01.08.2020, 15:03
Shanayas Blick sprach Bände, begleitet von dem Seufzen. Josiah verübelte es ihr nicht – die meisten Erwachsenen waren in einer gewissen Art und Weise blind für Kinder, uninteressiert, scherten sie über einen Kamm.
Trotzdem erwartet er ihre Antwort neugierig. Sie war in etwa so amüsant, wie er es erwartete, doch noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, oder Shanaya ihren Satz beenden konnte, tauchte der Schatten in seinem Augenwinkeln auf. Im selben Moment fiel ihm sein Fehler auf. Instinktiv sprang Josiah zurück - keine Sekunde zu früh: Ein schmaler, dunkler Kopf schob sich in sein Sichtfeld, ein Stück über Shanays Kopf. Dann traf Brust auf Mensch und Josiah konnte nur noch zusehen, wie Shanaya zum zweiten mal an diesem Tag zu Boden ging. Dann war da nur noch Fell, Leder und ein Seil, gefolgt von einem Wagen und die Ahnung eines Besatzungsmitglied.
Genauso schnell wie er aufgetaucht war, war er auch wieder weg. Josiah sah dem Wagen noch einen Moment lang nach, dann richtete er seinen Blick auf die Stelle, wo Shanaya vor kurzem noch gestanden hatte. Hinter seinen Lippen ein unausgesprochener Fluch.
Shanaya zog heute das Unglück heute auch an wie Licht Motten.
Er entdeckte sie unweit auf den Boden liegend. Reglos, staubig und etwas unförmig. Menschen eilten herbei, jemand rief nach einem Medicus. Josiah stellte sich an, die Meter zwischen ihm und ihr zu überwinden, bevor die Ansammlung an Schaulustigen sich um die Verletzte schloss.
Als er bei ihr ankam, saß sie schon wieder aufrecht da. Staubig wie eh und je, sogar die Haare voller Sand. Doch bis auf ihr Bein, wo sich der Stoff inzwischen Rot verfärbte, schien sie nicht weiter ernsthaft verletzt zu sein. Ein älterer Mann beugte sich über sie, gestikulierend und sich hektisch entschuldigend und gleichzeitig auf ein Tier schimpfend.
Der Wagenbesitzer?
Josiah überflog kurz den Platz um ihnen und konnte den Wagen tatsächlich noch erblicken. Das Maultier tänzelte nervös und selbst auf die Entfernung konnte Josiah das Weiß in seinen Augen erkennen. Der Fahrer war nicht mehr zusehen, stattdessen klammerte sich eine junge Fraue verzweifelte an das Kopfstück des Geschirrs und versuchte offensichtlich verzweifelt, das Tier daran zu hindern, immer wieder den Kopf hoch zu reißen. Josiah zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Shanaya zu, dazu ansetzend, den alten Herren abzuwimmeln und ihn zu seinem offensichtlich immer noch nicht kontrollierten Tier zurück zu schicken und die Menschenmasse insgesamt aufzulösen.
Wäre Shanaya ihm nicht zuvor gekommen.
‚Ich brauche keinen Medicus, nur ein bisschen Alkohol.‘
Im ersten Moment wollte sich ein Grinsen auf Josiahs Lippen schleichen – hatte sie jetzt endlich genug vom Tag? – bis ihn die Erkenntnis ereilte, dass das hier Shanaya war. Und Shanaya den Alkohol wahrscheinlich nicht wollte, nur um ihn zu trinken.
Diesmal hielt er den Fluch nicht zurück, als er hervorschnellte und endlich auch das letzte Stück zwischen ihm und ihr überwand und sich auf den Boden fallen ließ. Noch während sie nach dem Dolch tastete hatten seine Hände das Holz und die Nadeln gegriffen.
Fast schon entgeistert starrte er sie an. Anscheinend hatte er sich geirrt und es war doch nicht nur ihr Bein getroffen – der Sturz hatte anscheinend jeglichen Verstand aus ihrem Kopf geschlagen. Sorgsam hielt er die Gerätschaften außerhalb ihrer Reichweite und erhob gleichzeitig die andere Hand mit der Handfläche nach vorne um ihr zu deuten, dass sie innehalten sollte:
„Oh nein.“
Und zu dem alten Mann gewandt, damit dieser die veränderte Situation nicht missverstand:
„Kein Medicus.“
Dann deutete er mit einer scharfen Handbewegung der Hand mit dem Holzstück und den Nadeln in die grobe Richtung seines Tieres, gefolgt von einem:
„Warten. Dort.“
Unerwünschte Aufmerksamkeit war das letzte, was ihnen jetzt noch fehlte. Aber ganz weg schicken wollte er den Tölpel noch nicht – wer wusste, ob man ihn nicht noch brauchte. Ohne zu prüfen, ob der Mann seinen Worten Folge leistete oder der Rest der Masse sich auflöste wandte er sich wieder zu Shanaya.
Alles zu seiner Zeit. Erstmal musste er Shanaya davon abhalten, Dummheiten anzustellen.
Was für ein Tag.
Sein Blick glitt wieder über Shanaya, zu dem Hosenbein und dem Blut, das inzwischen sich zwischen ihren Fingern einen Weg hervor bahnte. Der Ärger war ihm ins Gesicht geschrieben: Plante sie hier eine neue Schaustellerin zu werden? Sollte er ihr einen Teller hinstellen, damit die Leute ihr Geld hinein werfen konnten während sie eine wahrscheinlich verpfuschte Flickerei durchführte?
Kurz überschlug er, ob er sie zuerst außerhalb der Menschenmassen bringen sollte oder sie zuerst die Wunde betrachten sollten. Die Entscheidung fiel schnell. Es wäre einfacher, Shanaya vorerst ihren Pfad der Zerstörung weiter gehen zu lassen als sie davon abzuhalten – wenigstens bis sie die Hose zerrissen hatte. Danach würden sie sie abbinden und die damit etwas mobilere Shanaya erstmal von der Straße runter holen können, weg von den neugierigen Augen des Volkes und dem Schmutz der Straße. Gedanklich vermerkte er sich noch den Wagen als mögliches Reise- oder wenigstens Rückszugsmittel, während er in einer fließenden Geste erst Shanaya deutete, weiter zu machen und schließlich einer Gestalt in der Menschenansammlung zuzuwinken, aus deren Korb zusammen gefaltete Tücher hervor ragten.
{ auf der Straße | bei Shanaya }