24.08.2020, 14:43
Skadi und er hatten nicht lange gebraucht, um herauszufinden, wo hier in Silvestre die Straßenkämpfe stattfanden. Sie hatten auch nicht lange gebraucht, um hinein zu kommen. Ins Wettgeschäft und in den Ring. Inzwischen wussten sie, wonach sie Ausschau halten mussten, hatten Übung darin, den richtigen Leuten zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu folgen. Und es dauerte auch nicht lange, bis die in der Luft pulsierende Gewaltbereitschaft wieder einmal von ihnen beiden Besitz ergriff und sie sich mitreißen ließen.
Dieses Mal zog es den jungen Captain jedoch selbst in den Ring. Nicht, dass dies das erste Mal gewesen wäre, seit er und die Jägerin immer mal wieder zusammen in den Untergrund abtauchten. Aber sein Drang nach dem körperlichen Verausgaben, nach Blut und Schmerz, war heute Nacht stärker, düsterer und wütender als die letzten Male. Was sich deutlich darin äußerte, wie bereitwillig er während des Kampfes unnötige Risiken einging, um nur all seine Kraft und all seine Wut in den nächsten Faustschlag legen zu können und das wütende Knacken von getroffenen Knochen zu hören. Ob er dabei seine Deckung vernachlässigte, war ihm beim besten Willen weitestgehend egal.
Lucien wusste tief im Unterbewusstsein, dass die Jägerin in der Nähe war, dass sie am Rand des Ringes stand. Dass der einfache Holzverschlag im Inneren der Scheune auf dem Schwarzmarkt von Silvestre von Menschen umgeben war, die grölten, brüllten, pfiffen und buhten. Und die in geradezu ekstatische Verzückung gerieten, als der Dunkelhaarige sich einen schweren Faustschlag gegen den Kiefer einfing und sein Kopf zur Seite ruckte. Aber wahrnehmen tat er all das nicht.
Er taumelte zurück, bis er am Rand seines Blickfelds die Ringbegrenzung auftauchen sah, doch die tiefgrünen Augen kehrten rasch zurück zu seinem Gegner: Ein groß gewachsener Werftarbeiter, dem man das tägliche Handwerk an jedem einzelnen Muskel ansah. Als wäre er selbst aus Holz und Eisen. Von seinem Schlag begegneten ihnen etliche auf diesen Untergrundkämpfen. Männer, die tagsüber einer schweren, körperlichen Arbeit nachgingen und glaubten, sich nachts ein Zubrot beim Wettgeschäft verdienen zu können – die aber keine ausgebildeten Kämpfer waren. Genauso wenig wie Lucien selbst. Doch dafür erinnerte das hier weit mehr an eine ausgereifte Kneipenschlägerei, als an einen ehrlichen Ringkampf, und mit Ersterem hatte er so seine Erfahrungen gemacht.
Auf seiner Zunge schmeckte der junge Captain Blut, spuckte den Schwall mit einer beiläufigen Bewegung zur Seite aus und fuhr sich mit dem Handrücken der Rechten über die Lippen. Spürte dabei die frische Narbe über seine Haut reiben. In seinem Kiefer pulsierte ein donnernder Schmerz und von dem Schlag gegen seinen Kopf tanzten noch kleine dunkle Flecken in seinem Blickfeld. Wie immer war er darauf bedacht gewesen, seinen Brustkorb zu schützen, war dabei auf die Finte seines Gegners reingefallen, der die Schlagrichtung nur angedeutet hatte und jetzt voller Selbstzufriedenheit gehässig grinste. Aber sollte er nur. Noch stand Lucien schließlich und der Kampf dauerte noch keine zehn Minuten.
„Na, willst du nicht lieber aufgeben, Jungchen?“
‚Jungchen‘. Lucien schnaubte als Antwort spöttisch, verzog die blutige Lippe zu einem zynischen Lächeln und hob die Fäuste wieder auf Schulterhöhe. Machte einen Schritt zur Seite, um sich nicht gegen die Bande treiben zu lassen. Näher zu der Gestalt Skadis hin, die nicht weit von ihm entfernt stand. Sein Kontrahent bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung, hielt also den Abstand zu ihm. Wohl, um darauf zu warten, ob der Dunkelhaarige von sich aus angriff.