28.04.2020, 15:24
Ihm blieb nichts anderes, als ihren liebgemeinten Unglauben zu belächeln. Es wunderte ihn nicht und es hätte ihn noch weniger gewundert, wenn sie davon ausging, dass er ihr soeben einen Bären aufgebunden hatte was Sinecas Herkunft anging. Aber Liam sah keine Notwendigkeit darin, ihren Unglauben besänftigen zu wollen. Er war niemand, der sich mit solchen Geschichten profilierte. Dementsprechend spielte es für ihn auch keine Rolle, wer ihn ernst nahm und wer nicht. In diesem Moment war er in erster Linie sowieso nur froh, dass er auf ihrer rechten Seite lief – sonst hätte ihre freundschaftlich gemeinte Geste ihn vermutlich in die Knie gezwungen. So ein Draufgänger war er. Im Nachhinein musste er allerdings zugeben: Wäre ihm damals bewusst gewesen, wie bereitwillig diese Schmuggler ihnen die Haut über die Ohren gezogen hätten, hätten sie sie erwischt, hätte seine Bereitschaft diesbezüglich vielleicht ein wenig anders ausgesehen. Und ohne all die Informationen, die Alex und er in der Taverne aufgeschnappt hatten, wäre ihr Vorhaben wohl auch zum Scheitern verurteilt gewesen. Er hatte einfach eine andere Herangehensweise als die meisten hier. So undurchdacht und freigeistig er im Normalfall auch durch die Welt streunte – in derartigen Situationen setzte er mehr auf Beobachtung und Raffinesse. Etwas, was er bislang noch nicht unter Beweis hatte stellen können. Weil man ihnen entweder nie die Zeit dazu gegeben oder Aspen ihre Deckung innerhalb weniger Sekunden in Luft aufgelöst hatte.
„Ich bin der letzte, der ihr das verbieten würde. Und seit sie die Hühner in Ruhe lässt, hat auch Greo kein Problem mehr mit ihr.“, lächelte er. „Aber vielleicht bleibt sie auch deshalb da. Weil sie weiß, dass sie trotzdem frei ist.“
Wenn er da mal nicht zu viel in das Verhalten eines einfachen Tieres hineininterpretierte. Vermutlich blieb sie, weil sie wusste, dass sie so keinen Hunger leiden musste, nachts keinen trockenen Schlafplatz suchen musste und weil sie einfach nichts anderes kannte. Immerhin hatten sie ihr das Jagen adäquat beibringen können, auch wenn ihre Mittel und Wege dazu nicht selten unfassbar lächerlich ausgesehen haben mussten.
„Nein, nie.“, gab er gut gelaunt auf ihre Frage zurück. „Ich habe mich immer mit dem Getier begnügt, was mir draußen vor die Füße gelaufen ist. Kannte gefühlt jede Katze und jeden Hund in den Straßen, habe Nachmittage auf den Weiden verbracht und Kröten mit nach Hause genommen, weil ich dachte, es seien kranke Frösche.“
Er hatte keinerlei Berührungsängste gehabt. Vielleicht sein Glück, dass es auf Yvenes weniger tödliche Tiere gegeben hatte, als es im großen Rest der ersten Welt der Fall war.
„Ich hatte aber auch nie die Phase, in der ich mir eines gewünscht hätte. Ich fand die Tiere in der Wildnis immer viel spannender als irgendwo eingesperrt oder angebunden. Was ist mit dir? Ein Tiger ist bestimmt nicht dein erster, verrückter Haustierwunsch, oder?“
So, wie er die Schwarzhaarige einschätzte, ganz sicher nicht. Sie hatte gerne, was sie nicht haben konnte. Und wenn sie es sich erst einmal in den Kopf gesetzt hatte, kam sie nur noch schwer davon los. Auch, wenn Liam bezweifelte, dass sie wirklich einen Tiger eingepackt hätte – hätte man ihr ein Exemplar angeboten, Shanaya hätte mit Sicherheit nicht direkt ‚nein‘ dazu gesagt.