16.04.2020, 12:59
Er hatte versucht das Bild loszuwerden. Ungläubig hatte er an Deck gestanden und hilflos, nahezu versteinert zusehen müssen, wie sein Jugendfreund den feigen Kopfgeldjägern und ihren Kugeln zum Opfer gefallen war. Farley hatte nichts tun können – ebenso wie Elian oder irgendjemand sonst aus der Crew, die sich an Bord der Sphinx befanden. Und dennoch fühlte er tief im Inneren eine Schuld, die er nicht loswurde. Er hatte geistesgegenwärtig Elian gepackt, der zu seinem Bruder stürzen wollte. Doch es war zu spät gewesen und noch einen Freund hatte der Braunhaarige an diesem Tag nicht verloren wollen. Er fühlte sich schlecht, weil er Elian die Möglichkeit nahm, zu seinem Bruder zu gelangen. Doch es war notwendig und er bereute es im Nachhinein keineswegs, dass er den jungen Burschen gepackt und ihn mit aller Kraft davon abgehalten hatte, sich vom Schiff zu stürzen. Das Schuldgefühl aber wollte nicht verschwinden. Nicht, als sie alle davongekommen waren und ihre Wunden versorgt hatten. Auch nicht, als sie nach Shanayas Verwundung im Hafen von Silvestre Halt machten. Farley fragte nicht, welche Angelegenheiten Talin mit den Tarlenns verband. Er hatte aufgehört sich zu wundern und gestand ohnehin jedem der anderen sein eigenes kleines Geheimnis zu – und die hatten sie jeder für sich, ganz ohne Zweifel. Nein, der junge Dieb hielt es auch hier, wie er es zu anderen Gelegenheit zu tun pflegte: Er nahm die Dinge, wie sie kamen und arbeitete mit dem, was er hatte. Auch sonst half es ihm wenig zu hinterfragen, warum ein Geschäft schief gelaufen war oder warum ihn womöglich doch einmal jemand in einer ungünstigen Situation beobachtet hatte. Farley half es grundsätzlich nur,einfach das Beste aus seinem Schicksal zu machen und sich Gedanken über das Kommende zu machen. In der Vergangenheit hängten nur Träumer fest – und die konnten selten ihren Kopf aus der Schlinge ziehen oder lange überleben.
Da waren sie also nun – in einem Bordell untergebracht und warteten darauf, dass man sie entweder wieder aufspürte oder ihr Schiff für die Weiterfahrt repariert war. Farley hätte sich gerne denen angeschlossen, die sich in die Werft aufgemacht hatten. Doch er verstand zwar Einiges von Holz, aber weniger von Schiffen und so war er wenig verwundert darüber, dass Talin ihn nicht gebeten hatte mitzukommen. Da auch Lucien ihn nicht mitgenommen hatte, blieb er also mit sich und den anderen im Bordell zurück und war sich selbst und seinem Tun überlassen – was ihm nicht wirklich gefiel, wenn er ehrlich war. Für ein wenig Ablenkung wäre er durchaus dankbar gewesen. Die Gedanken an Aspen hatten ihn wie immer seit dem Tod des Freundes geweckt, noch bevor die Sonne aufgegangen war. Als sie ihre ersten Strahlen durch das kleine Zimmer schickte, schälte Farley sich schließlich aus dem Bett und kleidete sich an. Nur die langsam immer dunkler werdenden Ringe unter seinen Augen verrieten, dass er in letzter Zeit nicht wirklich gut schlief – was nicht an ihrer Schlafumgebung lag, die nachts doch sehr viel lauter war als mancher der Crew es gewohnt sein durfte. Farley hatte gelernt störenden Geräusche zu ignorieren. Der junge Dieb gab sich dennoch alle Mühe, sich das Schlafdefizit nicht anmerken zu lassen. Als er die Zimmertür schließlich hinter sich schloss und auf den Flur trat, hatte er kein wirkliches Ziel. Das jedenfalls bildete er sich ein, als seine Füße schon die ersten Schritte machten und sich auf den knarzenden Holzdielen auf die Suche nach Elian begaben. Farley war sicher nicht der fürsorgliche Typ, meist waren ihm seine Mitmenschen so lange wichtig, wie sie ihm von Nutzen waren. Aber dieser Fall lag anders. Er hatte versucht sich um den verbliebenen Bruder zu kümmern, hatte ihm immer wieder Essen und Wasser gebracht und mit Sorge angesehen, wie lustlos dieser sich auf den Beinen hielt. Und irgendwie fühlte der Braunhaarige sich, als ob er dem jungen Mann gerade jetzt eine Freundschaft schuldete, die seit Jahren brach gelegen hatte.
Allerdings war es nicht Elian, den er erblickte, als er in diesem Augenblick um die Ecke bog. Es war Shanaya, die – irritierender Weise – auf ihre Krücke gestützt in den Flur wankte - und Josiah die Tür gegen den Kopf rammte. Farley hob eine Augenbraue, verkniff sich aber Josiah eine hämische Bemerkung zuzuwerfen und Shanaya zu sagen, dass sie überhaupt nicht nach Ausflug aussah und lieber das Bett hüten sollte, bevor sie sich wieder ins Getümmel stürzte. Ratschläge brachten bei der Schwarzhaarigen nicht fiel, ihr Kopf war viel zu dick und starrsinnig, als dass sie sich von irgendjemandem sagen ließ, wo es langging. Nun, abgesehen von Luc und Talin vielleicht. Farley enthielt sich also ärztlicher Tipps – es waren ja ihr Bein und ihr Leben. Stattdessen ging er den Gang einfach entlang, bis er auf Höhe ihres Zimmers war – wo er schließlich Liam und Elian entdeckte, denen er grüßend zunickte und die ebenso aufbruchsbereit aussahen wie die junge Frau. Auch Josiah nickte er kurz zu, immer noch ohne auf das Missgeschick des Mannes einzugehen.
„Wo solls denn hingehen mit dem Hinkebeinchen?“
fragte er schließlich in die Runde, was ihm einfallslos und dumpf vorkam, sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten. Aber viel mehr hatte er nicht zu erzählen und viel mehr gab es auch nicht zu wissen. Im Prinzip war es ihm auch egal. Eigentlich wollte er nur drei Dinge: Ein Auge auf Elian haben, ein wenig Gesellschaft und aus diesem Bordell heraus, um sich die Beine zu vertreten. Immerhin im letzten Punkt hatten er und Shanaya, glaubte Farley, ein gemeinsames Anliegen.
[Bordell | Bei Shanaya, Liam, Josiah und Elian]