19.07.2020, 21:22
Noch ehe Lilly mit ihrem Fuß nach dem jüngeren Mann ausholen konnte, trafen Knochen auf Knochen. Geräuschvoll und ganz sicher von einem scharfen Schmerz begleitet, den sie deutlicher spürte als die Nordskov, deren finsterer Blick über das grauseligste Kunstwerk von Weiblichkeit glitt, in dessen Weg sie sich jäh stellte. So langsam glich diese ganze Unternehmung einer einzigen Farce. Während Anschuldigung um Anschuldigung durch die Luft flog und sich der Pulk in einem seltsamen Muster von A nach B und wieder zurück bewegte, verstrickten sie sich immer tiefer in diese Angelegenheit. Und wo waren eigentlich Talin, Enrique und Greo abgeblieben?! Hielt man jetzt noch zu Dritt ein Schäferstündchen auf dem Schiff, statt sich der Kinder anzunehmen, die dort herumlungerten? Skadi schnaubte. Mit erhobener Augenbraue und einem Blick der Wasser zerschneiden konnte. Wenigstens hielt sich die Großklappe in ihrem Rücken zurück, dessen Blicke unangenehm in ihrem Nacken kribbelten. Ganz sicher passte es ihm nicht, sich von einer Frau schützen zu lassen, die er obendrein nicht kannte. Doch seine bisherigen Versuche irgendwie aus dieser Sache heraus zu kommen, waren von dermaßen mäßigem Erfolg, dass er wohl weitaus schlechtere Optionen als sie und den Rest ihrer Crew hatte.
Lilly zuckte zusammen. Erst unter dem Anblick ihrer plötzlich auftauchenden Kontrahentin, dann unter dem festen Griff Olens, der sie (reichlich spät) zurück hielt. Besser für ihn, wenn er es dabei beließ. Besser für sie alle, wenn diese Furie nicht mehr durch die Werft rennen und ihre schlecht geschnittenen Krallen in fremder Leute Körper rammen konnte.
Und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, schälten sich Talin und Greo in ihrem Augenwinkel aus dem dunklen Braun der Schiffe hervor. Von Enrique fehlte jedoch jegliche Spur. Skadi hoffte instinktiv für sie alle, dass er es sich auf der Sphinx gemütlich gemacht hatte. Auch wenn sie bezweifelte, dass er sich dieses Theater wirklich entgehen lassen wollte. Wo er doch so ordnungsliebend war und diesen Flickenteppich an Lügen und Halbwahrheiten im Nu zusammengesetzt hätte.
„Ich meine nur, dass er auch nichts von dir wollte, Lilly. Er hat dich immer abblitzen lassen, als du noch...naja...als du noch dein Geld mit gewissen Gefälligkeiten verdient hast.“
Die Dunkelhaarige verließ im selben Augenblick wie Alex ein unterdrücktes Auflachen, das sie jedoch nicht unter einem Räuspern vertuschte. Stattdessen schwenkte ihr Blick von dem faltigen Gesicht zu Talin hinüber, deren blonde Mähne bei jedem ihrer Schritte auf und ab tanzte. In was bei allen Welten waren sie nur hier hinein geraten? Tote Menschen. Prüde Gestalten. Herumstreunende Kinder. Hätte sie ihr kurze Nacht nicht lebendig in Erinnerung, könnte sie darauf schwören, dass sie gerade schlief.
„Und keine sonderlich Gute.“, fügte die Jägerin betont laut an Talins Worte an und konnte ihr süffisantes Grinsen kaum unterdrücken. Ihr war nicht danach diese Situation zu entschleunigen und die Vernünftige zu sein. Lieber stach sie mit geballter Faust ins Wespennest, das allmählich unruhig zu summen begann. Es würde wehtun, brennen und wohl deutliche Spuren hinterlassen – zumindest für die nächsten Tage. Doch wenn ihr Kapitän nicht darauf bedacht war, übermäßig höflich und freundlich zu bleiben, sah die Nordskov keinen Grund darin, ihre Gedanken hinter Schloss und Riegel zu verwahren. Erst recht nicht, als der Grobschlächtige sich abwandte und Lilly allein zurück ließ. Mit einem Blick der von Scham und Wut gefüllt war und den Skadis kurz kreuzte.
„Versuchs ruhig… Schätzchen.“ Es war eine leise gehauchte Warnung, die kaum weiter reichte, als zu der Blonden und Jonah. Doch sie reichte, um die ersten Anzeichen einer Bewegung im Keim zu ersticken und jegliche Aufmerksamkeit auf Talin zurück zu richten.
Die Gruppe aufzuteilen, erschien ihr in Anbetracht des brennenden Temperaments vor sich, wie eine absolute Notwendigkeit. Solange Lilly und Jonah gemeinsam in einem Raum waren, kochte dieser angestaute Hass und Widerstand hoch, wann immer sie einander ansahen. Und je länger sie damit zubrachten, den laufenden Betriebt der Werft aufzuhalten, desto später kämen sie überhaupt von diesem schrägen Eiland davon. Gott. Den Menschen hier hatte man doch reichlich in die Mütze geschissen!
„Ai.“, gab Skadi mit erhobener Augenbraue von sich, während sie Talin auf eine Weise musterte, die seltsam undurchsichtig war. Entweder wenig beeindruckt von der wedelnden Geste ihrer Hand, der deutlichen Abwesenheit Enriques oder dem allgemeinen Chaos, in das sie schon wieder hinein geraten waren. So ganz wusste es die Nordskov selbst nicht, als sie sich herum wandte und Jonah mit reiner Körpersprache dazu zwang in Richtung des Aufenthaltshäuschens zu gehen. Auf den Zweiten im Bunde wartete sie gar nicht erst. Ganz sicher war ihm selbst daran gelegen ihr zu folgen – entweder weil er seinen Kumpanen nicht allein lassen oder sich selbst der Aufmerksamkeit entziehen wollte. Es war ihr gleich.
Während Jonah auf einem der Stühle in der Mitte des Raumes Platz nahm, blieb Skadi prüfend an der Tür stehen. Selbst dann, als Alex über die Schwelle eintrat und im selben Augenblick zu ihr hinab sah, als sie ihren Fuß gegen die andere Seite des Türrahmens presste und beiden Herrschaften einen Weg zurück in die Werfthalle verwehrte.
„Möchtest du mir gleich sagen, was du da Interessantes vom Boden aufgehoben hast oder wollen wir unsere Zeit mit sinnlosen Ausflüchten und Halbwahrheiten vergeuden?“
Es war nicht so, dass sie ihm wirklich eine Wahl ließ und auch nicht, dass sie davon ausging, dass er überhaupt etwas sagte. Doch ehrlich gesagt interessierte es sie nicht, ob einer von ihnen diesen Mord tatsächlich begangen hatte. Wer sich selbst die Hände nicht in Unschuld wusch, sollte seine Nase nicht in fremder Leute Angelegenheiten stecken. Und niemand wusste so gut wie sie selbst, dass es immer einen Grund dafür gab.