05.06.2020, 12:42
Die Schritte hinter ihm, die zuerst schnell auf sie zuhielten und schließlich ebenso langsamer wurden, sagten ihm, dass auch Josiah die Verfolgung aufgenommen hatte und letztlich bei ihnen zum Stehen kam. Er schwieg – nichts, was Liam überraschte – und deshalb warf der Lockenkopf doch einen flüchtigen Blick über die Schulter, um sich des finster dreinblickenden Gesichtes zu vergewissern, welches sich hinter ihm positioniert hatte. Vor ein paar Wochen noch hätte er sich wohl einfach blind darauf verlassen, dass er mit seiner Vermutung schon richtig liegen würde. Im Augenblick aber ging er lieber ungern größeres Risiko ein. Zu seiner eigenen Überraschung trieb die Anwesenheit des ehemaligen Attentäters sogar eine Welle der Erleichterung durch seinen Körper. Nicht, dass man es ihm ansah, aber es zeigte dem Lockenkopf nur allzu deutlich, dass seine Unbekümmertheit stark unter dem zurückliegenden Zwischenfall gelitten hatte. Dem Fremden galt ein dankbares Lächeln bei seiner Antwort, in der so viel Wahres lag. Trotzdem wusste er, wie wenig die Gesellschaft, in der ihr Gegenüber vermutlich aufgewachsen war, auf ihre eigenen Worte gab. Bevor er jedenfalls selbst zum Antworten kam, kündigte ein beständiges Klopfen auf dem Kopfsteinpflaster die letzte ihrer Runde an. Liam hob die Hand, in der er mittlerweile Shanayas Tasche hielt, doch jegliche Erklärung ging in der Düsternis ihres Blickes unter. Der arme Tropf. Diese Runde ‚Räuber und Gendarm‘ würde er wohl bis zum Ende des Tages durchhalten müssen. Kaum, dass die Dunkelhaarige an ihnen vorbeigehinkt war, zeichnete sich auf Liams Lippen wieder ein Schmunzeln ab. Ihre Entschlossenheit war wirklich bemerkenswert. Doch Liam hatte nicht vor, seine Meinung zu ändern – er würde sich nicht die Mühe machen, Shanaya von ihrem Plan abhalten zu wollen. Josiah vermutlich auch nicht, wobei dieser sich vermutlich auch nicht dazu verpflichtet sah, zumindest in ihrer Nähe zu bleiben, um sie irgendwie nach Hause zu bekommen, wenn ihr Körper unter dem Willen ihres Geistes doch zusammenklappte. Wie es schien, war Shanayas Verfassung allerdings abermals nicht nur ihr Problem. Gerade, als sich Liam wieder dem Blondschopf zuwenden wollte, um sich zu verabschieden, fiel ihm auf, wie entsetzt er der Jüngeren nachstarrte. Shanaya hatte keinerlei Anstalten gemacht, auf seine Sorge zu reagieren, war unbekümmert weitergehumpelt und behandelte den Blonden wie Luft. Er konnte ja nicht ahnen, dass ihr derartige Floskeln bereits aus den Ohren heraushingen. Aber auch Josiahs und seine Untätigkeit schien den Fremden nicht davon zu überzeugen, dass er im Begriff war, einen Fehler zu machen. Liam blinzelte ihn abwartend an, wurde aber gleich darauf darin bestätigt, dass er richtig vermutet hatte. Der Fremde wollte es auf Elians Art und Weise versuchen. Und Liam ließ ihn gewähren.
„Hätten wir ihn davon abhalten sollen?“, fragte er leise an Josiah gewandt, während er mit locker verschränkten Armen beobachtete, wie er sich lebensmüde in Shanayas Weg schob.
Die Belustigung in seiner Stimme zeugte ziemlich eindeutig davon, dass er die Frage rein rhetorisch gemeint hatte. Er konnte sich seine Abfuhr auch ganz alleine abholen. Das wirkte vermutlich nachhaltiger als eine nett gemeinte Warnung, sich der Dunkelhaarigen nicht in den Weg zu stellen. Liam beobachtete die Szenerie einen Moment und wog den Kopf leicht von einer zur anderen Seite. Dann aber setzte er sich doch in Bewegung, um Shanaya im Zweifel davon abzuhalten, dem gutgläubigen Jüngling auf offener Straße den Garaus zu machen. Fast, wie Josiah eben hinter ihm, positionierte sich Liam hinter Shanaya. Seine Arme waren noch immer verschränkt, seine Züge aber wohl die ihm Wohlgesonnensten in dieser kleinen Runde, während er seiner Vorstellung lauschte. Trotzdem verschwieg er ihm die Skepsis nicht, die sich angesichts seines Angebotes auf seinem Gesicht abzeichnete. Einen Dieb suchen lassen für einen Fremden? Einen Dieb, der nicht einmal mehr das Diebesgut bei sich hatte, um ihn wirklich identifizieren zu können? Entweder er hatte wirklich viel, viel Geld, um eine derartige Suche in Gang zu setzen oder er war naiv genug, zu glauben, damit bleibenden Eindruck bei Shanaya hinterlassen zu können. Schade, dass sie ihre Angelegenheiten lieber selbst regelte.
„Statt uns mit einer Finte ins Korn führen zu wollen*, solltest du lieber deinem Freund Taschendieb Bescheid sagen, dass er Gefahr läuft, heute noch mächtig eins über die Rübe gezogen zu bekommen.“
Er war der erste, der seine Vermutung laut aussprach, kaum dass Flint geendet hatte. Es war bloß ein Gefühl, welches Liam heimsuchte. Ein ausgeklügeltes Spiel, um den eigentlichen Dieb aus ihrem Visier zu holen, indem man ihnen versicherte, dass ‚sich darum gekümmert wurde‘. Und wären Josiah und er nicht so schnell vor Ort gewesen, um die Übergabe zu beobachten, hätte sich Flint vermutlich ungesehen mit der Tasche aus dem Staub gemacht, während sie sich dem Falschen an die Fersen geheftet hätten. Clever, das war er auch bereit, anzuerkennen. Allerdings lag es ihm fern, irgendetwas zu beweisen. Er war nicht hier, um für Recht und Ordnung zu sorgen – ihre Angelegenheit war eher die Selbstgerechtigkeit. Und Flint hatte das Glück, sich nichts zu Schulden kommen gelassen zu haben. Außer, dass er sich Shanaya in den Weg gestellt hatte, verstand sich.
*ooc. ... Versteht ihr? Finte ins Korn führen, Flint, Flinte ins Korn werfen...? -hört Hände gegen Stirne klatschen- v.v Ich find's gut.