11.09.2020, 19:30
Liam hatte mit seiner Vermutung ganz recht, und auch wieder nicht. Nathan hatte vielen Kämpfen beigewohnt, aber seine Art zu kämpfen hatte nicht mit dieser Art, dieser recht robusten, grobschlächtigen Art zu tun. Er war ein passabler Schwertkämpfer und verstand sich auf Finten, um seinen meist körperlich überlegeneren Gegnern zu entkommen. Im Ring, Angesicht zu Angesicht, Faust gegen Faust brachten ihm diese Vorteile nichts ein. In diesem dichten Gedränge erschien eine Flucht unmöglich. Vielleicht bot sich davor eine Gelegenheit.
Seine Chancen jedenfalls hatten sich verdoppelt, seitdem Liam auf den Plan getreten war. Nathan hätte nicht erwartet, dass der Pirat zurückkam. Er schien ebenfalls nicht der geborene Kämpfer zu sein. Er war nicht die Art Mann, die Freude daran hatte, anderen Menschen Knochen zu brechen oder Blut spritzen zu lassen. Ihn würde man an normalen Tagen sicher nicht im Publikum sehen. Und die Wetten würden sicherlich auch nicht für Liam laufen. Was also tat er hier? Mitleid mit Nathan? Die Gier? Rache, weil er aus irgendeinem Grunde Flint etwas heimzahlen musste? Nichts schien seine Frage zufriedenstellend zu beantworten.
Als sie hineingingen, fragte Liam, ob er bei solchen Kämpfen schon einmal teilgenommen hätte. “Ja -ein.“, lautete die nicht so ganz eindeutige Antwort des Taschendiebes.
“Ich habe die Leute hinter dem Ring um ihr Erspartes gebracht, während sie vorne irgendwelche Kampfhähne angefeuert haben. Meistens habe ich nicht sehen können, was im Ring…“
„Schnauze!“, raunzte der Gorilla Nathan von der Seite an.
Vielleicht lag es daran, dass Nathan der Hunger nervte, oder einfach daran, dass es für ihn ohnehin gerade recht aussichtlos war, jedenfalls schnappte Nathan zurück.
“Was denn?! Verstehst du die Gedichte nicht, die hier rezitiert werden? Hier schreit die ganze Meute und ich störe deine wohlverdiente Ruhe?“
Über den Lärm hinweg war wirklich kaum das eigene Wort zu verstehen. Der Schrank neben ihm glotze wenig intelligent und wusste augenscheinlich keine Antwort. Also wandte sich Nathan wieder Liam zu.
„Du hast nicht zufällig etwas zu trinken dabei?“, fragte der Dieb, dem die Zunge schon am Gaumen klebte. Nicht, dass er mehr Chancen mit einem gefüllten Magen gehabt hätte. Aber das würde ihm das Denken erleichtern. Und wenn er nicht ständig daran denken musste, dass er am liebsten seinen Kopf in die nächstbeste Pfütze tauchen wollte.