06.05.2020, 20:48
Wenn sie ihn damit darauf aufmerksam machen wollte, dass sie etwas wusste oder ahnte, was er sie offenbar nicht wissen lassen wollte, hätte sie es seinetwegen auch direkter ausdrücken können. Hätte er sich dazu nicht weiter äußern wollen, hätte er ja immerhin auch gar nicht noch einmal nachgefragt. Er blinzelte ihr fragend entgegen, doch Shanaya grinste ihn weiterhin auf eine Art und Weise an, die ihm unterstellte ganz genau zu wissen, worauf sie hinauswollte. Aber auch ihre nächste Antwort ließ genug Platz für Interpretation, sodass Liam kurzerhand mit der gesunden Schulter zuckte. Klar war Freundschaft dehnbar. Freundschaft bedeutete auch für jeden Menschen etwas anderes. Auf diese philosophische Diskussion wollte er sich nun allerdings nicht einlassen – das war nicht der Punkt, um den es hier ging.
„Ich wollte nur nicht, dass du an all diese romantischen Dinge denkst, die dir so in den Sinn kommen. Ich mache ihr nicht den Hof und sie erwartet es auch nicht.“
Vielleicht war es so deutlich genug ausgedrückt, um Shanaya indirekt in dem zu bestätigen, was sie hören wollte und die Sache dennoch klar abzugrenzen. Fast hätte er noch ein spitzbübisches ‚Sie bringt mich nicht derart um den Verstand, wie es Lucien bei dir schafft‘ über die Lippen gehuscht, doch er versiegelte es hinter einem gutgelaunten Lächeln. So ganz hätte es nämlich auch nicht der Wahrheit entsprochen. Nicht so, wie Lucien Shanaya um den Verstand brachte, stimmte vielleicht im Grundgedanken, doch Skadi verstand sich sehr gut in diesem Handwerk. Aber das war etwas, worüber er lächelte und schwieg.
„Ich gebe mir Mühe.“
Er lachte. Er hatte bislang gar nicht gewusst, dass so viel daran war, mit Links nicht vollkommen aufgeschmissen zu sein. Seit Kindesalter hatte er sich daran gewöhnt, die Dinge mit rechts zu erledigen. Vielleicht hielt er manchmal das Besteck andersherum, aber dann meist unbewusst. In erster Linie war er allerdings eher interessiert daran, seine rechte Hand wieder in Betrieb nehmen zu können, statt sie mit der anderen abzulösen.
Liams Blick hob sich überrascht, als Shanaya antwortete. Sein Blick allein verriet, dass er mehr hören wollte. Er hatte tatsächlich nie danach gefragt, obwohl er all die Kleider der alten Crew entweder geflickt und für andere Verwendungen zurechtgelegt hatte. Irgendwie war er bislang einfach davon ausgegangen, dass sich die Meuterei gegen Talin gerichtet hatte. Immerhin wären ansonsten doch noch andere der Crew übrig geblieben außer Aspen und Shanaya, oder? Es hatte für ihn einfach nie eine Rolle gespielt. Aber wenn sie jetzt schon dabei waren, hörte er sich gerne die Geschichte an. Er hielt nur noch einmal kurz inne, als von ihrem eigentlichen Pfad ein noch kleinerer Trampelpfad abging. Ein Wildwechsel vermutlich, wenn auch auffällig breit. Ein kurzer Blick galt Shanaya, ehe er ganz automatisch den abenteuerlicheren Weg einschlug.