Geheimnisse einer Lady In der versteckten Bucht einer einsamen Insel im ehemaligen Herzogtum Birlan
Greo & Lucien 23. März 1822 | Vormittag | Frachtraum der Sphinx
Mit einem leisen Rumpeln rollte das große Eichenholzfass kontrolliert die zwei Stufen der Treppe hinunter, die den vorderen Teil des Frachtraums mit dem ein wenig höher liegenden Teil dahinter verband, und blieb in einem großen Flecken Sonnenlicht liegen, das durch die Ladeluke unmittelbar darüber ins Innere der Sphinx fiel. Zwei weitere, leere Fässer standen dort bereits. Jedes von ihnen enthielt vor nicht allzu langer Zeit noch sauberes Trinkwasser, das inzwischen entweder verbraucht oder schal geworden war und es sollten auch nicht die letzten sein, die im Frachtraum des kleinen Dreimasters darauf warteten, wieder befüllt zu werden.
Lucien folgte dem Fass, hielt es auf, bevor es durch das sanfte Schaukeln der Sphinx mit den anderen zusammen stoßen konnte und hob dann, die Augen vor der Sonne abschirmend, den Blick zur Ladeluke, durch die man einen großen Ausschnitt des blauen Mittagshimmels ausmachen konnte. Obwohl es draußen wie immer zu dieser Jahreszeit bereits sehr warm war, herrschte hier unten im Bauch des Schiffes dank Dunkelheit und Wassernähe eine beinahe angenehme Frische. Trotzdem zog sich bereits jetzt ein dünner Schweißfilm über seine Haut. Dabei hatte er mit dem leichtesten begonnen und sich noch nicht einmal den verdammten Umräumarbeiten gewidmet. Letzten Endes würde ihm überhaupt nichts anderes übrig bleiben, als sich irgendjemanden zu Hilfe zu holen. Allein, um mit dem Frachtkran die leeren Fässer an Deck zu ziehen, würde er bereits mehr Hände brauchen. Erst recht für die noch mit Proviant oder Baumaterial gefüllten Kisten, deren Gewicht sie in dem ansonsten beinahe leeren Lager geschickt umverteilen mussten, sobald sie frisches Wasser an Bord nahmen.
Ein geradezu beleidigtes Gegacker riss den jungen Captain aus seiner Überlegung, zog seinen Blick auf den Käfig voller Hühner, der in einer Ecke des vom Licht beschienen Frachtraumteils stand. Irgendwo zwischen kleinen und großen Fässern, Holzscheiten, Kisten und Netzen, die das Federvieh beinahe verbargen. Vielleicht taten sie deshalb so beleidigt. Vielleicht auch, weil sie keine Lust hatten, länger in ihrem Käfig zu hocken.
„Hm.. mit euch würde ich echt auch nicht tauschen wollen.“
Zwei Paar Hühneraugen richteten sich auf ihn, dann gackerten sie wieder los, spreizten die Flügel und veranstalteten einen Höllenlärm. Lucien seufzte und verdrehte die Augen.
Konzentriert krempelte sich Greo den rechten Ärmel hoch und bewegte anschließend die Schultern durch, um sie zu lockern und auf das Gewicht vorzubereiten, was sie würden tragen müssen. Er ging in die Knie, umfasste mit den rauen, großen Handflächen eine splittrige Kiste und hielt gerade noch einen unflätigen Fluch zurück, als sich kleine Holzspitzen in seine Haut bohrten. Weil er seine Last aber nicht fallen lassen wollte – was, wenn sie kaputt ging? - biss er die Zähne aufeinander und marschierte los Richtung Ladeluke. Hier war noch Allerlei, was in die Finsternis des Schiffrumpfes versenkt werden wollte. Greo setzte seine Kiste vorsichtig ab und fummelte eine Weile an einem Splitter herum, der sich in seinen Daumen gebohrt hatte. Gleichzeitig fuhr sein Blick über die verschiedensten Gegenstände, die an Deck rumstanden und überlegte sich eine Taktik, in welcher Reihenfolge sie im Frachtraum verschwinden sollten. Kurzerhand schnappte er sich einen Sack, zerrte ihn zum Rand der Luke und beugte sich darüber.
„Alles frei da unten?“
rief er laut und verengte die Augen, um genauer sehen zu können. Indes hatte er den Sack schon über den Rand gezogen, das Gewicht drängte in die Tiefe und er war drauf und dran einfach loszulassen.
RE: Geheimnisse einer Lady - Lucien Dravean - 17.09.2018
Ein Schatten schob sich vor das grelle Licht, dass durch die Ladeluke fiel. Sofort verstummten die Hühner, sämtliche Augen richteten sich auf die unbekannte Bedrohung. Lucien hob ein weiteres Mal die Hand, um die Augen gegen die Helligkeit abzuschirmen und versuchte, gegen den strahlendblauen Himmel irgendetwas zu erkennen. Blinzelnd machte er die hochgewachsene Silhouette eines Mannes aus, der irgendetwas unförmiges an den Rand der Luke zerrte. Groß, bauchig und angesichts der mühseligen Bewegungen seines Trägers auch sehr schwer.
Dann ertönte eine Stimme von oben. Der Dunkelhaarige brauchte einen Moment, um die Bedeutung der Worte richtig zu fassen. Vielleicht auch einen Moment zu lange, ehe er endlich reagierte.
„Was? Nein!“
Dem Himmel sei Dank konnte er sich entsprechend der Situation kurz fassen und im Nachhinein von sich behaupten, geistesgegenwärtig genug zu reagieren, als er hastig einige Schritte zur Seite machte und aus dem quadratischen Lichtflecken in den Schatten des Frachtraums flüchtete. Unmittelbar neben den kleinen Hühnerpferch.
Prompt ging das wilde Gezeter erneut los. Federn stoben auf, als sich das Geflügel in Sicherheit zu bringen versuchte und dabei hektisch übereinander stolperte.
„Wäre der Kran nicht sicherer? Du triffst noch das Geflügel.“, rief er mit leichtem Ärger in der Stimme über das laute Gegacker hinweg zu 'irgendwem' nach oben.
flutschte es ihm heraus, bevor er die Stimme zuordnen konnte und ihm gewahr wurde, wem er da eigentlich fast die Last auf den Schädel runtergeworfen hätte. Peinlich berührt biss er die Zähne aufeinander, zog die Mundwinkel weit auseinander, lehnte sich etwas von der Ladeluke weg und schluckte eine Verwünschung runter (sein Vokabular an diesem Tag wäre beinahe in einen Bereich gerutscht, den seine Mutter das Nudelholz hätte schwingen lassen).
Er zerrte den Sack etwas vom Abgrund fort und drehte sich dem Kran zu. Dann schob er den Kopf wieder über die Luke und tippte sich mit der rechten Hand an den Hut. Man hatte Männer schließlich schon für Geringeres bestraft.
„Aye, ich bitte um Entschuldigung. Dachte, das hier ist verhältnismäßig zügig zu verstauen.“
versuchte er sich nüchtern zu erklären und begann dann die zu verstauende Ladung für den Kran vernünftig zurechtzumachen. Natürlich, dachte er, für die richtig schweren Dinge, die im Bauch des Schiffes ihren Platz finden sollten, war der Kran sicherer. Aber der Sack wog doch gerade mal was mehr als einen Zentner, das wäre doch kein Drama gewesen und dann war der Kleinkram schön fix da unten… Obwohl, wenn man den auf den Kopf bekam, hatte man bestimmt eine Weile Freude an Halluzinationen. Bei dieser Vorstellung hatte er direkt Trevor vor Augen, der lachend und schwankend durch die Gegend eierte. Zu ihm würde das passen.
Greo verwarf diesen Gedanken, um sich konzentrieren zu können und nicht noch mehr den Eindruck zu erwecken, dass er keine Ahnung von seinem Job hatte. Er lud den Sack und die Kiste, die er zur Luke getragen hatte, auf und beugte sich zu dem finsteren Schacht.
„Ist denn unten Platz oder muss erst noch geordnet werden?“
rief er, kniff die ungleichen Augen forschend zusammen und lauschte angestrengt auf eine Antwort.
RE: Geheimnisse einer Lady - Lucien Dravean - 04.11.2018
Die erste, impulsive Antwort, die von oben zu ihm hinab drang, ließ Lucien trocken lächeln. Gut, das wäre wahrscheinlich auch seine Einstellung gewesen, wenn nicht gerade sein Vater derjenige war, der unten im Frachtraum stand. Oder er selbst in Gefahr geriet, sich das Genick brechen zu lassen. Und selbst die hinterher geschobene Entschuldigung hätte von ihm sein können. Er wurde also zu seinem Vater – wirklich ganz toll.
„Lass das Ding einfach runter, ich brauch es eh.“, raunte der Dunkelhaarige halblaut und stieß einen Sekundenbruchteil später mit einem Seufzen die Luft aus. Er hatte den Blick längst abgewandt und war sich nicht einmal sicher, ob seine Worte überhaupt das Deck erreichten. Wenn nicht, umso besser.
Er ging zu dem Fass hinüber, dass er gerade bis hier her gerollt hatte und versetzte ihm einen leichten Schubs, um es aus dem Lichtkegel der Frachtluke zu schaffen, während sich 'wer auch immer' zwei Etagen über ihm am Kran zu schaffen machte.
Am Rand des Raumes wuchtete der junge Captain das Fass wieder hoch und kehrte in die Mitte des hellen Quadrats zurück, um das nächste Fass aus dem Weg zu räumen, dass den Platz des Krans blockiert hätte. Gerade, als er die Hand auf das Eichenholz legte, erschien wieder die Gestalt oben auf Deck und beugte sich über den Rand.
„Kannst ihn runter lassen, es ist Platz.“
Mit dem Fuß gab er dem Fass einen Schubser, sodass es sich in seine Richtung neigte, ließ es vorsichtig auf die bauchige Seite sinken und rollte es ein, zwei Schritte weit aus dem Weg, ehe sein Blick wieder in die Höhe ging.
„Wie viel Zeug hast du da oben noch, das hier runter soll?“
„Bestimmt drei Ladungen, aber dafür müssen wir vielleicht unten mehr Platz machen.“
Immerhin, Anpacken konnte dieser Kerl. Greo warnte sich innerlich davor, ihn für sich immer noch als Neuling zu bezeichnen, da er im Rang wesentlich höher stand, als er selbst. So richtig gefallen wollte ihm dieser Umstand nicht; nicht, weil er ein Problem mit Autoritäten gehabt hätte, sondern weil er gern von den Qualitäten einer Person überzeugt wurde, bevor er ihr den gebührenden Respekt auch mit wahrhafter Aufrichtigkeit entgegenbrachte.
Wie hatte die Antwort aus dem Schiffsbauch noch gelautet? Hätte ruhig ein wenig lauter sein können. Er ließ die Luft aus seinen Lungen gepresst entweichen und begann die Kranladung vorsichtig über die Luke zu hieven.
„Ich lass die Ladung runter.“
rief er noch zur Bestätigung, bevor er mithilfe der Kranvorrichtung die Last in bedächtigen Schüben in die Tiefe sinken ließ. Ihm traten Schweißtropfen auf die Stirn und er war einmal mehr dankbar für die lockere Kleidung, die er trug. Gleichzeitig genoss er das Gefühl der sachten Anstrengung und die Befriedigung irgendetwas erledigen zu können. Auch, wenn das manchmal mehr oder weniger gut koordiniert funktionierte.
Er wartete ab, bis er ein dumpfes Geräusch von Aufkommen registrierte und beugte sich hinab.
„Alles sicher? Ich komm helfen.“
Rief er, entsann einen kurzen Moment, ob ein Sprung in die Tiefe mehr Schaden als Nutzen bedeuten konnte und entschloss sich dann für den Umweg über die Treppen. Greo lief übers Deck und genoss für ein paar Sekunden die Wärme im Nacken zwischen Krempe und Halstuch, bevor er sich unter dem Sturz hindurchduckte und hinabstieg. Die Enge unter Deck rief in ihrem augenblicklich ein leichtes Gefühl von Unwohlsein hervor, da er offenen Himmel und weiten Raum definitiv bevorzugte. Was soll’s, dachte er, das gehört nun mal dazu.
Ohne allzu große Hast arbeitete er sich bis zum Frachtraum vor, tippte sich erneut an den Hut und näherte sich dem jungen Braunhaarigen.
„Schon ein Plan, wo was hinsoll?“
RE: Geheimnisse einer Lady - Lucien Dravean - 30.11.2018
(Tut mir Leid, ist ein bisschen viel geworden ûu Ich war grad so im Flow D: Dürfen aber gern auch wieder kürzer werden, die Texte xDD)
Lucien nickte geschäftig, spähte kurz in die Dunkelheit des Frachtraums, ohne sich in diesem Moment darüber im Klaren zu sein, dass sein Gesprächspartner das gar nicht würde sehen können. Drei Fuhren mit dem Kran waren nicht viel – trotzdem begann der junge Captain bereits, im Kopf die Ladung umzuverteilen und das Schiff damit ausreichend auszubalancieren. Die einzige Information, die ihm fehlte, war die, was der Inhalt der Säcke und Kisten war, die von oben kamen. Aber das würde er ja gleich heraus finden.
Sein Blick kehrte wieder zurück nach oben, wo just in diesem Moment der Kran hinunter gelassen wurde. Ein großes, dunkles Quadrat vor einem noch größeren blauen, das der Himmel war. Lucien trat wieder in die Mitte des Raums, den Blick stetig nach oben und wartete, bis der Kran weit genug abgesenkt worden war, um seine Ladung mit ausgestreckten Armen in Empfang nehmen zu können. Den Rest des kurzen Weges führte er die Last, damit sie nicht gegen das verbliebene leere Fass stoßen konnte. Erst, als sie auf dem Boden aufsetzte, wandte er sich wieder an seinen Gesprächspartner.
„Alles sicher!“, rief er zur Bestätigung und als die Silhouette des Mannes mit dem Ansinnen, ihm hier unten zu helfen, aus seinem Blickfeld verschwand, machte sich der Dunkelhaarige schon mal daran, den Sack vom Kran zu wuchten.
Als sich schließlich Schritte näherten, hielt Lucien inne und hob den Blick. Im nächsten Durchgang erschien ein hoch gewachsener, aber noch junger Mann – nicht viel älter als er selbst – den er Dank seiner Größe und des Hutes als Greo erkannte. Dass er dessen Stimme nicht hatte zuordnen können, lag wohl einfach daran, dass er sie in den letzten beiden Tagen, in denen er seine Kajüte zum ersten Mal richtig verließ, kaum wirklich gehört hatte. Dafür hatten sie bisher zu wenig miteinander zu tun gehabt – unter anderem, weil der Dunkelhaarige sich nach wie vor häufig zurück zog, um sich auszuruhen. Auch für das, was er jetzt plante, war er wahrscheinlich lange noch nicht kräftig genug. Vielleicht wäre ein bisschen Hilfe also gar nicht schlecht.
„Ich hatte ohnehin vor, ein bisschen umzuräumen. Wir haben viel Proviant verloren, während der Fahrt.. das Gewicht liegt ungünstig. Erst recht, wenn wir unser Frischwasser auffüllen. Und was ich bis jetzt gesehen habe... liegt hier ein Haufen Krempel rum, den kein Mensch braucht.“
Talin hatte ihn bereits darauf hingewiesen, dass sie sich während der Suche nach ihm nur notdürftig darum hatten kümmern können. Und ihre Stärken lagen ohnehin nicht darin, wie man ein Schiff handhabte – Lucien war nie dazu gekommen, ihr das Segeln, Beladen und Manövrieren beizubringen.
„Ich könnte ein Paar helfender Hände gut gebrauchen, wenn du sonst nichts besonderes vor hast. Greo, richtig?“ Eine geradezu freundschaftliche Frage lag in seiner Stimme, als er ihm die Hand entgegen hielt.
Es gab Menschen, da überlegte Greo es sich drei- bis viermal, ob er in ihre Hände einschlug. Einmal aus Misstrauen ihrem Charakter gegenüber und zweimal, weil er nur zu gut wusste, wie es um die Hygiene so mancher Person bestellt war und keinen Drang verspürte, sich mit sonst etwas zu besudeln (obwohl er nun wirklich kein feiner Pinkel war).
Den jungen Kapitän konnte er nicht einschätzen, was ihm erst einmal eine Chance auf Kennenlernen garantierte. Darüber hinaus hatte er keine Wahl, denn sich dieser Geste zu entziehen kam auf anderen Schiffen einem Schlag ins Gesicht gleich und wurde schnell gerächt. Er hatte kein Interesse daran, unnötige Risiken einzugehen. Außerdem gefiel es ihm irgendwie, dass der junge Kerl nicht nur die Beine hochlegte, sondern trotz seines Zustandes mit anpackte. Er war sicherlich noch erschöpft. Greo schlug daher gerne mit einem Nicken ein und drückte ihm kurz und angenehm fest die Hand, bevor er sich den Hut in den Nacken schob und grob die Ladung übersah.
„Aussortieren ist sicher nicht verkehrt.“
Stimmte Greo dem Kapitän vage zu, da er selbst nicht einsah unnützes Zeug durch die Gegend zu kutschieren. Allerdings glaubte er, dass sie sicher noch das ein oder andere finden würden, was sich für das pflegebedürftige Schiff auf irgendeine Weise eignen würde. Ressourcen waren immerhin nicht unendlich und diverse Ersatzteile teuer; man konnte jedoch mit vielen Dingen improvisieren und Greo konnte sich gut vorstellen, dass gerade Aspen gute Ideen haben würde, was es das anging.
„Mit der korrekten Lagerung bin ich bei dieser Art Schiff jedoch nicht gut vertraut. Einige Prinzipien sind sicherlich von Typ zu Typ übertragbar, dennoch…“, er ließ den Satz etwas im Nichts verlaufen und schürzte die Lippen. Er wollte nicht zu sehr nachbohren, was es den Erfahrungsschatz des jungen Kapitäns anging und ob oder wie gut er sich mit der Sphinx auskannte, wandte sich also direkt den praktischen Dingen zu.
„Ich weiß nicht, wie viel wir dieser Insel noch abringen können. Trinkwasser bestimmt, Holz und vielleicht noch getrocknete Seeohren, die wiegen nicht allzu viel.“, mutmaßte er. Greo schaute sich um und öffnete kurzerhand einige sperrige Kisten. „Schaut aus wie alte Schoten, etwas porös. Sollen wir Sachen, die auf Tauglichkeit überprüft werden sollen an Deck schaffen? Hier kann man’s nur schlecht sehen.“
RE: Geheimnisse einer Lady - Lucien Dravean - 15.02.2019
Als er ihm die Hand so vorbehaltlos entgegen streckte, war Lucien sich nicht sofort im Klaren darüber, was diese Geste für Greo bedeutete. Das sickerte erst in dem Moment wirklich zu ihm durch, als sein Gegenüber mit solidem Druck einschlug und dem jungen Captain ein flüchtiges Lächeln entlockte. In den tiefgrünen Augen lag eine neugierige Distanz und für einige Sekundenbruchteile nutzte er die Zeit, um den Mann mit dem Hut genauer zu mustern. Dann, ohne sichtbar zu einer Erkenntnis gelangt zu sein, ließ er ihn los und richtete seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf die Ladung. Ein nachdenkliches Nicken folgte auf Greos Worte, dem er in diesem Punkt leider zustimmen musste.
„Bin ich leider auch nicht. Die Sphinx unterscheidet sich in ihrer Konstruktion von so ziemlich jedem anderen Schiff, dem ich bisher begegnet bin.“ Noch während er sprach, fuhr sich Lucien mit der Hand durch die dunklen Haare, ließ den Blick dabei schweifen.
Nichts desto trotz hatte er eine Idee, was die Verteilung der Fracht anging. Der kleine Dreimaster lag flach auf dem Wasser – wie die platten Steine, die er als Kind über den Bach hatte springen lassen. Sie brauchte also mehr Gleichmäßigkeit als die Schiffe mit Kiel, die in der Ersten Welt normalerweise gebaut wurden. Sie durfte weder zu hecklastig und schon gar nicht zu buglastig sein... Theoretisch. Ansonsten mussten sie eben wieder umräumen.
Der junge Captain wandte sich um, folgte Greo schließlich langsam und blieb knapp zwei Schritte entfernt neben einer anderen Kiste stehen. Eine Hand oben auf dem Holz und dem Fuß an der unteren Kante schob er das Behältnis ein Stück zur Seite und nickte beiläufig auf den Vorschlag seines Gegenübers.
„Gute Idee. Die vier Fässer nehmen wir gleich mit nach oben. Eine Quelle haben Shanaya und ich gestern gefunden. Wir müssen sie also nur noch ausbrennen, dann können wir sie wieder voll machen. Und was wir hier unten an Holz finden...“ Er hielt kurz im Satz inne, bückte sich und zog einen kleinen Stapel loser Bretter aus dem toten Winkel hinter den Kisten hervor. „...sammeln wir am besten auf zwei Stapeln. Alles, was morsch ist, kann der Smutje für den Ofen haben. Der Rest lässt sich vielleicht noch verwerten. Bestenfalls finden wir dafür auch mehr Werkzeug...“
Der letzte Satz klang etwas pessimistischer, als gewollt. Allerdings musste Lucien sich durchaus eingestehen, wie schlecht das Schiff ausgestattet war. Ob ihm das nun gefiel oder nicht.
Er warf die Bretter Richtung Kran und wandte sich wieder Greo zu.
„Was genau ist in der Ladung, die du noch oben hast?“
In diesem Punkt schienen sie sich einig zu sein: dieses Schiff war auf die eine oder andere Art sicherlich besonders. Ihre Konstruktion erinnerte Greo an ferne Länder, die er zwangsläufig mal besucht hatte. Er konnte sich nicht dagegen wehren, aber bisweilen wirkte sie auf ihn fehl am Platz, als würde sie eigentlich woanders hingehören und habe sich nur zufällig in diese Gewässer verirrt. Unwillkürlich kam in ihm die Frage auf, wo die Sphinx eigentlich herkam und wie Talin in ihren Besitz gelangt war. Hatte er sie das jemals gefragt?
Wahrscheinlich nicht. Greo überlegte, was eine gründliche Überprüfung, Aufbereitung und sachgerechte Lagerung für sie beide bedeutete und kam zu dem Schluss, dass es ein paar Stunden schweißtreibender Beschäftigung sein würde, die ihm herzlich willkommen war (gab es jemals einen Tag, an dem er Arbeit verschmähte?). Das Ausbrennen bereitete ihm kurz Kopfschmerzen. Es war gut, wenn sie beide das möglichst zügig in Abwesenheit gewisser Crewmitglieder machten, die für den Gebrauch von Feuer nicht geeignet waren und wahrscheinlich eher die Tendenz hatten, die ganze Insel in Brand zu setzen.
Aber sie mussten hier erst einmal Platz schaffen und einen Überblick über den Plunder gewinnen, der im Bauch des Schiffes vor sich hingammelte. Also griff Greo nach einem grob gewebten Sack, der deutlich leichter war, als er aussah. Er linste hinein, konnte nichts anderes als alte Netze ausmachen und entschloss sich einen Stapel für Handwerkszeug und Reparatur zu eröffnen.
„Brennmaterial lagert ebenfalls oben. Teilweise ist etwas dickeres Treibholz dabei, das lässt sich vielleicht für kleinere Ausbesserungen verwenden. Wir haben auch ein paar Knollen, aber ich kenn sie nicht und weiß nicht recht, ob die essbar sind. Und so große, grüne Früchte mit rauer Haut. Kann jetzt nicht sagen, dass die außergewöhnlich schmecken, aber ich hab’s überlebt. Vielleicht so was wie eine Brotfrucht.“
Greo fand eine robust gezimmerte Kiste, die er nur schwer von ihrem Platz bewegen konnte. Sie lag unter einem schimmligen Haufen von etwas, das einmal Segeltuch gewesen sein könnte und ganz klamm war und muffig roch. Vermutlich ließ sich auch das besser verbrennen oder wegwerfen, es machte nicht den Eindruck, als sei es noch zu etwas Nutze. Er nahm den verschnürten Packen und schleifte ihn auf den Bloß-nicht-behalten-Haufen, eher er eine Stange nahm und die Kiste aufstemmte. Das miefige Tuch hätte ihm eine leichte Warnung sein können, aber nichts, wirklich nichts bereitete ihn auf das vor, was aus der Kiste kam, als er sie aufgebrochen hatte. Ein Gestank breitete sich aus, eine widerlich penetrante Mischung aus fauliger Süße und Mittagessen, das sein Konsument wieder ans Licht befördert hatte.
„Urghahaa.“, machte Greo, riss sich den Kragen über die Nase und stopfte die Kiste wieder zu, aber die abartige Wolke waberte bereits wie Miasma durch den Raum. Der Gestank kitzelte Greos Brechreiz, doch er würgte das Gefühl hinunter und legte den Kopf weit in den Nacken, als könnte er so dem Geruch entkommen. In einem Anflug von Panik schoss ihm Adrenalin durch die Adern und er stieß die Kiste mühselig Richtung Ladeklappe. Bloß weg damit!
„Komm, raus damit, man erstickt ja schier!“, keuchte er.