skadis Gliedern. Sollte sie bereuen es endlich ausgesprochen zu haben? War das der Moment, in dem sie in den Augen der Blonden die Grenze überschritten hatte und sie sie nie wieder mit denselben Augen ansehen würde? Nun. Skadi war es egal. Weil es ihr egal sein musste. Selbst wenn es bedeutete, dass Talin sie von nun an meiden oder mit Vorsicht genießen würde. Daran ändern konnte sie nichts mehr. Und sie sah keinen Grund darin weiter zu gehen, zu schweigen und das Thema fallen zu lassen. Lucien kannte bereits ihre martialische Seite. Ebenso Enrique. Einzig und allein Liam musste im Dunkeln darüber bleiben.
Ihre Augenbrauen zogen sich für einen kurzen Moment zusammen, als das Wörtchen Angst über die Lippen ihres Gegenüber fielen. Angst wovor? Rache? Karma? Skadi begriff es nicht ganz. Grübelte. Suchte in dem blass gewordenen Gesicht Talins eine Antwort und fand sie doch nicht. Also seufzte sie auf deren Frage hin. Lockerte den Griff um ihren zitternden Arm und ließ dann gänzlich von ihr ab.
“Ja.“ Sie musste ein Monster sein in ihren Augen. Womöglich in jedermanns Augen, der geradewegs zu ihr hinüber sah und spürte, mit welcher Ernsthaftigkeit und Überzeugung sie es sagte. Für Skadi stand es außer Frage, dass sie das Richtige getan hatte. Weil es nicht für sie gewesen war. Sondern der Kinder wegen. Dass sie womöglich damit auch alles verschlimmerte, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Weil ihr diese Erfahrung fehlte. Weil das Grauen, das sie in seinen Augen erblickte hatte, als ihm schlagartig die Tragweite ihrer Begegnung bewusst geworden war, nicht fehlinterpretieren wollte.
“Und ich würde es jederzeit wieder tun, wenn ein Mann die Hand an ein Kind legt.“


Ihr Blick ruhte auf dem Gesicht der anderen, versuchte jede einzelne Änderung, jede Regung aufzunehmen. Die Überzeugung mit der Skadi auf Talins Frage antwortete überraschte die Blonde und beeindruckte sie zeitgleich. Die andere Frau wirkte nicht so, als würde sie jemals schwanken, als wäre jede Entscheidung, die sie traf die richtige und als könnte sie immer damit leben. Als müsste sie keine Angst haben, von Erinnerungen heimgesucht zu werden, die quälender waren, als die Genugtuung einen Verursacher von Schmerzen verstümmelt zu haben. Talin wünschte, sie könnte zu der gleichen Überzeugung gelangen, damit die Mauer, die sie aufgebaut hatte, nicht bröckelte.
Nachdem zwischen ihnen einige Augenblicke Stille geherrscht hatte, in der Talin meinte, dass einige Augenpaare auf ihnen geruht hatten, nickte sie schließlich und das Lächeln auf ihren Lippen erwärmte sich. „Ich hoffe, du kannst dir in diesem Falle selbst treu bleiben. Wenn du andere dafür bestrafen willst, Kinder anzurühren, dann wirst du in allen Welten vermutlich gut zu tun haben.“ Sie wollte sich umdrehen, ihren Weg schließlich fortsetzen, hielt dann aber inne und sie sah Skadi in die Augen. „Deshalb hat dich Scortias Tod so mitgenommen?“ Obwohl wie eine Frage formuliert, war sich Talin ziemlich sicher, das sie damit recht hatte. „Willst du losziehen und auch seinen Tod rächen?“


Sie würde Zeit ihres Lebens damit zu tun haben, Rache zu üben. Nicht nur wegen der Kinder. Wegen all dem, was sie bis auf die Planken der Sphinx geführt hatte. Lucien wusste es. Und Skadi war sich just in diesem Moment mehr als sicher, dass er seiner Schwester nichts davon erzählt hatte. Das Zucken in ihrem Mundwinkel war eine leise Erkenntnis dessen und der Tatsache, dass es ihn wirklich nicht interessierte, mit welchen Altlasten die Menschen auf das Schiff kamen. Dass es für ihn auf lange Sicht genauso unbedeutend war, wie so viele andere Dinge, die nichts mit dem Aufenthalt und Wohl seiner Schwester zu tun hatten.
Bei Scortias Namen setze Talin jedoch einen fest Kloß in Skadi Kehle und wischte mehr als ruppig den Anflug eines bitteren Lächelns von ihren Zügen. Die aufgerissene Wunde war noch immer zu frisch. Selbst nach dem tränenreichen Abschied vor einigen Nächten. Skadi seufzte schwer und senkte den Blick. Schnaubte in einem Lachen, das viel zu bitter klang.
“Scortias Tod kann niemand mehr rächen. Und ich bezweifle, dass nach dem Brand, den ich gelegt habe, überhaupt noch genug Kopfgeldjäger übrig geblieben sind, um einen Schuldigen zu finden.“ Doch das war nicht, was sie hatte sagen wollen. Nicht worauf sie eigentlich hinaus wollte.
“Ich hatte einen Sohn, der ungefähr in seinem Alter gewesen wäre, wenn ihn die Marine nicht vor Jahren abgeschlachtet hätte… wie den Rest meiner Familie. Bin ich deshalb damals… auf DIESEM Schiff gewesen? Ja. Nimmt mich deshalb der Tod eines Jungen mit, den ich kaum kenne? Durchaus.“


Fast tat es ihr leid, dass sie den Namen des Jungen ausgesprochen hatte. Der Schmerz, der über Skadis Gesicht huschte, traf Talin überraschend, denn auch wenn Scortias Ableben noch nicht so lange her war, hatte sie nicht mit so einer Qual gerechnet. Doch die Antwort der Brünetten war ihr wichtig. Talin selbst litt nicht so sehr, wie sie befürchtet hatte, unter dem Tod des Jungen. Dazu hatte sie ihn zu wenig gekannt. Aber sie musste von Skadi wissen, ob sie losziehen, alles hinter sich lassen würde, nur um den Tod eines Einzelnen zu rächen. Das sagte so viel über den Charakter eines Menschen aus, dass das Mädchen schließen wissen würde, woran sie bei der Älteren war.
Skadis Worte schließlich überraschten Talin. Überrascht riss sie die Augen etwas weiter auf und wie von selbst hob sie die Hand und berührte sacht die Wange der jungen Frau. Die Blonde suchte ihren Blick, ließ sie ihre Anteilnahme sehen. „Das tut mir sehr leid. Ich weiß, wie schwierig das ist.“ Sie ging nicht weiter darauf ein, ob sie Verständnis für den Verlust eines Kindes oder der eigenen Familie, die man liebte, hatte. Ein kleines Lächeln legte sie auf ihre Lippen und sanft streichelte sie über Skadis Wange. „Danke, dass du mir das erzählt hast. Ich kann auf jeden Fall besser verstehen, warum du diesen Weg suchst, um dich zu rächen und zu bestrafen. Falls du darüber reden möchtest, bin ich auf jeden Fall immer da.“


Irgendetwas in Talins Blick ließ Skadi innerlich zusammenzucken. Ob es die Geste war, die sich warm über ihr Gesicht zog oder das Mitgefühl, das sich in den Augen der Jüngeren spiegelte, hätte die Nordskov nicht einmal benennen können. Genauso wenig, was sie davon halten sollte. Sie glaubte an die Ehrlichkeit, die dahinter steckte. Hinterfrage nicht eine Sekunde, ob daran irgendetwas geheuchelt war. Sie hatten zusammen das Attentat auf der Kopfgeldinsel überlebt. Waren mehr als einmal gemeinsam durch die Nächte spaziert. Doch noch nie hatte es einen so intimen Moment gegeben. Vielleicht waren es auch die Blicke der Umstehenden, die alles so verzerrten. Skadi seufzte, statt etwas zu erwidern. Schloss die Augen für ein paar Atemzüge, in denen sie einfach nur da stand und Talin zuhörte. Dann bettete sie ihre Finger auf Talins Handrücken. Umschloss langsam die weiche Haut ihrer Hand, um sie vorsichtig von ihrem Gesicht zu ziehen. "Ich lebe jetzt schon 5 Jahre damit... ich glaube für Gespräche ist es schon fast zu spät." Und doch lächelte sie. Wollte das Angebot nicht ausschlagen und wusste doch, dass sie freiwillig kein weiteres Wort darüber verlor, so die Jüngere nicht nachbohrte. Vielleicht war sie irgendwann so weit, mehr von sich preis zu geben. Talin hatte ihr definitiv zu verstehen gegeben, dass die Preisgabe von Geheimnissen zwischen ihnen keine Einbahnstraße mehr war, wie sie zu Beginn noch vermutet hatte. "Aber dennoch... danke. Ich weiß das sehr zu schätzen." Kurz verstärkte sich der Druck auf ihre Hand, die sie noch immer sanft umschlossen hielt. "Dir ist aber klar, dass das auch für dich gilt, oder?"

Sie dachte wirklich, Skadi würde ihr Angebot gänzlich ausschlagen. Der Gedanke kam ihr nicht sofort, denn es wirkt so, als würde die Brünette die Berührung genießen. Doch als sie Talins Hand schließlich umfasste und von ihrer Wange zog, zusammen mit den Worten, die sie aussprach, kam es der Blonden so vor, als wäre es eine Absage. Wenn auch abgemildert. Doch das Lächeln auf Talins Lippen schwand nicht, denn sie wusste selbst, wie schwierig es war, über seine Vergangenheit zu reden. Geheimnisse entstanden aus dem einfachen Grund, dass man nicht über alles, was einem geschah, sprechen wollte. Denn manches konnte man vielleicht gar nicht in Worte fassen. Egal ob es fünf Jahre oder nur drei Jahre her war, jemanden verloren zu haben, den man bedingungslos geliebt hat. Der Druck an ihrer Hand, ließ sie sich wieder auf Skadi konzentrieren und ihr Lächeln wurde zu einem sachten Schmunzeln, während sie den Druck sanft erwiderte. „Ich werde bestimmt einmal darauf zurückkommen. Dann können wir reden und unsere Sorgen auch gleich ertränken.“ Damit drehte sie sich wieder um und zog die Ältere sacht weiter, denn sie hatte nicht vergessen, dass sie sich immer noch um Skadis Nase kümmern mussten.