14.06.2020, 20:28
Noch während sie die dunklen Augen auf den Werftinhaber richtete, schoben sich Jonahs Worte über den Platz zu ihr hinüber. Zu gern hätte sie ihm unter einem tiefen Augenrollen ein “Wer hat gerade eigentlich mit dir geredet?“ an den Kopf geworfen, behielt es sich jedoch vor, mit hinaufschnellender Augenbraue wie in Zeitlupe den dunklen Schopf zu ihm zu drehen. Dass in ihrem Rücken, auf irgendeiner erhöhten Position, ein weiteres Kind zu ihnen hinab schrie, war ihr genauso bewusst, wie das Zittern des Jungen, der dicht neben ihr stand. Und doch wirkte sie, als berühre sie nichts davon. Als ließe sie die ganze Situation vollkommen kalt. Was zu einem gewissen Grad auch stimmte – abgesehen von dem Kind.
“Also nein.“, raunte sie dem Ältesten in der Runde entgegen und ignorierte das penetrante Schluchzen und Wettern der Blondine in seinen Armen. Dieses Geheul würde sich auf Dauer kein Mensch mehr anhören können. Ganz davon abgesehen, dass ihr das doch niemand abkaufte, oder?
Ihr Schluchzen stolperte in einem rasselnden Atemzug und hysterischen Japsen. Die Worte, die der Verdächtige über die Köpfe der Anwesenden in den Raum spie schienen sie mehr als hart getroffen zu haben. Mit verschmierter Farbe auf dem Gesicht schoben sich eisige Augen über den Rand der kräftigen Arme hinweg. Und fast konnte Skadi schwören so etwas wie ein funkeln in ihrem Blick zu erkennen. Doch der Fremde, der in ihrem Blickfeld auftauchte, zog jegliche Aufmerksamkeit auf sich. Was sollte denn das jetzt werden? Instinktiv schob sich ihr Fuß weiter in den Weg, ganz als wollte ihr Körper ihm unterschwellig klar machen, dass er sich eine fing, sollte er dem Kind zu nahe kommen. Was angesichts einer darauffolgenden Geste und Worte unnötig erschien.
Skeptisch beobachtete sie Alex bei seinem Versuch etwas mehr aus dem Kind heraus zu bekommen, als sie es geschafft hatte. Ihr Veilchen hatte ihr dabei wohl nicht wirklich in die Karten gespielt. Was für ein Jammer.
“Mmmm… Maryn.“
Ein Zucken durchfuhr seinen Körper und hätte Skadi die Wärme des Kindes an ihrem Bein nicht gespürt, würde sie fast glauben, dass er eben jene Leiche war, die seine plötzliche Blässe aus ihm machte.
“Nur den Hammer.“, fügte er Kopf schüttelnd an und schluckte schwer. “Ich konnte nichts sehen. Das schwöre ich. Und als der Hammer flog, bin ich weggerannt.“
“Was glaubst du eigentlich wer du bist, solche Lügen zu verbreiten?!“
Augenblicklich zuckte der Junge zusammen, stolperte über seine eigenen Füße und hielt sich nur durch einen ausgestreckten Arm der Nordskov in der Luft, die ihn aus einem Reflex heraus am Hemd ergriffen hatte. Doch ihr Blick galt nur im ersten Moment ihm. Schnellte dann zu der Blondine zurück, die sich aus Jahns Armen befreit und mit Wut verzerrtem und Tränen überflutetem Gesicht auf Jonah zubewegte.
“Erst ermordest du meinen geliebten Nhoj. Und jetzt willst du auch noch behaupten, ich hätte das hier getan?“
Mit zitternden Händen deutete Lilly auf die Leiche zu ihren Füßen. Schrie so laut, dass es fast alle außerhalb des Gebäudes vernehmen konnten. Wie eine Furie.
“Du sollst in der Hölle schmoren!“
“Lilly… beruhig dich.“
Sowohl Jahn als auch der ältere Nachzügler setzten sich in Bewegung, um die zierliche Frau zurück zu halten, die sich geradewegs auf Jonah zubewegte. Mit fuchtelnden Armen und einem Blick, der ihn wohl unweigerlich für die nächsten Jahrhunderte verfluchte.
“Maryn.“
Für einen Moment hielt Skadi den Blick auf dem Pulk, der immer mehr zu einem Gewirr aus Leibern verschmolz. Begab sich dann in die Hocke, um dem Jungen fest in die Augen zu sehen, dessen Hemd sie noch immer fest umklammert hielt und ihn dicht zu sich heran zog.
“Du verschwindest von hier ,okay? Am besten gemeinsam mit deinen Freunden auf unserem Schiff.“, flüsterte sie ihm eindringlich, aber unerwartet sanft entgegen.
Sie konnte den Anflug von Panik und Erstaunen in seinen Augen sehen und schmunzelte. Hatten er und seine Bande wirklich geglaubt, dass sie unentdeckt geblieben waren? Wie süß.
“ Und sucht euch beim nächsten Mal einen besseren Platz zum Schlafen.“
Ein amüsiertes Schnauben verließ ihre Nasenflügel. Begleitete die fließende Bewegung, die ihre Finger von seinem Hemd in Richtung seines Kinns führten, um demonstrativ von unten dagegen zu schnippen. Erst dann erhob sie sich, straffte die Schultern und spannte die langen Finger, ehe sie sich in Richtung der kleinen Gruppe auf machte.
[bei Alex und dem Jungen | dann auf dem Weg zu den Werftleuten und Jonah | in der Werfthalle]