29.04.2020, 15:17
„Nicht direkt gegen sie. Aber gegen ihr Interesse an unseren gefiederten Crewmitgliedern.“, konkretisierte er gutgelaunt, was er meinte und nickte letztlich auf ihre Vermutung hin.
Wäre es ihnen nicht aus so gegangen? Liam konnte nur für sich sprechen, aber wenn man das Szenario mal etwas überspitzt anpasste – vermutlich wäre er auch längst wieder auf seiner eigenen Reise, hätte er nicht im Hinterkopf, dass er die Sphinx jederzeit verlassen konnte, wenn ihm danach war. Jedenfalls aus diesem Blickwinkel – wie unmöglich das unter den gegebenen Umständen war, war ihm schmerzlich bewusst. Vielleicht hatte sich das in ein paar Wochen oder Monaten wieder beruhigt – er war ja Optimist – aber bis dahin war er mit der Sphinx zweifellos besser dran. Er kein Mensch, der große Vorsicht walten ließ, kannte sich zudem weder mit Kopfgeld noch mit Kopfgeldjägern aus und konnte somit davon ausgehen, vermutlich recht bald aufgegriffen zu werden. Er war weder ein wirklicher Kämpfer noch vorausschauend genug, um eine Finte zu wittern, bevor er unbedacht darauf reingefallen war. Ihm fehlte das allgemeine Misstrauen und die Weltansicht, dass man ihm eher etwas Schlechtes als etwas Gutes wollte. Allerdings merkte er, wie sich sein sturer Optimismus allmählich anpasste. Ob er es gutheißen sollte – darüber war er sich noch nicht ganz so einig.
„Natürlich.“, lachte er und räusperte sich schließlich kurz. „Weiter als bis in die Stube kam ich damit sowieso nur selten. Als hätte meine Mutter gerochen, wenn ich nicht alleine war.“
Die Erinnerung an das Gesicht seiner Mutter, wenn er wiedermal etwas nach Hause gebracht hatte, was dort nicht sein sollte, erhellte seine Züge sichtlich. Meist hatte sie alles stehen und liegengelassen, um ihn umwendend mit seinem neuen Fund wieder nach draußen zu geleiten. Er hatte nicht verboten bekommen, sich darum zu kümmern – solange es eben vor der Tür stattfand. Eine Maus in der Küche hatte ihr gereicht gehabt, an der er vielleicht maßgeblich beteiligt gewesen war. Aber gemeinsam hatten sie nicht selten eine flache Schüssel mit Wasser aufgestellt, um den Vögeln und anderen kleineren Tieren zumindest die Wassersuche in den wärmeren und trockeneren Monaten zu erleichtern. Liam lachte, als sie die Geschichte mit den gelockten Kühen wieder aufgriff.
„Und hättest du erst die Kälber gesehen.“
Er versprach ihr nicht zu wenig – die hatten nämlich nicht bloß Locken gehabt, sondern fast gänzlich daraus bestanden. Neugierig lauschte er ihrem Bericht, während sein Blick dem Weg folgte, den sie eingeschlagen hatten. In einem leichten Bogen führte er links an einer Wiese vorbei, die vermutlich als Weidefläche genutzt wurde. Auf der anderen Seite standen noch vereinzelte Häuser und Höfe, denen die Wiesen vermutlich gehörten. Dahinter grenzten die ersten Bäume des Waldes, der sich bis auf die höhergelegenen Flecken der Insel erstreckte – so jedenfalls hatte es gewirkt, als sie dieses Fleckchen Erde angesteuert hatten.
„Geteert und gefedert sozusagen.“, grinste er und schüttelte gleichzeitig verständnislos den Kopf. „Ich glaube, bei mir war es eher auffällig, wenn ich sauber nach Hause kam.“ Er beneidete Shanaya ganz sicher nicht um ihre Kindheit. „Sie sind halt gleichzeitig auch ein gewisser Teil an Verantwortung. Und davon abgesehen – bevor ich auf euch gestoßen bin, waren wir selten so viel auf See in so kurzer Zeit. Meistens haben wir uns die Zeit genommen, quer über die Inseln zu wandern, auf denen wir gelandet waren. Tage, Wochen.“
Es bleib abzuwarten, wie lange ihr Freiheitsdrang noch so gut damit zurecht kam. Liam wollte sich gar nicht ausmalen, was er tun würde, wenn sie eines Tages nicht mehr zurück aufs Schiff wollte. Dass er die Sphinx im Augenblick eigentlich nicht verlassen konnte, würde ihn dann vor eine schwierige Entscheidung stellen.
„Aber erzähl doch mal – womit war die kleine Shanaya derart beschäftigt, dass sie sich nicht für niedliche, fellige Tierchen interessiert hat wie jedes andere Mädchen?“
Er musterte sie prüfend, die gute Laune noch immer auf den Zügen und all das Dunkle verdrängend, was Platz in seinen Gedanken suchte.