10.05.2020, 18:10
Liams Worte mochten Elian nicht schmecken, aber er hatte vermutlich Recht, immerhin kannte er Shanaya besser als derjüngereletzte Montrose. Liam eilte Shanaya hinterher, und im verbleibenden Knäuel von Elian und den beiden Neuankömmlingen entbrannte eine kurze Unterhaltung.
„Ich habe ihr gegenüber dieselbe Drohung gemacht. Hat nichts gezogen,“
erklärte Elian Josiah auf seine Nachfrage hin. Shanayas Gelassenheit gegenüber der Aussicht auf ein Holzbein sprach dafür dass sie entweder keine Ahnung hatte, wie schmerzhaft und lästig und unpraktisch eine Prothese auf hoher See sein würde, oder es ihr wirklich so sehr um die Äußerlichkeit einer starken Piratin ging, dass sie bereit war, dafür ihre Beweglichkeit zu opfern. Oder dass sie so kindisch war, dass sie schlichtweg nicht anders konnte als Leuten zu widersprechen, die augenscheinlich Recht hatten. Es machte Elian zornig, aber längst nicht zornig genug, um darüber ein Magengeschwür zu entwickeln. Er hatte gemeint, was er gesagt hatte: Es war ihr Leben. Ihr verdammtes Bein. Und definitiv letzten Endes nicht sein Problem, zumindest nicht, bis es eine Entzündung notgedrungen dazu machen würde. Aber musste er wirklich ihr Händchen halten, während sie diese provozierte?
Nein, beschloss er in einem für ihn sehr uncharakteristischen Moment plötzlich. NEIN! Es war NICHT sein Problem! Sie konnte ihn mal! Leute, die so über Aspen redeten und lachten, konnten von ihm aus Wundbrand kriegen. Er würde ihr helfen, wenn es soweit kam, aber er würde unter Garantie nicht daneben sitzen und Däumchen drehen, während es passierte.
Noch vor drei Wochen hätte Elian auf Farleys Vorschlag, Diebstähle zu begehen, mit Einwänden moralischer und sicherheitstechnischer Art reagiert. Er war steckbrieflich gesucht, das letzte was er brauchen konnte, war – realistisch gesehen – ein Verbrechen zu begehen, das jemandem auffiel. Seine Tage der Schelmerei auf Raízun waren nun auch schon etliche Jahre her. Aber heute war ihm das alles egal. Scheiß auf Vorsicht. Scheiß auf Regeln. Taranis und Aspen waren auch vorsichtig gewesen, und gestorben. Sie waren nicht hier, um auf ihn wütend zu sein oder ihm zu sagen, dass er ein Vollidiot war. Außerdem gab jeder hier Shanaya recht, deren Vorgehen komplett idiotisch war, also war das vielleicht das Leben, das er jetzt vor sich hatte. Er konnte schwerlich nach Hause zurück, oder wieder für die Marine arbeiten. Und er hatte bereits Erfahrungen damit gemacht, wie es ihm erging, wenn er sich alleine durchschlug. Wenn er weiterleben wollte – und er war nicht ganz sicher, dass er das wollte, aber für den Moment war es ein guter Anfangspunkt – dann musste er bei der Crew bleiben, der er sich ursprünglich wegen Aspen, und ein wenig auch wegen Taranis und minimal wegen Talin, so bereitwillig angeschlossen hatte.
Bei einer Piratencrew.
Umgeben von, nun, PIRATEN.
Taschendiebstähle würden wohl kaum das Schlimmste sein, was er in naher Zukunft tun würde, um sich in dieser Crew seinen Platz zu verdienen.
Also, warum nicht schon mal anfangen mit seinem perfekten neuen Leben eines ehrlosen Diebes, Mörders und was der Geier den anderen sonst noch für ihn einfiel. Es war alles besser als der Nebel der letzten Wochen.
„Weißt du was, das klingt wunderbar.“
Er nickte Farley zu, auf seinem Gesicht ein düsterer, aber sonderbar entschlossener Ausdruck.
„Geh voraus, ich folge dir. Hab für den Tag wirklich genug von ihrem Humor, aber wenn ich noch lange hier drin bleibe, ersticke ich.“
Bis zur Straße folgten sie den anderen, dann bogen Farley und Elian gemeinsam ab und schlenderten nebeneinander weg von der Gruppe um das Hinkebeinchen. Elian war schweigsam, dankbar für die Bewegung nach der gefühlten Ewigkeit des Herumhängens. Ihm gingen viele Gesprächsthemen im Kopf herum, vor allem natürlich das, was ihnen beiden nicht aus dem Sinn gehen wollte - der Moment am Hafen. Die Schusssalve. Die stürzenden Körper.
Aber er wollte das alles nicht haben, nicht jetzt, nicht hier. Er hatte gerade erst den Damm in seinem Innersten errichtet. Er konnte es sich nicht leisten, ihn einzureißen und sich seinen Gefühlen hinzugeben. Und so gut er Farley kannte im Vergleich zu allen anderen an Bord - durch die langen Jahre der Trennung waren sie schwerlich so gut bekannt wie früher. Ihre Freundschaft stammte aus Kindertagen. Es würde Zeit kosten, als Männer auf dieselbe Stufe zu kommen wie damals.
„Machst du das öfter? Leute... erleichtern?“
[Bordell mit Josiah, Farley, Liam und Shanny]
[Dann allein mit Farley, auf dem Weg in die Stadt]
[Dann allein mit Farley, auf dem Weg in die Stadt]