02.10.2020, 11:30
Lucien nickte nur wortlos. Arme Schweine, in der Tat. Der Dunkelhaarige scherte sich in der Regel nicht um das Schicksal anderer Menschen. Er kümmerte sich nicht um die Dinge, die ihn schlicht nicht betrafen, da ließ er anderen den Vortritt. Und auch jetzt empfand er kein Mitgefühl für die, deren Leben gehandelt wurde, wie Ware. Wie Gegenstände, die man sich ins Haus stellte. Aber er empfand allein bei dem Gedanken, bei der Erinnerung an Ketten und Gitterstäbe, an Gefangenschaft und Entbehrung, einen so tiefen, wütenden Widerwillen gegen das Prinzip des Sklavenhandels, dass ihn das, was sie hier gefunden hatten, doch nicht kalt ließ. Es machte ihn wütend, widerte ihn an.
Seine Gedanken drifteten in eine ähnliche Richtung wie die Greos. Ihr klappriger Freund lag schon zu lange hier, um das Schiff, von dem die Rede war, zu finden und den Menschen an Bord irgendwie zu helfen. Ihr Schicksal hatte seinen Lauf längst genommen. Doch dieser unterschwellige Groll blieb und gab ihm nun etwas, woran er zu nagen hatte. Etwas, das er nicht völlig verstand.
Sein Blick kehrte zu Greo zurück, der Brief und Frachtliste zusammenfaltete und ihm schließlich in die Hand drückte. Lucien schob sie samt ihrer ledernen Hülle in den Bund seiner Hose, mit der festen Absicht, sie Talin später zu zeigen und mit ihr darüber zu reden. Vielleicht schafften sie es ja so, sich ein wenig anzunähern.
Greo ließ er dabei jedoch nicht aus den Augen, bemerkte den Wechsel von Betroffenheit zu Distanziertheit. Dem maß er nicht mehr Bedeutung bei, als nötig, horchte aber dennoch auf, weil der Ältere eine wage Ahnung der Vierten Welt zu haben schien. Er fragte nicht nach, zumindest in diesem Moment nicht, sondern nickte nur und erhob sich.
„Ich geh eine holen.“
In der Zeit, in der Greo ein Segeltuch heran zog und den klapprigen Leichnam aus seinem Gefängnis befreite, trieb Lucien ein schlankes Seil auf, das er sich eingerollt über die Schulter warf, und besorgte eine der Sechspfünder – etwas Schwereres hatten sie zwar nicht, aber da an dem Toten nicht mehr viel dran war, außer mit ledriger Haut überzogene Knochen, würde das wohl reichen. Beides ließ er neben dem Toten auf die Planken sinken und schob die Kugel zwischen die jetzt merkwürdig verrenkt wirkenden Beine des Skeletts, bevor Greo ihn gänzlich mit Tuch eingewickelt hatte.
Das Seil griff er sich, um ihr Paket im Anschluss fest zu verschnüren.
„Woher weißt du von diesem Handelsstützpunkt?“, fragte er schließlich aus reinem Interesse, während er das Seil von unten beginnend um das Segeltuch wickelte und es fest verschnürte.