19.04.2020, 20:14
Die Aufmerksamkeit noch immer mehr dem Essen widmend als dem Gespräch in seinem Rücken, wog er den Kopf voller Zustimmung zur Seite. Recht hatte sie, aber hätte Liam geahnt, dass Shanaya bislang auch nicht mehr als eine Geschmacksrichtung probiert hatte, hätten seine Mundwinkel vermutlich amüsiert gezuckt. Eine Diskussion über Pasteten von zwei Beteiligten, die beide noch so erfrischend unerfahren schienen, dass sie glaubten, gut von schlecht unterscheiden zu können. Er sah indes keinen Sinn mehr darin, sich an dem Wortgefecht zu beteiligen. Zwei Dinge waren klar: Shanaya würde gehen und Elian würde sie nicht aufhalten können. Dass er es dennoch – wenn auch halbherzig – damit versuchte, auf ihre eigene Vernunft zu setzen, zeigte, dass er – einerseits – wirklich gutherzig war und – andererseits – die Schwarzhaarige kein bisschen kannte. Sonst hätte er gewusst, dass es vergeudete Worte waren und seine Zeit mit sinnvolleren Dingen genutzt. Irgendwann aber gab der junge Montrose klein bei. Es war ihr Bein – ein weiterer Grund, weshalb Liam gar nicht erst versuchte, sie zurück ins Bett zu zwingen. Sie war die einzige, die schmerztechnisch einschätzen konnte, wie weit sie gehen konnte. Da halfen ihr weder ein Gregory noch ein Elian. Wie es medizinisch aussah, konnte der Lockenkopf nicht sagen, aber auch da verfolgte er eher die Philosophie, dass wohl alles passte, solange es irgendwie ging. Bislang hatte es ihn weder ein Körperteil gekostet noch umgebracht. Außerdem konnte er – besonders nach der Kopfgeldaktion – sehr gut nachvollziehen, dass man den Kopf freibekommen wollte. Und das ging nicht, wenn man an die Crew gefesselt war, deren Gesichter allesamt ebenso gezeichnet waren wie die eigenen Gedanken.
Ein ehrliches Lächeln erschien auf seinen Zügen, als er Elians Nicken über die Schulter schauend zur Kenntnis nahm. Er öffnete die Tür, während Shanaya sich noch fertig machte und Liam gemütlich die Zeit nutzte, die Reste des Frühstücks zu vertilgen – so war jedenfalls der Plan gewesen, der jäh von einem lauten RUMMS unterbrochen wurde und ihn aufschrecken ließ. Liam drehte sich auf der Bettkante herum und blinzelte abwartend Richtung Tür. Bei genauerem Lauschen war es Josiahs Stimme, die den Flur besser verfluchte als manches Esoterikweib. Er schien eine recht unsanfte Bekanntschaft mit der Tür gemacht zu haben. Doch statt ebenfalls besorgt in den Flur zu eilen, blieb er vorerst sitzen, steckte sich ein weiteres Stück Käse in den Mund und bestrich das restliche Brot mit der Marmelade. Bis Shanaya mit ihrer Krücke die Tür erreicht hatte und die Situation davor geklärt war, hatte er noch genügend Zeit. Wenn er sich nicht täuschte, war nämlich auch Farley von dem lauten Treffen zwischen Josiah und dem Holz angelockt worden. Der Lockenkopf seufzte leise, lauschte dem dumpfen Geräusch von Shanayas Krücke und hatte sich bereits halb erhoben, als er bemerkte, dass das Klopfen nicht an der Tür endete. Sie kümmerte sich nicht um den kleinen Auflauf, sondern marschierte – er hätte es sich denken können – munter weiter, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Hastig stopfte er sich die Reste vom Teller in den Mund, um ihr auf dem Fuße zu folgen.
„Iff paff fon auf.“, bemerkte er noch mit vollem Mund beschwichtigend, als Elian abermals seinen Missmut zum Ausdruck brachte. Er schluckte und behielt Shanaya im Blick. „Wenn ihr sie auch nur ansatzweise kennt, wisst ihr, dass sie gehen wird. Ob mit oder ohne uns. Macht euch doch nicht die Mühe, das Unmögliche zu versuchen.“
Er zuckte mit der Schulter, warf der Runde ein gut gelauntes Lächeln entgegen und huschte der Schwarzhaarigen hinterher.
„Die scharren sich ja wie Fliegen um dein Krankenzimmer. Hab‘ ich was verpasst? Ist eine Wette am Laufen, wer dich im Bett halten kann?“, flüsterte er der Jüngeren zu und warf einen letzten, flüchtigen Blick über die Schulter.
Wer ihnen folgen wollte, würde es tun. Allzu schwer war es nicht, sie einzuholen.