03.05.2020, 16:27
„Ganz ehrlich? Bislang hätte ich eher gedacht, dass dir das im Bezug auf Überfälle mehr Spaß machen würde als unter den Umständen, von denen ich glaube, dass du darauf angespielt hast.“
Dieses freundschaftliche Schäkern war gerade tatsächlich Gold wert. Auch, wenn man sich wundern konnte, wie sie von scheinbar banalen Themen schon wieder in eine Richtung abgedriftet waren, die sie eigentlich so gar nicht verband. Sie war eben doch nicht nur das junge Ding, was er in ihr sehen wollte. Sie war bei ihm damit allerdings auch auf einen offenherzigen Gesprächspartner getroffen, dem kaum etwas peinlich war und der die Dinge sah wie sie waren: Natürlich. Dennoch musterte er die Dunkelhaarige bei ihrer nächsten Frage skeptisch und wunderte sich auch gar nicht darüber, dass Shanaya den Ball mit Skadis Erwähnung zurückzuspielen versuchte. Tatsächlich nahm er es nicht einmal als wirklichen Versuch wahr. Dass Skadi und er sich gut verstanden, war kein Geheimnis. Und was sie sonst noch trieben, war ihre Sache – ihre Sache, die auf einem Schiff mit so vielen Leuten aber nicht unbedingt unter ihnen blieb. Liam sah es als nichts Erwähnenswertes, wäre aber auch mit Sicherheit nicht auf die Idee gekommen, es abzustreiten, wäre es nicht nur eine lockere Vermutung der Jüngeren gewesen.
„Shanaya. So ‚heimlich‘ wie du es vielleicht gerne hättest, war und ist es leider nicht. Tut mir leid.“ Er zuckte machtlos mit den Schultern, schmunzelte ihr dabei aber gutgemeint entgegen. „Aber warum auch? Gibt es einen besonderen Grund, warum es ‚heimlich‘ sein sollte?“
Er klang ein wenig verständnislos, was daran lag, dass er keinen Grund darin sah, irgendetwas zu verheimlichen. Wenn sie sich mochten und ihren Spaß hatten – wer waren die anderen schon, um sich da einzumischen? Aber vielleicht übersah er ja auch irgendwas, worauf sie ihn gleich hinweisen würde. Irgendetwas, was wirklich erklärt hätte, weshalb es ihr so wichtig war, es vorerst für sich zu behalten. Diesbezüglich brauchte sie sich allerdings bei ihm auch keine Sorgen machen: auch, wenn sie ihm gegenüber nun offen zugegeben hatte, dass Lucien und sie sich näher waren als manch andere auf diesem Schiff – er gönnte es ihr und sah keinen Grund darin, mit dieser Information hausieren zu gehen. Dazu war sie ihm vermutlich sowieso schon wieder viel zu schnell entfallen.
„Und ja – Skadi hat euch auch schon ‚heimlich‘ beobachten können.“ Vermutlich jedenfalls. Denn der Dunkelhaarigen war Anziehung der beiden auch nicht entgangen, wenn er ihre Blicke richtig gedeutet hatte, als sie gemeinsam unterwegs gewesen waren.
Ihnen beiden war wohl die Ironie hinter Shanayas Worten bewusst – und damit auch die Tatsache, dass sie vermutlich ziemlich viele gerne gehängt gesehen hätten. Nicht unbedingt, weil Shanaya eine Erregung öffentlichen Ärgernisses war – fand er – aber aus anderen Gründen, die Liam ihnen nicht einmal absprechen konnte. Für den Augenblick aber verschwendete er keinen Gedanken daran, grinste amüsiert und überlegte kurz, ehe er den Kopf wieder in ihre Richtung wendete.
„Vielleicht halte ich es ja einfach für nötig, genaue Phantombilder anzufertigen, damit man dich auch dann noch erkennt, wenn die Blicke des herrschenden Geschlechtes auf anderen Dingen hängen als auf deinem Gesicht.“
Unschuldig hing das Lächeln auf seinen Lippen, denn er hielt es nicht für nötig, die Jüngere über irgendwelche ehrlichen Beweggründe aufzuklären. Sie wusste, dass derartige Portraits bei ihm nicht als Vorlage für unanständige Gedanken dienten. Er liebte es einfach nur, die Schönheit der Dinge festzuhalten. Ganz gleich ob Tier, ob Natur oder eben die Schönheit des menschlichen Körpers. Er war auch niemand, der sich dabei zwingend auf ein Geschlecht konzentrierte. Es hatte immerhin nichts mit einem sexuellen Verlangen zu tun.
„Definitiv. Ich hatte jetzt ein paar Jahre Zeit dafür und habe nicht annähernd alles gesehen.“ Er ließ die Erinnerungen einen kurzen Moment auf sich wirken, ehe ihm eine andere Frage in den Sinn kam. „Wie bist du damals eigentlich an Talin geraten?“