05.05.2020, 15:47
Er hatte keinerlei Zweifel daran, dass sie das tun würde. Shanaya wusste, was sie wollte und meistens auch, wie sie es bekam. Und wenn nicht, fand sie es eben früher oder später heraus. Ein bisschen machte sich ihre Herkunft also vielleicht doch bemerkbar, aber Liam war feinfühlig genug, diesen Gedanken nicht laut auszusprechen. Stattdessen kommentierte er ihre Ausführung mit einem gedehnten ‚Aha‘ und schielte von der Seite zu ihr hinüber. Nicht, dass er Zweifel an ihren Worten hatte, aber vielleicht genügte es, ihr mit gespieltem Unglauben ein bisschen Freiraum für Interpretation zu geben, dass sie ihre Gedanken weiter ausführte. Wenn nicht, war es ihm genauso recht. Im Grunde gab es nichts mehr, was er zu diesem Thema erfragen musste. Und dass er eigentlich eher weniger der Typ dafür war, Dinge heimlich zu tun, wusste Shanaya. Das musste er, wie er fand, nicht unbedingt richtigstellen. Ihr Kommentar bezüglich der Freundschaft zwischen Skadi und ihm allerdings verwirrte ihn. Fragend schoben sich seine Augenbrauen zusammen, während er zu ergründen versuchte, was genau die Jüngere damit meinte. In seinen Augen war eine Freundschaft vieles, aber mit Sicherheit keine Ausrede. Sie verlangte viel mehr Dinge als dass sie einen von Pflichten erlöste, wenn man es ganz pragmatisch herunterbrach. Um Freundschaften kümmerte man sich, profitierte gleichzeitig aber auch davon. Ein Geben und Nehmen eben, bei dem man nicht kleinkariert alles abwog. Ganz davon abgesehen, dass Liam kein Grund einfiel, sich aus irgendetwas herauszureden.
„Was meinst du?“, fragte er deshalb frei heraus.
Er hätte das Thema an dieser Stelle fallen lassen können, wenn es ihm unangenehm gewesen wäre. War es aber nicht und er war tatsächlich gespannt darauf, wie er die Worte der Jüngeren zu verstehen hatte. Wenn es nämlich so herübergekommen war, dass er sich im Bezug auf Skadi aus irgendetwas herausreden wollte, wollte er es klarstellen. Das hatte sie nämlich zweifellos nicht verdient.
Er lächelte hörbar bei Shanayas Vorschlag, sich einfach nur auf das Minimalistischte zu konzentrieren. Zugegeben – die Skizze würde tatsächlich sehr viel an Naturgetreue einbüßen, aber wenn er dann Ruhe und Zeit hatte, würde das Ergebnis durchaus so ansehnlich werden, wie man es von ihm gewohnt war.
„Als Kind habe ich sogar fast ausschließlich mit links gezeichnet.“, gab er zu. „Aber da es sich nicht schickte, brachte man mir bei, auf die rechte Hand zu wechseln. Wir können ja sehen, wo wir heute landen. Pergament hätte ich tatsächlich dabei.“
Er klang definitiv nicht abgeneigt, aber es sollte nicht ihr Hauptziel für den Tag sein. Er wollte sich die Beine vertreten, ein bisschen den Kopf freibekommen und nicht direkt wieder daran erinnert werden, dass gerade nicht alles so lief, wie er es sich vorstellte.
„Ja, vermutlich.“ Mit einem überzeugten Nicken hing er kurz seinen eigenen Gedanken nach, ehe er sich wieder an Shanaya wendete. „War das vor oder nach der Meuterei der alten Crew?“