27.04.2020, 21:16
Er wog den Kopf in Unwissenheit und verzog die Lippen zu einem nachdenklichen Ausdruck. Auf Anhieb fiel ihm kein katzenartiges Tier ein, welches sich rein vegetarisch ernährte – und das war es doch, was sie von Raubtieren unterschieden hätte, oder? Aber er war sich bewusst, dass er bei weitem noch nicht alles gesehen oder gehört hatte, was auf diesem Planeten so kreuchte und fleuchte. Das Lächeln auf seinen Lippen verblasste unscheinbar, als Shanaya seinen Gedanken bezüglich eines genügsamen Tigers präzisierte. Vermutlich zu beiläufig, als dass es der Dunkelhaarigen wirklich auffiel, aber bewusst genug, dass er für sich selbst merkte, dass ihre Aussage einen bitteren Nachgeschmack beibehielt. Ganz automatisch wanderte seine linke Hand zu der Stelle seines Hemdes, unter dem der Verband die Schusswunde versteckte, die er davongetragen hatte. Wenn man ihn loswerden wollte – er wäre ziemlich dankbar über eine einfache Bemerkung diesbezüglich gewesen. Eine einfache Bitte oder einen Hinweis, dass getrennte Wege wohl für alle Beteiligten besser waren. Er wusste – oder hoffte, zu wissen – dass Shanaya es im Scherz gesagt hatte, ahnte aber auch nach all den Kommentaren bezüglich Aspen, dass es nicht schadete, einen Funken Bereitschaft und Wahrheit hineinzuinterpretieren. Er rang sich also dennoch ein Lächeln ab und hoffte insgeheim, dass sie einfach nie herausfinden würden, wie weit Shanaya im Ernstfall gehen würde. Die Geschichte bezüglich Sineca stellte dabei eine gute Ablenkung dar.
Er lachte leise auf, als man ihn als Samariter bezeichnete. Das traf es nicht ganz, obwohl er vermutlich am ehesten die Kriterien dafür erfüllte, wenn man sich den Rest der Mannschaft ansah. Abgesehen von Elian vielleicht, der seit dem Tod seines Bruders und ihres gemeinsamen Freundes allerdings mehr wie ein Schatten seiner Selbst wirkte. Aus Selbstschutzgründen verfolgte er den Gedankengang gar nicht weiter – Shanaya gab ihm auch genügend andere Dinge, über die er sich Gedanken machen konnte. Dinge, an die er sich gerne zurückerinnerte, auch wenn sie das Heimweh wieder etwas mehr schürten.
„Hätten sie vermutlich getan, wenn sie gewusst hätten, wer’s war. Wir hatten uns im Schutz der Dunkelheit angeschlichen und einen nach dem anderen ausgeschaltet.“
Er wusste, dass das mit Nichten nach ihm klang. Dementsprechend galt der Dunkelhaarigen ein neugieriger Seitenblick, wie glaubhaft sie diese Info einstufte. Dass seine Interpretation von ‚ausschalten‘ sich nicht ganz mit dem deckte, was Shanaya eigentlich so bezeichnete, ließ er geflissentlich außer Acht.
„Mit Schleudern wohlbemerkt.“, gab er nun das – in seinen Augen – amüsanteste dieser Geschichte preis und grinste wie ein kleiner Junge, der besonders stolz auf seine selbstgebastelte ‚Waffe‘ war. „Und einer ordentlichen Portion Glück.“
Mit etwas Übung waren sie gar nicht mal so ungenau, wie Alex und er anfänglich erwartet hatten. Es hatte jedenfalls gereicht, um sie entweder mit einem gezielten Schuss ins Reich des unfreiwilligen Schlafes zu befördern, oder sie genügend abzulenken, um sie nach und nach niederzuschlagen. Liam wusste, dass er hier alles andere als den Ruf eines Raufbolds hatte. Er war weder ein Schläger noch ein bereitwilliger Mörder. In erster Linie lag sein Problem bei all den sinnlosen Morden. Die Möglichkeit, bei einer guten, harmlosen Kneipenschlägerei seine Wetten abzugeben, hatte er bislang selten abgeschlagen. Oder eben der Infiltration eines Schmugglernestes, bei dem kein wirklich großer Schaden entstand. Abgesehen von den finanziellen Dingen natürlich, aber das Gold hatte ohnehin keinem von denen je gehört. Abgesehen davon: Alex konnte sehr mitreißend sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Bei ihrer nächsten Frage zuckte er etwas ratlos mit der Schulter.
„Ich weiß es nicht. Ich sehe sie nicht als Haustier oder sowas. Es steht ihr jederzeit frei zu gehen. Ich wüsste nicht mal, wie ich sie halten sollte, wenn ich es denn wollte. Und sie zu retten, um sie wieder einzusperren, ist eine ganz miese Doppelmoral finde ich.“
Shanaya wusste, dass die Ginsterkatze oftmals alleine unterwegs kam. Aber sie kam stets zurück. Von sich aus.
„Vielleicht geht sie eines Tages ihren eigenen Weg. Vielleicht auch nicht. Ich lasse es auf mich zu kommen.“