25.05.2020, 08:58
Die letzten Meter im Bordell verliefen im einvernehmlichen Schweigen, das Josiah freudig willkommen hieß. Es war ein locker, entspannt, unterstützt von Liams Blick vielleicht, aber es wäre auch ohne diesen unbeschwert geblieben, dessen war sich Josiah sicher. Eine ganze Zeit lang begleitete bloß das rhythmische Klacken von Shanayas Krücken, ihre Schritte und der ein oder andere neugierige Blick ihren Weg nach draußen, bis die Welt sie hinter der letzten Tür freudig im Empfang nahm.
Das Leben empfing sie mit offenen Armen und das Schweigen war hinüber. Niemand zögerte. Eliam und Farley trennten sich schlicht und zügig und Shanaya und Liam schlugen ohne viel Gehabe den Weg in die entgegengesetzte Richtung ein. Josiah selber zauderte ebenfalls nicht, als er sich Shanaya und Liam anschloss. Die Hände hinter den Rücken passte er sich dem Schlendertempo an und ließ seinen Blick von links nach rechts und wieder zurück gleiten. Entspannt, ‚Schaufenster-Gucken“-ähnlich. Er würde sie noch ein paar Meter begleiten, und dann die Sache erneut überdenken. Ob er bei ihnen blieb oder sich von ihnen trennte. Aber es würden noch ein paar Meter sein, vorausgesetzt, sie beschlossen, nicht auch denselben Weg einzuschlagen, den er angedacht hatte. Und kam Zeit, kam Rat.
Liam erhob die Worte, und als sich Josiah im nächsten Moment angesprochen sah, war er überrascht. Obwohl er bisher nicht das Gefühl gehabt hatte, die beiden anderen zu stören, hatte er ebenso nicht damit gerechnet, mit eingebunden zu werden. Sein Blick glitt zu Liam und mit einem kurzen Nicken registrierte er, dass er zuhörte, und wollte gerade antworten, als er eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. Sie war hektisch und schnell, und bewegte sich geradewegs auf sie zu. Josiah löste gerade seine Hände und wollte den Kopf wenden, dann war die Bewegung schon bei ihnen. Es war ein Mann, in Lumpen gekleidet und von einer Geruchswolke begleitet, die noch mehr als seine Klamotten nach dessen Lebensverhältnissen schrien. Wild entschlossen und in einem überraschend schnellen Tempo, das niemanden von ihnen Zeit ließ zu reagieren, schob er sich zwischen Liam und Shanaya und stieß die beiden in seinem erfolgreichen Versuch, nach der Tasche zu greifen, auseinander. Ein Fluch entglitt Josiahs Kehle als Josiah als einzige Reaktion übrig blieb, seine Arme nach vorne schießen zu lassen und Shanaya abzufangen, ehe die Schwarzhaarige mit seinem Körper kollidierte.
Es war weniger eine Geste der Hilfsbereitschaft gewesen und mehr eine des Situationszwange. Denn hätte er den Mann sofort folgen wollen, hätte er Shanaya geradezu von sich wegstoßen müssen. Und selbst ihm war klar, dass so eine Aktion selten gerechtfertigt wäre. Stattdessen begnügte er sich dabei, Shanaya umsichtig aber bestimmt nach vorne auf ihre eigene Füße zu schieben, ehe er sich abwandte und Liam, und somit auch dem verfluchten Mistkerl, folgte.
Er hatte schnell sein Tempo gefunden und machte sich wenig daraus, etwaige Passanten, die ihm weg standen, rigoros und ohne sich zu entschuldigen beiseite zu schieben. Schnell nahm er an Tempo auf. Der Dieb bog um eine Kurve, verschwand, Liam hinter her, und als Josiah kurz darauf auch dort ankam, stand Liam bereits wieder. Vor ihm die Tasche, die in den ausgestreckten Händen eines Mannes baumelte, der definitiv nicht ihr Mann war.
Und trotzdem hatte er die Tasche in der Hand.
Etwas unwillig verlangsamte Josiah sein Tempo und kam neben Liam zum Stehen. Tief in sich spürte er so etwas wie Enttäuschung, dass die Verfolgungsjagt schon vorbei war. Ein Gefühl, dass Josiah nur kurz registrierte und dann ziehen lies, um stattdessen den Blick achtsam von links nach rechts gleiten zu lassen. Liam dankte den Mann, und Josiah hoffte, dass ihm sein Gefühl nicht irren ließ, dass Liam dem Fremden ebenfalls misstrauisch gestimmt war. Es war ein Hinterhof, und ein relativ leerer noch dazu. Egal, wie oft Josiah die Fensterreihen absuchte oder nach dunklen Nieschen zum Verstecken, konnte er niemanden finden, der so wirkte, als würde er zu einem Hinterhalt gehören. Und der Bursche vor ihnen wirkte in seinen Klamotten nicht so, als könnte er ihnen das Wasser reichen. Dennoch konnte Josiah das Gefühl nicht abschütteln, dass irgendetwas nicht stimmte mit ihm.
Er ließ endgültig von der Umgebung ab und musterte den Taschen-Retter. Auf den ersten Blick wirkte er wohl gekleidet. Seine Klamotten waren ungeflickt und abgepasst. Auf den zweiten Blick war da aber der Staub, der den Farbton des Stoffes an manchen Stellen noch zierte, aber nicht an allen. Und die leichte Verschobenheit, wo manche Naht nicht ganz da, wo sie sonst zu sein pflegte. Ein leicht roter Schimmer auf den Wangen, wie man ihn von aufgeregten Leuten kennt oder von jenen, die vor kurzem außer Atem geraten waren. Kleinigkeiten, die nichts heißen mussten.
Aber vielleicht auch doch. Liam fuhr fort, schenkte dem anderen gleich eine passende Begründung für seine Anwesenheit und Tat, auf die dieser sich leicht berufen konnte, und Josiah hätte Liam am liebsten einen mahnenden Blick zugeworfen. Man sollte Menschen reden lassen, sich selber erklären. Alles andere waren verschenkte Chancen. Aber er ließ es, nickte stattdessen nur und richtete seinen Blick auf das Gesicht des Fremden. Er würde keine Geste oder Bewegung unbemerkt lassen, so war sein Entschluss. Jedes Blinzeln, jedes unterbewusste Zucken der Augen oder der Mundwinkel. Er würde nicht nochmal zulassen, dass sie erneut in einen Hinterhalt gerieten, und Liam machte seine Rolle als freundlicher und glücklicher Besitzer bisher ja sehr gut, da würde er selber unfreundlich bleiben dürfen. Er hatte bisher zwar noch nicht mitbekommen, dass ihnen Aufmerksamkeit der falschen Art geschenkt worden wäre, noch hatte er Gerüchte mitbekommen, die darauf deuteten, dass jemand auf der Insel Wind davon bekommen hatte, dass – oder wo – sie sich aufhielten, aber gerade nach dem letzten, großen Ereignis hatte er beschlossen, dass er sich wieder weniger auf Wahrscheinlichkeiten stützen musste. Es war ja auch nicht wahrscheinlich gewesen, dass jemand ein halbes Dorf zu einem Fangspiel umfunktionierte. Trotzdem hatten sie in jener Nacht Leute verloren.
Jetzt hieß es, die Antwort, Reaktionen und Verhaltensmuster des Fremden abzuwarten. Und was Shanaya tun würde.
[bei Liam, Shanaya und Nathan | Seitengasse in Bordellnähe]