02.05.2020, 18:55
Er rollte mit den Augen und untermalte Shanayas Freude über das vermeintlich gelüftete Geheimnis mit einem Seufzen, welches nur halb so schwer klang, wie er es eigentlich klingen lassen wollte. Im Weg stand ihm dabei das breite Schmunzeln auf seinen Zügen, sodass er kurzerhand einen Schritt zur Seite trat und die Schwarzhaarige freundschaftlich an der Schulter von sich schubste.
„Was ist schon dabei. Ich war nur überrascht, das aus deinem Mund zu hören. Ich hätte Luc auch nicht so eingeschätzt, dass ihm nach der Morgenwind noch groß nach Fesseln und Knebeln zumute wäre. Also, vorausgesetzt, das bei euch ist noch aktuell.“
Damit verbaute er sich die letzte Gelegenheit, sich irgendwie aus Shanayas Annahme herauszureden. Fakt war allerdings, dass er es auch zu keiner Sekunde überhaupt versucht hatte. Zum einen wusste er bei ihr, dass auch sie mehr die Lebensweise ‚leben und leben lassen‘ verfolgte, zum anderen konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie mit dieser in Zukunft Information anfangen wollte. Vermutlich hatte sie es bis zum Abend längst wieder vergessen – bei diesem Gedanken musste Liam sich selbst belächeln. Bestimmt nicht. Und in irgendeinem unpassenden Moment würde sie die Nachricht wieder aus dem Dunkeln ihrer Gedanken herauskramen und ihn bereuen lassen, sich hier nicht herausgeredet zu haben. Ironischer Weise freute er sich auf den Moment.
Was die Liebelei zwischen Lucien und ihr betraf, war sich der Lockenschopf tatsächlich gar nicht sicher, ob er auf dem aktuellen Stand war. Er hatte die letzten Tage nur wenig von den anderen mitbekommen und sich keinerlei Mühe gegeben, den Klatsch und Tratsch zwischen den einzelnen zu verfolgen. Wenn er so darüber nachdachte, erschien es ihm wieder undenkbar, dass das Ganze gerade mal eine Woche her war. Und so verliebt, wie Shanaya am Abend noch gewirkt hatte, hatte sich daran mit Sicherheit in derart kurzer Zeit nichts geändert. Aber seine Stimme ließ die vorwitzige Neugier vermissen. Manch anderer hätte jetzt wohl versucht, Neuigkeiten aus ihr herauszukitzeln, aber Liam reichte das, was er wusste oder nicht wusste. Es war für ihn keinerlei Angelegenheit, die einer Diskussion bedurfte. Sie konnten tun und lassen, was sie wollten und ohne dass die anderen davon erfahren mussten. Da erschien ihm ein Gespräch über weibliche Rundungen weitaus ergiebiger.
„Wir sind wirklich der Abschaum der Gesellschaft.“, schloss er mit einem gespielt enttäuschten Ausdruck auf den Zügen, doch das Grinsen lag deutlich auf seinen Lippen.
Im Bezug auf die Zukunft konnte er sich wohl noch ein bisschen von ihr abschneiden. Ihr Optimismus war bemerkenswert und erinnerte ihn mit einem unangenehmen Ziehen in der Magengegend an den ersten Abend auf dieser Insel.
„Schätze, das sollten wir vorerst so oder so nicht.“ Seine Bedenken waren nicht aus der Luft gegriffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sie nicht suchte, ging im Grunde gegen Null. „Man hört tatsächlich recht wenig darüber. Obwohl ich durchaus schon etwas herumgekommen bin, bezog sich das meiste, was ich so aufschnappen konnte, lediglich auf die erste Welt. Ich meine – klar, was sollte schon groß anders sein als hier, aber irgendwie… klingt es trotzdem spannend, in die zweite Welt zu segeln.“