14.07.2020, 13:37
Liam schwieg, erwiderte zuerst den Blick seines Gegenübers, ohne auch nur ein Hauch dessen Wiedersehensfreude zu teilen und fluchte still in sich hinein. Mit einem Mal war die schlechte Laune vom gestrigen Abend zurückgekehrt, die Anspannung und das Gefühl, dass man ihn für dumm verkaufen wollte. Allmählich begann er tatsächlich daran zu zweifeln, dass Zufall alles war, was einen durchs Leben lenkte. Seit geraumer Zeit fühlte er sich vom Pech verfolgt, wirklich verfolgt. Wie auf Kommando meldete sich das taube Kribbeln in den Fingern der rechten Hand, als würde es ihm beipflichten wollen, ihm vielleicht sogar noch auf diese Art und Weise gratulieren, dass er endlich dahinter gestiegen war, dass es nicht bloß ein ungünstiges Zusammentreffen von negativen Dingen war, sondern gewollt. Von wem oder was auch immer. Wäre er abergläubischer gewesen, hätte er sich vielleicht überzeugen lassen, aber so schnaubte er lediglich abfällig über sich selbst, suchte mit seiner Linken unauffällig nach seinem Messer und ließ die Hand dann doch wieder sinken, um nichts zu provozieren, was nicht sein sollte. Ihm war aufgefallen, dass die beiden Männer hinter und vor ‚Flint‘ genaustens aufpassten, was sie taten. Sie würden mit allen Mitteln verhindern, dass einer von ihnen entkam. Nicht so wie gestern. Inzwischen hatte der Lockenkopf Eins und Eins zusammengezählt und so liebreizend, wie er den Mann, der sie nun dazu anwies, ihnen zu folgen, kennengelernt hatte, hatte ihr Versagen dafür gesorgt, dass sie bei dieser Gelegenheit wirklich nichts dem Zufall überlassen würden. Er hatte also garkeine andere Wahl, als zu folgen. Die Marine war immerhin auch keine Option für ihn, davon abgesehen, dass er noch nie ein Mann gewesen war, der seine Angelegenheiten von anderen regeln ließ. Marine war also nicht nur keine Option für ihn, weil man ihn suchte, sondern auch, weil er schlichtweg nicht darauf kam.
Was er allerdings auch nicht gerne tat, war, seine Angelegenheiten auf Leute auszuweiten, die nichts damit zu tun hatten – vor allem, wenn er sie nicht einmal kannte. Er rechnete sich keine großen Chancen aus, den Blondschopf wirklich herausboxen zu können. Noch ging er nämlich davon aus, dass er mehr zufällig in die Situation geraten war und sein bleiches Gesicht allein daran lag, dass auch ihm bewusst geworden war, dass er hier in einen Hinterhalt geraten war. Gerade aber, als Liam sein Glück versuchen wollte, den breitschultrigen Mann dazu aufzufordern, den Unbeteiligten ziehen zu lassen, erwies sich besagter Unbeteiligter vielleicht sogar als Hauptbeteiligter. Seine Augenbrauen schoben sich überrascht und abwartend nach oben, als ‚Flint‘ nach vorne trat und fast schon freundschaftlich die Schulter des Kopfes der Gruppe umfasste. Travis schien diese ‚Freundschaft‘ allerdings gänzlich anders zu interpretieren. Liam zuckte zusammen, als er diesen Umstand auch sogleich schmerzhaft zur Schau stellte. Unschlüssig, ob es sich bloß nach Bruch anhörte, weil er eben wusste, wie es klang, oder weil es wirklich hörbar unter dem Ellenbogen des Größeren geknackt hatte, warf er ‚Flint‘ einen flüchtigen Blick zu. Jetzt stand er da und erinnerte Liam dem Umstand wegen irgendwie an Skadi bei ihrer ersten Begegnung. Und etwas anderes kratzte an seinem Gedächtnis. So offensichtlich der Namensschwindel jetzt aber auch war – mehr als den Nachnamen hatte er sich nicht behalten (und selbst das war nicht selbstverständlich). Damit jedenfalls war offensichtlich, dass sie offenbar beide in diesem Schlamassel steckten – unabhängig voneinander, aber trotzdem irgendwie zusammen. Liam hoffte stumm, dass ‚Flint‘ diese Abreibung reichte, um Travis nicht weiter zu erzürnen. Der Kerl hatte eine kurze Leitung, scheute nicht vor Gewalt, schien ihm aber gleichzeitig nicht unbedingt die hellste Kerze. Ein Rückschluss, den er vielleicht aus seiner Gewaltbereitschaft zog, der ihm aber durchaus Hoffnung brachte, vielleicht doch noch geschickt aus der Sache herauszukommen. Travis hatte sich wieder umgewandt, um sie weiter fort von den belebteren Straßen zu bringen. Einer seiner Handlanger brachte ‚Flint‘ wieder auf die Beine. Liam folgte, ohne Anstalten zu machen, sich groß wehren zu wollen. Auf seinem Gesicht war eher Überdruss zu erkennen als Angst oder Ehrfurcht.
„Lass laufen.“, flüsterte er ‚Flint‘ entgegen, kaum dass er sich auf gleicher Höhe mit ihm befand und versuchte, ihn mit einer leichten Bewegung der Hand auf die Spur aufmerksam zu machen, die er so hinterließ.
Auch, wenn Liam nur wenig Hoffnung hatte, dass Shanaya oder Josiah Interesse an einer Blutspur hatten, die nicht offensichtlich mit etwas zu tun hatte, was sie betraf. Trotzdem war es etwas, was er sich offenlassen wollte, je nachdem, wie die Angelegenheit hier verlaufen würde. Irgendwann würde man nach ihm suchen, sollte dieser Travis sie tatsächlich länger festhalten wollen. Und dann würde man auch auf eine Blutspur aufmerksam werden, die irgendwo durch verlassene Gassen führte. Trotzdem war Liam überrascht über seinen Gedankengang. Ganz so unbeteiligt waren die letzten Monate also wirklich nicht an ihm vorbeigegangen. Und während er Travis auf den Hinterkopf starrte, wurde ihm eigentlich zunehmend bewusst, dass er sich gar nicht darauf verlassen wollte, dass man ihn finden – oder überhaupt suchen – würde. Das hier würde er schon allein geregelt bekommen.
Travis führte sie tiefer in die engbebautere Gegend Silvestres. Irgendwann hielten sie vor einem Scheunentor, die Scheune an sich schmiegte sich eng an die Häuser daneben. Einer der Männer öffnete das Tor, Travis trat ein und die anderen beiden warteten, bis auch ‚Flint‘ und Liam gefolgt waren. Durch Fenster in den Dachgiebeln fiel Licht ins Innere, welches den Raum in ausreichendes, wenn auch nicht durchdringendes Licht hüllte, nachdem das Tor hinter ihnen wieder geschlossen war. Offensichtlich fungierte die Scheune als Lager. Allerlei Stoffe hingen über Ständern an den Seiten, im hinteren Bereich stand die ein oder andere Gerätschaft, wirkte aber, als sei sie seit längerem nicht mehr genutzt worden.
„Und jetzt? Willst du mir eine Abreibung verpassen, weil du gestern Abend nicht ungestört einer Frau auflauern konntest?“
Seine Züge waren ungewohnt hart, die Arme verschränkt. Man sah ihm an, dass er – zum einen – nur wirklich wenig Verständnis dafür hatte, so nachtragend zu sein, weil man bei einer Untat unterbrochen wurde. Dass Travis nur reden wollte, hatte er ohnehin von Anfang an bezweifelt. Travis war weiter in den Raum geschritten und lehnte sich nun mit einem selbstgefälligen Grinsen rücklinks an eines der hölzernen Gerätschaften. Liam war in der Mitte der Scheune stehen geblieben, die beiden anderen Männer hinter ihnen beim Tor.
„Oh, nur deshalb? Nein.“, offenbarte Travis mit ebenso verschränkten Armen, aber deutlich mehr Spaß an der Sache. „Aber wer sich einmischt und dann wie ein feiger Hund flieht – der hätte eine Abreibung durchaus verdient.“
Travis Flint wog den Kopf von der einen Seite zur anderen, während sein Blick mit einer gefährlichen Weiche zu seinem undankbaren Untermieter glitt. Der Anblick des blutverschmierten Gesichtes schien ihm wie Balsam auf der Seele zu sein.
„Mal ganz abgesehen von einem nichtsnutzigen, schmutzigen Amateur mit langen Fingern, der auch nur darüber nachdenkt, meine Tochter zu besteigen.“