26.04.2021, 00:18
Später Abend
Talin & Lucien
27. Juni 1811 | Dorf auf Kelekuna | Wirtshaus
Die laue Nachtluft strich fordernd um die Häuser des kleinen Dörfchen und brachte jeden, der nicht draußen sein musste, dazu, an einen freundlichen Ort bei einem guten Gläschen und in netter Gesellschaft aufzuhalten. Vielleicht sagte sie auch einfach nur, die Frauen sollten zu Hause auf ihre Männer warten, die in der Taverne saßen, becherten und den Geschichten des kürzlich angekommenen Barden lauschten. Dementsprechend gut gefüllt war das hell erleuchtete Gebäude auch. Es hätte ein friedliches Bild ergeben können, wenn nicht an einem der hellen Fenster ein kleines Mädchen versucht hätte, hinein zu spähen.
Talin stand auf einer wackeligen Konstruktion aus einer großen und einer kleineren Holzkiste auf Zehnspitzen und versuchte in dem schummrigen Raum etwas zu erkennen. Durch das blinde Fenster konnte sie verschwommen ein paar der Männer erkennen, darunter auch ihren Vater. Als er ein wenig den Kopf drehte – wahrscheinlich um mit jemandem an seinem Tisch zu sprechen, duckte das blonde Mädchen sich ruckartig, in der Hoffnung er sah sie nicht. Erst nachdem ihr Herzschlag sich wieder beruhigt hatte, richtete die Kleine sich langsam wieder auf und lugte zaghaft in den Raum hinein. Die hellen Kerzen auf den wahllos verteilten Holztischen spendeten ein bisschen Licht, zeigten ihr das die Taverne gut besucht war. Auch der Tresen, hinter dem sowohl der Wirt als auch sein Sohn standen, war voll besetzt und alle Männer sahen gebannt auf eine kleine Erhöhung weiter hinten im Raum, die mit Kerzen erhellt wurde. Dort saß der Barde. Er war so weit weg, dass Talin nur das leise Gemurmel seiner Stimme hören konnte, aber es interessierte sie auch gar nicht so sehr, was er erzählte. Sie wusste, Lucien würde ihr die Geschichte später viel besser vortragen. Es war auch gar nicht so sehr der Barde, der sie hierher gelockt hatte. Eher wollte sie dem Verbot ihrer Eltern zuwider handeln und hoffte darauf, dass ihr großer Bruder bald nach der Geschichte sich aus der Taverne schlich und sie noch ein wenig durch die Wälder streifen konnten. Aber so lange würde sie noch an diesem Fenster stehen und in diese fremde Welt dort drin hineinsehen.