21.05.2020, 20:25
Die Faust in der Größe eines Kinderkopfes schlug unmittelbar dort ein, wo sich Nathans Schädel noch vor dem Bruchteil einer Sekunde befunden hatte, und hinterließ einen hässlichen braunen Fleck vom abgesprungenen Putz in der weiß getünchten Hauswand des Tuchhändlers. Der Gorilla, der mit einem weiteren Hünen geschickt worden war, um Nathan das Fell über die Ohren zu ziehen - also ganz wortwörtlich gesehen - grunzte unwillig und setzte dem Dieb nach. Dieser hob beschwichtigend die Hände. “Man kann doch über alles re…“ Der zweite Hieb traf ihn in die Magengrube und erstickte sowohl die zweite Hälfte des Satzes, als auch die Hoffnung, dass man mit diesem Berg über irgendetwas reden konnte. Japsend sank Nate auf die Knie, ohne dem Leibwächter irgendetwas entgegen setzen zu können. Nathan verstand den Zorn sogar. Er wäre sicherlich auch wütend gewesen, hätte man ihm eine Gabel in seinen Handrücken gestochen. Das hatte Nathan nämlich zuvor getan, um sich aus dem Schwitzkasten des Leibwächters zu befreien und auf die Straße zu springen.
Ja, na klar, es stimmte schon: Eigentlich hätte Nathan seinem Retter Flint dankbar sein müssen. Eigentlich hatte der ihn ja aus dem Wasser gefischt, ihm zu essen und etwas Anständiges zum Anziehen gegeben, und ihn bei sich wohnen lassen. Eigentlich, ja, eigentlich war es nicht die feine Art, Flints Gutmütigkeit zu vergelten, indem man ihm einen kleinen Sack Goldmünzen stahl - mehr hatte sich Nathan leider nicht gönnen können - und sich anschließend mit der Tochter einließ. Wäre die schöne Gwenn nicht dazwischen gekommen, Nate wäre schon längst über alle Berge gewesen. Jetzt weinte Gwenn am offenen Fenster, der feiste Flint stand fluchend daneben.
Sie hatten ihn fast auf frischer Tat ertappt, und obwohl alle von Nathans Kleidungsstücke noch an der richtigen Stelle saßen, war der Vater in eine eindeutige Szene geplatzt. Nathan musste machen, dass er davonkam. Also rollte er sich zur Seite, als der Leibwächter nach ihm trat, wich dem zweiten Mann aus, nahm einen Blumenkübel und warf ihn blindlings nach hinten. Das verschaffte ihm ein wenig Zeit. Er kletterte geschickt von einem niedrigen Ast über die Mauer und war mit einem Satz auf der Straße. Ohne zu Zögern lief er los, sich durchaus bewusst, dass die beiden Leibwächter des Tuchhändlers nicht so schnell aufgeben würden.
Er lief ohne auf seinen Weg zu achten durch die Gassen und versteckte sich schließlich schweratmend in einem dunklen Hauseingang. Tatsächlich waren ihm Flints Schergen sehr dicht auf den Fersen, sie passierten den versteckten Dieb nur Wimpernschläge später. Nathan drückte sich an die Wand und hielt den Atem an. Als die beiden um die nächste Hausecke bogen, floh Nathan in die andere Richtung. Plötzlich erhielt er einen heftigen Stoß, der ihn rückwärts taumeln und zu Boden gehen ließ. Einen Moment befürchtete er, Flint hätte ihn aufgespürt, doch dann sah er ein gehetztes Augenpaar auf sich ruhen. Ein bärtiger Mann mit verfilzten Haaren und zahnlosem Mund hatte offensichtlich eine Tasche an sich gebracht und war in seiner wilden Flucht mit Nathan zusammengestoßen, der ja ebenfalls eher auf seine Verfolger geachtet hatte, als auf seinen Weg nach vorne.
Nathan sprang auf die Füße, sein Blick glitt nach vorne, und er sah die Gestalten, deren Hab und Gut der Straßendieb, denn nichts anderes war der Mann vor ihm, an sich gebracht hatte. Eine verletzte junge Frau und zwei junge Männer sahen aufmerksam zu ihnen hin. Nathan überlegte nicht lange, schnappte sich seinerseits die Tasche, steckte dem Bettler unbemerkt eine Handvoll Kleingeld des Tuchhändlers zu, gab ihm einen Fußtritt, der ihn wegtaumeln ließ und meinte zischend: “Besser für dich, wenn du dich damit begnügst. Mit denen scheint nicht gut Kirschen essen!“ Der Mann ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm die Beine in die Hand und verschwand in der Dunkelheit der Hinterhöfe. Schweratmend stand der Taschendieb da, klopfte sich den Staub der Straße aus den feinen Klamotten des Tuchhändlers, und wartete darauf, was oder wer auf ihn zukam. Vielleicht hatte er Glück und die drei würden ihm ein Versteck verschaffen, bis Flint seine Aufregung vergessen, oder noch besser, ihn vergessen hatte.
“Das scheint Euch zu gehören!“, gab Nathan von sich, als einer der drei in Hörweite kam und hielt dem Neuankömmling die Tasche ausgestreckt hin.
[Vor dem Bordell | Shanaya, Liam, Elian(?) & Josiah]